Der Ältestenrat hat eine Debattendauer von 45 Minuten vorgeschlagen. Gemäß § 43 Abs. 6 der Geschäftsordnung wird zunächst dem Fragesteller das Wort erteilt. Alsdann erhält es die Landesregierung. Nach der Aussprache steht dem Fragesteller natürlich das Recht zu, Schlussbemerkungen zu machen.
In der Debatte sind die Reihenfolge der Fraktionen und ihre Redezeiten nach der Redezeitstruktur C festgelegt: FDP fünf Minuten, PDS sieben Minuten, CDU 13 Minuten und SPD sieben Minuten. Ich erteile zuerst der Fraktion der SPD das Wort. Für die SPD nimmt das Wort der Abgeordnete Herr Bischoff. Bitte sehr, Herr Bischoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an den Beginn meiner Ausführungen ein Zitat stellen, das in der Einführung zur Antwort auf die Große Anfrage zu den sozialpolitischen Auswirkungen landes- und bundesgesetzlicher Regelungen steht. Ich hoffe, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht verstehen können, wie dieser Satz zu interpretieren ist. Da heißt es:
„In der Antwort auf die Große Anfrage zu sozialpolitischen Auswirkungen landes- und bundesgesetzlicher Regelungen wird eine Darstellung des erreichten Standes in verschiedenen sozialpolitischen Tätigkeitsbereichen gegeben.“
„Diese berühren unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger zum Teil unmittelbar, vielfach aktuell, jedoch allenfalls mittelbar.“
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Schallpegel ist erheblich. Ich bitte Sie, wenn Sie sich unterhalten, dann doch bitte so leise zu sein, dass man den Redner noch versteht. - Herzlichen Dank.
Ich habe diesen Satz ein paar Mal gelesen und bin daraus nicht klug geworden: „Diese berühren unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger zum Teil unmittelbar, vielfach
aktuell, jedoch allenfalls mittelbar.“ - Ich nehme an, damit ist alles gesagt: Mal so und mal so und mal so und dann auch wieder mal direkt; Prosa und Lyrik - man kann sich das Beste davon heraussuchen.
Aber Spaß beiseite: So etwas findet man wahrscheinlich überall. Die Antwort auf die Große Anfrage ist in großen Teilen zufriedenstellend. Viele Fragen betreffen rein statistische Daten, auch neueren Datums, die nicht einfach über das Statistische Landesamt in Halle zu bekommen sind.
Um Entwicklungstendenzen rechtzeitig erkennen zu können, sind besonders die Möglichkeiten des Vergleichs mit den vorangegangenen Jahren wichtig. Insofern danke ich für die Beantwortung.
Einige Antworten gehen über die Fragestellungen hinaus und geben zusätzliche Informationen. Das ist ja nicht immer so. Ich muss gestehen, ich wusste bisher nicht, dass die Ausgleichsabgabe des Landes für nichtbeschäftigte Behinderte mit den Beträgen für Aufträge für die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen verrechnet werden kann. Ich weiß nicht, ob Sie das wussten, Herr Dr. Eckert. Ich wusste das nicht.
Schade ist, dass es wiederum keine Angaben darüber gibt, wie lange Menschen mit Behinderungen, wenn sie schon in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können, dort dann tatsächlich beschäftigt werden.
Hervorzuheben ist das Sonderprogramm „Arbeitsplätze für ältere Schwerbehinderte ab dem 50. Lebensjahr und für allein erziehende, schwerbehinderte Frauen und Männer“, dessen Laufzeit bis März 2006 verlängert wurde. Nicht ersichtlich ist allerdings, ob es sich dabei um ein Bundes- oder ein Landesprogramm handelt.
Positiv, wenn auch keinesfalls ausreichend, sind die 15 Projekte zur Eingliederung von Menschen mit Behinderungen, die keine anerkannte Schwerbehinderung haben.
Im Bereich der Pflege sind die Daten übersichtlich zusammengefasst. Außerdem wird auf eine Reihe von Untersuchungen verwiesen, zum Beispiel zum Investitionsprogramm - das liegt schon länger zurück -, zur ambulanten Pflege und zur Wohnsituation von Seniorinnen und Senioren. Die Untersuchung zum letztgenannten Punkt lag bei der Fragestellung noch nicht vor. Sie ist erst im Herbst 2003 vorgelegt worden. Darauf müsste man noch einmal eingehen, wenn sie behandelt wird.
Insofern sind wir auf die Landespflegekonzeption gespannt, die noch in diesem Jahr vorgelegt werden soll. Wir hören ja von den Verbänden, von den Interessenvertretungen, dass die Nachfrage auch nach stationärer, aber viel mehr nach ambulanter Betreuung und nach betreutem Wohnen erheblich sei und dass alle Pflegeeinrichtungen lange Wartelisten hätten.
Die Diskussion um die Pflegeversicherung ist auch im Bund im vollen Gange. Vor diesem Hintergrund ist eine Landespflegekonzeption besonders wichtig.
Auch die Fortführung der Unterstützung des Landes im Rahmen der Investitionen halte ich für wichtig. Solche Träger, die vernetzte Angebote im Bereich der stationären, teilstationären und ambulanten Betreuungsform sowie für Serviceangebote in der Altenhilfe und für barrierefreie Wohnungen vorhalten, sollen weiterhin gefördert
werden. Das ist lobend zu erwähnen; das ist eine Fortführung des Programms der alten Landesregierung. Auch dass Sie die vernetzten Strukturen weiterführen, ist sehr positiv zu erwähnen.
Vor diesem Hintergrund allerdings - jetzt ist der Minister Daehre nicht da - muss kritisch angemerkt werden, dass das Wohnungsanpassungsprogramm, mit dem die barrierefreien Wohnungen gefördert werden, im letzten Jahr völlig gestrichen worden ist. Dies ist zu kritisieren, weil gerade der Bereich der ambulanten Versorgung und der Hilfen im ambulanten Bereich damit wegfällt.
Die stärkere Berücksichtigung der Demenzerkrankungen durch Pflegeeinrichtungen mit Hausgemeinschaften, die so genannte vierte Generation des Pflegeheimbaues, muss auch künftig sichergestellt werden, denn aufgrund der demografischen Entwicklung wird hierfür die Nachfrage mit Sicherheit steigen.
Zum ersten Teil der Frage 2.12, wie viele Pflegeeinrichtungen ausbilden, wurde darauf verwiesen, dass dies erst beantwortet werden könne, wenn das Haushaltsjahr 2003 zu Ende sei. Ich bitte ganz herzlich darum, dass wir diese Zahlen bekommen, wenn sie vorliegen - das Jahr 2003 ist vorbei -, dass Sie das einmal im Sozial- und Gesundheitsausschuss mitteilen.
Ausgesprochen schade ist, Herr Minister Kley, dass die Landesregierung das Qualitätssiegel für betreutes Wohnen nicht mehr vergibt. Es ist auch nicht ersichtlich, ob sie das tatsächlich nicht weiterführt. In der Antwort steht, dass es dazu Überlegungen gebe. Eine solche Auszeichnung war gerade für Wohnungsgenossenschaften und andere Träger eine Herausforderung und eine Werbung für die Qualität ihrer Wohnquartiere.
Wie bei vielen anderen Programmen drängt sich hierbei der Eindruck auf - das muss ich doch kritisch anmerken -, dass das, was von der Vorgängerregierung kommt, nicht weitergeführt werden darf, auch wenn es sinnvoll ist. Das eigene Etikett muss sichtbar werden, auch wenn der Inhalt der gleiche ist. Schade, dass am Ende sogar der Inhalt auf der Strecke bleibt.
Nur wenn Sie gezwungen sind, ein Programm weiterzuführen, weil Ihnen selbst nichts Besseres einfällt, tun sie es. Natürlich versuchen Sie dann, dies als eigene Idee zu verkaufen.
Die Aussage, keine Sonderkindertageseinrichtungen für behinderte Kinder wieder einzuführen, ist deutlich. Das begrüßen wir - wir hatten anderes befürchtet -, weil die integrative Betreuung eine wichtige Voraussetzung dafür ist, das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen rechtzeitig zu fördern.
Allerdings ist die Antwort im Hinblick auf die integrative Beschulung überhaupt nicht befriedigend. Es ist zwar richtig, dass nach dem Schulgesetz erst dann eine integrative Beschulung möglich ist, wenn die sonderpädagogischen, personellen, räumlichen und sächlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Aber gerade deshalb wäre es wichtig zu wissen, in wie vielen Fällen diese Voraussetzungen vorhanden bzw. nicht vorhanden waren, also wie hoch der tatsächliche Bedarf ist. Deshalb
„Das vom Land bereitgestellte Arbeitsvolumen zur sonderpädagogischen Begleitung entsprach und entspricht dem bisherigen Bedarf an gemeinsamem Unterricht.“
Das hieße, dass tatsächlich jeder Schüler und jede Schülerin mit Behinderung schon heute an einer normalen Schule lernen könnte. Wie wir wissen, nimmt das Land Sachsen-Anhalt im Bereich der integrativen Beschulung im Bundesvergleich den letzten Platz ein.
Deshalb ist die Bedeutung der Aussage, dass es in Zukunft anstelle von Sonderschulen nur noch Förderschulen geben soll, nicht zu verstehen. Aus der Antwort der Landesregierung ist nicht ersichtlich, welche Schulen Förderschulen sind; denn gleichzeitig ist auch von Förderzentren die Rede. Sollen also künftig Förderzentren den Bedarf an Sonderschulen verringern? - Dies wäre eigentlich zu begrüßen. Ich habe die Bildungspolitiker in meiner Fraktion danach gefragt. Sie haben mir gesagt, sie hätten durchaus davon gehört, wüssten aber auch nicht, was sich hinter dem Begriff „Förderzentren“ verberge.
Ich komme zum Schluss. Immerhin soll pünktlich am 31. Dezember 2004 ein Evaluationsbericht zum Behindertengleichstellungsgesetz vorliegen. Vielleicht wäre dies auch am 17. Dezember 2004 möglich gewesen. Aber wahrscheinlich weiß man im Ministerium bereits jetzt, dass in diesem Jahr während der Weihnachtstage gearbeitet werden wird, damit der Bericht pünktlich zum 31. Dezember 2004 fertig sein wird. Leider wird nicht mitgeteilt, ob er am Silvestertag gegen Mittag oder erst gegen Abend vorliegen wird. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Bischoff, für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Für die Landesregierung hat nun der Minister für Gesundheit und Soziales, Herr Gerry Kley, um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bischoff, es ist etwas schwierig, nach Ihnen zu reden. Sie loben uns immer so sehr und kritisieren uns natürlich auch ein bisschen. Nichtsdestotrotz kann ich, so glaube ich schon, im Landtag insgesamt einen Konsens dahin gehend feststellen, dass es notwendig ist, im Bereich der Sozialpolitik die Entwicklung im Auge zu behalten und, soweit es beeinflussbar ist, die Interessen der jeweiligen Menschen zu vertreten.
Wir haben in der Antwort auf die Große Anfrage umfangreiche Angaben und Aufstellungen zu den sozialpolitischen Themenbereichen des Schwerbehindertenrechts, des Pflegequalitätssicherungsgesetzes, des Heimgesetzes sowie des Behindertengleichstellungsgesetzes gemacht und erläutert. Diese sozialpolitischen Tätigkeitsfelder der Landesregierung berühren unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger in vielfältiger Weise.
Daher stellt sich die Landesregierung bewusst der Herausforderung, ein adäquates Lebensumfeld für unsere älteren, behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen im Land zu gestalten. Ihnen soll ein Leben mit Würde und Selbstbestimmung ermöglicht und jeglicher Diskriminierung entgegengewirkt werden. Mit der Schaffung von Beschäftigungs- und Wiedereingliederungsmöglichkeiten soll dazu beigetragen werden, die Lebensqualität zu verbessern. Wichtig ist es, für die betroffenen Menschen deutlich zu machen, dass sie in unserer Gesellschaft gebraucht und anerkannt werden.
Das soziale Umfeld wird weitgehend von landes- und bundesrechtlichen Regelungen und Gesetzen geprägt, die Leistungsansprüche festlegen und auch einen Rahmen für unterstützende Maßnahmen darstellen.
Aufgrund der demografischen Entwicklung und der sich verändernden finanziellen Möglichkeiten besteht allerdings die Notwendigkeit, die Sozialpolitik unter Berücksichtigung der wünschenswerten und realisierbaren Standards weiterzuentwickeln. Der Staat kann und will dabei nicht alles leisten. Vielmehr wird sich zukünftig die staatliche Unterstützung verstärkt an der Gewährung von Hilfe zur Selbsthilfe ausrichten müssen. Das heißt, dass künftig nicht die bloße Versorgung, sondern die aktivierende Hilfe und Pflege sowie Bemühungen zur Rehabilitation im Mittelpunkt der sozialpolitischen Regelungen und Maßnahmen stehen müssen.
Es ist bereits viel erreicht worden. Das wird in der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage deutlich. Das ist auch anerkannt worden. Es wird aber auch ersichtlich, dass weitere Schritte in Einzelbereichen sinnvoll erscheinen und welche Entwicklungen in den dargestellten sozialpolitischen Bereichen angestrebt werden.
So sollen mit dem derzeit laufenden Gesetzgebungsverfahren im Bereich des Schwerbehindertenrechts und dem Gesetzentwurf zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen neue Ansätze bei der Integration von Menschen mit Behinderungen aufgezeigt und festgelegt werden. Wie ernst diese Aufgabe ist, zeigt auch die gestrige Entscheidung des Vermittlungsausschusses, in diesem Bereich noch einmal eine Arbeitsgruppe einzusetzen, in der auch das Land Sachsen-Anhalt vertreten sein wird.
Derzeit leben in Deutschland 1,9 Millionen Menschen, die in unterschiedlichem Ausmaß dauerhaft auf Pflege angewiesen sind. Der weitaus größte Teil der pflegebedürftigen Menschen wird von Angehörigen betreut. Mit der Einführung der sozialen Pflegeversicherung im Jahr 1995 wurde die letzte große Lücke im System der sozialen Sicherung geschlossen und der für Pflegebedürftige wie für Angehörige unwürdige Zustand beendet, dass die Pflegebedürftigkeit auf die Dauer fast immer zu einer Sozialhilfebedürftigkeit führt.