Wir, die PDS-Fraktion, vertreten den Standpunkt - dem wollen wir mit unserem Antrag Nachdruck verleihen -, dass es dennoch nicht ausreicht - gerade angesichts der Ankündigung der Bundesregierung, Rechtsmittel gegen das Bodenreformurteil einzulegen -, passiv zu bleiben.
Mehr noch: Als Abgeordnete des Landtags von Sachsen-Anhalt haben wir im Zusammenhang mit diesem Urteil die große Chance, den unmissverständlichen Beweis dafür anzutreten, dass wir durchaus in der Lage sind, uns parteiübergreifend mit aller Konsequenz für die Interessen der ostdeutschen Bevölkerung, für die Menschen, die uns gewählt haben, einzusetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD und von der CDU, Sie dürfen mir glauben, dass die meisten von der Abwicklung der Bodenreform betroffenen Menschen keine potenziellen PDS-Wähler sind. Oder sollte ich eher sagen, dass sie bisher keine potenziellen PDS-Wähler waren?
Wenn ich schon dabei bin abzuschweifen, noch eine kleine Bemerkung. Heute wird viel über die Verfasstheit Deutschlands gesprochen. Insbesondere wenn es um die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands geht, werden kritische Stimmen immer lauter und immer extremer. Ausdruck dessen ist zum Beispiel der manchmal zu hörende Ruf nach einer neuen Mauer, die noch höher sein sollte.
Meine Damen und Herren! Sind es nicht genau diese wichtigen, existenziellen Fragen und darüber hinaus die 1 000 kleinen Dinge des täglichen Lebens, über die zuungunsten der DDR-Bürger gegen Recht und Gesetz entschieden wurde, die eine solche Verfasstheit der Bevölkerung hervorrufen?
Werden so nicht täglich Tausende kleine Mauersteine für eine immer größere Trutzburg gegen die Alt-Bundesrepublik produziert?
Kurzum: Auch vor diesem Hintergrund sind wir gut beraten, die Landesregierung zu beauftragen, gegenüber der Bundesregierung aktiv zu werden, um diese zu veranlassen, dass sie erstens kein Rechtsmittel gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte einlegt und das Straßburger Urteil sofort und endgültig anerkennt und dass zweitens der Artikel 233 §§ 11 bis 16 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch außer Kraft gesetzt und ein Rückabwicklungsgesetz verabschiedet wird, das die Fragen der Rückabwicklung der Bodenreformflächen bzw. die Entschädigung der von der Abwicklung der Bodenreform betroffenen Bürgerinnen und Bürger regelt.
Weiterhin möchten wir die Landesregierung auffordern, ihrerseits die Möglichkeit der Erarbeitung eines landeseigenen Rückabwicklungsgesetzes zu prüfen. Natürlich wird bei einer solchen Entscheidung jetzt die Kostenfrage in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. Ich halte die Überbetonung der Kostenfrage jedoch für unseriös
und die in diesem Zusammenhang genannten Zahlen für total überzogen. Ich halte das für unseriös, weil den Betroffenen das Land unrechtmäßig entzogen wurde und die Tinte, mit der die letzten abgenötigten Verzichtserklärungen unterschrieben worden sind, noch nicht einmal getrocknet ist.
Ich halte es für überzogen, dass in Sachsen-Anhalt Mittel in Höhe von 120 Millionen € für eine Entschädigungsregelung benötigt werden sollen. Diese Kalkulation ist unverständlich. Bei einer Entscheidung für eine Restitution ist der Boden für eine Rückabwicklung der Eigentumsverhältnisse zu mehr als 90 % noch verfügbar.
Natürlich sind finanzielle Mittel dort nötig, wo bereits Dritte im Spiel sind. Zusätzliche Aufwendungen können auch entstehen, wenn Betroffene zum Beispiel die Rückerstattung der Gerichts- und Anwaltskosten einklagen, die sie beim Einziehen ihres Eigentums zu tragen hatten. Hinzu käme gegebenenfalls auch der Ausfall von Pachterlösen.
Die Befürchtung, dass sich Probleme für Agrarunternehmen auftun könnten, kann ich absolut nicht teilen. Im Gegenteil: Die meisten Eigentümer von Bodenreformland hatten bis zur Abwicklung ohnehin langfristige Pachtverträge mit Agrarunternehmen, die auf Einvernehmlichkeit basierten. Erst die Ankündigung des Landes, diese Flächen meistbietend zu verkaufen, sorgte regelrecht für Unruhe.
An dieser Stelle möchte ich auf eines hinweisen - das sage ich ganz bewusst an diejenigen gerichtet, die sich von Beruf Juristen nennen; sie mögen das einmal prüfen -:
Entgegen allen Unkenrufen wurden in der Zeit von 1990 bis Mitte 1992 alle Erbschaftsangelegenheiten, Verkäufe oder Schenkungen grundbuchamtlich, behördlich ohne rechtliche Bedenken vorgenommen. Es gab auch bis Mitte 1992 keine Rechtsstreitigkeiten, keine Streitfälle bezüglich einer Eigentumszuordnung von Bodenreformland.
Unruhe ist erst in die Dörfer eingezogen, als an dem neuen Gesetz gebastelt wurde, als es verabschiedet wurde, um letztlich die Gerichte zuhauf - wir haben es dann erlebt - damit zu beschäftigen, um den vermeintlichen Anspruch des Landes und nicht eines Zweiten oder Dritten durchzusetzen. Ich betone das, weil immer wieder behauptet wurde, dass das Modrow-Gesetz keine Handlungsoptionen enthielt und es an Durchführungsbestimmungen fehlte.
Diese Behauptung ist völlig am Leben vorbei gegangen und kann nur eine Zweckbehauptung gewesen sein.
(Herr Kosmehl, FDP: Herr Krause, gab es eine Durchführungsbestimmung zu diesem Gesetz? Gab es eine?)
- Wissen Sie, prüfen Sie einmal den Sachverhalt bis 1992. Sprechen Sie einmal mit Herrn Remmers. Haben bis Mitte Juni 1992 alle Grundbuchämter und Gerichte willkürlich und gesetzlos gehandelt? Jeder Bürger hatte sein Erbe antreten können. Jeder Vorgang im Grundbuch, der von einem Bürger beantragt wurde, wurde entsprechend bearbeitet. Dieses Problem gab es erst ab
Abschließend möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Blick auf Artikel 41 der Europäischen Menschenrechtskonvention einstimmig feststellte - so wörtlich -, dass Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK verletzt worden ist.
Sehr verehrte Damen und Herren! Mit diesem Tatbestand sollten wir sehr behutsam umgehen. Durch unsere Verfassung sind wir beauftragt und verpflichtet, Schaden von den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes abzuwenden und deren Rechte zu garantieren. Lassen Sie uns in diesem Sinne handeln, indem wir unsere Landesregierung auffordern, ohne Wenn und Aber das Straßburger Urteil anzuerkennen und zu verhindern, dass die Bundesregierung Rechtsmittel gegen dieses Urteil einlegt. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag und um eine klare Positionierung aller Fraktionen.
Danke, Herr Abgeordneter Krause, für die Einbringung. - Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Als erste wird die Ministerin für Landwirtschaft und Umwelt sprechen. Doch zuvor, Frau Ministerin, gestatten Sie, dass wir Damen und Herren der Seniorengruppe aus Bitterfeld begrüßen. Seien Sie recht herzlich willkommen!
Ich habe auch eine für den Betroffenen oder die Betroffene sicherlich wichtige Ansage zu machen: Es liegen ein Notizbuch und ein Handy in der Kantine für seine Besitzerin oder seinen Besitzer bereit. - Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich in meinem Redebeitrag weitgehend auf den Wortlaut des Antrages der PDS-Fraktion beschränken und nicht zu sehr auf den Redebeitrag des Kollegen Krause eingehen.
Zunächst seien mir einige grundsätzliche Anmerkungen gestattet. In den letzten Wochen gab es zahlreiche Berichte und Veröffentlichungen zu dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 22. Januar 2004. Wir, die Landesregierung, nehmen dieses Urteil mit Respekt zur Kenntnis und stellen uns offensiv darauf ein, gegebenenfalls auch auf die Abwicklung von Entschädigungsverfahren.
Wie ich aus vielen Schreiben und Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern weiß, haben diese Berichterstattungen teilweise zu einer großer Beunruhigung der Betroffenen und auch zu Irritationen geführt. Es melden sich viele Bürgerinnen und Bürger, die von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes überhaupt nicht betroffen sind, weil sie zum Beispiel die Boden
reformgrundstücke infolge der Anwendung der Besitzwechselverordnung bereits zu DDR-Zeiten verloren haben.
An dieser Stelle sei mir doch ein kleiner Hinweis an Herrn Krause gestattet: An dieser Haltung zeigt sich so richtig die Widersprüchlichkeit der PDS-Fraktion;
denn um alle diejenigen, die zu DDR-Zeiten nach sozialistischem Recht enteignet worden sind, bemühen Sie sich nicht, Herr Krause. Das muss man an dieser Stelle einmal eindeutig zum Ausdruck bringen.
Wenn man Eigentum schützen und sich für das Eigentum einsetzen will, dann darf ich nicht nur an die Neusiedler und die Alteigentümer denken, die 1945 enteignet worden sind, sondern dann muss ich auch an die denken, die Sie - Sie waren mitbeteiligt - zu DDR-Zeiten enteignet haben. Wenn der Eigentumsbegriff schon so hoch gehalten wird, dann bitte auch für alle Eigentümer.
Andererseits befürchten Betroffene, dass sie Fristen versäumen könnten. Mein Anliegen ist es, die Gesamtsituation zu beruhigen und die Diskussion zu versachlichen; denn geboten ist ein sehr sensibles Vorgehen in der Sache.
In diesem Sinne möchte ich nunmehr zu dem Antrag Stellung nehmen. Zunächst zu Nr. 1, zu der Frage der Einlegung von Rechtsmitteln. Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention ist die Einlegung von Rechtsmitteln möglich. Innerhalb von drei Monaten kann jede Partei die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs anrufen. Verfahrensparteien sind im vorliegenden Fall die Bundesrepublik und die Beschwerdeführer. Die Entscheidung zur Einlegung eines Rechtsmittels fällt daher in die Zuständigkeit und Verantwortung des Bundes.
Bundesjustizministerin Zypries hat erklärt, dass die Bundesregierung beabsichtigt, Rechtsmittel einzulegen. Durch Anrufung der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs soll eine abschließende Klärung der Rechtsfragen erreicht werden.
Bereits am 10. Februar 2004 hat sich die Landesregierung mit dieser Angelegenheit befasst. Die Landesregierung hat dem Bundesjustizministerium ihre Auffassung mitgeteilt, dass die abschließende Entscheidung zur Einlegung eines Rechtsmittels im Verantwortungsbereich der Bundesregierung liegt. Für eine Bundesratsinitiative, wie von der PDS-Fraktion gefordert, besteht daher überhaupt keine Veranlassung.
Ich komme zu Nr. 2 des Antrages. Hierzu ist es erforderlich, sich mit der Entscheidung selbst näher zu befassen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit Urteil vom 22. Januar 2004 zur Abwicklung der Bodenreform entschieden, dass der Eigentumsschutz verletzt worden ist.
Der Gerichtshof hält einen Entzug des Eigentums, das heißt die Übertragung der Bodenreformflächen in das Landeseigentum, als im öffentlichen Interesse stehend für rechtmäßig. Das Gericht hat allerdings festgestellt, dass ein Verstoß gegen das Prinzip der Verhältnis
Es hat also den entschädigungslosen Eigentumsentzug beanstandet. Es hat aber nicht die Nichtigkeit des Artikels 233 §§ 11 ff. des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, das heißt der Bestimmungen zur Abwicklung der Bodenreform, festgestellt.