Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Hinzu kommen eine Vielzahl von weiteren Vorgaben, die einen unverhältnismäßig hohen organisatorischen und zeitlichen Aufwand für die Lehrkräfte verursachen und dadurch die notwendige und wichtige inhaltliche Vorbereitung der Lehrtätigkeit einschränken.

Meine Damen und Herren! An berufsbildenden Schulen ergibt sich noch eine zusätzliche Schwierigkeit: Die Spezifik der dualen Ausbildung besteht nun gerade darin, dass die Auszubildenden nicht jeden Tag in der Berufsschule sind. Entweder betrifft das nur wenige Tage in der Woche oder es gibt Blockunterricht. Außerdem arbeiten die Lehrlinge noch im Betrieb. Durch diese Spezifik sind gewisse Vorgaben des Erlasses für die berufsbildenden Schulen überhaupt nicht umsetzbar.

Zum Beispiel gibt es bei bestimmten Berufen, die Blockunterricht haben, gar keine Halbjahreszeugnisse und es ergeben sich Diskrepanzen im Hinblick auf die Anzahl der in einer Woche zu schreibenden Klassenarbeiten sowie im Hinblick auf die Wiederholung von Klassenarbeiten und deren Gewichtung.

Meine Damen und Herren! Wenn Staatssekretär Herr Willems in einer Pressemitteilung mit den Worten, der Erlass habe sich im schulischen Alltag bewährt, zitiert wird, dann kann ich das nach den vielen Gesprächen, die wir geführt haben, nicht bestätigen. Ich weiß nicht, welche Schulen der Staatssekretär damit meint. Bei den Lehrern, Eltern und Schülern herrscht Unverständnis und Frust im Hinblick auf die pädagogischen Beweggründe für die neuen Vorgaben der Erlasse und deren bürokratischen Aufwand.

Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Olbertz, uns alle in diesem Hause eint - davon gehe ich einmal aus - das Ziel, die Qualität der Bildungs- und Erziehungsarbeit an den Schulen zu verbessern.

Meine Damen und Herren! Wir haben bereits im Oktober des vergangenen Jahres einen Gesetzentwurf zur inneren Schulreform in den Landtag eingebracht. Die Landesregierung hat gerade jetzt einen eigenen Entwurf zur Schulgesetzänderung zur Anhörung freigegeben. Jetzt kommt die entscheidende Frage, meine Damen und Herren: Wie sollen wir die Lehrer, die Eltern und die Schüler für diese Reformen begeistern, wenn schon die Grundelemente der schulischen Arbeit, wie Leistungsbewertung und -beurteilung, zum Streitfall werden und für Wut und Unverständnis sorgen.

Herr Olbertz, ich bin überzeugt, dass Ihnen nicht entgangen ist, was die Leistungsbewertungserlasse an den Schulen angerichtet haben. Sie kennen die Stellungnahmen der Lehrerverbände, die alle die von mir eben beschriebenen Kritikpunkte beinhalten und alle auf eine Veränderung drängen. Die Zielstellung, meine Damen und Herren, muss lauten, die Notengebung pädagogisch nachvollziehbar und einheitlicher zu gestalten, die Transparenz herzustellen und vor allen Dingen der Beliebigkeit eine Absage zu erteilen.

Meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, sehr geehrter Herr Minister, ich appelliere an Sie: Folgen Sie der Vernunft und korrigieren Sie die Leistungsbewertungserlasse rechtzeitig zum neuen Schuljahr 2004/05. Ich glaube, die Schulen, die Interessenver

tretungen und auch wir sind sicherlich zu jeder Mithilfe bereit. Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Mittendorf. - Herr Minister Olbertz will gleich auf diese Einbringung antworten. Ich erteile jetzt Herrn Minister Olbertz dazu das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es schickt sich nicht, dem Landtagspräsidenten zu widersprechen, aber ich will darauf nicht antworten, sondern ich muss darauf antworten. Offensichtlich ist dieser Leistungsbewertungserlass jetzt plötzlich über Sie gekommen, mit dem wir schon eine ganz Weile arbeiten. Es wird der Eindruck erweckt, als wäre dieser Erlass überfallartig und ohne Beteiligung der Schulöffentlichkeit über das Land gekommen und es sei daher geboten, den Landtag zu bemühen, auf diesem Weg schulpraktische Einflussnahme zu üben und die Dinge wieder zu richten.

Ich habe gesagt, dass ich bis zum Sommer diesen Leistungsbewertungserlass noch einmal einer kritischen Revision in Bezug auf die Punkte unterziehen werde, die möglicherweise aufgrund der Regelungsdichte verzichtbar sind. Ich kann aber noch nicht sagen, ob sich ein Anlass dafür ergibt. Das wird das Ergebnis der Überprüfung sein.

Dass Sie auf diese Zusage, die ich öffentlich gemacht habe, jetzt aufspringen, kann ich politisch gut verstehen, hilft uns aber in der Sache kaum weiter. Sie vermuten - ich wundere mich, wie plötzlich das Thema bei Ihnen angekommen ist, aber wie auch immer -, dass die schulgesetzlich vorgesehenen Gremien im Rahmen der Anhörung überhört worden seien oder dass es nicht genügend Möglichkeiten gegeben habe, sich einzubringen.

Dem muss ich widersprechen. Gerade der Entwurf dieses Erlasses ist in einem sehr frühen Stadium ins Netz gestellt worden, damit alle Interessierten Raum und Gelegenheit hatten, sich an der Diskussion zu beteiligen, was auch geschehen ist. Gerade mit der frühen Vorstellung des Erlasses wurde bewusst ein sehr transparentes Verfahren gewählt, um Hinweise aus der Schulpraxis aufnehmen zu können. Wir haben tatsächlich eine große Anzahl von Änderungsvorschlägen aus der Schulpraxis in den Erlass aufgenommen. Nachdem der Erlass rechtskräftig war, gab es eine Fülle in Informationsveranstaltungen auf verschiedenen Ebenen, die ich nicht unerwähnt lassen möchte.

Dass Sie nun spät, aber doch Interesse an den Fragen der Leistungsbewertung bekunden, finde ich erst einmal gut. Ich bin gern bereit, Ihnen die Intentionen der Neuregelungen noch einmal zu erläutern. Bei einem Vergleich werden Sie feststellen, dass gerade die Grundlinien dem Vorgängererlass nicht nur nicht widersprechen, sondern manches implizit voraussetzen und sogar deutlicher machen.

Grundlage und Ausgangspunkt der Neureglungen war nämlich das Recht eines jeden Schülers und einer jeden Schülerin auf Anerkennung der individuellen Lernstände und der Lernfortschrittes und auf eine Auskunft über die jeweilige Benotung. Das heißt, Leistungsbewertung muss

immer auf die Person bezogen erfolgen, damit nicht nur etwas konstatiert oder eben, wie Sie es offensichtlich fordern, mit dem Taschenrechner errechnet wird, sondern damit man der Leistungsentwicklung des Einzelnen gerecht wird, indem ein pädagogisches Ermessen in die Handhabung dieser Notenerteilung einbezogen wird. Das halte ich für ganz wichtig.

Bis jetzt haben wir formale Kriterien wie die Aufrechnung von Durchschnitten gehabt. Jetzt haben wir nur noch Orientierungsgrundlagen, aber die Aufforderung an die Lehrerinnen und Lehrer, diesen Ermessensspielraum individuell als Impuls für die Schülerinnen und Schüler zu nutzen. Ich bin selbst etwas überrascht, wie groß die Schwierigkeiten sind, Noten nicht mehr errechnen zu müssen, sondern Noten bilden zu müssen.

(Zuruf von Frau Dr. Hein, PDS)

Das ist natürlich ein anderes Geschehen. Insofern denke ich schon, dass wir hierbei ein wenig umdenken müssen. Ich räume aber gerne ein, dass die Regelungen, die wir dazu gefunden haben, möglicherweise nicht optimal genau diese neue Praxis der Leistungsbewertung mit individuellem Bezug, mit transparenter Kommentierung und im Übrigen auch mit Erläuterungspflicht gegenüber den Schülerinnen und Schülern und den Eltern versehen.

Das halte ich für sehr, sehr wichtig. Darüber gab es vor dem Leistungsbewertungserlass entschieden weniger Kommunikation als jetzt, auch was die Kommunikation zwischen Schülern und Eltern und zwischen Lehrerinnen, Lehrern und den Schülern betrifft. Das muss man festhalten; denn diese kommunikative Qualität halte ich für sehr wichtig. Dass das nicht ohne Konflikte abgeht, liegt in der Natur der Sache.

Sie sprechen vor allem Zeugnisnoten an, die sich aus mehreren Einzelnoten zusammensetzen. Neben dem Anliegen, die Entwicklung des einzelnen Schülers zu berücksichtigen, kommt hierbei ein weiterer Aspekt dazu, ohne den eine Notenberechnung ganz formal nur scheinbar objektiv wäre. Sie bekommen zwar dann den Durchschnitt mit der Dezimalstelle hinter dem Komma heraus, Sie werden aber letztlich dem individuellen Bemühen des Schülers und seinen Perspektiven gar nicht gerecht.

So ist zum Beispiel, Frau Mittendorf, ein kurzer Vokabeltest nun wirklich nicht mit einer komplexen Hausarbeit gleichzusetzen. Auch Klassenarbeiten können höchst unterschiedliche Anforderungen stellen. Der Gleichheitsgrundsatz verpflichtet nicht nur, Gleiches gleich zu behandeln, sondern er verbietet auch, Ungleiches als gleich anzusehen. Genau das aber täte man, wenn man Teilnoten mit unterschiedlicher Aussagekraft wie gleichwertige Noten zusammenrechnet und über irgendeine Arithmetik eine Aussage trifft.

Die Vielfalt der unterschiedlichen Leistungsanforderungen in der modernen Schule lässt sich durch keine Vorschrift der Welt erfassen. Das ist klar. Es nützt auch nichts, zum Beispiel für Klassenarbeiten in einem bestimmten Fach oder einem bestimmten Jahr einfach andere Gewichtungsanteile festzulegen. Man würde damit der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Eine solche Sichtung unterschiedlicher Leistungen kann, wenn überhaupt, nur einer bzw. eine vornehmen: das ist die Lehrerin oder der Lehrer, der unmittelbar mit dem Schüler zusammenarbeitet.

Ganz genau diese Spielräume wollen wir durch das pädagogische Ermessen den Lehrerinnen und Lehrern wieder eröffnen. Deshalb gibt es keine Zensurenvorschrift, die das bedachte Handeln der Lehrer ersetzen kann, sondern wir haben die Bedeutung des pädagogischen Ermessens ausdrücklich so betont.

Dasselbe gilt für die Leistungskommentare. Die engagierten Lehrerinnen und Lehrer haben mir alle gesagt: Herr Olbertz, das machen wir sowieso schon. Dazu kann ich nur sagen: umso besser. Wenn wir das Ergebnis des Nachdenkens über die Entwicklung eines Schülers in einem kurzen ermutigenden oder anregenden Kommentar unter eine wichtige Klassenarbeit setzen, dann ist das sogar ein Stück Kommunikations- und Leistungskultur in der Schule und keineswegs eine Zumutung für die Beteiligten.

Jeder weiß, dass in einer klaren Mathematikarbeit dieser Kommentar sicherlich kürzer und prägnanter ausfallen kann als unter einem Deutschaufsatz. Das ist aber klar und ist auch in das Ermessen der Lehrerinnen und Lehrer gestellt. Ich habe keine Zeilenvorschrift oder dergleichen gemacht oder vorgeschrieben, wie viel Druckzeichen der Kommentar zu enthalten hätte.

Der Leistungsbewertungserlass stellt zunächst nur klar, was im Grunde ohnehin so ist, nämlich dass für die Festlegung von Noten der jeweilige Lehrer, die jeweilige Lehrerin zuständig ist.

Es ist im Übrigen ein Missverständnis, wenn behauptet wird, der Erlass enthalte formale Rundungsvorgaben. Diese gibt es nicht. Der Freiraum des pädagogischen Ermessens besteht hinsichtlich der Notenbildung, und zwar sowohl bei der Zusammenfassung der unterrichtsbegleitenden Bewertung als auch bei der Bildung der Zeugnisnoten. Dieser Freiraum ermöglicht beides. Er ermöglicht sowohl Aufwertungen einer erbrachten Leistung im Zensurenbild als auch Abwertungen, je nachdem, welchen Impuls man dem Schüler geben will und wie man seine Entwicklungsperspektiven, die Tendenz der Leistungsausprägung, beurteilt.

Beide Entscheidungen sind jetzt gleichrangig zulässig, aber eben nicht beliebig und auch nicht auf der Basis eines simplen Rechenmodells, sondern auf der Basis durchdachter pädagogischer Aspekte.

Die Entscheidung muss die Lehrkraft treffen und vertreten, gerade um der jeweiligen Schülerin oder dem jeweiligen Schüler auch gerecht zu werden. Dies muss, wie schon erwähnt, sowohl bei der einzelnen Leistung als auch bei der Zeugnisnote verständlich und nachvollziehbar erläutert werden.

Übrigens gibt es das erste Mal, Frau Mittendorf, auch ein innerschulisches Verfahren zur Überprüfung erteilter Noten; denn Sie kennen alle aus der Schulpraxis die enorme Konfliktkraft des Gefühls der Ungerechtigkeit oder der Nichtgleichwertigkeit von Bewertungsmaßstäben. Gerade mit diesem Freiraum stärkt der Erlass eigenverantwortliche Entscheidungen und sorgt mit der Forderung, Bewertungen auch zu erläutern, für Transparenz.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand ernsthaft verlangen würde, statt alledem ungleichwertige Teilnoten gleichwertig zusammenzurechnen und die Notenentscheidung am Ende dem Taschenrechner zu übertragen. Eine solche Bindung der Lehrkräfte widerspräche im Übrigen auch der Überzeugung, dass die Lehrenden in der Lage sind, die Bewertungen auch ohne formale Vorgaben sachgerecht vorzunehmen.

Vor dem Hintergrund der Einführung der Bildungsstandards haben wir nicht nur in den Schuljahrgängen 4 und 6 schulgesetzlich Klassenarbeiten mit landeszentraler Aufgabenstellung vorgesehen und auch schulübergreifende Vergleichsarbeiten eingeführt, sondern auch die differenzierten Anforderungen für Klassenarbeiten und Klausuren, das heißt für die herausragenden punktuellen Leistungserhebungen, beschrieben, so wie das im alten Leistungsbewertungserlass auch schon der Fall war.

Die Anzahl wurde dabei nicht einmal erhöht, sondern mit Blick auf die neuen Stundentafeln landeseinheitlich in ihrer Dauer und damit auch in ihrem Anspruch präzisiert. Gerade in der Oberstufe wurde die Anzahl aus schulpraktischen Erwägungen sogar erheblich reduziert; denn das Ziel muss es sein, die Schülerinnen und Schüler an die Lösung komplexer Aufgaben heranzuführen, anstatt sie von einem Test in den anderen zu jagen. Diese Testeritis war nämlich ein großes Problem, das wir vorher hatten.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Kann man über so etwas nicht im Ausschuss diskutieren?)

- Ja, selbstverständlich. Ich habe den Antrag nicht eingebracht.

(Frau Feußner, CDU: Sie haben doch den Antrag gestellt! - Herr Dr. Püchel, SPD: Aber diskutieren können Sie doch im Ausschuss!)

- Ja, klar. Aber Sie haben Frau Mittendorf zugehört. Ihre Detailtiefe war noch viel größer. Ich nehme an, dass man mich eher verstehen kann als Frau Mittendorf.

(Beifall bei der CDU)

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe Ihnen versprochen, dass wir uns den Leistungsbewertungserlass kritisch ansehen werden, aber nicht, um in populistischer Manier so zu tun, als wäre der alte Erlass ideal gewesen, sondern im Sinne der Ansprüche, die mit diesem Erlass verbunden waren. Nur daran sollte er gemessen werden. Das werden wir tun. Ansonsten freue ich mich über Ihr überraschendes Interesse an dieser Thematik. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. - Für die CDU-Fraktion erteile ich jetzt der Abgeordneten Frau Feußner das Wort. Bitte sehr, Frau Feußner.

(Zurufe von der SPD: Zu Protokoll!)

Herr Präsident! Über das überraschende Interesse der SPD-Fraktion habe ich mich genauso gewundert, weil es genügend Gelegenheit gab. Aber ich gebe meinen Redebeitrag zu Protokoll.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

(Zu Protokoll:)

Erlasse und Verordnungen geben in der Regel immer den Anlass zur Diskussion parlamentarischem Raum. Anträge dieser Art haben wir vonseiten der Opposition nun schon mehrfach im Plenum behandelt. Die Spezifik dieses Leistungsbewertungserlasses gebietet eher eine

intensive Behandlung im Bildungsausschuss als hier im Plenum. Im Rahmen der Selbstbefassung des Ausschusses könnte man hierbei schnell und unkompliziert handeln.

Sie möchten hier aber die Öffentlichkeitswirksamkeit nutzen. Das ist Ihr Recht, aber was mich hier besonders wundert, ist der Zeitpunkt, zu dem Sie diesen Antrag einbringen.