Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 38. Sitzung des Landtags von SachsenAnhalt der vierten Wahlperiode und begrüße Sie alle herzlich. Ich erinnere Sie an das, was gestern schon gesagt worden war, nämlich dass sich Herr Ministerpräsident Professor Dr. Böhmer, Herr Staatsminister Robra und Frau Ministerin Wernicke für den heutigen Tag entschuldigt haben.
Wir können nunmehr die 20. Sitzungsperiode fortsetzen. Wir beginnen, wie vereinbart, mit dem Tagesordnungspunkt 2. Sie wissen, dass dann die Tagesordnungspunkte 7, 8, 21 und 14 folgen werden.
Ich bitte zunächst die SPD-Fraktion, als Antragstellerin das Wort zu nehmen. Das Wort erteile ich Frau Budde.
Herr Präsident! Meinen Damen und Herren! Wir haben das Thema Waggonbau Ammendorf nicht zum ersten Mal auf der Tagesordnung. Bombardier hat angekündigt, den Waggonbaustandort in Halle Ammendorf in ca. 20 Monaten schließen zu wollen. Wie schon einmal im Jahr 2002 wird es in einer konzerneigenen Pressemitteilung damit begründet, dass Umstrukturierungsmaßnahmen im Konzern erforderlich seien und dass die Schließung betriebswirtschaftlich notwendig sei. Die Effizienz der Werke sei nicht ausreichend, insbesondere deshalb, weil die Auslastung nicht gegeben sei. - So stand es in einer Pressemitteilung des Konzerns.
Nun ist es ja nicht so, dass es gottgegeben ist, wo welcher Auftrag hingeht, sowohl was den Konzern intern als auch was die Vergabe von Landesaufträgen angeht. Herr Scharf, Sie haben uns gestern vorgeworfen, wir hätten das Thema Waggonbau Ammendorf als Wahlkampfthema aufgebauscht und genutzt. Ich kann Ihnen sagen: Niemand, der im Wahlkampf ist, möchte unbedingt solch ein Thema im Wahlkampf haben, weil es immer schwierig ist und man nie weiß, wie das Ganze ausgeht.
Aber wichtig ist, dass man, egal ob in Wahlkampfzeiten oder nicht in Wahlkampfzeiten, als Land diesen Standort in seiner Priorität so hoch einschätzt, dass man sich auch mit seiner ganzen Kraft davor und dahinter stellt, um möglichst etwas für den Standort zu erreichen.
Im Jahr 2002 konnte erreicht werden, dass der Schließungsbeschluss abgewendet wurde und dass unter anderem das Land betriebsnotwendige Flächen herausgekauft hat. Das war einer der Punkte, wodurch dies mit erreicht worden ist. In der Folge wurde dann im Jahr 2003 ein Standortsicherungsvertrag abgeschlossen. Der Vertrag, der im November 2003 abgeschlossen wurde, sagt aus, dass sowohl zusätzliche Entwicklungen im Bereich Service und Wartung entwickelt werden sollen, aber auch dass der Standort des Waggonbaus selbst erhalten bleiben soll. Das so genannte Rolling Stock sollte da bleiben.
Als der Vertrag im November 2003 von Konzern- und Arbeiternehmerseite unterschrieben wurde, war nicht die Abwicklung bis 2006, sondern die Entwicklung des Standortes beabsichtigt. Ich weiß nicht, was sich außer einem Personalwechsel in der Zwischenzeit im Konzern so verändert hat - die Zahlen sind sicherlich die gleichen geblieben -, dass sich in dieser Hinsicht ein Sinneswandel vollzogen hat. Auf diese Frage konnte auch niemand antworten. Sie ist aber, soweit ich weiß, auch beim Krisengipfel vom Land nicht gestellt worden.
Die Frage, die die Landesregierung allerdings beantworten muss, lautet: Was hat sie in den vergangenen zwei Jahren getan? Dass das immer schon eine schwierige Situation gewesen ist, haben wir nicht nur hier im Landtag debattiert, sondern das war völlig klar. Nicht ohne Grund hat sich doch der Ministerpräsident ein bisschen damit gebrüstet, dass Herr Lortie in seinem Beirat ist; deshalb könne gar nichts schief gehen. Nun ist es aber doch schief gegangen.
Die Frage ist für mich auch: Wusste der Ministerpräsident schon im letzten Jahr, dass es wenig Chancen gibt? Dann hätte schon im letzten Jahr gehandelt werden müssen! Ich kann diese Frage nicht beantworten; sie stellt sich mir deshalb, weil es in den Gesprächen nicht so viel Aktivitäten und nicht so viel Gegenwehr seitens der Landesregierung gab, auch nicht beim Krisengipfel.
- Ich habe es als Frage formuliert. - Deshalb muss ich mich natürlich fragen: Haben Sie vorher schon aufgegeben gehabt? Ein bisschen erinnert das an ein Kaninchen, das vor der Schlange sitzt, sich nicht mehr wehrt und nicht versucht wegzulaufen.
Meine Damen und Herren! Natürlich ist auch der Local Content ein Faktor. Das wissen Sie so gut wie ich. An dieser Stelle verstehe ich die Landesregierung wirklich nicht mehr. Ich kann es nicht nachvollziehen, warum man sich diese Blöße gibt und nicht versucht, mit diesem Pfund zu wuchern und dieses Argument dem Konzern aus der Hand zu schlagen.
Dabei geht es nicht in erster Linie nur um die Netzvergabe. Die Netzvergabe ist das eine; das andere ist, mit welchen Zügen auf diesen Netzen gefahren wird. Herr Minister Daehre, Sie haben uns schon erklärt, warum es nicht geht; Kostengründe, Wettbewerb. Sie werden das sicherlich auch immer wieder so erklären.
Vermutlich können Sie jetzt auch gar nicht mehr anders, weil man eine Diskussion über eine Vergabe nicht rückwärts führen kann.
- Hören Sie doch erst mal zu, Frau Weiß! - Da haben Sie in der Tat ein Problem. Ich frage mich nur - das verstehe ich nicht -, warum Sie nicht von Anfang an, ohne dass man jetzt sagen muss, es sei Wettbewerb, man könne nicht anders, das Ganze so ausgesteuert haben.
Sie haben gesagt: Angebotspreis. In Sachsen-Anhalt ist er, soweit ich weiß, mit 96 % in die Ausschreibung gegangen. In Göttingen waren es zum Beispiel nur 60 %; da sind andere Faktoren genannt worden. Die Frage ist doch, warum Sie das vorher nicht gemacht haben. Hinterher ist es immer schwierig; das ist mir völlig klar. Ich weiß auch, dass es für Sie schwierig ist, darauf überhaupt noch irgendetwas zu antworten.
Diese Frage muss man stellen. Das ist einer der entscheidenden Punkte, mit denen Bombardier die Schließung jetzt begründet hat.
Dann gibt es für mich noch etwas, was ein bisschen an einen kleinen Skandal grenzt. Wie ich höre, hat der Ministerpräsident den Standortsicherungsvertrag nicht einmal gekannt. So zumindest hat er zu den Teilnehmern am so genannten Krisengipfel gesagt.
Normalerweise will man doch eine Lösung haben. Ich frage mich: Warum nicht? Wir haben das mehrmals hier debattiert. Nur wenige Wochen vorher - man kann es fast in Tagen zählen - haben wir hier im Landtag über diesen Standortsicherungsvertrag geredet. An seiner Stelle hätte ich mir den Vertrag in Vorbereitung auf einen solch wichtigen Krisengipfel geholt und nachgeguckt, was darin steht, oder ich hätte mich von meinen Leuten fit machen lassen. Das ist nicht passiert und das ist in der Tat schwierig für mich.
(Herr Gürth, CDU: Das ist grottenschlecht in Ihrer Regierungszeit ausgehandelt worden! Steuergel- der hingeschmissen und nichts dafür bekom- men!)
Was mich an der ganzen Debatte stört, ist: Wir haben viele Diskussionen, die auch in Richtung Bund gehen, so auch im Bereich Erhalt Waggonbaustandort Ammendorf. Natürlich wird zu Recht immer die Bahn mit ihren Aufträgen ins Gespräch gebracht. Aber bei anderen Themen, die den Bund angehen, wie bei den Strukturfonds, wie beim Emissionsrechtehandel oder bei anderen Dingen, halten Sie den Damm. Da sagen Sie: Jetzt müssen wir erst der EU gegenüber und allen anderen gegenüber richtig dicht ziehen und müssen genau sagen, was wir wollen. Hier beim Waggonbau Ammendorf sagen Sie: Das muss man einsehen. Wir haben Kapitalismus, und es ist das Unternehmen, das die Entscheidung trifft.
- Das habe ich mit Absicht gesagt. Man weiß ja, bei welchem Reizwort Sie anspringen. Ich habe das ganz bewusst einmal so gesagt.
(Anhaltende Unruhe bei der CDU und bei der FDP - Herr Gürth, CDU: Das dient dem Standort wunderbar!)
- Hören Sie doch erst mal zu! - Natürlich sind das Konzernentscheidungen, und Konzernentscheidungen werden in einem solchen System so getroffen. Aber von einer Landesregierung erwarte ich, dass sie sich anders verhält. Sie hätte spätestens, wenn nicht sogar noch früher, mit der Bekanntgabe der Absicht, dass Bombardier den Standort schließen will, einfach offensiver ganz laut rufen müssen: Nein!
(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU und bei der FDP - Herr Gürth, CDU: Sie sollten sich schämen!)
Es darf seitens einer Landesregierung überhaupt kein Verständnis dafür geben, solch einen Standort in Sachsen-Anhalt aufzugeben. Wir reden hier immerhin über rund ein Drittel der originären Metallarbeitsplätzen.
(Herr Gürth, CDU: Was haben Sie vor Jahren gemacht, als Sie in der Verantwortung waren? Unerhört! - Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP - Gegenrufe von der SPD - Herr Gürth, CDU: Unprofessionell und polemisch!)