Protokoll der Sitzung vom 06.05.2004

(Zustimmung bei der PDS)

Die Aufgeschlossenheit im Osten, die Innovation anzunehmen, muss genutzt werden, ehe sie aufgebraucht ist. Die Forderung nach einem Bundesfonds für soziale, kulturelle und ökologische Gemeinschaftsaufgaben ist aktueller denn je.

Wir sind der Meinung, eine Wende im Osten ist möglich. Deshalb thematisiert die PDS auf dieser Landtagssitzung den Aufbau Ost. Die PDS-Fraktion bringt ein komplexes Antragspaket ein, das sich auf wichtige Zukunftsfragen des Ostens konzentriert. Nachtragshaushalte und Untersuchungsausschüsse sind Themen, die nach innen gerichtet sind.

(Zurufe von der CDU: Deswegen beantragen Sie sie ja! - Sehr interessant! - Zuruf von der FDP: Ja, ja!)

Für die PDS ist der Blick nach vorn weitaus wichtiger. Aus den Diskussionen um die Zukunft und den Aufbau Ost müssen endlich Gestaltungsansätze entstehen. Für die PDS ist dabei eine enge Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Tragfähige Innovationen erwachsen aus dieser Kooperation. So möchte die PDS einen Schwerpunkt auf die Verzahnung von Wirtschafts- und Wissenschaftsförderung legen.

Eine wesentliche Ursache für die rapide wachsende Abwanderung sieht die PDS in der fehlenden Ausbildung und den fehlenden beruflichen Chancen für junge Menschen ebenso wie in dem ständigen Verweis auf den Niedriglohnsektor.

Wir fordern, dass die Landesregierung auf Bundesratsebene im Hinblick auf die Festschreibung gesetzlicher Mindestlöhne initiativ wird. Niedriglöhne oder die weitere Beschneidung von Ausbildungsvergütungen sind der falsche Weg, die jungen Leute im Land zu halten.

Die PDS erwartet und fordert von der Landesregierung, endlich Pflöcke einzuschlagen, damit die Menschen in diesem Land eine Perspektive haben. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Ferchland. - Meine Damen und Herren! Begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Damen und Herren der Kreisvolkshochschule Halberstadt sowie Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Dedeleben.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren! Für die Landesregierung hat der Minister für Wirtschaft und Arbeit Herr Dr. Rehberger um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt immer wieder interessante Bekundungen. Ich bin gespannt, wie Frau Ferchland nachher beim Tagesordnungspunkt 20 abstimmen wird, wenn sie der Meinung ist, dass man Untersuchungsausschüsse nicht unbedingt einsetzen solle. - Aber das nur am Rande. Die Genese ist ihr offenbar entgangen; aber das soll nicht das Entscheidende sein.

Entscheidend ist, dass wir uns zu Recht, meine Damen und Herren, Frau Ferchland, über die Entwicklung und über die wirtschaftlichen Perspektiven unseres Landes Sachsen-Anhalt und auch Ostdeutschlands unterhalten, wobei ich es hilfreich fände, wenn gerade die Mitglieder dieses Hauses nicht jeden Unfug, der irgendwann einmal irgendwo gesagt worden ist, als bare Münze nehmen würden.

Die Darstellung der Entwicklung Ostdeutschlands, wie sie partiell in den Medien oder durch den einen oder anderen geschehen ist, ist abwegig, meine Damen und Herren - ungeachtet der Probleme, die wir haben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Derjenige, der solchen Unfug öffentlich im Brustton der Überzeugung verbreitet, der nützt Ostdeutschland nichts, sondern er schadet ihm, weil der Eindruck entsteht, es sei richtig.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zuruf von der PDS)

Natürlich dauert der Anpassungsprozess, der Aufholprozess viel länger, als wir alle gewollt und gehofft haben. Das ist unstreitig. Auf der anderen Seite lässt sich nicht bestreiten, dass sehr viel erreicht worden ist. Ich finde, dass man das nicht einfach schlechtreden sollte. Im Übrigen sage ich ja, dass wir in diesem Land die industrielle Basis weiter verbreitern müssen.

(Zuruf von der PDS: Seit zwei Jahren ist das so!)

Deswegen bin ich sehr erfreut über die Tatsache, dass wir allein in den beiden letzten Jahren Investitionen in bestehenden, aber auch in neu angesiedelten Betrieben in der Größenordnung von über 6 Milliarden € auf den Weg gebracht haben. Das ist ein Beitrag zu einer Entwicklung, die auch die Wanderungsprozesse in Deutschland anders ablaufen lässt, als das in den letzten fünf bis zehn Jahren der Fall war.

Der Wanderungsprozess hatte sich einmal anders dargestellt: Mitte der 90er-Jahre lag die Zu- und Abwanderung in Sachsen-Anhalt etwa auf gleicher Höhe. Seit 1995 ging es allerdings bergab und wir erreichten den Tiefpunkt, meine Damen und Herren, im Wanderungssaldo im Jahr 2001.

Damals hatten wir ein Minus von 23 000 Menschen. Es ist in der Tat bedrohlich, wenn binnen eines Jahres per Saldo 23 000 Menschen das Land verlassen. Wir haben im folgenden Jahr, im Jahr 2002, eine Reduktion auf 19 000 und im vergangenen Jahr eine Reduktion auf 13 000 gehabt. Auch 13 000 Menschen, die per Saldo mehr ab- als zuwandern, sind 13 000 zu viel, aber der Trend ist richtig, meine Damen und Herren, und der hat etwas mit einer wirtschaftsorientierten Politik zu tun.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Ich bin der festen Überzeugung, der Wanderungssaldo wird sich weiter in dem Sinne verändern, dass die hohen negativen Raten wegfallen werden, und zwar aus einem Grunde, der gar nicht so erfreulich ist. Der Grund ist nämlich, dass die westdeutsche Wirtschaft zunehmend in der Krise ist. Wir haben doch ein gesamtdeutsches Problem und das ist in hohem Maße auch ein westdeutsches Problem. Deswegen sage ich, ob einem das gefällt oder nicht: Die

Wanderungen in den bisherigen Größenordnungen werden unterbleiben, weil es im Westen einfach nicht mehr so viele Arbeits- und Ausbildungsplätze geben wird. Das ist bedauerlich, aber es zeigt, dass wir ein gesamtdeutsches Problem haben, meine Damen und Herren, das dringlich in Berlin gelöst werden muss. Dazu allerdings, möchte ich sagen, brauchen wir eine andere Mehrheit im Deutschen Bundestag.

(Zustimmung bei der FDP)

Jetzt sprechen wir einmal über die junge Generation, die natürlich von ganz besonderer Bedeutung ist; das ist doch klar. Im Ausbildungsbereich, meine Damen und Herren, haben wir im vergangenen Jahr in SachsenAnhalt Zahlen erreicht, die sich einigermaßen sehen lassen können. Denn es ist immerhin gelungen, dass wir mit über 97 % die beste Angebot-Nachfrage-Relation aller neuen Bundesländer erreicht haben. Das ist noch nicht die Lösung des Problems, aber wir sind auf dem richtigen Wege. Sie könnten es ruhig auch einmal anerkennen.

Oder nehmen wir die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe in Sachsen-Anhalt als Beispiel: 27 % aller Betriebe in unserem Land bilden aus. Das ist ein höherer Prozentsatz als in jedem anderen neuen Bundesland. Ich danke den Betrieben dafür, dass sie sich so engagieren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Oder nehmen wir die Ausbildungsquote. Was die Ausbildungsquote, das heißt die Zahl der Auszubildenden pro Betrieb anbetrifft, lag Sachsen-Anhalt im Jahr 2003 mit 7,6 % an der Spitze aller ostdeutschen Länder und auch deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 5,9 %. Das bedeutet, diejenigen, die im Land Sachsen-Anhalt ausbilden, tun dies intensiver und nachhaltiger als Betriebe in anderen Ländern. Auch das sollte man ruhig einmal anerkennen; denn das zeigt, dass sich die Betriebe ihrer Verantwortung bewusst sind.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nichtsdestotrotz haben wir natürlich viel zu wenig betriebliche Ausbildungsplätze und müssen deshalb sehr viele Ausbildungsplätze in außerbetrieblichen Einrichtungen bereitstellen. Deswegen sage ich: Wir sind lange nicht am Ziel.

Aber wenn, meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD auf Bundesebene seit Monaten eine völlig überflüssige, ja schädliche Diskussion über eine Ausbildungsplatzabgabe führt - ich bin ja dankbar, dass man sich hier im Lande relativ stark zurückgehalten hat, wohl wissend, was es bedeutet -, hat dies den entgegengesetzten Effekt: Wir haben bundesweit einen Rückgang an Ausbildungsplätzen wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Das sind die Früchte einer verfehlten Politik.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Deswegen sage ich: Damit kommen wir nicht weiter! Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt - Frau Ferchland hat es gerügt; aber ich glaube, das war sehr richtig - hat im Bundesrat nicht beantragt, die Ausbildungsplatzvergütung aller Auszubildenden auf 150 oder 200 € herunterzusetzen. So ein Unfug!

Herr Minister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hein zu beantworten?

Ich wollte den Gedanken noch zu Ende führen; dann sehr gern.

Meine Damen und Herren! Wir haben bundesweit einen Rückgang an Angeboten, weil die Unternehmer nicht wissen, was nun tatsächlich kommen soll und kommen wird. Deswegen sage ich: Es ist keine Lösung des Problems, über eine zusätzliche Abgabe und eine zusätzliche Bürokratie irgendeine gute Entwicklung bei den Ausbildungsplätzen sicherstellen zu wollen. Das Gegenteil tritt ein. Ich sage: Dieses Projekt muss so rasch wie möglich vom Tisch, damit die Betriebe wieder Klarheit haben, dass es bei der bewährten Form der Ausbildung bleibt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Lassen Sie mich noch etwas zur Frage der Vergütung sagen, weil es dazu gehört. Meine Damen und Herren! Zu mir kamen in den letzten zwei Jahren wiederholt Handwerksmeister mit jungen Leuten, die zu mir gesagt haben: Herr Minister, wir, der X oder Y, der gern ausgebildet werden will, sind uns mit dem Meister einig, dass wir für 300 € im Monat ausgebildet werden. Dieser Vertrag, den wir abgeschlossen haben, wird nicht anerkannt und darf nicht anerkannt werden, weil eine bundesrechtliche Regelung verlangt, dass wir als Ausbildungsvergütung mindestens 700 € vereinbaren.

Meine Damen und Herren! Das haben die Leute nicht verstanden und ich habe es auch nicht verstanden. Es geht nicht darum, in den Bereichen, in denen Tarif- oder sonstige Verträge abgeschlossen worden sind, jemanden zu etwas anderem zu veranlassen, aber es geht darum, dass wir nicht jedem vorschreiben können, bei welcher Vergütung er sich ausbilden lässt. Es ist wichtiger, viele Ausbildungsplätze zu haben, als dass man irgendwelche Vergütungssätze festschreibt, die Ausbildungsplätze verhindern. - Frau Hein, jetzt haben Sie das Wort.

Herr Minister, finden Sie es eigentlich gerecht, dass sich die 73 % nicht ausbildenden Betriebe ständig hinter den 27 % verstecken, die ausbilden?

(Frau Fischer, Merseburg, CDU: Warum?)

Finden Sie nicht, dass eine immense Wettbewerbsverzerrung entsteht, wenn die Betriebe, die ausbilden, glauben, die Kosten aufbringen zu müssen und sie auch aufbringen und die Betriebe, die nicht ausbilden, glauben, sie nicht aufbringen zu müssen? Meinen Sie nicht, dass hierin das eigentliche Problem liegt? Denn es geht ja wohl den ausbildenden Betrieben nicht so viel besser als den nicht ausbildenden Betrieben.

Verehrte Frau Hein, erstens bitte ich zu bedenken, dass den 27 % der Betriebe in Sachsen-Anhalt, die ausbilden, in der Tat ein weiterer Block von 27 % gegenübersteht, der ausbildungsberechtigt ist, ohne auszubilden. Das bedeutet, dass wir da ein beachtliches Potenzial haben. Aber wie erschließen wir uns dieses Potenzial?

Es ist doch absolut nicht sinnvoll, dass ein Ein-, Zwei- oder Dreimannbetrieb gezwungen wird, entweder zu

sätzliche Aufwendungen für Ausbildung zu tätigen oder irgendjemanden einzustellen, den der Betrieb nicht bezahlen kann. Sie müssen den Betrieben auch eine Chance lassen, sich gut zu entwickeln.

(Zuruf von Frau Dr. Hein, PDS)

Wenn sich die Wirtschaft in Deutschland besser entwickelt, dann werden auch wieder viel mehr Ausbildungsplätze bereitgestellt werden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)