Protokoll der Sitzung vom 07.05.2004

(Herr Dr. Püchel, SPD: Jetzt müssen Sie mit dem Papst reden!)

Die Folgen für unser Land sind folgerichtig spürbar, sogar ablesbar in dem vorliegenden Entwurf eines Nachtragshaushaltsplans. Man könnte fast das Wetter als Metapher für die Haushaltsdebatte nehmen, weil die Lage eben so ist, wie sie ist.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Sie stehen im Regen!)

- Nicht im Regen. Aber das Wetter ist etwas trübe.

Es war schon sehr bald absehbar, dass die Voraussetzungen, von denen wir noch im Herbst des vergangenen Jahres ausgegangen sind, nicht mehr tragfähig sind. Daher haben wir zeitnah - ich betone: zeitnah - über diesen Nachtrag im Parlament zu diskutieren. Hier wurde nichts verschleiert, nichts verzögert, wie es der Bund im letzten Jahr gemacht hat, der seinen Nachtrag erst im Dezember eingebracht hat.

Nein, meine Damen und Herren, die ernüchternden Zahlen liegen hier offen zutage und sie sind - darauf wurde schon hingewiesen - bitter. Das Ziel, die Nettoneuverschuldung auf null abzusenken, muss verschoben werden. Die Nettokreditaufnahme - der Minister hat es bereits ausgeführt - muss um einen Betrag in Höhe von 368 Millionen € auf mehr als 1,3 Milliarden € angehoben werden.

Es ist gleichsam wie bei Goethe im Faust II, wo es heißt:

„Welch Unheil muss auch ich erfahren, wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr.“

Oder anders formuliert: Die Einnahmen sind nicht so, wie wir sie erwartet haben.

Kommende Generationen werden weiter belastet. Die Abwendung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts lässt uns die Verfassungsgrenze des Etats mit 400 Millionen € überschreiten. Wir werden im Laufe der Beratungen darauf Wert legen, dass die Begründung für diesen Schritt noch klarer und eindeutiger - auch im Lichte der Debatten, die in Berlin und anderswo geführt werden - herausgearbeitet wird.

Ohne auf die Einzelpläne hier näher einzugehen - dazu haben wir noch genügend Gelegenheit in den Ausschüssen -, werden wir aber zum Beispiel auch dem Projekt der Sozialagentur unsere Aufmerksamkeit widmen. Deren Umsetzung muss ja haushaltsmäßig noch vollzogen werden. Auch die etatisierten Volumina werden wir in den Ausschüssen einer kritischen Würdigung unterziehen.

Meine Damen und Herren! Die Bundespolitik und die Abhängigkeit davon, die wir uns in Sachsen-Anhalt dabei zu vergegenwärtigen haben, sind evident. Hinzu kommen die unscharfen Prognoseinstrumentarien der Steuerschätzung. Die Steuerausfälle, die Abweichungen des Ist von der Planung, betrugen im Jahr 2003 rund 352 Millionen €. Die Steuerschätzung vom November 2003 hat eine erneute Lücke in Höhe von 110 Millionen € hinterlassen. Der kommunale Anteil beträgt ja bekanntlich 23 %. Auch die Steuerschätzung in der nächsten Woche wird sicher wieder keine Mehreinnahmen bringen. Wir müssen also damit rechnen, dass wir noch nacharbeiten müssen.

Bei aller Kritik an diesem Instrumentarium möchte ich aber auch klar und deutlich sagen: So lange nicht eindeutig belegt ist, dass alternative Planungsstrategien präzisier sind, müssen wir trotz aller Unzulänglichkeiten an der Basis für die Etatplanungen über die Steuerschätzung festhalten.

Dennoch: Auch im Hinblick auf unsere eigene Verantwortung gilt es Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir werden mit Blick auf das Defizit im Jahr 2003 im engen Schulterschluss mit dem Finanzministerium darauf hinwirken, die Haushaltsplanungen stringenter zu gestalten und auch den Vollzug der beschlossenen Etats zu begleiten. Wir wissen, dass es in anderen Bundesländern ähnliche Entwicklungen gibt. Wir wissen auch, dass die Einhaltung der Verfassungsgrenze mit den Lehrerarbeitszeitkonten in Verbindung steht.

Glückerweise ist es dem Minister gelungen - darauf hat Herr Gallert ja schon rekurriert -, Einnahmen aus der Förderperiode von 1994 bis 1999 für das Land zu gewinnen. - Herr Gallert, ich vermag dem nichts Schlechtes abzugewinnen. Es war immer so, dass es auch positive Effekte gibt. Dies zu beklagen und uns deshalb irgendetwas vorzuwerfen, anstatt einfach mal zu akzeptieren, dass es ein ganz normaler Prozess ist, wie er immer abgelaufen ist, das kann ich beim besten Willen nicht verstehen. Ich verstehe Ihre Aufregung in diesem Punkte wirklich nicht.

(Zuruf von Herrn Bullerjahn, SPD - Herr Gallert, PDS: So normal wie die Arbeitszeitkonten!)

Wir haben in diesem Etat die globalen Minderausgaben fast vollständig vertitelt. Ich denke, das ist auch durchaus ein positiver Hinweis auf die Fortführung des Sparkurses, zu dem wir uns klar und unmissverständlich bekennen, bekennen müssen, weil wir ja keine Alternative haben. Das ist, denke ich, auch Konsens in diesem Haus.

Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Die Finanzpolitik dieser Regierung wird kein Spielball für Profilierungsversuche in Sachsen-Anhalt werden. Wir stehen hier nämlich in der Verantwortung, kommenden Generationen Handlungsspielräume zu sichern oder zu bewahren. Doch die Presseerklärungen der Opposition waren nichts anderes als Teil eines antiquierten Rollenspiels. Herr Gallert hat es ja vorgeführt: „noch nie da gewesen“, „gescheitert“, „Offenbarungseid“ etc. - man kann das fortführen - waren die Vokabeln.

(Zuruf von Herrn Gallert, PDS)

Nein, meine Damen und Herren, so sieht keine Zukunftsdebatte aus. Presseerklärungen als Ritual sind für die Menschen nicht zielführend und bringen unser Land

keinen Deut voran. Die Politik des Sparens ist eben alternativlos. Wer das hier ernsthaft bestreiten will - ich habe das zwar noch nicht vernommen, aber man hört ja dieses und jenes auch außerhalb des Parlaments -, sollte dann bitte schön auch die Alternativen aufzeigen.

Herr Tullner, möchten Sie eine Frage von Herrn Bullerjahn beantworten?

Am Ende wäre es mir recht.

Ich könnte auf diesem Niveau auch an die Nachträge der Jahre 1994 und 1996 erinnern, aber das bringt uns keinen Deut weiter.

Wie kann man denn angesichts solcher Äußerungen jemals ernsthaft die Zukunftsdebatte führen wollen? Das erinnert mich ein bisschen an Heines „Wintermärchen“ - ich zitiere frei mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, obwohl ich, wie ich weiß, der Genehmigung nicht bedarf -: Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, ich kenn auch die Herren Verfasser; ich weiß, sie tranken heimlich den parteipolitischen Wein und predigten öffentlich das „staatspolitische“ Wasser.

Meine Damen und Herren! Das ist doch offenbar zielführend. In dieser Debatte scheint es wieder einmal um parteipolitische Kalküle zu gehen. Die staatspolitischen Interessen, die Sie hier sonst immer propagieren, kann ich in Ihren Äußerungen und Ihren Politikansätzen nicht finden.

Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit dieser Diskussion, zu der der Ministerpräsident alle Menschen in diesem Land aufgefordert hat, dann können wir uns hier nicht mit billigen Floskeln begegnen. Dann müssen wir ernsthafte Diskussionen führen, über deren Zustandekommen ich angesichts des Papiers der Sozialdemokraten eigentlich recht optimistisch war. Denn der Aufbau Ost ist doch die entscheidende Frage unserer Nation, nicht nur für den Osten selbst. Diese Debatte müssen wir doch führen. Hier müssen wir uns einbringen und hier müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir im Lande vorankommen.

Deshalb ist es richtig, diese Debatte auch grundlegend zu führen. Denn der Osten ist nicht schuld an der deutschen Misere, nein, er ist ein Indikator dafür. Wir müssen nicht die Symptome bekämpfen, sondern die Ursachen beseitigen. Diese sind ja längst bekannt: Es ist die strukturellen Reformen, die alle immer wieder beklagen, in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, in der Finanz- und Steuerpolitik. Wir haben die Problematik der sozialen Sicherungssysteme, der Demografie und der Steuern. All das ist ja längst bekannt.

Daher ist die Reformdiskussion um den Föderalismus in Deutschland ebenso wichtig. Es darf aber nicht dazu kommen, einem zentralistischen Impetus, wie ich ihn bei der PDS schon wieder herausgehört habe, zu folgen, oder gewachsene Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern gleichsam wie einen gordischen Knoten zerschlagen zu wollen. Wir müssen schon genau hinschauen, was wir verändern müssen, weil es strukturell notwendig ist. Aktionismus und hektische Betriebsamkeit sind niemals gute Ratgeber in der Politik.

(Zuruf von Frau Dr. Sitte, PDS)

Dennoch bekennen wir uns dazu: Wir wollen mehr Freiräume in Deutschland. Wir brauchen mehr Flexibilität für die Länder, wir brauchen mehr eigene Gestaltungsverantwortung. Das ist völlig klar. Ich bin nach den letzten Äußerungen der Föderalismuskommission ein Stück weit optimistisch, dass wir hierbei einen Schritt vorankommen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch sagen: Wir brauchen endlich Klarheit über die Zukunft des Solidarpaktes. Der so genannte Korb II ist ja noch nicht klar definiert. Es wird immer so getan, als ob die Zahlungen klar fixiert wären, aber mitnichten: 51 Milliarden € sind noch nicht konkret im Bundeshaushalt verankert worden. Wir müssen alle miteinander - auch die Sozialdemokraten im Bund - dafür sorgen und uns dafür einsetzen, dass wir hierbei Klarheit haben.

Einen wichtigen Hinweis zum Aufbau Ost gibt auch das so viel gescholtene Dohnanyi-Papier. Eine Sentenz am Rande: Dohnanyi beklagt unter anderem, dass es Gerhard Schröder war, der bei Ausschreibungen des Bundes die Pflicht abgeschafft hat, ostdeutsche Unternehmen zu beteiligen.

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD)

Helmut Kohl hat es eingeführt und unser Kanzler mit der Chefsache Ost, der liebe Herr Gerhard Schröder, hat es wieder abgeschafft.

(Zustimmung bei der CDU)

Das ist wieder mal ein klarer Beleg für die „Herzensangelegenheit“ Ostdeutschland.

Nein: Dohnanyi weist wie andere auch darauf hin, wo wir zukünftig unsere Politikansätze verankern müssen. Wir müssen Cluster entwickeln, Stärken stärken - als Schlagwort der heutigen Debatten - und selbst entwickelte Ressourcen aufbauen.

Ein Negativbeispiel ist die Industriepolitik Brandenburgs, wo man sozusagen Traumschlösser in den märkischen Sand gesetzt hat, die heute auch Synonym für den Aufbau Ost in der kritischen Debatte des Westens sind. Ich denke, hierbei sollten wir alle miteinander dafür sorgen, dass dazu anders argumentiert und anders diskutiert wird.

Auch Seitz hat unlängst in der „Welt“ erneut auf die Risiken hingewiesen, vor denen wir als Land in den kommenden Jahren stehen werden.

Wir müssen Wissenschaft und Forschung stärken, aber auch hier wiederum nicht einseitig auslegen. Die Parole „Lieber in Köpfe investieren als in Beton“ ist dumpf und grundfalsch.

Gerade beim IWH war neulich wieder auf einer Tagung zu hören: Die Kombination ist es, die Kombination aus Wirtschaftsförderung, Infrastruktur und Wissenslandschaft ist Erfolg versprechend und nicht eine einseitige Propagierung, dass man das Geld nur in die Hochschulen umzulenken brauche und dann würde die Welt quasi von selbst wieder besser werden.

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD)

Aber bei aller Konzentration, die richtig und notwendig ist, darf es nicht sein, dass wir den ländlichen Raum in der Debatte um die regionale Förderpolitik nunmehr den Bach runtergehen lassen oder sich selbst überlassen. Wir müssen auch hierbei abseits traditioneller Rezepte

neue Wege beschreiten. Gerade die moderne Technik, zu der wir uns als Union gerade in diesen Tagen - das ist noch einmal besonders erwähnenswert - klar und eindeutig bekennen, bietet neue Möglichkeiten. Denn bürgernah zu sein - um nur ein Beispiel herauszugreifen - heißt doch nicht, wie immer wieder behauptet wird, dass man die Verwaltung oder andere Institutionen räumlich nah ansiedelt. Das ist doch eine völlig überholte Sichtweise im Hinblick auf die Kommunikations- und Verkehrsmittelentwicklung dieser Zeit.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Es geht um den Nach- tragshaushalt!)

- Herr Dr. Püchel, ich bemühe mich doch; hören Sie mir doch einfach zu, dann werden Sie das schon merken.

Meine Damen und Herren! Es kann doch nicht sein, dass Bürgernähe dadurch definiert wird, dass man ein Amt fünf Minuten vom Wohnsitz entfernt platziert, das aber noch nach Kaisers Methoden arbeitet. Es muss schnell, unbürokratisch sein. Das ist die Bürgernähe, wie wir sie verstehen. Wir brauchen doch nur in die neuen europäischen Länder zu gucken, nach Skandinavien, ins Baltikum. Es gibt dort dünn besiedelte Landschaften, die prosperieren. Allein über Finnland war neulich zu lesen, dass Nokia hoch im Norden seine Produktion angesiedelt hat. Das hat doch auch etwas damit zu tun, dass man die Förderpolitik anders ansetzt, als es bei uns im Moment diskutiert wird.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Es geht also darum: Wir müssen uns auf unsere ureigensten Stärken besinnen. Mit Klagen erreichen wir gar nichts.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Das ist eine echte Regie- rungserklärung, die Sie jetzt abgeben!)