Protokoll der Sitzung vom 17.06.2004

Ich möchte weiterhin darauf hinweisen, dass der Bundestag über die Koch/Steinbrück-Liste in namentlicher Abstimmung befunden hat. Er hat auch mit den Stimmen von CDU und FDP ein entsprechendes Votum abgegeben. Damit ist klar, dass über einen Zeitraum von drei Jahren Kürzungen in Höhe von 2,3 Milliarden € mit Konzentration auf die Schiene und die Wasserwege vorgenommen werden.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Dr. Püchel, SPD: Genau!)

Man sollte hier deshalb noch einmal festhalten, dass der Bundestag diesbezüglich klare Rahmenbedingungen vorgegeben hat, die wir als Land nun einmal in einer gewissen Verbindlichkeit akzeptieren müssen.

Herr Sachse, möchten Sie eine Frage von Herrn Schröder beantworten?

Ich würde das gern im Anschluss an meinen Redebeitrag machen, damit es nicht von der Redezeit abgeht.

Bitte schön.

Ob sich die Zahlen jetzt so ergeben, wie sie in der Begründung zu der Aktuellen Debatte angegeben sind, zum Beispiel die konkrete Zuordnung zu den Bereichen Bundesfernstraßenbau und Bundeswasserstraßen, kann von der SPD-Fraktion nicht nachvollzogen werden. Konkrete Zahlen, die hoffentlich auch angemessene Wünsche der Länder beinhalten, sind nach unserer Kenntnis erst in Kürze zu erwarten. Auch autorisierte Projektlisten gibt es zu diesem Zeitpunkt nicht. Ich denke aber, dass die nächste Verkehrsministerkonferenz diesbezüglich eine klare Erwartungshaltung hat. Vielleicht können auch wir im Verkehrsausschuss über diese Punkte dann aktuell beraten.

Wir teilen mit dem Antragsteller der Aktuellen Debatte die Sorge - dies deckt sich mit dem Beschluss der Verkehrsministerkonferenz im März dieses Jahres -, dass bei den sich abzeichnenden finanziellen Einnahmen der Bundesregierung für den mittelfristigen Zeitraum die Verkehrsinfrastruktur auf viele Jahre unterfinanziert sein wird. Dies ist ein Umstand, den wir aus den vergangenen Jahren leider ausreichend kennen und den wir mit der Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes einigermaßen überwunden glaubten.

Ich verweise darauf, dass es in den Jahren von 1992 bis 2002 eine Unterfinanzierung des Bundesverkehrswegeplanes von über 50 Milliarden gegeben hat. Das ist ein Umstand, den wir schon immer kritisiert haben und der ja mehrheitlich von der CDU und der FDP auch mitzuverantworten ist.

(Minister Herr Dr. Daehre: Nicht, dass Helmut Kohl jetzt noch Schuld hat!)

Meine Damen und Herren! Wir bedauern, dass es anscheinend im Ergebnis der Mittelreduzierung eine Benachteiligung der Schiene gibt. Wir sind in der Vergangenheit immer dafür eingetreten, Verkehrszuwächse in unserem Transitland nach Möglichkeit auf die Schiene zu ziehen. Dies scheint aber infrage zu stehen.

Wenn wir in den letzten Tagen in der Zeitung lesen mussten, „Stolpe kämpft um Geld für den Straßenbau“ oder „Tauziehen um Straßen, Schienen und Wasserwege“, so muss gesagt werden, wir sollten dies nicht überbewerten.

Wir kennen derartige Pressebegleitungen bei den jährlichen Haushaltsaufstellungen. Dass der Gestaltungsrahmen bei den politisch übergreifenden Vorhaben der Koch/Steinbrück-Liste nicht sehr groß ist, das kann jeder von uns nachempfinden. Dass wir für den bedarfsgerechten Ausbau unserer Verkehrsinfrastruktur mehr Geld brauchen, als bisher abzusehen ist, darüber sind wir uns einig. Die Realität lässt dies aber zurzeit nicht zu.

Alle staatlichen Ebenen befinden sich in einer Finanzkrise. Auch wir haben in der Diskussion über unseren eigenen Nachtragshaushalt für das Jahr 2004, bei Einzelplan 14, erkennen müssen, dass wir Vorhaben nicht in die nachfolgenden Jahre verschieben, aber diese im Realisierungszeitraum strecken müssen.

(Herr Schröder, CDU, lacht)

Das Stichwort ist „Landesstraßen“. Wir sollten gemäß dem Motto „Sachlichkeit und weniger Populismus“ das nötige Augenmaß auf das Machbare nicht verlieren. - So viel zu den Möglichkeiten, die die Landesregierung hat, auf einen bedarfsgerechten Ausbau zu dringen.

Die CDU hat uns ja mit ihrem Antragstext ein wenig neugierig gemacht, insbesondere mit dem letzten Satz, in dem sie von den „Möglichkeiten“ gesprochen hat, „die die Landesregierung hat, auf einen bedarfsgerechten Ausbau zu drängen“. Sie ist uns diese in ihrem Redebeitrag aber schuldig geblieben bzw. Sie haben nur altbekannte Dinge vorgetragen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Vielen Dank, Herr Sachse. Wenn Sie möchten, dann könnte Ihnen Herr Schröder jetzt seine Frage stellen. - Bitte sehr, Herr Schröder.

Das machen wir selbstverständlich.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, gleich drei Fragen zu stellen. Die erste Frage zu meiner Bezeichnung „skandalös“ ist: Sind Sie mit mir einer Meinung darin, dass ich in der Rede dieses Wort gebraucht habe für

den Vorgang, den ich anhand eines Beispiels belegt habe, nämlich dass man Verkehrsprojekte Deutsche Einheit für beendet erklärt, obwohl die Ausbauziele nicht erreicht worden sind?

Die zweite Frage bezieht sich auf das von Ihnen genannte Koch/Steinbrück-Papier. Dazu haben Sie, was den Subventionsabbau betrifft, richtig festgestellt, dass die Landesregierung diesem Papier im Bundesrat zugestimmt hat. Stimmen Sie mit mir aber darin überein, dass die Ministerpräsidenten, und zwar beide, erklärt haben, dass diese von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen nicht für den Verkehrsinfrastrukturbereich der neuen Bundesländer anzuwenden sind, also solche Kürzungsvorschläge von den beiden Autoren des Papiers nicht gedeckt sind?

(Zustimmung bei der CDU)

Die dritte und letzte Frage: Herr Sachse, erklären Sie uns in diesem Haus doch einmal den Unterschied zwischen Verschiebung und zeitlicher Streckung von Projekten.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU)

Ich fange mit dem Letzten an. Das war mehr eine Bemerkung, die auf die letzte Verkehrsausschusssitzung zurückging, in der ich den Begriff „verschieben“ gewählt hatte und der Minister uns darauf hinwies, dass in unserem Land keine Investitionen verschoben, sondern bestenfalls gestreckt werden. Das war der Bezug. Ich habe diese Belehrung gern entgegengenommen - warum auch nicht.

Zu den Ausbauzielen: Sie werden ja immer aufgrund existierender Rahmenbedingungen formuliert. Wenn wir heute feststellen müssen, dass die Finanzierungen nicht in allen Dimensionen so umsetzbar sind, muss man natürlich überlegen, ob man das Maß der Angemessenheit erreicht hat.

Wenn diese Aussage so steht, wie Sie es gesagt haben, muss ich das so entgegennehmen und näher prüfen. Aber ich sehe das immer aus der Sicht der Angemessenheit. Wir haben in Sachsen-Anhalt mit der Umsetzung der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit in den vergangenen zehn Jahren Erhebliches erreicht - das werden selbst Sie zugeben müssen -, und wir wissen, dass das in der Zukunft nicht mehr ganz so schnell gehen wird.

Das können wir aufgrund unserer Haushaltssituation nachempfinden, mit der wir auch nicht ganz zufrieden sind. Der Ministerpräsident hat nicht umsonst mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit den von ihm eingebrachten Nachtragshaushalt als eine Katastrophe bezeichnet. Ich denke, das bringt eine gewisse Besinnung für uns alle.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich alle Fragen beantworten konnte. Ich hoffe es. Anderenfalls sollten wir das im persönlichen Gespräch weiterführen.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Ist schon okay!)

Herr Schröder nickt. Er scheint zufrieden zu sein.

(Beifall bei der SPD)

Nun bitte für die FDP-Fraktion Herr Qual.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was sich jetzt für die mittelfristige Investitionsplanung der Bundesregierung und hinsichtlich der damit verbundenen Kürzungen abzeichnet, ist die Bankrotterklärung rotgrüner Verkehrspolitik.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die Zeit der Ankündigung hoher Verkehrsinvestitionen ist vorbei. Die Realität sieht so aus: Die Investitionen sinken unter das Niveau der letzten Regierungsperiode von Schwarz-Gelb, wo sie bei über 10 Milliarden € für Straßen, Schienen und Wasserstraßen lagen. Zukünftig werden sie bei unter 8 Milliarden € pro Jahr liegen. Die Investitionen sind damit niedriger als unter SchwarzGelb, obwohl die Abgabenbelastung beim Straßenverkehr durch die Ökosteuer massiv zugenommen hat, und zwar von 36 Milliarden € auf 48 Milliarden € pro Jahr. Die Lkw-Maut kommt noch hinzu, dann sind es 51 Milliarden €.

Die Zuweisung der Schuld für die Kürzungen an Koch/ Steinbrück ist der durchsichtige Versuch, von der eigenen Verantwortung abzulenken. Das Problem sind nicht die von Koch/Steinbrück vorgeschlagenen Kürzungen, sondern die viel zu niedrigen Investitionsansätze, und zwar vor den Kürzungen. Im Übrigen steht im Koch/ Steinbrück-Papier nirgendwo, dass im Straßenbau gekürzt werden soll, verehrter Kollege Sachse.

(Zustimmung bei der FDP)

Dies ist eine autonome Entscheidung von Rot-Grün, um die aus ideologischen Gründen gewollte Gleichbehandlung von Straße und Schiene durchzusetzen.

Die ständige Behauptung von Rot-Grün, man habe nach 1998 die Investitionen beispiellos hochgefahren, ist im Bereich Bundesverkehrsstraßen ebenfalls falsch. Richtig ist: 4,1 Milliarden € im Durchschnitt von 1995 bis 1998 bei Schwarz-Gelb, 4,2 Milliarden € im Durchschnitt von 1999 bis 2002 bei Rot-Grün. Preisbereinigt wird seit 1998 weniger investiert.

Ab 2005 kommt die verkehrspolitische Bankrotterklärung von Rot-Grün. Es wird deutlich weniger investiert als bis 1998. Verehrte Damen und Herren! Die Investitionen in den Fernstraßenbau im Vergleich der Jahre 2004 bis 2007 entwickeln sich von 4,5 Milliarden € über 4,1 Milliarden €, 3,9 Milliarden € auf schließlich 4,0 Milliarden €.

Rot-Grün brüstet sich damit, mehr in die Schiene investiert zu haben. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. In der ersten Regierungsperiode von Rot-Grün wurden die Schieneninvestitionen tatsächlich um 1 Milliarde € pro Jahr mit einem Investitionsumfang von 6,5 Milliarden € allein im Jahr 2002 gesteigert. Das ging aber nur vorübergehend wegen der Sondererlöse aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen. Jetzt, wo diese nicht mehr zur Verfügung stehen, kommt die bittere Wahrheit. Die Schieneninvestitionen sinken ab 2004 weit unter das Niveau von vor 1999, und zwar von 3,7 Milliarden € im Jahr 2004 auf 2,9 Milliarden € im Jahr 2007.

Eine gleichmäßige Verteilung der Investitionen auf Straße und Schiene wird von der FDP-Fraktion abgelehnt. Eine solche Verteilung verkennt, dass die Straße mit riesigem Abstand der Hauptleistungsträger des Verkehrs ist. Gemessen an den Verkehrsleistungen wird in die Schiene das Vierfache investiert, nämlich 3 Cent pro Einheitskilometer, das heißt Personenkilometer und

Tonnenkilometer, für die Schiene gegenüber 0,7 Cent pro Einheitskilometer für die Straße.

Bei der Investitionsverteilung zwischen Straße und Schiene muss man auch berücksichtigen, wie viel Rückfluss aus Mineralöl- und Energiesteuer es aus den jeweiligen Verkehrsträgern in den Bundeshaushalt gibt. Im Jahr 2003 waren es 48 Milliarden € von der Straße gegenüber 0,38 Milliarden € von der Schiene. Im Vergleich zur Schiene entrichtet der Straßenverkehr also das 126-fache an den Bundeshaushalt. Auch die Luftfahrt - um das am Rande zu erwähnen - weist eine positive Zahlungsbilanz gegenüber den öffentlichen Haushalten aus.

Wie gesagt, die Verkehrsleistungen auf der Straße sind um ein Vielfaches höher als die auf der Schiene. Über 48 % des Personenverkehrs finden auf der Straße statt, nur 8 % auf der Schiene. Beim Güterverkehr ist das Verhältnis 70 % zu 14 %.

Verkehrsverlagerungen haben in den letzten zehn Jahren trotz massiver Bevorzugung der Schiene nicht stattgefunden. Weiter daran zu glauben ist nur ignorant. Es ist ein fahrlässiger, gefährlicher Umgang mit den Grundlagen unserer wirtschaftlichen Entwicklung, wenn der hoch belastete und überaus leistungsfähige Verkehrsträger Straße derart benachteiligt wird.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die schlichte Wahrheit ist, dass unter Rot-Grün die Verkehrspolitik und die Investitionspolitik kollabieren. Die Fachpolitiker mögen guten Willens sein, haben aber keine Chance in der Regierung Schröder, die hinsichtlich ihrer Verkehrspolitik maßgeblich durch die Grünen ideologisch geprägt ist.

Die FDP-Fraktion fordert ein umfassendes Infrastrukturfinanzierungskonzept nach folgenden Leitlinien: Umstellung von Haushaltsfinanzierung auf Nutzerfinanzierung, europäische Harmonisierung der Mineralölsteuern und Kfz-Steuern, Einrichtung einer privatrechtlich organisierten Autobahnbetreibergesellschaft, die die Lkw-Mauteinnahmen unmittelbar erhält und deshalb Maastrichtkonform kreditfähig ist, strenge Zweckbindung der Mautmittel für Infrastrukturinvestitionen, Erhöhung der Infrastrukturinvestitionen auf 12 Milliarden € pro Jahr, Ausdehnung der Beteiligungsmöglichkeiten privaten Kapitals.