- Ach, Herr Dr. Püchel, zu Ihrer Zeit gab es auch das Verhältnis zwischen der Regierung und der Opposition. Die Informationsrechte müssen sauber austariert werden.
Aber das Wichtige, das ich an dieser Stelle sagen wollte, ist: Wir wären nicht gut beraten, wenn wir beim Fixieren dieser Informationspflichten als regierungstragende Fraktion einen Mehrheitsbeschluss herbeiführten, der von der Opposition nicht mitgetragen werden könnte. Bei den Informationsrechten des Landtages, denke ich, handeln wir am besten im Landtag von Sachsen-Anhalt, wenn wir diese im großen und guten Einvernehmen regeln. Wir haben mit dem Landtagsinformationsgesetz und der Vereinbarung die Chance - jedenfalls führt uns das bisherige Verhandlungsergebnis dazu -, dass wir im großen Einvernehmen die Informationsrechte für den Landtag als Ganzes gegenüber der Landesregierung neu und beständig und in großer Akzeptanz ordnen.
Wir müssen an dieser Stelle auch deutlich machen, dass wir mit Sicherheit eine Beobachtungsphase brauchen, um zu sehen, wie die Ausschüsse mit diesen vermehrten Informationen zukünftig verantwortlich umgehen. Wir müssen hierzu gegebenenfalls, wie es der Landtagspräsident schon angedeutet hat, in der Geschäftsordnung des Landtages von Sachsen-Anhalt noch einmal nachsteuern, aber wir brauchen nicht alle Bestimmungen auf einmal zu ändern. Ich denke, wir sollten die dann in Kraft getretene neue Rechtslage einer gewissen Beobachtungsphase unterziehen und dann überlegen, ob wir gegebenenfalls weitere Bestimmungen im Landtag brauchen, um unsere innere Geschäftsordnung modern und angemessen auszugestalten.
Meine Damen und Herren! Die Änderung verfassungsrechtlicher und angrenzender Bestimmungen ist ein Meilenstein der Parlamentspraxis des Landes Sachsen-Anhalt. Die Konsensfindung zeigt, dass der Landtag sehr wohl in der Lage ist, in wichtigen Angelegenheiten weit über die Fraktionsgrenzen hinaus zusammenzuarbeiten und der Bevölkerung des Landes Sachsen-Anhalt durch Arbeit und durch Arbeitsergebnisse zu zeigen: Hier handeln gewählte Vertreter des Volkes verantwortlich zum Wohle des Volkes. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Scharf. - Die Debatte wird fortgesetzt durch den Beitrag der SPD-Fraktion. Es spricht der Fraktionsvorsitzende Herr Dr. Püchel. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße die heutige Debatte, denn die hier im Konsens zur Abstimmung gestellten Vorschläge zur Änderung für die Landesverfassung eröffnen die Möglichkeit einer Bestandsaufnahme nach zwölf Jahren praktizierter Verfassungswirklichkeit im Lande Sachsen-Anhalt.
Maßstab dafür, ob unsere Landesverfassung eine Erfolgsgeschichte ist, kann weder die gute Absicht des Verfassungsgebers von 1992 sein noch die innere Folgerichtigkeit der Verfassung selbst. Maßstab allein ist die Antwort auf die Frage, wie sich die Verfassung in der Wirklichkeit auswirkt, ob unsere Verfassung ein freiheitliches, friedliches und gerechtes Gemeinwesen gewährleistet und befördert oder nicht.
Gemessen an diesem Maßstab ist unsere Landesverfassung zweifellos ein Erfolg, der ihre Väter und Mütter mit Stolz erfüllt und erfüllen kann.
Meine Damen und Herren! Wir können konstatieren: Die Landesverfassung hat sich auch in politisch stürmischen Zeiten bewährt. Die Wahrnehmung der in der Verfassung gewährleisteten Freiheitsrechte als Abwehrrechte gegen den Staat ist im Bundesland Sachsen-Anhalt eine Selbstverständlichkeit. Im demokratisch verfassten Sachsen-Anhalt steht der Bürger dem Staat nicht als Bittsteller gegenüber. Er ist nicht mehr bloßer Petent im Verhältnis zu einem vormundschaftlichen Staat, sondern tagtäglich handelndes Subjekt in einer freien Gesellschaft.
Ich nenne nur die vielen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten. Die Verwaltung mag sich manchmal weniger kla
gefreudige Bürgerinnen und Bürger wünschen. Auch ich habe dabei insbesondere als Innenminister meine Erfahrungen gesammelt. Aber diese Streitigkeiten zwischen Staat und Bürger sind der Beweis einer gelebten Verfassung; die Entscheidungen der dritten Gewalt werden auch weitgehend akzeptiert.
Meine Damen und Herren! Ganz wichtig, aber oft als allzu selbstverständlich angesehen, ist auch die friedensstiftende Funktion unserer Verfassung. Ich rede hier von dem Regelwerk für die politischen Auseinandersetzungen in unserem Gemeinwesen. Politik lebt von der Auseinandersetzung, vom Streit. „Streit und nochmals Streit“, so lautete die Devise des streitbaren Demokraten Heiner Geißler. Die Politik in Sachsen-Anhalt trägt diesen Streit im verfassungsrechtlichen Rahmen aus.
Bei der Bewältigung von politischem Streit war die Verfassung ungeheuer erfolgreich. Im Rahmen der Landesverfassung sind in den Jahren 1994 und 2002 gänzlich unproblematisch und friedlich Machtwechsel vollzogen worden, wenn auch ungern. Auch dies ist ein Beweis dafür, dass sich die Verfassung bewährt hat, dass sie ein gelungenes, friedensstiftendes Korsett für die politischen Abläufe in unserem Gemeinwesen darstellt.
Wie sieht es beim Prüfstein Gerechtigkeit und Verfassungswirklichkeit aus? Hierbei müssen wir insbesondere bei den Staatszielbestimmungen eine bedauerliche Diskrepanz zwischen Verfassungslage und Wirklichkeit feststellen. Dies gilt insbesondere für den Artikel 39 - Arbeit. In Artikel 39 ist die dauernde Aufgabe des Landes und seiner Kommunen formuliert, allen die Möglichkeit zu geben, ihren Lebensunterhalt durch eine frei gewählte Arbeit zu verdienen. So ist die Verfassungslage.
In Wirklichkeit sind in Sachsen-Anhalt - dies erleben wir täglich deprimierend neu - viel zu viele Menschen von einer Teilnahme am Arbeitsleben ausgeschlossen, obwohl sie arbeiten könnten und auch arbeiten wollen. Die Landesverfassung vermag nicht per proklamiertem Staatsziel, diesen Missstand aufzuheben.
Auch weiß ich, dass viele Frauen in Bezug auf das Staatsziel Gleichstellung von Frauen und Männern in Artikel 34 und viele ältere Menschen und Menschen mit Handicap in Bezug auf das Staatsziel der besonderen Förderung ihrer gleichwertigen Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft - Artikel 38 - Defizite beklagen. Sie tun es zu Recht; denn viele Lebenssachverhalte schreien förmlich nach Abhilfe. Aber das Land Sachsen-Anhalt kann oder will dies aufgrund der objektiv gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen nicht leisten.
Meine Damen und Herren! Mir scheint, dass die Verfassung insoweit nur beschränkt in der Lage war, Gerechtigkeit in dem durch sie selbst versprochenen Maße zu befördern. Insofern besteht die besondere Aufgabe fort, unsere Verfassung mit Leben zu erfüllen.
Selbst wenn diese Aufgabe besonders schwierig ist, bin ich selbstverständlich nicht der Auffassung, dass wir diese Staatsziele aus der Verfassung streichen sollten, nur weil die Umsetzung an mancher Stelle eben unzureichend ist. Wir müssen uns vielmehr immer wieder anstrengen. Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass unsere Verfassung an manchen Stellen mehr verspricht, als sie aktuell zu halten vermag, und dass dies der Akzeptanz einer Verfassung und damit der Akzeptanz des demokratischen Verfassungsstaates insgesamt langfristig abträglich sein könnte.
Doch insgesamt, meine Damen und Herren, bleibt festzuhalten: Die Verfassung hat sich - insbesondere was ein freiheitliches und friedliches Gemeinwesen betrifft - bewährt und dies ist nicht hoch genug einzuschätzen.
Meine Damen und Herren! Wenn ich eben auf die besondere Problematik der Artikel 38 und 39 hingewiesen habe, so zeigt der Artikel 40 andererseits, dass sich Ziele, die man sich in der Verfassung gesetzt hat, auch in kürzeren Zeitabläufen erreichen lassen und als Staatsziel erfüllt werden können. Kaum jemand von uns hätte Anfang der 90er-Jahre, als die Verfassung erarbeitet wurde, geglaubt, dass wir zehn Jahre später über Probleme des Wohnungsleerstandes reden würden - und nicht nur deshalb, weil viele Menschen abwandern, sondern weil viele Wohnungen saniert und neu gebaut wurden.
Meine Damen und Herren! Nach zwölf Jahren schickt sich der Landtag nun an, die Verfassung zu ändern. Wir sollten dabei unbedingt Sorge dafür tragen, dass jegliche Änderung am Verfassungstext mit größtmöglicher Sorgfalt vorgenommen wird.
Aus der Sicht der SPD-Landtagsfraktion können die heute erfreulicherweise im Konsens aller Fraktionen eingebrachten Vorschläge zu Verfassungsänderungen nur der Auftakt für eine erweiterte Debatte über die Reform unserer Verfassung sein.
Dafür, dass diese Vorschläge im Konsens eingebracht wurden, gilt mein Dank allen beteiligten Verhandlungsführern. Dieser Konsens ist auch insofern bemerkenswert, als sich die PDS durch die Zustimmung zu den Änderungsvorschlägen nun auch endgültig zur Verfassung insgesamt bekennt. Wenn ich jetzt PDS sage: Es gab auch bei uns einige - Sie haben gesagt „Teile der SPD“ - - Aber man sieht, wie sie erwachsen geworden sind, reifer geworden sind und heute so weit sind, dieses mitzutragen.
Meine Damen und Herren! Die wichtigsten Inhalte der heute zu beratenden Verfassungsnovelle sind die Verlängerung der Legislatur auf fünf Jahre sowie die Absenkung der Quoren bei der Volksgesetzgebung. Für die SPD-Landtagsfraktion möchte ich feststellen: Wir begrüßen die Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre. Wie die Mehrheit der anderen Bundesländer, die diesen Schritt gegangen sind, verbinden wir damit die Hoffnung einer besseren Zielerreichung innerhalb einer Wahlperiode.
Als Sozialdemokrat weiß ich, wovon ich rede. Mit der Agenda 2010 verfolgt die Bundesregierung einen ebenso mutigen wie aber auch schwierig umzusetzenden Politikentwurf. Die Notwendigkeit der Reformpolitik ist im Grunde auch von allen anerkannt worden. Die Reformpolitik ist getragen von der Überzeugung, dass zur künftigen Erhaltung des hohen Wohlstandsniveaus Einschnitte in soziale Besitzstände unvermeidbar sind.
Diese Politik ist nicht populär. Die Wahlen am letzten Sonntag haben dies nachhaltig bewiesen. Wenn jetzt allerdings Union und FDP im Bund mitten in einem Reformprozess nach Neuwahlen rufen, eine Legislaturperiode also verkürzen wollen, so steht dieser Ruf der Einsicht entgehen, dass Politik nicht nur kurzfristig auf
Meine Damen und Herren! Einen kritischen Aspekt dürfen wir bei der Verlängerung der Wahlperiode nicht unter den Tisch fallen lassen. Es muss uns auch klar sein, dass eine rechtsextremistische Partei bei einer fünfjährigen Wahlperiode ein Jahr länger einen Schandfleck in diesem Hause darstellen würde und Steuergelder für Verfassungsfeinde verschleudert würden. Insofern lädt uns die Entscheidung für fünf Jahre eine noch höhere Verantwortung bei der Bekämpfung rechtsextremistischen Gedankenguts auf.
Dies muss sich, meine Damen und Herren von der Koalition, dann auch in entsprechenden Haushaltsansätzen niederschlagen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur den Verein Miteinander erwähnen.
Meine Damen und Herren! Wir verkennen nicht, dass mit einer Verlängerung der Wahlperiode ein Weniger an bürgerschaftlicher Mitbestimmung verbunden ist. Deshalb ist der Schritt der Verlängerung der Wahlperiode für uns allein nur deshalb zustimmungsfähig, weil er mit einer Erleichterung der plebiszitären Elemente einhergeht. Dieses Plus gleicht das Minus an Demokratie aufgrund der Verlängerung ein Stück weit aus, wobei ich nicht verhehlen will, dass die SPD eine deutlichere Absenkung der Quoren bei der Volksgesetzgebung vorgezogen hätte.
Die im Entwurf enthaltenen Absenkungen vollziehen allein den demografischen Wandel nach und erleichtern bürgerschaftliches Engagement darüber hinaus nicht. Ich bin dennoch froh, dass wenigstens die jetzt vorgesehene Absenkung der Quoren von allen hier im Hause vertretenen Fraktionen getragen wird, weil ich um die von Anbeginn an insbesondere von Vertretern der Union immer wieder artikulierten Vorbehalte gegenüber der Volksgesetzgebung weiß.
Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit den Wahlen am letzten Sonntag will ich an dieser Stelle noch auf einen ganz besonderen Aspekt eingehen. Die Hürde für einen erfolgreichen Volksentscheid bleibt unangetastet und damit unverändert hoch - nach meiner Auffassung zu hoch.
Die amtlicher Statistik des Landeswahlleiters wies bei der Wahl zum Europäischen Parlament ca. 2,09 Millionen Wahlberechtigte aus. Selbst wenn man die bei der Europawahl zusätzlich wahlberechtigten EU-Bürger von dieser Zahl abzieht, müssten gegenwärtig mindestens 520 000 Menschen einem Volksbegehren zustimmen, damit es erfolgreich wird.
Bei der Europawahl haben die CDU, die PDS und die SPD zusammen 628 122 Stimmen bekommen. Überspitzt formuliert könnte man sagen: Wenn gleichzeitig mit den Europawahlen ein Volksentscheid stattgefunden hätte, hätten fast alle Wählerinnen und Wähler von CDU, PDS und SPD zustimmen müssen, damit dieser erfolgreich gewesen wäre. Dieser Zustand ist so absurd, dass er im Ergebnis das Instrument der Volksgesetzgebung dermaßen entwerten könnte, dass das demokratische Bewusstsein im Land Schaden nimmt.
Meine Damen und Herren! Lieber Herr Lukowitz, Sie haben mir im Vorfeld der Europawahl einen Brief ge
schrieben. Darin heißt es, wir müssten auf der Bundesebene aktiv werden und mittels Volksabstimmung über die EU-Verfassung entscheiden. Ich nehme an, das Thema ist mit Abschluss der Wahl wieder zu den Akten gelegt worden.
Einige Ihrer FDP-Granden lehnen diese Idee ohnehin ab. Aber ich möchte diesen Brief gern zum Anlass nehmen, Sie aufzufordern, in Sachsen-Anhalt, wo Sie persönlich tatsächlich Einfluss haben, ein wenig mehr Initiative bei der Erleichterung der Volksgesetzgebung an den Tag zu legen.
Meine Damen und Herren! Die heute eingebrachten Vorschläge können nur der Auftakt zu einer breiteren Debatte sein. Bei der Diskussion über die Vorschläge wurde bei uns in der Fraktion spontan Veränderungsbedarf bezüglich des Artikels 54 - Untersuchungsausschüsse - oder hinsichtlich der Fristen für die Regierungsbildung genannt.
So halten wir den Wortlaut des Artikels 54 Satz 1 für unglücklich. Dort heißt es, dass der Landtag auf Antrag von mindestens einem Viertel seiner Mitglieder die Pflicht hat, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Diese Formulierung hat bei einem Minderheitenausschuss die Folge, dass die Mehrheit sich bei der Abstimmung über einen Einsetzungsantrag der Stimme enthalten muss, selbst wenn sie das Untersuchungsanliegen politisch für verfehlt hält. Hier stimmt etwas im System nicht. Diesen Fall haben wir in der jüngeren Geschichte unseres Bundeslandes schon mehrmals erlebt.
In Bezug auf die Artikel 45 und 65, aus denen sich die Fristen für die Regierungsbildung ergeben, wurde angemerkt, dass die höchstens 44 Tage, die zwischen der Landtagswahl und der Wahl der Regierung liegen dürfen, nicht immer ausreichend Zeit für Verhandlungen und das Ausarbeiten einer zukünftig über fünf Jahre tragfähigen Koalitionsvereinbarung lassen. - Gut, Sie haben weniger Zeit gebraucht. Man sieht, was dabei herausgekommen ist. Das ist eine andere Frage.
Meine Damen und Herren! Ähnlichen Diskussionsbedarf sehen wir in Bezug auf die Frage der Beendigung der Wahlperiode. Behalten wir die bisherige Regelung bei, landen wir in nicht allzu ferner Zukunft mit der Wahl im Winter - gut, wir Älteren vielleicht nicht mehr, aber die Jüngeren auf alle Fälle.