Protokoll der Sitzung vom 08.07.2004

Das ist zum einen die Verbesserung der Grundschularbeit durch die Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtung und Schule und die flexible Schuleingangsphase. Hierbei scheinen die internationalen und nationalen Debatten gefruchtet zu haben. Das lässt hoffen. Vielleicht ist noch mehr möglich.

Ein zweiter Punkt, den wir positiv sehen, ist die Einrichtung von Förderzentren, wenn damit mehr integrative Bildung für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf möglich wird, wenn tatsächliche Integration das Ziel ist, so wie es im Konzept auch steht, wenn also Reintegration wirklich gewollt ist. Wir werden diesen Prozess aufmerksam begleiten, haben wir doch einen immensen Nachholbedarf gerade in diesem Bereich in unserem Lande.

Ich will mich nur auf ganz wenige Kritikpunkte beschränken, weil es so viele davon gibt, dass man sie in fünf Minuten nicht einmal nur aufzählen kann.

Der erste Kritikpunkt heißt bei mir: Evaluation ohne Innovation oder: Vom vielen Wiegen wird das Schwein nicht fett.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Die von der Landesregierung oft angekündigte innere Schulreform beschränkt sich auch nach diesem Gesetz vor allem auf die Möglichkeiten einer scheinbar besseren Überprüfbarkeit von Lernleistungen. Evaluation, noch dazu mit externem Sachverstand, ist wichtig und erforderlich, es muss aber auch etwas zum Evaluieren geben. Da darf eben nicht nur evaluiert werden, was gelernt wurde, sondern es muss auch evaluiert werden, wie gelernt und wie gelehrt wird.

Während die Landesregierung das eine, nämlich das, was gelernt wird, sehr ausführlich regelt, fehlen fast alle Aussagen zur inneren Innovation der Schule. Eine Beschränkung auf die Überprüfung von Lernleistungen

oder eine Schwerpunktsetzung in diesem Bereich geht an den Notwendigkeiten einer modernen Schule in der Wissensgesellschaft, die vernetztes Wissen und Kompetenzen erfordert, vorbei. Zudem wird das innovative Potenzial von Lehrerinnen und Lehrern, das es gibt, eher behindert als angeregt.

Der zweite Kritikpunkt heißt für mich: zuführen statt vorbeugen. So begrüßenswert die Zusammenarbeit von Schule und Trägern der Jugendhilfe ist, sie ersetzt weder das ausgelaufene Programm der Schulsozialarbeit noch den schulortnahen schulpsychologischen Dienst. Die Landesregierung hat für diese beiden Aufgaben eine Beerdigung erster Klasse produziert und versucht nun eine Kompensation durch Drohgebärden. Dabei weiß die Landesregierung, dass Schulverweigerung ein Problem gesellschaftlichen Versagens ist, dem die Schule nur zu wenig entgegenzusetzen hat.

(Zustimmung bei der PDS)

Zahlreiche durch Sie selbst geförderte erfolgreiche Projekte im Land belegen, dass es andere Wege gegen Schulversagen und Schulverweigerung gibt - wir haben es uns im Ausschuss angehört -, zum Beispiel den des produktiven Lernens.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Deswegen för- dern wir die ja!)

Anstatt jedoch nach den Ursachen von Schulversagen zu suchen

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Was?)

und dort Gegenstrategien weiterzuentwickeln, reagieren Sie mit Zwang und machen Schule für die Betroffenen zur Zwangsveranstaltung. Wie daraus Lernmotivation erwachsen soll, ist mir schleierhaft.

(Beifall bei der PDS)

Nicht fehlen darf natürlich der dritte große Kritikpunkt, den auch Frau Mittendorf schon angesprochen hat, nämlich die Einschränkung des Bildungszuganges mit den Quasiaufnahmeprüfungen am Gymnasium. Zumindest für diejenigen, die keine Empfehlung erhalten, wird der freie Zugang zu höherer Bildung, mit dem Sie in der ersten Legislaturperiode immerhin auch einmal und völlig zu Recht angetreten sind, weiter eingeschränkt.

Zwar glänzt man rings um uns in Europa mit höheren Abiturquoten - alle Gesellschaftsprognosen bestätigen auch die Notwendigkeit dieser -, nur in Deutschland schreckt man davor zurück. Diese Regelung ist nicht nur die konsequente Fortsetzung einer rückwärtsgewandten Bildungspolitik. Seit der letzten Novelle wird immerhin bereits zum Hauptschulzweig zugewiesen. Der Bildungsabstieg ist zwangsweise geregelt. Der Bildungsaufstieg wird mit immer höheren Hürden versehen.

(Beifall bei der PDS)

Nicht möglichst hohe Abschlüsse für möglichst viele Schülerinnen und Schüler sind das Ziel, sondern das Herausregeln der vermeintlich so nicht bildungsfähigen. Das ist eine Bankrotterklärung für das gegliederte Schulsystem. Angesichts der Einsicht, dass Entwicklungspotenziale in diesem Land vor allen Dingen in wissensbasierter Produktion bestehen, ist das mehr als kontraproduktiv. Damit wird auch die Sekundarschule nicht gewinnen, sondern endgültig als geringerwertige Schulform erscheinen, in die man mangels besserer Leistungen zugewiesen wird.

Klar, man könnte auch die Potenzen der Sekundarschule entwickeln. Sie haben dort Versäumnisse zugegeben. Es müsste eben auch dort „Butter bei die Fische“. Das betrifft Veränderungen der Stundentafel, Förderkonzepte und erforderliche Stundenzuweisungen. Die Durchlässigkeit müsste verbessert werden. - Alles das können Sie gern auch in unserem Sekundarschulkonzept nachlesen. Wir sind da nicht eitel, wenn Sie die Urheberschaft nicht verschweigen.

(Beifall bei der PDS)

Herr Volk hat vorhin gefragt, welches der richtige Weg für eine Schülerin, für einen Schüler ist, und hat gesagt, dass man das vonseiten der Eltern nur schwer entscheiden könne. Ich würde zunächst einmal sagen: Beide Wege sind nicht der richtige Weg. Der richtige wäre eine längere gemeinsame Schulzeit bis zur 8., 9. oder 10. Klasse. Darüber könnte man reden.

(Beifall bei der PDS)

Ich weiß natürlich, dass das bei Ihnen genauso wenig in den Kopf will wie heute Mittag der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für ein Kind und der Sinn für die Entwicklung des Kindes dabei. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Hein. - Für die CDU-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Frau Feußner das Wort. Bitte sehr, Frau Feußner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich den Worten von Frau Hein einmal etwas hinzufügen kann, dann möchte ich sagen: Die DDR lässt grüßen.

(Zustimmung bei der CDU)

Zu den Themen Ganztagsanspruch, Erziehung durch den Staat, die polytechnische gemeinsame Schule und all solchen Punkten kann ich nur sagen: Guten Tag, wir haben die DDR schon lange überholt und wir sind heute, denke ich, ein Stück weiter.

(Frau Budde, SPD: Die Polytechnik war gut! Das muss ich schon sagen! Damals wussten wir we- nigstens, wie es in den Betrieben aussah!)

Damals hatten wir auch noch - das hat Frau Mittendorf schon richtig gesagt - eine Ideologie, vor allen Dingen für diejenigen, die zum Gymnasium wollten. Ich denke, das ist, Gott sei Dank, vorbei. Heute gehen wir andere Wege. Ich glaube, das ist auch gut so.

(Frau Budde, SPD: Aber die CDU hat es zu DDR- Zeiten mitgetragen!)

- Die CDU nicht.

(Frau Budde, SPD: Ich wusste bisher nicht, dass zu DDR-Zeiten eine Blockpartei etwas anderes gesagt hat als die SED!)

- Frau Budde, machen Sie sich keine Gedanken darüber.

(Frau Budde, SPD: Darüber mache ich mir des Öfteren Gedanken, jedenfalls mehr, als Sie den- ken!)

Mit der neuen Schulgesetznovelle werden die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen die bereits zu Beginn dieser Legislaturperiode eingeleiteten Reformen bzw. Maßnahmen weiterhin untersetzen. Im Unterschied zu den bisherigen strukturellen Veränderungen werden mit dieser Novelle vorwiegend inhaltliche Veränderungen vorgenommen, die zur Steigerung der Qualität der schulischen Arbeit beitragen sollen.

Nun scheinen diese inhaltlichen Veränderungen in der Öffentlichkeit weniger spektakulär als die strukturellen Veränderungen zu sein. Aber gerade die weitere inhaltliche Ausgestaltung der Schule muss zunehmend an Bedeutung gewinnen - das zeigen wir mit unserem Gesetzentwurf -, wenn wir mehr Qualität wollen.

Nun sind die eigentlichen Akteure vor Ort - die Lehrer, die Eltern und die Schüler - diejenigen, die die Schule gestalten und ausgestalten, und auch diejenigen, die die Qualität der Schule wesentlich bestimmen. Deshalb können wir mit einem Schulgesetz immer nur einen gewissen Rahmen vorgeben.

Eine der wesentlichen Veränderungen - es ist bereits mehrfach genannt worden - wird die Einrichtung von Förderschulen bzw. Förderzentren sein. Die Kooperation der unterschiedlichen Schulformen soll durch eine geeignete Beratung und durch einen gegenseitigen Austausch dazu führen, dass Probleme bei Schülern frühzeitig diagnostiziert werden und dass eingegriffen werden kann mit dem Ziel, mit dieser Maßnahme einen höheren Anteil von problembelasteten Schülern in die allgemein bildenden Schulformen zu integrieren. Das genau ist unser Ziel.

Frau Hein, wenn Sie sagen, das befürworten Sie, dann kann ich auch noch eines draufsetzen: In den Jahren, in denen Sie regiert haben, haben Sie gerade in diesem Bereich überhaupt nichts getan. Das Land SachsenAnhalt war das Land, das die wenigsten Schüler integrativ beschult hat.

(Herr Gürth, CDU: Stimmt das? Das ist ja der Hammer! Das muss jetzt erst einmal festgestellt werden!)

Sie haben nichts in der Richtung getan, gar nichts.

(Zustimmung bei der CDU)

Dieses Ziel wird natürlich nicht innerhalb kürzester Zeit zu erreichen sein. Es ist ein langfristiger Prozess, der erst dann zum Erfolg führen wird, wenn die entsprechenden Voraussetzungen dafür geschaffen worden sind.

Wesentlich ist auch die Aufnahme der so genannten Bildungsstandards. Damit wird ein Bildungsniveau für eine bestimmte Schulform, für einen bestimmten Schuljahrgang und auch für einen bestimmten Abschluss normiert. Sachsen-Anhalt kommt somit den national und den international geltenden Beschlüssen nach. Wir erhoffen uns davon, ein gesteigertes Niveau der erzielten Schulabschlüsse zu erreichen, um die Schulabgänger wieder attraktiv für die Abnehmerseite - für die Wirtschaft und für die Hochschule - zu machen.

Ferner wird es auch einige Neuregelungen für die Schulen in freier Trägerschaft geben. Eine davon möchte ich hier nennen, nämlich das vereinfachte Verfahren zur Erteilung von Unterrichtsgenehmigungen.

Ich komme zu dem heiklen Thema der Schullaufbahnempfehlung in Klasse 4 der Grundschule. Sie soll nun

einen verbindlichen Charakter haben. Mit Schülern, die keine Empfehlung für das Gymnasium erhalten und die nach dem Willen der Eltern dennoch auf das Gymnasium wechseln sollen, sollen ein Gespräch und ein Eignungstest durchgeführt werden.

Den Elternwillen als solchen - Frau Hein, ich möchte Ihnen das gern mitteilen - können und wollen wir nicht abschaffen. Dies ist die gemeinsame Position der Koalitionsfraktionen. Sie wird im Übrigen auch gestützt durch eine Fragebogenaktion der CDU-Fraktion im Internet, die an alle Schulen und Elternvertretungen gerichtet ist. In der Vielzahl der an uns zurückgesandten Antworten wird fast ausschließlich eine größere Verbindlichkeit der Schullaufbahnempfehlung gefordert.