Protokoll der Sitzung vom 08.07.2004

In Auswertung der Anhörung wurde von allen Fraktionen der angestrebte Aufbruch der Landesregierung in ein neues Technologiezeitalter im Bereich der Biotechnolo

gie begrüßt. Es wurde hervorgehoben, welches erhebliche Potenzial sich in den letzten sechs Jahren in unserem Land entwickelt hat. Das Land Sachsen-Anhalt hat eine bundesweit bedeutende Konzentration von Forschungseinrichtungen und Unternehmen auf diesem Gebiet vorzuweisen.

Einstimmigkeit bestand auch darüber, dass das Land die gestartete Biotechnologieoffensive transparent, objektiv wirtschaftlich begründet und mit einer Begleitforschung betreiben soll. Kontroverse Diskussionen gab es bei den Fragen, welche Chancen und Risiken beim Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen zu erwarten seien, ob die Sicherheitsanforderungen, die während des Erprobungsanbaus mit gentechnisch veränderten Organismen einzuhalten sind, ausreichend seien und inwieweit die Fragen bezüglich der Haftung geklärt seien.

In der 22. Sitzung am 22. Januar 2004 beschloss der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, die inhaltliche Arbeit in der Sitzung im März 2004 durchzuführen und hierzu auch die Ministerin für Landwirtschaft und Umwelt Frau Wernicke zu hören - diese stand uns dafür ganztägig zur Verfügung -, da die Landesregierung ihren Bericht über die Umsetzung ihres Begleitkonzeptes zum Anbauprogramm erst bis Ende Februar 2004 vorlegen wollte. Des Weiteren war der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des Gentechnikgesetzes zu erwarten.

In der 24. Sitzung einigten sich die Mitglieder des Ausschusses darauf, eine gemeinsame Beschlussempfehlung zu erarbeiten. Nach dieser Entscheidung hat der Wirtschaftsausschuss in Zusammenarbeit aller Fraktionen in der 25. Sitzung am 14. April 2004 eine vorläufige Beschlussempfehlung für die mitberatenden Ausschüsse erarbeitet und diese mit 13 : 0 : 0 Stimmen verabschiedet.

In der folgenden Zeit sind von allen mitberatenden Ausschüssen zustimmende Stellungnahmen zu der vorläufigen Beschlussempfehlung eingegangen. Allerdings zeigten sich dabei keine einstimmigen Abstimmungsergebnisse.

Am 30. Juni 2004 führte der federführende Ausschuss seine abschließende Beratung mit dem Ziel der Erarbeitung einer Beschlussempfehlung für den Landtag durch. Da die vorläufige Beschlussempfehlung fraktionsübergreifend erarbeitet und einstimmig verabschiedet worden war und dieser in den mitberatenden Ausschüssen mehrheitlich zugestimmt worden war, kam die Vorlage eines Änderungsantrages der SPD-Fraktion doch ein wenig überraschend. Wir haben über diesen Antrag beraten und einzeln über die vier Punkte des Änderungsantrags abgestimmt. Punkt 3 dieses Änderungsantrags wurde in die Beschlussempfehlung für den Landtag eingearbeitet.

Die PDS-Fraktion hat abschließend folgende Erklärung zum Abstimmungsverhalten abgegeben:

„Durch die Entwicklung und die Ereignisse der letzten Wochen sieht sich die PDS-Fraktion veranlasst, die uneingeschränkte Zustimmung zu der vorläufigen Beschlussempfehlung zurückzunehmen, da ihre Forderungen und Bedenken nicht ausreichend berücksichtigt worden sind.“

Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit verabschiedete die Beschlussempfehlung für den Landtag in der Drs.

4/1691 mit 7 : 2 : 3 Stimmen. Ich bitte um Zustimmung zu der vorliegenden Beschlussempfehlung.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank für die Berichterstattung, Frau Fischer. - Bevor die Fraktionen das Wort bekommen, erteile ich zunächst Herrn Minister Dr. Rehberger für die Landesregierung das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie, dass ich zu diesem wichtigen Thema Biotechnologie an dieser Stelle drei Aspekte anspreche.

Erstens. Die Bedeutung der Biotechnologie kann sicherlich - das dürfte die Meinung aller hier im Hause sein - nicht überschätzt werden, weil sie in diesem 21. Jahrhundert eine ganz große Bedeutung haben wird, ob uns das im Einzelnen gefällt oder nicht.

Biotechnologie bedeutet nicht nur Gentechnik - auch das muss man in aller Deutlichkeit herausstellen -, aber ohne Gentechnik ist eine Weiterentwicklung im Bereich der Biotechnologie nicht vorstellbar. Es gibt Aufgaben, die sich angesichts der Gesamtentwicklung auf dieser Erde einfach stellen, ob sie einem nun gefallen oder nicht.

In wenigen Jahrzehnten wird die Menschheit neun Milliarden Menschen umfassen. Deswegen ist die Erzeugung gesunder und wohlschmeckender Lebensmittel eine ganz wesentliche Aufgabe der Weiterentwicklung im Bereich der grünen Biotechnologie. Meine Damen und Herren! Pflanzen müssen sich so weiterentwickeln, dass sie den globalen Klimaveränderungen gewachsen sind. Und nicht zuletzt: Wir werden im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe alles tun müssen, um die Angebote weiter zu optimieren.

Dass die Gentechnik in der Bevölkerung Bedenken begegnet, dass sie Ängste auslöst, das nehme ich sehr ernst. Allerdings muss man auch sagen dürfen: Seit dank der Gentechnik im Bereich der roten Biotechnologie beispielsweise künstliches Insulin und andere wichtige Pharmazeutika gewonnen werden können, sind die Bedenken der Bevölkerung, die ursprünglich gerade in diesem Bereich sehr nachhaltig waren, weitgehend ausgeräumt. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich eine ähnliche Entwicklung in den nächsten Jahren auch im Bereich der grünen Biotechnologie einstellen wird.

Eine zweite Bemerkung. Es dürfte auch Einigkeit darüber bestehen, dass Sachsen-Anhalt insbesondere für die grüne Biotechnologie, aber auch für wichtige Teile der roten Biotechnologie exzellente Entwicklungsperspektiven bietet. In diesem Zusammenhang bin ich insbesondere dem Innoplanta e. V. dankbar dafür, dass er das Projekt Erprobungsanbau Bt-Mais realisiert.

Meine Damen und Herren! Wer im Bereich der Biotechnologie Gesetze machen will, wie es jetzt die Bundestagsmehrheit und die Bundesregierung tun wollen, der sollte auch praktische Erfahrungen in die Gesetzgebung einbringen können. Zu den praktischen Erfahrungen gehört insbesondere, dass man der Koexistenz unterschiedlicher Anbauarten, also der konventionellen Anbauart, der ökologisch orientierten Anbauart und der Anbauart mit GVO, zunächst einmal Rechnung trägt und

versucht festzustellen, in welchem Maße eine solche Koexistenz in der Praxis tatsächlich funktioniert.

Ich finde, es ist ein großer Erfolg, dass es gelungen ist, 30 landwirtschaftliche Betriebe in sieben Bundesländern für diesen Erprobungsanbau zu gewinnen. Ich finde es außerordentlich erfreulich, dass es eine Universität des Landes Sachsen-Anhalt, nämlich die Martin-LutherUniversität in Halle, ist, die mit ihrer Landwirtschaftlichen Fakultät diesen Erprobungsanbau bundesweit wissenschaftlich begleitet.

Es gibt einen Punkt, den wir alle sicherlich mit durchaus gemischten Gefühlen sehen. Ich denke an die Forderung, die wir alle gemeinsam erhoben haben und erheben, dass der ganze Prozess möglichst transparent stattfinden sollte. Es ist mehr als bedauerlich, dass eine sehr kleine, aber gewaltbereite Minderheit in der Bundesrepublik Deutschland eine Situation ausgelöst hat, in der die Landwirte, die landwirtschaftlichen Betriebe, die sich an diesem Erprobungsanbau beteiligen, soweit sie nicht in staatlicher Hand sind, nicht bereit sein können, die Felder genau zu benennen, auf denen der Bt-Mais jetzt angebaut wird.

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU, und von Herrn Gürth, CDU)

Meine Damen und Herren! Wir sind uns sicherlich darüber einig, dass die Auseinandersetzung mit Greenpeace und all denen, die Bedenken in Bezug auf die Gentechnologie haben, im fachlichen Bereich, letztlich im politischen Bereich stattfinden muss. Aber ich sage auch ganz deutlich, dass wir nicht akzeptieren können, dass Greenpeace mit Steuermitteln Demonstranten aus Tschechien, Rumänien, Österreich, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Sachsen-Anhalt, nach Bernburg, einfliegt, um das Faustrecht auszuüben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Herr Tull- ner, CDU: Hört, hört!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist ein Vorgang, der für die Menschen im Lande spricht. Denn es waren nicht Sachsen-Anhalter, die in Bernburg das Weizenfeld zerstört haben; es mussten zum Teil Leute aus dem Ausland eingeflogen werden.

Im Übrigen meine ich, dass genau solche Verhaltensweisen zwangsläufig dazu führen, dass die Landwirte unter den heutigen Vorzeichen die Felder eben nicht benennen können. Ich hoffe, dass wir bald wieder geordnetere Verhältnisse haben. Ich hoffe insbesondere, dass die Politik, egal wie man zu der Sache selbst steht, und auch die Oppositionsfraktionen solche Gewaltaktionen eindeutig verurteilen und nicht den Eindruck erwecken, das seien Kavaliersdelikte, das dürfe man schon machen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Dritter Punkt. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was die Bundesregierung und die Bundestagsmehrheit an Vorschlägen im Rahmen der Novellierung des Gentechnikgesetzes vorgelegt haben, empfinde ich als in hohem Maße Besorgnis erregend. Ich hätte erwartet, dass die Bundesregierung die Vorgaben der Europäischen Union eins zu eins umsetzen würde.

Aber das ist beileibe nicht geschehen. Vielmehr hat man eine Vielzahl von Regelungen vorgesehen, die letztlich darauf hinauslaufen, dass gentechnisch ver

änderte Pflanzen in der Bundesrepublik nicht angebaut werden können. Das ist das Gegenteil von dem, was uns die Europäische Union aufgegeben hat. Deswegen meine ich, dass wir solche Regelungen, die im Ergebnis diese Technologie verhindern, nicht akzeptieren können.

Das gilt insbesondere für das Haftungsrecht. Ich bin der Überzeugung, dass die Regelungen des BGB ausreichend sind. Wenn allerdings - auch das möchte ich deutlich sagen - so abenteuerliche Haftungsregelungen geschaffen werden, wie sie jetzt im Gesetzentwurf vorgesehen sind, dann wird kein Weg daran vorbeiführen, dass man einen Haftungsfond schafft, um den Landwirten wenigstens in wirtschaftlicher Hinsicht eine gewisse Sicherheit einzuräumen.

(Herr Borgwardt, CDU: Genau so ist es!)

Im Übrigen, meine Damen und Herren, das möchte ich ganz deutlich sagen, wenn das, was die rot-grüne Koalition im Moment als Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt hat, Gesetz werden sollte, werden wir das in spätestens zwei Jahren mit einer anderen Bundestagsmehrheit wieder in Ordnung bringen müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Herr Tull- ner, CDU: Jawohl!)

Ich möchte deshalb zum Schluss an dieser Stelle an die Wissenschaftler in Deutschland, insbesondere im Land Sachsen-Anhalt, und an die vielen einschlägigen mittelständischen innovativen Unternehmen appellieren, dass sie aus dem Gesetzentwurf auf der Bundesebene, der möglicherweise Gesetz werden wird, nicht die Konsequenz ziehen, die Bundesrepublik schrittweise zu verlassen und sich in anderen Ländern niederzulassen, in denen es solche abenteuerlichen Regelungen nicht gibt.

Ich appelliere an die Wissenschaftler und an die Unternehmen, dass sie durch ihre Arbeit und ihr Engagement dazu beitragen, dass sehr rasch, nämlich bei der nächsten Bundestagswahl, bundesweit Mehrheiten zustande kommen, die sicherstellen, dass der Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland an der Spitze der Weltentwicklung bleibt und nicht irgendwo im zweiten oder dritten Glied landet. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Rehberger. - Die Debatte wird eröffnet durch den Beitrag der PDS-Fraktion. Es spricht Herr Dr. Thiel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Griechen im Altertum befragten im Zweifelsfall ihre Orakel, deren bekanntestes das Orakel von Delphi mit der blinden Seherin Pythia war. Die Antworten der Pythia blieben jedoch stets für die Rat Suchenden unklar. Es wurde zwar in Pythias Weisungen deutlich, dass möglicherweise eine große Gefahr drohen könnte, wie groß deren Eintrittswahrscheinlichkeit, wie hoch der Schaden oder in welchem Umkreis Schäden zu erwarten seien, wurde jedoch nicht klar.

Nach dieser blinden Seherin Pythia wurde unter den Risikoforschern ein Risikotyp bezeichnet, bei dem hohe Ungewissheit in Bezug auf die mögliche Schadenswirkung wie auch in Bezug auf die Eintrittswahrscheinlichkeit für bestimmbare Schäden besteht. Zwar kann man

das Potenzial für Schäden angeben, aber die Größenordnungen sind noch unbekannt.

Die anthropogenen Klimaveränderungen und die grüne Gentechnik verkörpern den Pythia-Risikotyp in geradezu idealer Weise. Das Motto „abwarten und Tee trinken“ ist in einer global vernetzten Welt, in der Katastrophen schneller globale Ausmaße annehmen können als je zuvor, keine ethisch verantwortbare Handlungsmaxime. Die Umweltrisiken der Vergangenheit waren in der Regel auf Regionen beschränkt. Umweltrisiken dieser Dimension sind heute gleichbedeutend mit hohen wirtschaftlichen und sozialen Risiken.

Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Umweltfragen empfahl der Politik bereits in seinem Jahresgutachten 1998 bezüglich der Bewältigung globaler Umweltrisiken vom Pythia-Typ, durch eine kluge Verbindung von Genehmigungen, staatlichen Regulierungen und Haftungsfragen sowie durch die Anwendung staatlicher Vorsorgeprinzipien bzw. institutioneller Vorkehrungen den Menschen ein höheres Maß an Zuversicht in die Managementkapazitäten moderner Gesellschaften zu geben und damit zu einer Versachlichung der Risikodebatte beizutragen.

(Zustimmung bei der PDS)

Eine Versachlichung bedeutet in diesem Zusammenhang jedoch nicht, die potenziellen Opfer der Risiken für ihre verständliche Risikoscheu zu maßregeln. Noch weniger geht es um eine Verharmlosung der Risiken. Unter Versachlichung ist nicht das Zukleistern von Problemen zu verstehen, sondern das dringende Gebot, den realen Gefahren mit allen damit verbundenen Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten zielführend, rational und effizient zu begegnen und gleichzeitig mit dem Eingehen von Risiken verbundene Chancen zu nutzen. Es gilt, zwischen Vorsicht und Wagnis den richtigen zukunftsfähigen Pfad zu finden.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Leider hat die Landesregierung das Angebot der Opposition, insbesondere der PDS-Fraktion, in eine solche ehrliche Risikodebatte einzutreten und sich damit beispielgebend aus dem Kreis der Bundesländer herauszuheben, bisher nicht aufgenommen.

(Herr Gürth, CDU: Das stimmt doch nicht!)

Um diplomatisch zu bleiben: Das Gegenteil ist der Fall. Nicht die Landesregierung oder die Koalitionsfraktionen haben die Risikokommunikation im Land angestoßen und geführt, sondern eigentlich die PDS-Fraktion, wenn man einmal von wenigen Aktionen von Herrn Dr. Schrader und von Herrn Ruden absieht.