Protokoll der Sitzung vom 08.07.2004

Dann mache ich Schluss, Herr Präsident. Herr Präsident, ein Beispiel zum Abschluss.

(Heiterkeit)

Herr Abgeordneter, ich entziehe Ihnen das Wort. Bitte machen Sie Schluss.

Na, das ist aber - schade.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD, und bei der PDS)

Besten Dank, Herr Kurze. - Meine Damen und Herren! Ich bitte jetzt für die SPD-Fraktion die Abgeordnete Frau Grimm-Benne zum Mikrofon und erteile ihr das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, dass der MDR das nicht live übertragen

hat, denn bislang war es keine Sternstunde der Demokratie.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Wir haben soeben von Herrn Papenroth gehört, was mit diesem Volksbegehren gewollt wird, warum diese Initiative von rund 260 000 Menschen im Land mit ihrer Unterschrift mitgetragen wurde.

Hieran zeigt sich deutlich und unübersehbar der Wille eines großen Teils der Bevölkerung. 260 000 Menschen geben eine klare politische Meinungsäußerung ab: Verbessert das Gesetz zur Förderung und Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen! - Es waren keine Wahlen. Es gab keinen Wahlkampf, keine Plakate und keine Werbespots. Das war aber trotzdem eine eindeutige Willensbekundung der Bevölkerung und darf hier nicht klein und auch nicht weg geredet werden.

(Beifall bei der SPD, bei der PDS und von den Vertrauenspersonen des Volksbegehrens „Für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen- Anhalt“)

Der Landtag hat ein klares Signal erhalten, auf das wir hören sollten und hören müssen. Es ist ein ganz wichtiges Stück Politik, ein Ausdruck engagierter Demokratie, was wir gerade erstmals in Sachsen-Anhalt und in ansonsten eher schwierigen Zeiten für die Politik erleben.

Weil dies ein so wichtiges Ereignis ist, müssen wir uns fragen: Wie wollen wir damit umgehen? Was wollen wir daraus für unsere Arbeit lernen? - Eines gilt es auf jeden Fall dringend festzuhalten: Die Menschen haben durch ihre Unterschrift dokumentiert, dass sie möglichst kurzfristig Veränderungen wollen.

Insbesondere was den Zeitablauf anbelangt, laufen wir inzwischen mehr und mehr Gefahr, dass sich noch mehr Menschen von uns abwenden; denn von der Landesregierung wird bislang leider nur ein Schauspiel mit verteilten Rollen aufgeführt. Zurzeit herrschen wieder einmal die Töne vor, dass man versucht, dem Gesetzentwurf des Bündnisses mit einer Lässigkeit zu begegnen, die Sie wahrscheinlich für staatsmännisch halten. Ich finde, Ihr Verhalten zeigt, wie weit Sie sich schon von den Menschen im Land entfernt haben.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS - Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Es hat mich betroffen gemacht, dass der Ministerpräsident den Saal verlassen hat, als dieser Tagesordnungspunkt aufgerufen worden ist. Bei dem ersten Volksbegehren dieses Landes verlässt der oberste Staatsmann den Landtag.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Ich zitiere aus einer Pressemitteilung der Landesregierung aus der vergangenen Woche:

„Sowohl aus inhaltlich-fachlicher Sicht als auch aus finanziellen Erwägungen kann dem Gesetzentwurf nicht zugestimmt werden. Wir können und dürfen das Rad der Kinderbetreuung nicht zurückdrehen.“

Herr Minister Kley, ist das wirklich Ihr Ernst?

(Minister Herr Kley: Ja!)

Wollen Sie den Unterzeichnern des Volksbegehrens vorwerfen, Sie wollten irgendetwas zurückdrehen? Zurück

drehen, das heißt: Alte Zustände wiederherstellen, zurück in die Vergangenheit. - Aber dieses klare Votum der Bevölkerung weist uns vielmehr den Weg nach vorn, in die Zukunft und vor allem in die Zukunft unserer Kinder.

(Frau Wybrands, CDU: Weg von den Eltern! Ja!)

Wenn ich hingegen die Äußerung des Herrn Ministerpräsidenten nehme - leider ist er nicht da -, dass sich das Volk doch eine andere Regierung wählen möge, wenn es eine verbesserte Kinderbetreuung wolle, dann machen Sie damit leider nur deutlich, wie Sie das Volksbegehren einstufen: ein politisches Ärgernis, das Sie daran hindert, Ihren angeblichen Konsolidierungskurs fortzusetzen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Wir haben von der Landesregierung auch schon anderes gehört. Kurz nachdem bekannt wurde, dass das Volksbegehren möglicherweise einen Erfolg erzielt hat, klangen die Äußerungen des Ministerpräsidenten noch folgendermaßen:

„Wir werden das Gesetz ändern müssen. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Menschen eine Ganztagsbetreuung auch für Kinder arbeitsloser Eltern wollen.“

Das ließ er die „Mitteldeutsche Zeitung“ wissen.

Eines wird aus heutiger Sicht deutlich: Sie reden mal so und mal so. Und eines lassen Sie deutlich vermissen: Sie sind nicht bereit, die Tatsache zu akzeptieren, dass eine wirklich große Anzahl von Menschen in unserem Land sich eindeutig und unmissverständlich gegen Ihre Politik in diesem wichtigen Politikfeld gewandt hat.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Schon wiederholt haben wir von dieser Stelle aus versucht, die Vertreterinnen und Vertreter der Regierungsparteien von der Notwendigkeit eines zukunftsorientierten Weges bei der Förderung unserer Kinder zu überzeugen. Worum geht es? - Die Fakten: Die Bevölkerungszahl wird weiter zurückgehen und das Durchschnittsalter steigen. Im Jahr 2020 werden rund 2,06 Millionen Einwohner in Sachsen-Anhalt leben. Das ist fast eine halbe Million weniger als im Jahr 2003. Der Anteil der Älteren an der Bevölkerung nimmt weiter zu. Die Geburtenzahl geht nach Phasen der Erholung zurück. Im Jahr 2050 rechnen wir derzeit mit einer Einwohnerzahl von nur noch 1,4 Millionen. Dies wäre ein Rückgang gegenüber heute von über 1,1 Millionen Menschen. - Das sind übrigens alles Daten aus der gepriesenen Analyse unseres Fraktionsvorsitzenden.

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Frage von Herrn Scharf zu beantworten?

Am Ende, Herr Scharf.

Vor diesem Hintergrund besteht die wirklich nachhaltige Vorsorge für die Zukunft in der Förderung des Nach

wuchses. Dafür benötigen wir einen qualitativ hohen Standard der Kinderbetreuung.

An erster Stelle dürfte bei denjenigen, die abwandern, aber stehen, dass sie ihre Vorstellungen von Beruf und Einkommen im Land nicht verwirklichen können, dass sie kaum berufliche Perspektiven sehen. Der Wettbewerb um das so genannte Humankapital wird schärfer. Dabei hat Sachsen-Anhalt keine gute Position. Die Wirtschaftsentwicklung verläuft nur sehr gebremst. Die Unternehmensstruktur ist eher ungünstig. Wenn nicht genügend Fachkräfte hier bleiben, können sich ansässige Unternehmen nicht weiterentwickeln und Fremdunternehmen haben keinen Anreiz, sich hier anzusiedeln. So gesehen, droht letztlich ein Teufelskreis. - So weit die Fakten.

Es stimmt: Was das Volksbegehren vorschlägt, kostet Geld. Wenn wir uns als Politiker aber zurücklehnen und sagen, wir haben kein Geld, wir können bei der Kinderbetreuung nicht noch mehr leisten, dann machen wir es uns zu einfach. Ganz abgesehen davon, dass es nicht in erster Linie um Betreuung, sondern vielmehr um Bildung und Förderung geht, ist dies eine Position, die dem Thema Kinderförderung und seiner Bedeutung schlicht und einfach nicht gerecht wird.

Es kann und darf nicht sein, dass wir uns aus der politischen Arbeit verabschieden und uns auf die Ausrede zurückziehen, das könnten wir nicht finanzieren. Dann gehen wir alle nach Hause und der Letzte macht das Licht aus. - Im Gegenteil: Politik erweist sich gerade darin, dass man auch in schwierigsten Zeiten Möglichkeiten dafür schafft, die Dinge, die man für erstrebenswert hält, auch umzusetzen.

Wir alle müssen begreifen, dass sich der Mangel an Nachwuchs und Fachkräften als entscheidender Faktor für unsere zukünftige Entwicklung abzeichnet.

Eine deutlich abnehmende Bevölkerungszahl erfordert auch neue Ausgaben der öffentlichen Hand für Anpassungsmaßnahmen. Selbst bei enger Finanzlage müssen deshalb Maßnahmen finanziert werden, um Belastungen durch Kindererziehung abzumildern. Darüber hinaus muss die Bildungsinfrastruktur ausgebaut und verbessert werden, um Wissenschaftler und Nachwuchskräfte stärker im Land zu halten bzw. zu gewinnen.

Ich höre aus diesem Volksbegehren eine ganz klare Botschaft an uns Politiker, die heißt: Sucht engagiert und kreativ nach Möglichkeiten, die Betreuung, die Förderung und die Bildung der Kinder zu verbessern! Kümmert euch um unsere Kinder!

(Beifall bei der SPD, bei der PDS und von den Vertrauenspersonen des Volksbegehrens „Für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt“ - Frau Wybrands, CDU: Ja! Kümmert e u c h um u n s e r e Kinder!)

Ihre Antwort sollte sich nicht fast ausschließlich darauf beschränken, auf finanzielle Erwägungen hinzuweisen und das Volksbegehren quasi abzuwimmeln.

Das mögen Sie anders sehen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien. Sie weisen immer darauf hin, dass wir in Sachsen-Anhalt bundesweit immer noch an der Spitze bei der Kinderbetreuung stehen. - Das ist gut so. Ich sage Ihnen aber: Wir dürfen nicht nachlassen. Wir müssen den Spitzenplatz behalten. In diesem wichtigen Politikfeld dürfen wir uns nicht an den unteren Plätzen orientieren.

Es muss allen deutlich und klar werden, dass es nicht nur um Betreuung, sondern um eine umfassende Förderung und Bildung der Kinder geht. Das ist eines der für die Entwicklung unseres Landes zentralen Themen: Verbesserung der Förderung der Kinder in der Krippe, im Kindergarten, in der Schule, bei der Berufsausbildung und in der Hochschule. Auf diesem zentralen Feld der Investitionen in die Köpfe setzt die Landesregierung die falschen Akzente. Das haben wir im Plenum schon oft diskutiert.

Jetzt will ich noch auf etwas hinweisen, das auch mehrfach gesagt wird. Sie haben immer wieder gefragt, was denn daran so schlimm sei, wenn sich Eltern zu Hause um ihre Kinder kümmern sollen. - So stellt sich die Frage aber gar nicht, meine Damen und Herren. Wir müssen uns vielmehr fragen, ob nicht auch Eltern einmal selbst eine schwierige Phase durchmachen, in der sie vielleicht nicht optimal für ihre Kinder sorgen können. Dann sollten wir ihnen zumindest ein Angebot machen und ihnen nicht sagen: Kümmert euch gefälligst selbst um eure Kinder.

Ich denke ganz konkret an Eltern und an allein erziehende Väter und Mütter, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Viele von denen werden möglicherweise bewusst oder unbewusst ihre eigene Mut- und Hilflosigkeit auf ihre Kinder übertragen.

(Zuruf von Frau Wybrands, CDU)