Protokoll der Sitzung vom 09.07.2004

Zunächst § 1 in veränderter Fassung. Wer stimmt zu? - Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Die PDS-Fraktion. Wer enthält sich der Stimme? - Die SPDFraktion. So beschlossen.

§ 2 in veränderter Fassung. Wer stimmt zu? - Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Wer enthält sich der Stimme? - Die Oppositionsfraktionen. So beschlossen.

Zu § 3 gibt es einen Änderungsantrag der SPD-Fraktion in der Drs. 4/1648. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? - Die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Die Koalitionsfraktionen. Abgelehnt.

Jetzt stimmen wir über den § 3 in veränderter Fassung entsprechend der Ausschussempfehlung ab. Wer stimmt zu? - Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Die Oppositionsfraktionen. So beschlossen.

Nun kommen wir zur Gesetzesüberschrift und zur Abstimmung über das Gesetz in seiner Gesamtheit. Wer stimmt zu? - Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Die PDS-Fraktion. Wer enthält sich der Stimme. - Die SPD-Fraktion. So beschlossen.

Damit ist das Gesetz beschlossen worden und der Tagesordnungspunkt 7 ist erledigt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung

Weiterführung des Landesprogramms gegen Gewalt an Kindern und Frauen

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/1674

Änderungsantrag der Fraktionen der FDP und der CDU - Drs. 4/1712

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1713

Die Einbringerin für die PDS-Fraktion ist die Abgeordnete Frau Ferchland. - Bitte sehr, Frau Ferchland.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vereinten Nationen, die Weltfrauenkonferenzen sowie EU-Institutionen haben seit dem Internationalen Jahr der Frau im Jahr 1975 in vielfältiger Form Gewalt gegen Frauen und Kinder als massive Menschenrechtsverletzung gewertet und zu deren umfassender Bekämpfung aufgerufen bzw. dazu von den Staaten einschlägige Programme gefordert und in hohem Maße gefördert.

Trotz der vielfältigen Anstrengungen und Appelle war lange keine spürbare Verminderung von häuslicher Gewalt erkennbar. Wie auch, denn gesellschaftlich und politisch wurde das Thema Gewalt gegen Frauen im Gegensatz zu anderen Gewaltphänomenen lange Zeit hingenommen. Gewalt schien untrennbar zum Verhältnis der Geschlechter zu gehören mit einer vermeintlich biologisch und gesellschaftlich determinierten Rollenzuweisung: Der Mann schlägt, die Frau wird geschlagen. Die Gesellschaft kann nichts tun, außer Frauenschutzhäuser und Schutzwohnungen bereitzustellen. Gewalt durch den Beziehungspartner wurde somit immer zum Schicksal von Frauen.

Die Frage nach Intervention und nach Recht stellte sich bei einer solchen Betrachtung nicht; denn gegen das Schicksal kann das Recht nichts bewirken. Es gibt keine Schuld, keine Täter, nur Schicksale, tragische Beziehungen und tragische Opfer.

Gewalt von Männern an Frauen im privaten Kontext ist neben der Gewalt von Erwachsenen an Kindern die größte homogene Menge an Gewaltkriminalität und damit das Sicherheitsrisiko Nummer eins. Zugleich ist sie die häufigste und schwerste Menschenrechtsverletzung und damit auch das Menschenrechtsthema Nummer eins.

Meine Damen und Herren! Ausgelöst durch das seit dem 1. Mai 1997 verabschiedete Gewaltschutzgesetz in Österreich, hat in den vergangenen Jahren eine breite Diskussion über die grundlegende Veränderung bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt stattgefunden. Es ging und es geht um einen Paradigmenwechsel, der zu einem neuen Verständnis von häuslicher Gewalt und zu einer anderen Konzeption der staatlichen Reaktion geführt hat.

In der Bundesrepublik wurde im Jahr 1999 ein Bundesaktionsplan vorgelegt, der an den verschiedenen Stellen der Bekämpfung von Gewalt ansetzte. Mit dem Gesetz zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung bei der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung hat die Bundesregierung deutlich gemacht, dass der, der schlägt, auch geht, und damit den Paradigmenwechsel eingeleitet. Meine Damen und Herren! Dahinter dürfen wir nicht zurückfallen.

(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie mich noch einmal die drei Komponenten des Paradigmenwechsels nennen.

Erstens. Die Bekämpfung häuslicher Gewalt ist nun eine öffentliche Angelegenheit. Schnelle, wirksame und vor allem täterorientierte Intervention ist von größter Bedeutung für den Opferschutz und für die Prävention. Das

Opfer erwartet eine täterorientierte Intervention. Im Bereich der Polizei bestand das Bedürfnis nach Rechtssicherheit, da oftmals Unsicherheit darüber herrschte, welche Interventionsform sinnvoll und angemessen war. Hierbei trafen sich die Erwartungen von Beamtinnen und Beamten und die der betroffenen Frauen.

Die Dynamik und die Gefährlichkeit häuslicher Gewalt wurde oft verkannt, wenn in Fällen von häuslicher Gewalt nur schlichtend und ermittelnd interveniert wurde und nicht wegen des Verdachts einer Straftat. Dem Täter wurde somit jahrzehntelang vermittelt, dass er nichts Unrechtes getan hat und dass er weiterhin tun und lassen kann, was er will. Dies wurde nun eindeutig durch die Veränderung im Sicherheits- und Ordnungsgesetz des Landes geregelt.

Zweitens. Die staatliche Reaktion erfolgt im Horizont der Gewaltbeziehung. Bis heute hat die polizeiliche Intervention einen künstlich begrenzten Zeithorizont durch die isolierte Betrachtung der gerade geschehenen Gewalttat. Es wurde immer eine Beruhigung der Situation abgewartet oder bewirkt. Allenfalls wurde einer unmittelbar drohenden weiteren Beeinträchtigung des Opfers dadurch begegnet, dass dem geraten wurde, zum eigenen Schutz die Wohnung zu verlassen. Der Peiniger bleib unbehelligt.

Die polizeiliche Aufgabe bestand darin, dafür Sorge zu tragen, dass endlich Ruhe eintritt. Das Ausblenden dieser Beziehung zwischen Opfer und Täter bedeutete doch nichts weiter als das Ausblenden des eigentlichen Problems; denn die einzelne Gewalttat kann, wenn sie im festen Rahmen einer Beziehung stattfindet, nur vor dem Hintergrund dieser Beziehung verstanden und sinnvoll bearbeitet werden.

Mit dem Einblenden der Gewaltbeziehung verändert sich nämlich auch der Zeithorizont. Nicht nur die nächsten Stunden, sondern die nächsten Monate werden als prekärer Zeitraum wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund genügt es eben nicht mehr, die akute Situation zu entschärfen, sondern es muss dem Opfer Zeit gegeben werden, um sich aus der Gewaltbeziehung zu befreien. Solange die Beziehung besteht, lebt das Opfer in ständiger Gefahr.

(Zustimmung bei der PDS)

Eine polizeiliche Intervention, die im Horizont der Gewaltbeziehung erfolgt, hat nur begrenzte Möglichkeiten. Sie kann im Alleingang die Gewaltbeziehung weder beenden noch angemessen sanktionieren. Deshalb bedarf es Interventionsstellen.

Die Interventionsstellen haben die Aufgabe, bedrohte und misshandelte Frauen und deren Kinder, die nicht in ein Frauenhaus flüchten wollen, die ihren Lebensbereich erhalten möchten und zur Erhöhung der Sicherheit in der Phase der Veränderung Beratung brauchen, aktiv zu unterstützen oder dafür zu sorgen, dass sie von einer Opfereinrichtung Unterstützung bekommen. Aber auch andere Personen, die von einem Familienmitglied bedroht oder misshandelt werden, zum Beispiel Töchter, Söhne, Mütter, Väter und Großeltern, werden mit einbezogen.

Das vorrangige Ziel der Intervention ist es, die Sicherheit für gewaltbetroffene Personen zu erhöhen. Dabei unterstützen die Interventionsstellen den Staat bei der Erfüllung seiner Sicherheitsfunktion im Familienbereich, indem sie zum Beispiel Sicherheitspläne und Gefährlich

keitsprognosen gemeinsam mit dem Gewaltopfer erstellen. Sie leisten Rechtsberatung, unterstützen beim Verfassen von Anträgen und Klagen, machen Prozessbegleitung, helfen bei der Bereitstellung einer rechtsanwaltlichen Vertretung oder einer Psychotherapeutin.

Alle involvierten Behörden und Einrichtungen werden in den Interventionsprozess einbezogen. Daher ist der Interventionsprozess stark strukturiert. Die Betroffenen werden so lange von den Interventionsstellen unterstützt, bis sie keiner Gewalt mehr ausgesetzt sind.

Drittens. Die staatliche Reaktion wurde normativ und richtet sich nun endlich gegen die Täter. Der deeskalierende Ansatz diente, wie bereits gesagt, dazu, das Opfer aus der Gefahrenzone zu befreien. Diese Vorgehensweise ließ jedoch immer den Täter aus dem Spiel. Man verzichtete darauf, dessen Verantwortung zu thematisieren. Nunmehr richtet sich das staatliche Handeln gegen die, von denen Gewalt ausgeht. Die Täter sollen zur Verantwortung gezogen werden und die Konsequenzen tragen. Es soll deutlich gemacht werden, dass Gewalt nicht toleriert wird.

Wir haben in Sachsen-Anhalt seit dem Jahr 1999 eine Männerberatungsstelle - Pro Mann, hier in Magdeburg. Diese Beratungsstelle arbeitet mit Männern. Wir haben jedoch immer noch nur eine. In einem Land, in dem jährlich 1 200 Frauen und 1 600 Kinder aus Todesangst in ein Frauenhaus fliehen, ist das eindeutig zu wenig.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Diesen Paradigmenwechsel hat dieses Hohe Haus erkannt und ein Landesprogramm zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder beschlossen. Ich möchte es noch einmal betonen, weil es sicherlich nicht allen klar zu sein scheint: Es war keine Verwaltung, keine Nichtregierungsorganisation, die diesen Paradigmenwechsel eingeleitet hat, sondern es war das Parlament, der Gesetzgeber.

Die Mitglieder dieses Landtages haben nämlich erkannt, dass es einer staatlichen Intervention bedarf, um häusliche Gewalt zu bekämpfen. Die Mitglieder des Landtages haben mit dem Beschluss, ein eigenes Programm und nicht ein Modellprojekt für Sachsen-Anhalt zu starten, deutlich gezeigt, dass prügelnde Männer in Sachsen-Anhalt eine rote Karte bekommen.

(Zustimmung bei der PDS - Zuruf von Herrn Tull- ner, CDU)

Damit waren wir federführend; denn Sachsen-Anhalt war das erste Bundesland, das diese Priorität festlegte.

Gewalt zu bekämpfen und insbesondere die Gewalt gegen Frauen und Kinder ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die immer wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden muss und an deren Bewältigung alle Kräfte der Gesellschaft beteiligt werden müssen. Dies sagte die Vertreterin des Landesfrauenrates während einer Anhörung im Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport am 24. Juni 2004. Sie forderte im Namen des Landesfrauenrates ein umfassendes Landespräventionskonzept für Sachsen-Anhalt; denn nach ihrer Auffassung sollten Interventions- und Präventionsmaßnahmen der unterschiedlichsten Institutionen und Träger gebündelt und koordiniert werden. Die praktische Umsetzung der Bündelung und Koordinierung könnte dann in der Verantwortung des Interventionsprojektes Halle liegen. Dem können wir uns nur anschließen.

Die im Laufe der Modellphase gemachten Erfahrungen und das beim Aufbau und Begleiten erworbene Wissen sollten nicht verloren gehen, sondern müssen landesweit Anwendung finden. Da nur drei Interventionsstellen personell dazu nicht in der Lage sein werden, könnte das Interventionsprojekt als Landeskoordinierung in Zusammenarbeit mit dem Landespräventionsrat hierbei tätig werden.

Meine Damen und Herren! Das Landesprogramm hat eine Breitenwirkung entwickelt, wie sie kein anderes Programm im Land je hatte. Nur die unterschiedlichsten Träger, seien es Ministerien, Verwaltungen, Polizei, Vereine, Gleichstellungsbeauftragte und, und, und, machten dies überhaupt möglich. So gab es nicht nur Weiterbildungen für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, es gab Sensibilisierungskurse für Pädagoginnen und Pädagogen in unterschiedlichen Bereichen vom Kindergarten bis zur Universität. Es gab Kurse für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Behörden wie Sozial- oder Jugendämter. Es wurden Seminare für Ärztinnen und Ärzte angeboten, ein Leitfaden für Erzieherinnen erstellt und, und, und.

Für die PDS ist der Auftrag des Landesprogramms noch nicht erledigt. Die entstandenen Strukturen in dieser Phase jetzt abzuwickeln, ohne über die Perspektiven der Antigewaltarbeit in Sachsen-Anhalt zu sprechen, halten wir für falsch und für fahrlässig.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Das entstandene Netzwerk muss landesweit weiterentwickelt und über eine Landesstelle koordiniert werden, damit der positive Weg, den Sachsen-Anhalt eingeschlagen hat, weiter gegangen werden kann.

Die begonnenen Fortbildungen und Schulungen für alle mit häuslicher Gewalt betroffenen Berufsgruppen müssen etabliert bzw. fortgeführt werden, um eine dauerhafte Veränderung in den Institutionen zu erreichen. Die Sensibilisierung für die Entwicklung neuer, effektiver Interventionsstrategien und ihre Implementierung ist nun einmal in einer Laufzeit von ein bis drei Jahren nicht mit einer dauerhaften Wirkung zu erreichen. Das sollte uns allen doch eigentlich klar sein.

In der bisherigen Arbeit zum Thema häusliche Gewalt konnten Bereiche und Themen wie das Gesundheitswesen, Prävention im Kindergarten und in der Schule noch nicht ausreichend einbezogen werden. Für eine erfolgreiche Veränderung muss eine gut funktionierende Kooperation und Vernetzung mit allen beteiligten Institutionen aufgebaut und dauerhaft gestaltet werden. Kooperation ist dabei als kontinuierlicher Prozess zu begreifen.

Meine Damen und Herren! Um jahrzehntelang erlebte Gewaltmuster zu durchbrechen, bedarf es eines langen Atems. Es bedarf auch der Kontinuität eines bestehenden Hilfenetzes. Lassen Sie es nicht zu, dass wir in Sachsen-Anhalt bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt auf dem halben Weg stehen bleiben. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ferchland. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Debatte eintreten, hat für die Landesregierung der Minister für Gesundheit und Soziales Herr Kley um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.