Danke, Frau Fischer. - Damit ist die Aktuelle Debatte beendet. Beschlüsse in der Sache werden nicht gefasst. Wir verlassen somit den Tagesordnungspunkt 2 und treten jetzt in die Mittagspause ein. Ich bitte Sie, pünktlich um 14 Uhr wieder hier zu sein.
Meine Damen und Herren! Es ist bereits 14.03 Uhr. Auch wenn der Saal nicht besonders gut gefüllt ist, ist die Beschlussfähigkeit ohnehin gegeben. Sie muss auch jetzt nicht überprüft werden. Es geht also weiter.
Es ist eine Debatte nach der Redezeitstruktur C, das heißt eine Debattendauer von 45 Minuten, vorgeschlagen worden.
Ich erteile nun gemäß der Geschäftsordnung der fragestellenden Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Gärtner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDS-Fraktion hat diese Große Anfrage zur Situation von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern gestellt, weil wir der Auffassung waren und sind, dass dies ein Thema ist, welches in der Öffentlichkeit und auch hier im Parlament bislang nur unterbeleuchtet beziehungsweise nur einseitig betrachtet worden ist. Es ist aber ein Thema, das vor Ort immer wieder eine Rolle spielt.
Oft begegnen mir auch in meinem Wahlkreis Sprüche wie: „Na ja, da wohnen die Russen“, „Ach, die wollen ja gar nicht Deutsch sprechen“ oder: „Ach, die wollen doch nur unter sich bleiben“. Das weist auf ein erstes Problem hin.
Die fehlende Akzeptanz von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern in der Bevölkerung ist deutlich. Das hat ganz unterschiedliche Gründe; die liegen bei verschiedenen Seiten. Dazu später mehr.
Die von der Landesregierung erstellte Antwort auf die Große Anfrage der PDS stellt eine gute Grundlage dar, um sich mit diesem Thema auseinander zu setzen, auch wenn die PDS-Fraktion an der einen oder anderen Stelle zu anderen Schlussfolgerungen kommt, als diese durch die Landesregierung in der Antwort gezogen werden.
Zu einigen Zahlen und Fakten aus der Antwort, die es sich lohnt hier noch einmal zu benennen. In dem Zeitraum von 1991 bis 2003 sind in Sachsen-Anhalt knapp 68 000 Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler aufgenommen worden. Der größte Teil stammt aus der ehemaligen UdSSR beziehungsweise aus den GUS-Staaten. Mehr als die Hälfte der Spätaussiedler waren Personen bis zum Alter von 30 Jahren; das stellt auch hohe Anforderungen an die Integrationsmaßnahmen, wie sich zeigen wird. Es ist aber zugleich eine große Chance für Sachsen-Anhalt. Am 31. Dezember 2003 hielten sich in Sachsen-Anhalt 22 799 Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler auf.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung des Verhältnisses von deutschen und nichtdeutschen Familienangehörigen. Vor zehn Jahren betrug der Anteil von nichtdeutschen Familienangehörigen 25 %. Im Jahr 2003 stellte sich der Anteil laut Antwort der Landesregierung wie folgt dar: 80,2 % der Aufgenommenen waren nichtdeutsche Ehegatten und Abkömmlinge sowie sonstige Familienangehörige. Auch das stellt neue Anforderungen an die Integrationsmaßnahmen.
Meine Damen und Herren! Ein großes Problem stellt auch der Wegzug von Spätaussiedlern dar, die nach Ablauf der gesetzlichen Frist von drei Jahren nach dem Wohnortzuweisungsgesetz Sachsen-Anhalt verlassen. Das hat, wie die Landesregierung richtig festgestellt hat, mit der schwierigen Arbeitsmarktsituation in SachsenAnhalt und auch mit familiären Bindungen zu tun.
Ziel sollte und muss es sein, dass wir es schaffen, diesen Menschen mit umfänglichen Integrationsmaßnahmen hier in Sachsen-Anhalt eine Perspektive zu geben. Dazu gehört insbesondere, aber nicht ausschließlich, dass Spätaussiedlern in umfänglicher Form Sprachkurse angeboten werden. Die Landesregierung hat die unterschiedlichen Formen der Sprachförderung in der Antwort auf unsere Anfrage aufgelistet. Das ist nachzulesen; das möchte ich an dieser Stelle nicht wiederholen.
Auf zwei Probleme will ich allerdings hinweisen: Die Landesregierung verweist darauf, dass es Probleme mit der sprachlichen Integration insbesondere deshalb gibt, weil innerhalb der Familien weiterhin die Muttersprache gesprochen wird. - Das ist richtig.
Sie verweist in diesem Zusammenhang aber auch darauf, dass die unzureichende sprachliche Integration auch dadurch bedingt ist, dass der Anteil der Arbeitslosen in dieser Bevölkerungsgruppe besonders hoch ist und deshalb der Kontakt nach außen gering ist. Das scheint mir das Hauptproblem zu sein, welches angegangen werden muss.
Das zweite Problem ist die Regelung im neuen Zuwanderungsgesetz hinsichtlich der Sprachkurse. Der sechsmonatige Integrationskurs umfasst 600 Stunden Sprachunterricht und 30 Stunden Orientierungskurs. Das be
deutet eine Verschlechterung gegenüber der bisherigen Rechtslage für den Personenkreis, der bisher einen Anspruch auf eine zehnmonatige Sprachförderung nach dem Garantiefonds hatte.
Meine Damen und Herren! Ich hatte bereits erwähnt, dass ein Großteil der Spätaussiedler Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind. Das stellt uns vor große Herausforderungen. Hier gibt es auch die größten Probleme; das ist nachvollziehbar. Die jungen Leute werden aus ihrer Umgebung herausgezogen, oftmals gegen ihren Willen, der Freundeskreis ist aufgebrochen, er ist weg und hier in Deutschland werden sie mit einer völlig neuen Welt konfrontiert. Das bringt natürlich Probleme mit sich.
Wichtig ist daher eine sensible Umgebung in Schule und Freizeit, die das zur Kenntnis nimmt und darauf reagiert. Gerade deshalb halte ich es für notwendig, dass an Schulen für diesen Personenkreis spezielle sozialpädagogische Betreuung angeboten wird. Ich halte es für wichtig, dass solche Jugendfreizeitprojekte wie die „Rolle 23“ in Magdeburg-Neustädter Feld oder Projekte in Halberstadt bzw. Hettstedt flächendeckend im Land etabliert werden. Sie sind ein ausgesprochen guter Beitrag, um gerade jugendliche Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler in Sachsen-Anhalt zu integrieren.
Ich sage ganz deutlich: Wir dürfen integrieren nicht so verstehen, dass diese jungen Leute ihre soziale und kulturelle Identität völlig aufgeben. Im Gegenteil, ich halte es für eine Bereicherung der kulturellen Landschaft.
Wer kennt sie nicht, die so genannte Russendisco? Anfangs war dies insbesondere ein Angebot für die aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Leute, mittlerweile ist es eine wirkliche Popwelle. Im Übrigen glaube ich, dass die so genannte Russendisco dafür gesorgt hat, dass Schranken gefallen sind und das Verständnis füreinander dadurch erhöht worden ist.
Auch sind Modellprojekte zur Integration verstärkt zu fördern. Das Beispiel in Bitterfeld/Wolfen zeigt, dass Erfolge zu verzeichnen sind. Deshalb ist es zu begrüßen, dass das Modellprojekt ein Nachfolgeprojekt „Kompetenzzentrum Zuwanderer“ gefunden hat. Auch hier sage ich: Solche Projekte sind flächendeckend im Land nötig.
In diesem Zusammenhang bin ich sehr gespannt, wie sich die Richtlinien des Ministeriums des Inneren zur Integration von Spätaussiedlern und bleibeberechtigten Ausländern inhaltlich gestalten werden. Ich hoffe, dass hierzu in Bälde im Ausschuss für Inneres berichtet wird.
Zusammenfassend ist seitens der PDS-Fraktion festzustellen: Unbestreitbar wurde für die ca. 68 000 Menschen, die das Land seit 1991 aufgenommen hat, nicht wenig getan. Auffallend ist allerdings, dass die Landesregierung offenbar Integration mit Sprachintegration gleichsetzt. Das ist unzureichend, das hatte ich bereits erwähnt. Integration ist notwendig, darf aber nicht zu einer Art Zwangsintegration führen, die jeglichen Anspruch auf Selbstbestimmtheit und Identität dieser Menschen ignoriert.
Der PDS geht es vor allem darum, den Bürgerinnen und Bürgern Lebensbedingungen zu ermöglichen, wie sie auch für Menschen gelten, die hier geboren wurden und aufgewachsen sind. Davon sind wir jedoch weit entfernt.
Wesentliche Komponenten der Integration sind neben der Sprache schulische und berufliche Qualifizierung, soziale Beratung und Begleitung. Vieles davon steckt
allerdings noch in den Kinderschuhen. Defizite aus der Sicht der PDS sind unter anderem: mangelhafte berufliche Integration, kaum vorhandene existenzsichernde Beschäftigung, Schul-, Studien- und Berufsabschlüsse, die in Deutschland nicht anerkannt sind, vorhandene Sprachbarrieren und die in diesem Zusammenhang zu geringen bzw. gekürzten Mittel für Sprachkurse, die Konzentration in Plattenbausiedlungen und folglich damit verbundene Isolationstendenzen, Perspektivlosigkeit insbesondere für jugendliche Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler und eine nicht ausreichende gesellschaftliche Integration.
Die PDS fordert ein Integrationskonzept für Aussiedlerinnen und Aussiedler in Sachsen-Anhalt, das nicht bei Einzelmaßnahmen stehen bleibt. Leider ist mit dem neuen Zuwanderungsgesetz ein Paradigmenwechsel nicht in Sicht. Verbesserungen werden aus unserer Sicht nicht eintreten, solange nicht Menschen mit ihren Rechten im Zentrum stehen, sondern einzig und allein die Verwertbarkeit von Menschen. - Vielen Dank
Vielen Dank, Herr Gärtner. - Für die Landesregierung spricht der Minister des Innern Herr Jeziorsky.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der Fraktion der PDS zur Situation von Spätaussiedlern im Land Sachsen-Anhalt lenkt das Augenmerk auf den bisher wenig beachteten Umstand, das dass Land nicht nur Abwanderungsregion ist, sondern auch Zuwanderung erfährt.
Nun sind seit 1991 - Herr Gärtner hat die Zahl genannt - 68 000 Spätaussiedler in Sachsen-Anhalt aufgenommen worden. Herkunftsländer sind Russland und Kasachstan. Die aufgenommenen Spätaussiedler werden entsprechend der Bevölkerungszahl auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt.
Allerdings sind die Zuzugszahlen von Spätaussiedlern seit Jahren rückläufig. Während Anfang der 90er-Jahre in Deutschland jährlich noch mehr als 200 000 Spätaussiedler aufgenommen worden sind, waren es 2003 nur noch 73 000, von denen Sachsen-Anhalt 3,9 %, also etwa 2 900 Personen aufgenommen hat.
Durch das neue Zuwanderungsgesetz ist die Aufnahmequote des Landes Sachsen-Anhalt auf 3,1 % gesenkt worden. Das hängt mit unserem Anteil an der gesamtdeutschen Bevölkerung zusammen. Für das nächste Jahr geht die Bundesregierung nur noch von etwa 55 000 aufzunehmenden Personen aus. Danach ist für das Land Sachsen-Anhalt im Jahr 2005 mit einer Größenordnung von etwa 1 700 aufzunehmenden Personen zu rechnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da die deutschen Sprachkenntnisse der einreisenden Spätaussiedler oftmals nicht zufrieden stellend sind, ist die Sprachförderung ein wesentliches Element der notwendigen Integration, ein wesentliches Instrument, aber nicht das alleinige.
Hier erfolgt durch das am 1. Januar 2005 in Kraft tretende Zuwanderungsgesetz eine Neukonzeption. Die bisherige Sprachförderung für Spätaussiedler erfolgte durch verschiedene Programme des Bundes. Neben der Bun
desagentur für Arbeit erfolgte die Vergabe der vom Bund bereitgestellten Mittel auch durch die Vertriebenenbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte. Ab dem 1. Januar 2005 ist ein Sprachkurs von sechsmonatiger Dauer vorgesehen. In diesen Kursen werden künftig integrationskursberechtigte Ausländer und Spätaussiedler gemeinsam unterrichtet.
So kann trotz zurückgehender Zugangszahlen von Spätaussiedlern voraussichtlich ein flächendeckendes Angebot an Sprachkursen im Land aufrechterhalten werden. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Integration von Spätaussiedlern und Ausländern nicht getrennt gesehen werden kann. Aufgrund der relativ geringen Migrantenzahl im Land ist ein sinnvolles und effektives Integrationsangebot nur möglich, wenn es sich unabhängig von der Staatsbürgerschaft an alle bleibeberechtigten Migranten wendet.
Das Zuwanderungsgesetz führt auch zu einer vereinfachten Verwaltungsstruktur, da künftig die alleinige Zuständigkeit für die Durchführung der Sprachkurse beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge liegt. Insoweit werden Landkreise und kreisfreie Städte von Aufgaben entlastet.
Die unzureichenden Sprachkenntnisse sind auch auf die veränderte Zusammensetzung der nach dem Bundesvertriebenengesetz Aufgenommenen zurückzuführen. Während vor ca. zehn Jahren noch 75 % aller aufgenommenen Spätaussiedler Deutsche waren und nur 25 % nichtdeutsche Familienangehörige von Spätaussiedlern, ist dieses Verhältnis heute genau umgekehrt. So lag der Anteil der deutschen Spätaussiedler an der Gesamtzahl der im Jahr 2003 in Sachsen-Anhalt Aufgenommenen bei etwa 20 %, während 80 % der Aufgenommenen nichtdeutsche Ehegatten und Abkömmlinge sowie sonstige Familienangehörige waren.
Wichtig ist daher die durch das Zuwanderungsgesetz eingeführte Regelung, nach der künftig mitreisende Familienangehörige vor ihrer Einreise nach Deutschland ausreichende Sprachkenntnisse durch einen Test nachweisen müssen. Schon in den Herkunftsländern werden die Spätaussiedler ihre Integrationsbereitschaft zeigen. Diese Regelung kann daher zu einer verbesserten Integration wesentlich beitragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein wichtiges Aufgabengebiet in diesem Zusammenhag ist auch die Integration der schulpflichtigen Kinder von Spätaussiedlern. Schon bei der Einschulung in die Grundschule wird darauf geachtet, dass die Schüler eine möglichst optimale Sprachförderung erhalten. Auch älteren Schülern steht ein bedarfsgerechtes Angebot an Deutschintensivkursen zur Verfügung. Diese Sprachförderung für Spätaussiedlerkinder ist ein bedeutender Integrationsbeitrag des Landes, der nicht durch die Sprachförderung des Bundes abgedeckt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein weiterer wesentlicher Baustein der Integration der Spätaussiedler ist ein Beratungsangebot, das den neuen Mitbürgern hilft, im deutschen Alltag Fuß zu fassen. Durch von Bund und Land finanzierte Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände ist ein engmaschiges Beratungsnetz im Land geknüpft worden. Alle nach Sachsen-Anhalt kommenden Spätaussiedler können, soweit sie eigene Integrationsanstrengungen unternehmen, verschiedene Beratungs- und Betreuungsangebote der öffentlichen Hand sowie der Kirchen und weiterer freier Träger in Anspruch nehmen.
Darüber hinaus fördert insbesondere der Bund Projekte, die eine Eingliederung der Spätaussiedler in die deutsche Gesellschaft erleichtern sollen. In diese Projekte sind oft auch Kommunen und Land aktiv eingebunden. Ein Beispiel für diese Zusammenarbeit ist ein erfolgreiches Modellprojekt im Landkreis Bitterfeld, wo Bund, Arbeitsverwaltung, Land und Kommune zusammengewirkt haben und durch den Abschluss von Eingliederungsverträgen mit den Spätaussiedlern beispielsweise überdurchschnittliche Erfolge bei der Vermittlung in Arbeit erzielt werden konnten.