Das ist eigentlich - nicht nur für mich - eine Zwangsenteignung der Kommunen gewesen. Genau so muss es wohl in den 50er-Jahren gewesen sein, als man die Umschreibung des Stadt- und Gemeindeeigentums in Eigentum des Volkes vornahm.
- Aber es ist in der Fläche so aufgenommen worden, Herr Dr. Püchel. - Eine freiwillige Phase von zwei Jahren sollte es geben, in der sich die Kommunen finden sollten. Wer sich nach diesen zwei Jahren nicht fand, sollte nach dem Willen der Landesregierung zugeordnet werden.
Ich frage Sie: Was ist das für eine Freiwilligkeit, wenn am Ende dieser Freiwilligkeitsphase ausschließlich der Zwang steht? Und ich frage Sie auch: Welche Freiwilligkeit herrschte denn in den Suburbanisierungsräumen der Oberzentren? - Antwort: Keine.
Auch die Argumentationskrücke, die mit dem Gutachten von Herrn Professor Turowski und Herrn Professor Greiving über die Verflechtungsbeziehungen im StadtUmland-Bereich im Auftrag der damaligen Landesregierung im letzten Jahr erarbeitet wurde, brachte die damalige Regierung in der Argumentation zu den Zwangseingemeindungen in diesem Bereich kein Stück weiter.
Letztlich eine total verfahrene Karre. Dieses Konstrukt aus Leitbild und Vorschaltgesetz haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der damaligen Regierung, den Menschen im Lande als Reform zu verkaufen versucht.
Welche Konsequenzen dieser Irrweg im kommunalen Bereich nach sich gezogen hat, will ich an einigen Beispielen erläutern.
Erstens. Soweit die Kommunen unter dem Vereinigungsdruck nicht selbständig einige Investitionen zurückgestellt haben, weil sie nicht wussten, woran sie über
haupt noch waren, wurden die Haushalte der Kommunen per Order über die Kommunalaufsichtsbehörden auf Investitionen durchgeforstet, die einer kommunalen Gebietsreform entgegenstehen könnten. Damit wurden praktisch alle genehmigungsfreien Haushalte genehmigungspflichtige Haushalte.
(Herr Dr. Püchel, SPD: Das gab es in der Kreis- gebietsreform schon mal, 1994! Genau das Glei- che!)
- Herr Dr. Püchel, ich möchte zitieren, und zwar aus diesen Genehmigungen, die per Order durch die Kommunalaufsichtsbehörden in die Haushaltsgenehmigung geschrieben worden sind. Ich zitiere:
„Gemäß § 98 Abs. 5 GO LSA, zuletzt geändert durch Abschnitt 17 des Ersten Vorschaltgesetzes zur Kommunalreform, ist der Finanzplan genehmigungspflichtig. Da in dem Finanzplan keine Investitionen vorgesehen sind, die eine Gemeindeneugliederung erschweren, kann eine Genehmigung erteilt werden.“
Also alle Haushalte der Städte und Gemeinden in Sachsen-Anhalt wurden mit dem Haushaltsjahr 2000 genehmigungspflichtig. Das ist wirklich ein dickes Ding.
Ich denke, Ihnen ist nicht bewusst gewesen, welchen entwicklungspolitischen und wirtschaftlichen Schaden derartige Festlegungen nach sich ziehen. Wenn Ihnen das bewusst gewesen wäre, dann hätten Sie es vielleicht doch nicht gemacht.
Zweitens. Glauben Sie wirklich, dass die Größe von Gebietskörperschaften der primäre Parameter ist, an dem Effizienz gemessen wird? Wenn das so wäre, müssten Städte wie Halle, Magdeburg und Dessau schon heute verwaltungsmäßig viel effizienter arbeiten als Städte mit 2 000 bis 5 000 Einwohnern. Aber es ist genau anders herum.
(Herr Dr. Polte, SPD: Wieso denn? Wir haben doch ordentlich regiert und verwaltet! Erzählt doch nicht solchen Käse! - Unruhe)
- Ihre Unruhe verstehe ich. - Wer wirklich glaubt, dass die Effizienz von Verwaltungen linear oder exponentiell mit der Zahl der Einwohner in der Fläche steigt, der irrt gewaltig. Die Kernprobleme einer Stadt oder einer Gemeinde auf wirtschaftlichem, infrastrukturellem, kulturellem oder sozialem Gebiet werden nicht durch Eingemeindungen von umliegenden Landgemeinden gelöst.
(Zustimmung bei der CDU - Frau Kachel, SPD: Was ist mit der Verwaltungsgemeinschaft? - Zu- ruf von Herrn Dr. Polte, SPD - Unruhe)
- Ich will Ihnen, weil Sie jetzt unruhig geworden sind, ein Erlebnis erzählen, das ich in einer kleinen Gemeinde im Saalkreis mit 1 100 Einwohnern hatte. Dahin kamen Ver
treter der Landesregierung und erzählten blumig und in Freimütigkeit, dass alles schöner und besser und dass alles viel leistungsfähiger wird, wenn sich kleine Gemeinden zu großen Gemeinden zusammentun.
Da stand ein Bürger auf und sagt in der Mundart des Saalkreises: Mann, solche Schönredner wie du waren 1952 schon bei uns und haben erzählt, macht alles größer, macht alles besser, macht Typ 1, macht Typ 2, macht Typ 3. Und was war das Ende? - Das Ende war 1989, das Ende der DDR.
(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von der Regierungsbank - Herr Tullner, CDU: Bravo! - Zurufe von Herrn Dr. Pü- chel, SPD, und von Herrn Felke, SPD - Unruhe)
Für mich als Kommunalpolitiker bilden zwei Grundsäulen das Fundament für eine effektive kommunale Dienstleistung in und mit einer gesunden Verwaltung: Das ist erstens eine dynamische, an den Anforderungen an eine kommunale Dienstleistung und den notwendigen Aufgaben ausgerichtete hinreichende kommunale Verwaltungsstruktur
Bei dem zweiten Punkt haben Sie bereits im Jahr 1996 mit dem damaligen Haushaltsbegleitgesetz, nachdem Sie 1995 das FAG eingeführt hatten, begonnen, dazu beizutragen, dass genau diese Fundamentensäule Jahr für Jahr ausgehöhlt worden ist. Wenn hier viele davon gesprochen haben, dass die Finanznot als Zuchtmeister oder sonst was mit fungieren könnte, dann kann ich nur sagen: Mein Gott, woher kommt denn die Finanznot? - Aus den acht Jahren, in denen Sie die Höhe der Kommunalfinanzen Jahr für Jahr gekürzt haben.
Wir, meine Damen und Herren, werden uns bei einem solch sensiblen Thema wie einer Gebiets-, Kommunal- und Verwaltungsreform nicht unter Druck setzen lassen. Wir werden natürlich auch nicht andere unter Druck setzen. Das mag nach Ihrer Auffassung falsch sein. Nach unserer Auffassung ist es dies nicht.
Im Übrigen denke ich, dass Sie die Wahlen im April nicht nur verloren haben, weil die Menschen Sie für die schlechte wirtschaftliche Lage im Land verantwortlich gemacht haben, sondern Sie haben die Wahlen unter kommunalen Gesichtspunkten genau wegen der Entwicklung verloren - ich habe sie gerade beschrieben -, die Sie in den letzten zwei Jahren hier hingelegt haben.
Ich möchte nur einen Satz des Innenministers Klaus Jeziorsky aus der letzten Landtagssitzung aufgreifen. Der Innenminister hat gesagt: Ich bin froh; heute bin ich richtig froh. - Ich muss Ihnen sagen: Ich bin auch froh.
Ich denke, mit mir sind heute Hunderte von Kommunalpolitikern in diesem Land darüber froh, dass der falsche Weg einer Kommunal- und Gebietsreform am heutigen Tag ein Ende hat.
Wir werden in den nächsten Jahren die Grundlagen für ein leistungsfähiges und kommunales Sachsen-Anhalt legen. Weil dieses Thema so sensibel und so zerbrechlich ist - ich gestatte mir, den von unserem Kollegen Dr. Polte geprägten Begriff „wie ein rohes Ei“ zu gebrauchen -, werden wir dieses Thema auch wie ein rohes Ei behandeln. Weil wir der Meinung sind, dass nicht die Effizienz in erster Linie Primat hat, sondern die Menschen in den Städten und Dörfern und die in den letzten zwölf Jahren entstandenen Verflechtungsbeziehungen im wirtschaftlichen - -
Herr Madl, Sie hätten noch die Möglichkeit, auf eine Frage von Herrn Abgeordneten Dr. Polte zu antworten. Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das mache ich. Noch einen Satz. - Für uns ist es viel wichtiger, dass auch die gewachsenen Verflechtungsbeziehungen der letzten zwölf Jahre im wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und infrastrukturellen Bereich nicht aufs Spiel gesetzt werden. Wir fordern auch Sie als Opposition auf, positiv an dieser Aufgabe mitzuwirken.
- Ein Verlassen der Sitzung - das sei mir hier erlaubt zu sagen, weil das Lachen gerade aus der PDS-Ecke kommt -, nur weil man in der Sache anderer Meinung ist, ist und bleibt ein Zeichen der Schwäche.
(Zustimmung bei der CDU - Frau Bull, PDS: Das ist doch gar nicht wahr! - Frau Dr. Sitte, PDS: Sie hören nicht einmal die Verbände an und bieten uns Mitarbeit an! Das ist ja lächerlich!)
Herr Abgeordneter Madl, Sie hätten die Möglichkeit, zwei Fragen zu beantworten. Wären Sie dazu bereit?