Wenn man heute versuchen würde, jemandem auf der Straße zu erklären, worüber wir uns hauptsächlich in den letzten Wochen gestritten haben - er würde es nicht verstehen oder er würde es nicht verstehen wollen. Ich glaube, damit können wir leben, vor allen Dingen deswegen, weil wir insgesamt dann doch - das gesamte Haus, alle vier Fraktionen - einen Kompromiss gefunden haben. Weil das so ist, möchte ich auf diese Dinge, sprich die Ernennungsrechte, gar nicht weiter eingehen.
Ich möchte meine Ausführungen mit einer Reaktion auf die Rede des Präsidenten gestern bei der zweiten Lesung beginnen. Wenn man diese Rede in einer gewissen Art und Weise interpretiert, dann konnte bei dem einen oder anderen der Eindruck entstehen, dass mit der gemeinsamen Einbringung dieser Verfassungsänderung und auch mit diesem Kompromiss die PDS eine Entscheidung von 1992 aufheben würde, nämlich die, damals gegen die Verfassung zu stimmen.
Ich sage ganz deutlich, diese Frage wollen wir mit diesem Kompromiss nicht beantworten. Dieser Kompromiss hat einen anderen Gegenstand. Ich werde diese Frage insgesamt offen lassen. Ich will nur auf drei Dinge hinweisen, die vor sage und schreibe zwölf Jahren - 1992 - bei meinen Kollegen der PDS-Fraktion dazu geführt haben, dieser Verfassung nicht zuzustimmen.
Das war unsere große Skepsis gegenüber der Selbstentmachtung von Politik zugunsten der Marktregularien.
Das war unser Wunsch nach stärkerer Verankerung plebiszitärer Elemente als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie und das war der Wunsch nach der stärkeren Brücksichtung der ostdeutschen Verfassungsdiskussion von 1989 bis 1992. Das waren die drei wesentlichen Motive, die damals zum Abstimmungsverhalten der PDS geführt haben.
Schauen wir uns die Situation heute, im Jahr 2004, an: Wir haben eine soziale und ökonomische Situation in diesem Land Sachsen-Anhalt, die nach wie vor sehr wohl Anlass zur Kritik bietet. Wir haben es - so zumindest der Präsident der EKD - mit einer Erosion des Ver
trauens in politische Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland zu tun. Und wir haben es mit einer OstWest-Diskussionslage zu tun, die jeder von uns gerne im „Spiegel“ und im „Focus“ nachlesen kann, die natürlich auch darauf hinweist, dass es in diesem Bereich noch viele Probleme gibt.
Aber wir leben - und das ist gut so - in einer pluralen Gesellschaft. In einer pluralen Gesellschaft entscheidet über die Legitimation das Verfahren. Diese Verfassung ist 1992 in einem demokratischen Verfahren mit einer ausreichenden und überwältigenden Mehrheit zustande gekommen. Weil das 1992 so gewesen ist, ist diese Verfassung auch die Verfassung der PDS. Weil dieses Verfahren damals so demokratisch ablief, sind auch wir diejenigen, die nach dieser Verfassung zu leben haben. Obwohl wir ihr damals nicht zugestimmt haben, ist es heute auch unsere Verfassung.
Nach zwölf Jahren gibt es auch so etwas wie die normative Dimension des Faktischen. Wir haben mit dieser Verfassung gelebt, und wir sind an vielen Stellen sehr wohl bereit, sie auch als unsere Verfassung zu verteidigen.
Weil aber in einer pluralen Gesellschaft das Verfahren über die Akzeptanz und die Qualität der politisch Entscheidung den Ausschlag gibt, ist gerade für uns wichtig gewesen, dass die Dinge, die in dieser Verfassung geregelt werden - und sie betreffen Verfahrensfragen der politischen Entscheidungsfindung -, im Kompromiss und damit letztlich im Konsens zustande kommen.
Dies war letztlich das Motiv für uns, auf weiterreichende Forderungen, die wir sehr wohl gern in diese Verfassungsdiskussion eingebracht hätten, zu verzichten. Denn an der Stelle war uns der gemeinsame Konsens der im Landtag vertretenen Parteien wichtiger als unsere weitergehenden Forderungen. Deswegen haben wir uns zu diesem Kompromiss entschlossen und deswegen stehen wir auch heute dazu.
Wir stehen auch heute dazu, weil wir sehr wohl denken, dass zumindest ein Schritt in eine Richtung getan worden ist, die wir politisch sehr wohl vertreten, und zwar der einer wenn auch nur relativen Stärkung der plebiszitären Elemente, nicht im Gegensatz zur repräsentativen Demokratie in dieser Bundesrepublik, sondern als Ergänzung, als Stärkung derselben. Weil das sehr wohl mit der Verfassungsänderung, die heute vorliegt, in Übereinstimmung zu bringen ist, werden wir dieser Verfassungsänderung heute zustimmen.
Und weil wir glauben, mit diesem Konsens unter den im Landtag vertretenen Parteien auch ein Signal in das Land auszusenden, das von einer Stärkung der politischen Institutionen und von einer Stärkung der demokratischen Entscheidungsprozesse ausgeht, ist uns diese gemeinsame Entscheidung so wichtig.
Wir haben mit dieser gemeinsamen Entscheidung die Möglichkeit, ein Signal in das Land Sachsen-Anhalt auszusenden, das wesentlich besser ist und wesentlich mehr Mut machen wird als zum Beispiel die am gestrigen und vorgestrigen Tag im Sächsischen Landtag getroffenen Entscheidungen. Das ist es wert, auch dann dafür zu kämpfen, auch dann dafür zu streiten, wenn man in vielen anderen Fragen unterschiedlicher und anderer Meinung ist. - Danke.
Vielen Dank, Herr Gallert. - Meine Damen und Herren! Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, begrüßen Sie bitte mit mir Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Walbeck.
Nun bitte ich für die FDP-Fraktion den Abgeordneten Herrn Wolpert, seinen Beitrag zu leisten. Bitte sehr, Herr Wolpert.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie aus den Beiträgen meiner Vorredner und auch im Rahmen der ersten und der zweiten Lesung des Gesetzentwurfes deutlich geworden ist, ist die Änderung einer Verfassung keine alltägliche Sache. Dessen sollten wir uns bewusst sein, wenn wir heute über die erste Verfassungsänderung seit mehr als zwölf Jahren zu entscheiden haben.
Landtagspräsident Herr Professor Spotka hat am 18. Juni 2004 bereits zutreffend festgestellt, dass Verfassungen im Regelfall Kompromisscharakter besäßen und dass zu ihrer Verabschiedung und ihrer Änderung ein breiter Konsens in Gesellschaft und Politik erforderlich sei.
Man kann sicherlich festhalten, dass unsere Landesverfassung seit ihrer Verabschiedung im Jahr 1992 auf große Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung gestoßen ist und als gesellschaftlich fest verankert zu bewerten ist. Daher muss es unser Ziel sein, dazu beizutragen, die nun vorliegenden Änderungen, die wir aller Voraussicht nach heute beschließen werden, ebenso fest in der Gesellschaft zu verankern.
Meine Damen und Herren! Ich spreche allen Fraktionen dieses Hauses meinen Dank dafür aus, dass nach langen, eingehenden, manchmal auch zähen Diskussionen der nun vorliegende Kompromissvorschlag zustande gekommen und das Projekt Verfassungsänderung damit geglückt ist. Ich denke, ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass der Weg zu diesem Kompromiss nicht einfach war. Daher ist es aus der Sicht unserer Fraktion umso höher zu bewerten, dass nach wie vor alle vier Fraktionen sozusagen an Bord sind. Meines Erachtens ist es ein positives Zeichen nach innen und nach außen, dass uns dies gelungen ist.
Bemerkenswert ist an dieser Stelle auch, dass diese Änderungsvorschläge sogar von einer breiteren Mehrheit getragen werden als die Verabschiedung der Verfassung im Jahr 1992 selbst. Erfreulicherweise ist die Fraktion der PDS ebenfalls Antragsteller dieses Gesetzentwurfes und des Änderungsantrages.
Betrachtet man als unbeteiligter Beobachter lediglich die Anzahl der vorliegenden Änderungsvorschläge, könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass uns trotz des zähen Ringens um einen Kompromiss nicht gerade der große Wurf gelungen sei. Man kann es aber auch anders sehen: Die geringe Anzahl der Änderungsvorschläge beweist, dass unsere Landesverfassung seit nunmehr zwölf Jahren Qualität und Kontinuität gewährleistet. Es ist daher zu wünschen und zu hoffen, dass sich auch die am heutigen Tage zu verabschiedenden Änderungen in dieser Weise bewähren und sich nachhaltig als die richtigen Entscheidungen für das Land SachsenAnhalt herausstellen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, auch wenn es meine Vorredner schon mehrfach getan haben, aus unserer Sicht auf die einzelnen Veränderungen eingehen.
Die erste wesentliche Änderung besteht in der Verlängerung der Wahlperiode. Die Vor- und Nachteile sind bereits hinreichend diskutiert worden, erwähnt sei aber noch einmal, dass insbesondere folgende Gründen dafür sprechen:
ein sachbezogenes Arbeiten über einen längeren Zeitraum, da das letzte Jahr einer Wahlperiode in der Regel unter dem Blickwinkel des Wahlkampfes steht,
im Verbund der so genannten Initiative Mitteldeutschland sind wir der Nachzügler; denn Thüringen und Sachsen wählen bereits für fünf Jahre.
Die zweite wesentliche Änderung ist die Veränderung der Quoren bei plebiszitären Elementen. Diese Anpassung an die Bevölkerungsentwicklung Sachsen-Anhalts begrüßen wir ausdrücklich. Die FDP ist seit langem ein vehementer Vertreter der Stärkung von Plebisziten.
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass wir uns sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene als einzige Partei bzw. Fraktion konsequent dafür eingesetzt haben, dass Artikel 23 des Grundgesetzes dahin gehend geändert wird, dass ein Volksentscheid zur EUVerfassung möglich wird. Erst Mitte der Woche hat die Spitze der Bundestagsfraktion erneut Gesprächsbereitschaft bezüglich einer Änderung des Grundgesetzes signalisiert, nachdem die Bundesregierung nun endlich den Schritt wagen möchte, Volksentscheide auf Bundesebene zu ermöglichen.
Ich bin der Auffassung, dass das System der repräsentativen Demokratie durch eine derartige Änderung gestärkt wird und nicht, wie oft behauptet, in das beispielhafte Chaos gestützt würde.
Unabhängig von allen politischen Differenzen - ich denke dabei an die Debatte zur Kinderbetreuung - sind plebiszitäre Elemente wichtig und unverzichtbar. Sie stehen für die Nähe zwischen der Politik und den Bürgern, die gerade in Sachsen-Anhalt seit dem Jahr 1992 mehrfach durch Volksinitiativen erprobt wurde. Wie bereits erwähnt, unterstützen wir daher die Anpassung der Quoren.
Meine Damen und Herren! Abschließend möchte ich auf die Änderungsvorschläge zu den Ernennungsrechten des Landtagspräsidenten und auf die Verankerung von Wahlvorgängen durch den Landtag in der Verfassung eingehen. Sachlich ist dazu wohl alles gesagt. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Beteiligten für ihre Kompromissbereitschaft bedanken. Ich denke, wir haben einen sinnvollen Kompromiss gefunden, der immer noch dem Anspruch gerecht wird, die Rechte des Parlaments zu stärken.
Meine Damen und Herren! Ich bitte um breite Zustimmung zu der vorliegenden Beschlussempfehlung des Ältestenrates. Ich verbinde diese Bitte mit der Hoffnung, dass wir auch künftig einen fortwährenden leben
Vielen Dank, Herr Wolpert. - Meine Damen und Herren! Die Debatte ist damit abgeschlossen und wir treten in das Abstimmungsverfahren ein. Ich frage zunächst, ob es noch Änderungswünsche gibt? - Das ist nicht der Fall.
Wir stimmen damit zunächst über die selbständigen Bestimmungen ab. Findet es Ihre Zustimmung, dass wir über die selbständigen Bestimmungen in ihrer Gesamtheit abstimmen können? - Das ist der Fall. Wer den selbständigen Bestimmungen seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Keine Gegenstimme und keine Enthaltung. Damit ist den selbständigen Bestimmungen einstimmig zugestimmt worden.
Wir stimmen nun über die Gesetzesüberschrift ab. Sie lautet: „Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt“. Wer dieser Überschrift seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Das ist ebenfalls einstimmig so beschlossen worden.
Nun stimmen wir über das Gesetz in seiner Gesamtheit ab. Gemäß Artikel 78 Abs. 2 der Landesverfassung bedürfen verfassungsändernde Gesetze einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages. § 75 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Landtages schreibt dazu vor, durch Namensaufruf abzustimmen, wenn ein Beschluss einer Mehrheit bedarf, die nach der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Landtages zu berechnen ist.
Wir treten nun in diesen Namensaufruf ein. Die Schriftführerinnen Frau Schmidt und Frau Röder werden den Namensaufruf durchführen. Ich bitte zunächst Frau Schmidt, die Namen aufzurufen. Ich bitte die Aufgerufenen laut und deutlich mit Ja oder mit Nein oder mit Enthaltung zu antworten. Bitte sehr, Frau Schmidt.
Meine Damen und Herren! Zur Auszählung der Stimmen unterbreche ich die Sitzung für einen kurzen Moment. Ich bitte Sie, im Plenarsaal und nach Möglichkeit auf Ihren Plätzen zu bleiben. Wir zählen sofort aus.
Die Abstimmung durch Namensaufruf hat folgendes Ergebnis erbracht: Mit Ja haben 106 von 106 anwesenden Abgeordneten gestimmt.