Nach intensiver Diskussion über die Schulgesetzentwürfe, die in der gemeinsamen Behandlung Berücksichtigung fanden, legen wir ein Gesetz zur weiteren Erhö
Herr Dr. Volk, ich habe eine ähnliche Frage schon im Ausschuss gestellt. Ich will Ihnen aber noch einmal die Gelegenheit geben, der Öffentlichkeit mitzuteilen, wie es bei den Liberalen in den letzten Jahren zu einem Meinungswechsel gekommen ist. Es geht um die Frage des Zugangs zum Gymnasium. Liberale und Sozialdemokraten, etwa Willy Brandt, haben in den 70er-Jahren dafür gesorgt, dass in Deutschland der Zugang zur Bildung frei ist.
Wir haben dieses antiquierte dreigliedrige Schulsystem dadurch attraktiver gemacht, dass wir bei der Wahl des Bildungsgangs den Elternwillen haben gelten lassen. Ich finde, das ist auch heute noch eine große Errungenschaft. Wir standen dabei mit Ihnen, mit den Liberalen, auf einer Seite.
Meine Frage lautet nun: Wie verträgt sich die Geschichte und auch Ihre Forderung, nur so viel Staat wie notwendig zuzulassen, damit, dass Sie jetzt dem Staat eine Möglichkeit einräumen, an dieser Stelle Einfluss zu nehmen, an einer Stelle, wo es um den Zugang zur Bildung geht? - Ich muss sagen, dass ich von der Haltung insbesondere der Liberalen sehr enttäuscht bin. Teilen Sie meine Ansicht?
Herr Reck, wir haben schon im Ausschuss die gleiche Thematik sehr strittig diskutiert. Ich denke nicht, dass der Elternwille an dieser Stelle letztlich ausgehebelt wird.
Es geht darum, eine Eignungsfeststellung für einen Bildungsgang zu formulieren. Dieser Eignungsfeststellung wird letztlich sicherlich das Primat eingeräumt. Aber die Qualität der Eignungsfeststellung wird in der Konsequenz maßgeblich die Elternentscheidung beeinflussen. Denn welche Eltern werden gegen eine qualifizierte, pädagogisch begründete Entscheidung oder - ich sage es einmal so - gegen einen Vorschlag eine Entscheidung treffen, die ihrem Kind nicht nützt? Ein völlig freier Elternwille, den Sie postulieren, bedeutet letztlich in der Ausführung, dass Eltern gegen das Leistungsvermögen ihres Kindes entscheiden und - wir sind beim gegliederten Schulsystem - einen Bildungsgang wählen, der für das Kind nicht geeignet ist.
Inhalt des gegliederten Schulsystems ist es ja, eine geeignete Förderung für alle Kinder im gewählten Bildungsgang zu garantieren, und zwar unabhängig davon, ob das im Gymnasium, in der Sekundarschule oder in der Hauptschule ist.
Vielen Dank, Herr Dr. Volk. - Nun hören wir den Beitrag der SPD-Fraktion. Ich erteile Frau Mittendorf das Wort. Bitte, Frau Mittendorf, sprechen Sie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPDLandtagsfraktion wird die vorliegende Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ablehnen.
Wir tun dies, obwohl sich im Beschlusstext eine Reihe von Regelungsvorschlägen und Ideen aus unserem Gesetzentwurf wiederfindet.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass es im Rahmen der Ausschussberatungen gelungen ist, bei verschiedenen Punkten durchaus eine Synthese zwischen unserem Gesetzentwurf und dem der Landesregierung herzustellen. Dabei handelt es sich um die bereits genannten Punkte. Es geht um die Pflicht der Schule zur individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern, vor allen Dingen wenn sie zwischen Bildungsgängen und Schulformen wechseln, um stärkere Kooperationen, um Qualitätssicherung und Evaluation, um größere Eigenständigkeit, Eigenverantwortung und die Lehrerfort- und -weiterbildung. Das alles ist positiv. Es zeigt, meine Damen und Herren, dass es durchaus möglich ist, trotz grundlegend unterschiedlicher Auffassungen punktuell zu gemeinsamen Ansätzen zu kommen.
In einem für uns ganz entscheidenden Punkt - dieser ist hier schon zur Sprache gekommen - ist es aber nicht gelungen, die Auffassungen einander näher zu bringen bzw. zu einer tatsächlichen Kompromissformel zu kommen. Der Gesetzentwurf der Landesregierung sieht vor, der Schullaufbahnempfehlung nach Klasse 4 den empfehlenden Charakter zu nehmen und sie in den Status der Verbindlichkeit zu überführen. Das heißt, dass Schülerinnen und Schüler, die nach dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes keine Schullaufbahnempfehlung für das Gymnasium erhalten, jedoch trotzdem das Gymnasium besuchen wollen, sich einer so genannten Eignungsfeststellung - vorsichtig mit diesem Wort, meine Damen und Herren; das ist nur eine andere Bezeichnung für einen Test - unterziehen müssen. Diese vorgesehene Zugangsbeschränkung für das Gymnasium lehnen wir aus mehreren Gründen ab:
Erstens. Die internationale Grundschulleseuntersuchung Iglu hat in diesem Jahr erneut die Prognoseunsicherheit von Schullaufbahnempfehlungen nachgewiesen. Die Befunde zeigen, dass sich die Schullaufbahnempfehlung nur zu einem Teil an der Leistungsfähigkeit des Kindes ausrichtet. So spielt in den untersuchten Ländern, auch in Baden-Württemberg und in Bayern, dessen Regelungen Sachsen-Anhalt nämlich jetzt übernimmt, unter anderem der sozialökonomische Status des Elternhauses eine eben nicht zu vernachlässigende Rolle.
Zweitens. Untersuchungen belegen, dass die erteilten Noten die tatsächliche Fachleistung oft nicht widerspiegeln und dass die Noten oft nicht miteinander vergleichbar sind, das heißt, dass ein und derselbe Schüler mit seinen Leistungen an der einen Schule eine Schullaufbahnempfehlung für das Gymnasium erhalten kann, an der anderen Schule aber nicht. Im Extremfall variiert die Entscheidung schon zwischen den Lehrern einer Schule.
Drittens. Der Elternwille wird in jenen Fällen ignoriert, in denen der Elternwunsch und die Schullaufbahnempfehlung nicht übereinstimmen. Das überrascht schon; denn bei den Debatten um die Grundschule mit festen Öffnungszeiten haben gerade CDU und FDP hier in diesem Haus den Elternwillen über alles gestellt
Die jetzt angestrebte Regelung, meine Damen und Herren, ist damit nicht nur inkonsequent, sondern auch scheinheilig.
Viertens. Nicht neu und in der einschlägigen Literatur nachzulesen ist, dass Deutschland in Zukunft mehr akademisch ausgebildete Menschen braucht, um den Bedarf an Fachkräften in der Arbeitswelt der Zukunft zu decken. Dies ist nur zu erreichen, wenn es uns gelingt, mehr Jugendliche zum Abitur zu führen und sie auch noch erfolgreich studieren zu lassen.
Meine Damen und Herren! Andere Länder mit besseren Bildungsergebnissen haben wesentlich höhere Abiturienten- und Studierendenquoten. Ich glaube nicht - darin werden Sie mit mir sicherlich übereinstimmen -, dass die Bildungsfähigkeit unserer Kinder unterhalb des Durchschnitts der OECD-Staaten liegt.
Fünftens. Es ist aus unserer Sicht grundsätzlich falsch - daraus haben wir auch nie einen Hehl gemacht -, eine derart gewichtige Entscheidung zu einem so frühen Zeitpunkt zu treffen. Die frühe Trennung der Bildungswege ignoriert die entwicklungspsychologischen Gegebenheiten der Kinder und verbaut den Kindern, die sich erst spät entwickeln, die Chancen.
Meine Damen und Herren! Der Begriff der Durchlässigkeit zwischen den Schulformen - wenn es um den Übergang von der Sekundarschule zum Gymnasium geht - existiert, wie bereits beschrieben, wohl eher auf dem Papier. Das heißt, wir finden uns in der Systemfalle wieder, weil wir nach der 4. Klasse bei Zehnjährigen diese Entscheidung treffen müssen. Dies wissen Sie eigentlich genauso gut wie ich. Wir können mit unseren Änderungsanträgen eigentlich nur noch eins tun: zu helfen, das Problem zu mindern.
Nicht die Eltern, sondern der Staat wird nach Ihrer Regelung letztlich über den zukünftigen Bildungsweg neuneinhalb- bis zehnjähriger Kindern entscheiden.
Herr Reck hat die Damen und Herren von der FDP bereits angesprochen. Ich tue das auch noch einmal: Ich bin sehr verwundert, dass Sie so eine Regelung unterstützen; denn das angebliche Kredo Ihrer Partei ist doch:
weniger Staat, mehr Eigenverantwortung. Herr Volk, wie vereinbart sich das denn nun mit Ihren Grundsätzen? Ihre Antwort war in keiner Weise zufrieden stellend.
Eine für mich wichtige Bemerkung möchte ich noch machen. Im Rahmen der Anhörung haben viele der Angehörten die Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass es sehr gut wäre, wenn verschiedene Teile der Gesetzentwürfe zusammengeführt würden und man das gemeinsam tragen würde. Das wäre aus unserer Sicht auch möglich gewesen, da sich unser Gesetzentwurf allein der inneren Schulreform widmet und auf jegliche Vorschläge für Strukturveränderungen verzichtet. Auch wenn wir dieses System nicht für zeitgemäß erachten, wird die Realität so sein, dass es uns noch etliche Jahre begleiten wird. Dann bin ich eben die Pragmatikerin, die ich bin.
Innerhalb des Systems lässt sich noch etliches verbessern. Die Qualität der Schulen ist zu verbessern, dabei die Durchlässigkeit zu erhöhen. Dies hätte der Minimalkonsens sein müssen, auf den sich die Fraktionen in diesem Landtag hätten verständigen sollen.
Meine Damen und Herren! Wir haben das sehr ernst genommen und nach langer Diskussion in den eigenen Reihen einen Kompromissvorschlag erarbeitet, der eine Regelung unterbreitet, wie man hätte vorgehen können, wenn die Schullaufbahnempfehlung nicht mit dem Elternwillen übereinstimmt. Wir haben vorgeschlagen, für diese Fälle eine Pflichtberatung einzuführen.
Auf diesem Weg hätte man eine bewusstere Auseinandersetzung sowohl der Eltern als auch der betroffenen Schülerinnen und Schüler mit den Folgen der Schullaufbahnentscheidung herbeigeführt. Am Ende der Beratung sollten jedoch die Eltern entscheiden. Das wäre angemessen gewesen. Das wäre auch eine liberale Position gewesen.
Diese Regelung, die an die hessische Gesetzgebung angelehnt ist und sogar darüber hinausgegangen wäre, war unser Angebot an die Koalitionsfraktionen. Die Koalitionsfraktionen haben diesen Kompromiss abgelehnt und auf ihrer Linie beharrt.
Meine Damen und Herren! Es gibt keinen Zwang zum Kompromiss. Weil es eine grundlegende Frage ist, haben wir beschlossen, zu diesem Punkt der Beschlussempfehlung, dem Punkt 28 a, eine namentliche Abstimmung zu beantragen.
(Herr Tullner, CDU: Nein! - Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Da sieht man, was der Kompromiss wert gewesen wäre!)