Protokoll der Sitzung vom 28.01.2005

Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes über die Grundsätze für die Regelung der Stadt-Umland-Verhältnisse und die Neugliederung der Landkreise (Kommunalneuglie- derungs-Grundsätzegesetz - KomNeuglGrG)

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 4/2009

Ich bitte den Minister für Bau und Verkehr Herrn Dr. Daehre, als Einbringer das Wort zu nehmen. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung legt Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, der die Grundsätze zur Regelung der Stadt-Umland-Problematik und die Grundsätze der Kreisgebietsreform regeln soll.

Die Stadt-Umland-Probleme haben sich in den letzten 15 Jahren der dynamischen Entwicklung unseres Landes zugespitzt. Sie sind freilich keine Besonderheit von Sachsen-Anhalt, sondern ein Phänomen in vielen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland. Die Verhältnisse sind in jeder Region anders, auch bei uns im Land.

Zwischen den kreisfreien Städten Halle und Magdeburg und den in ihrem Umland liegenden Gemeinden ist seit 1990 ein sehr dichtes Netz von Verflechtungsbeziehungen entstanden, an die die herkömmlichen Strukturen angepasst werden müssen.

Die kreisfreie Stadt Dessau und ihr Umland weisen diese intensiven Verflechtungsbeziehungen hingegen nicht auf, sodass für diesen Bereich keine unmittelbare Regelungsnotwendigkeit bestehen würde.

Es gilt nun, die passenden Antworten auf die offensichtlichen Defizite zu finden, damit die Oberzentren unseres Landes die Funktion als dynamisches Wachstumszentrum der Orte mit bundesweiter Ausstrahlung auch wirksam wahrnehmen können. Die bisherigen Ansätze der Zusammenarbeit haben sich jedenfalls hierfür als nicht ausreichend erwiesen. Deshalb ist eine Neujustierung dringend notwendig.

Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes der Landesregierung ist es, durch die Schaffung eines einheitlichen gesetzlichen Leitbildes Reformprozesse anzustoßen, durch die die Verwaltung und die Aufgabenräume im Umfeld der Oberzentren wieder weitestgehend in Übereinstimmung gebracht werden sollen.

Die Oberzentren sollen in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben gemäß dem Landesentwicklungsplan auch wirklich wahrnehmen zu können. Es soll eine abgestimmte Entwicklung mit einer ausgewogenen Arbeits

teilung zwischen Zentrum und Umland, mit einer sinnvollen Schwerpunktbildung und mit einer langfristigen Ressourcenbildung ermöglicht werden.

Die Landesregierung schlägt als Mittel zur Erreichung der vorstehenden Ziele die Bildung von Zweckverbänden zur Flächennutzungsplanung für die Städte Halle und Magdeburg mit dem jeweiligen Umland vor. Dabei ist zunächst sicherzustellen, dass die Räume nicht zu klein zugeschnitten werden und dass sie die tatsächlichen Verflechtungsbeziehungen der Städte erfassen. Insbesondere vor dem Hintergrund aktueller raumordnerischer Diskussionen um die Ausweitung von Metropolregionen mit europäischem Zuschnitt dürfen wir hierbei nicht zu kurz springen.

Zur räumlichen Abgrenzung der Zweckverbände hat die Landesregierung deshalb folgende bundesweit üblichen Kriterien herangezogen: Einwohnerzuwachs und -dichte, Anteil und Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche, Siedlungsdichte und Ausmaß der Pendlerbeziehungen, die eine enge Verflechtung zwischen Kernstadt und Umland signalisieren.

Es wurden diejenigen Gemeinden zugeordnet, bei denen mindestens drei der aufgeführten Kriterien zutreffen. Darüber hinaus wurden Gemeinden, die nicht mindestens drei Kriterien erfüllen, dem Gebiet des zukünftigen Zweckverbandes zugeordnet, wenn sie von diesem Gebiet umgeben sind.

Davon ausgenommen wurden die außerhalb der Verdichtungsräume liegenden Mittelzentren. Das ist unter anderem auch das Ergebnis der ersten Anhörung, die wir durchgeführt haben.

Das betrifft zum Ersten das Mittelzentrum Weißenfels einschließlich der Gemeinden des Landkreises Weißenfels, die im Einzugsbereich des Mittelzentrums liegen und nicht unmittelbar an den Verdichtungsraum angrenzen.

Zum Zweiten wurden die Mittelzentren Haldensleben und Burg ausgenommen einschließlich der Gemeinden, für die sich unter der genannten Voraussetzung kein Zusammenhang mit dem Verdichtungsraum Magdeburg mehr ergeben würde.

Zum Dritten wurden die Gemeinden Egeln und Etgersleben nicht einbezogen, die sie zwar Verflechtungsbeziehungen zur Stadt Magdeburg aufweisen, aber zur Planungsregion Harz gehören.

(Frau Sitte, PDS: Wissen Sie, warum?)

- Nicht, weil der ehemalige Innenminister dort lebt. Im Übrigen sollte man öfter auf ihn hören.

Es ist die Intention der Landesregierung, die beteiligten Städte und Gemeinden für einen freiwilligen Zusammenschluss in einem Zweckverband zumindest für die Aufgabe der Flächennutzungsplanung zu gewinnen.

(Herr Bullerjahn, SPD: Das können die jetzt schon alles machen!)

- Herr Kollege...

(Herr Bullerjahn, SPD: Bullerjahn!)

- Bullerjahn, Sie werden hier sicherlich auch noch sprechen.

(Frau Budde, SPD, lacht - Herr Bullerjahn, SPD: Ja!)

Für eine begrenzte Zeit wird es den Kommunen durch einen Verzicht auf engere Vorgaben in diesem Gesetz also ermöglicht, selbst die Strukturen zu gestalten, die nach den konkreten Verhältnissen vor Ort zu flexiblen Entscheidungen befähigen und eine ausgewogene Stimmenverteilung im Verband sicherstellen. Für den Fall, dass eine solche freiwillige Lösung nicht zeitgerecht zustande kommt, ist allerdings die Schaffung eines Zweckverbandes per Gesetz vorgesehen. Das Prinzip kam im Übrigen auch bei der Bildung von Verwaltungsgemeinschaften zur Anwendung.

Sie sehen, meine Damen und Herren, wir setzen zunächst auf das Freiwilligkeitsprinzip; wenn das nicht funktioniert, kann auch per Gesetz zugeordnet werden. In einem solchen Gesetz müssten dann auch entsprechende Detailregelungen, die die oben genannten Probleme berücksichtigen, getroffen werden.

Darüber hinaus ist anzustreben, dass die beteiligten Kommunen den zu gründenden Zweckverband mit der Wahrnehmung weiterer Aufgaben betrauen. Der Entwurf sieht generell die Bildung von Zweckverbänden oder die Wahl anderer Formen kommunaler Zusammenarbeit zwischen den kreisfreien Städten und den sie umgebenden Landkreisen sowie zwischen den kreisfreien Städten und den sie umgebenden Gemeinden zwecks gemeinsamer Wahrnehmung von Aufgaben vor, soweit dies der Erreichung der genannten Ziele dienlich ist. Dazu könnten die Aufgaben Abfallentsorgung, ÖPNV-Planung, Schulentwicklungsplanung, Schülerbeförderung und kommunale Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung gehören.

Im Raum Dessau scheint mir darüber hinaus eine enge Zusammenarbeit zwischen der kreisfreien Stadt Dessau und den Gemeinden im Bereich des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs sinnvoll, um das Weltkulturerbe gemeinsam zu pflegen und zu vermarkten.

Zu den Zweckverbänden, meine Damen und Herren, gab es nach Recherchen der Akademie für Raumforschung und Landesplanung Ende der 90er-Jahre deutschlandweit etwa 7 000 Anwendungsfälle interkommunaler Flächennutzungspläne für insgesamt mehr als 4 700 Gemeinden. Dabei überwogen deutlich die Formen einer vom Gesetzgeber vorgegebenen Zusammenarbeit. Die verordnete Zusammenarbeit betraf etwa 600 interkommunale Flächennutzungspläne mit rund 4 000 betroffenen Gemeinden; dies entspricht einem Anteil von 28 % aller Gemeinden in Deutschland.

So umfasst der Umlandverband Frankfurt (Main) beispielsweise 75 Städte und Gemeinden mit insgesamt 2,2 Millionen Einwohnern. Das sind praktisch so viele Einwohner, wie Sachsen-Anhalt hat. Trotz dieser Größe wird in diesem Verband offensichtlich eine mehr als erfolgreiche Arbeit geleistet.

Bei der freiwilligen Bildung des Planungsverbandes nach § 2 des Gesetzentwurfes einigen sich die Verbandsmitglieder eigenständig und durch dieses Gesetz nicht eingeengt über Verbandsstrukturen, Verbandsorgane, Stimmengewichtung usw. Auf einen entsprechenden Wunsch der Verbandsmitglieder hin wird die Landesregierung diesen Prozess sicherlich begleiten.

Bei der Bildung eines Planungsverbandes per Gesetz nach § 2 Abs. 3 ist davon auszugehen, dass Fragen der inneren Verbandsstruktur so geregelt werden, dass eine Majorisierung der Gemeinden im Umland durch die

Kernstadt ausgeschlossen ist, wie das im Umlandverband Frankfurt definitiv geregelt ist.

Eine zusätzliche Ebene neuer Bürokratie wird entgegen den Befürchtungen, die in der Anhörung geäußert worden waren, hierdurch jedoch nicht eingeführt, weil die Pflicht zur Flächennutzungsplanung, meine Damen und Herren, sowieso vorhanden ist. Flächennutzungspläne müssen nach 15 Jahren überarbeitet werden. Dies wäre ein guter Ansatzpunkt, dies gemeinsam in einem Zweckverband durchzuführen.

Durch die Novelle des Baugesetzbuches wird die Verpflichtung zur Erarbeitung der Flächennutzungspläne, wie schon gesagt, ohnehin weiter verschärft. Man wird zukünftig - so meine ich - überlegen müssen, ob man für den Bereich des Zweckverbandes nicht die regionale und die Flächennutzungsplanung zusammenführt. Das Ziel muss es sein, im Bereich der Oberzentren eine abgestimmte Entwicklung zu erreichen. Hiervon profitieren die Oberzentren und das Umland.

Meine Damen und Herren! Die sich im Umland der großen Städte entwickelnden Kommunen - in Bezug auf Magdeburg wären die Verwaltungsgemeinschaften Mittelland oder Sülzetal zu nennen - wären in ihrer Existenz jetzt nicht so beschaffen, wenn die Autobahn und das Oberzentrum Magdeburg nicht da wären. Das trifft auch für Halle zu. Ich denke, genau diese Verflechtungen müssen herausgearbeitet werden, weil das Umland natürlich nur stark ist, wenn auch das Oberzentrum stark ist.

Die Intention der Landesregierung ist eine eindeutige Stufung der anzuwendenden Instrumente, die wie folgt aussehen:

erstens Bildung von Zweckverbänden, und zwar zunächst freiwillig, für die Flächennutzungsplanung und für die weiteren Aufgaben der Gemeinden oder Landkreise,

zweitens die Bildung von Zweckverbänden für die Flächennutzungsplanung per Gesetz,

drittens Teileingemeindungen, falls die Oberzentren Flächenbedarf nachweisen können, wenn die flächenmäßige Ausdehnung für die wirtschaftliche Entwicklung erforderlich ist, ohne dass die ersten Stufen der Zweckverbände durchlaufen werden müssen - ich denke, es ist eine ganz wichtige Position, dass man nachweisen kann und nachweisen muss, ob Teileingemeindungen notwendig sind -,

viertens Eingemeindungen und Zwangseingemeindungen, falls das Ziel, die kreisfreien Städte als Kerne einer Region wirtschaftlichen Wachstums und als Schwerpunkte der Daseinsvorsorge zu stärken und ihre Leistungs- und Entwicklungsfähigkeit langfristig zu sichern, nicht durch die Bildung von Zweckverbänden oder Teileingemeindungen als weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden kann.

Eine weitere Voraussetzung für die Eingemeindung, den stärksten Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung, ist ein Siedlungszusammenhang zwischen dem Gebiet der Gemeinde und dem Gebiet der kreisfreien Stadt. Dieser ist gegeben, wenn viele Einwohner der Gemeinde - mehr als 50 % - in der kreisfreien Stadt arbeiten oder mehr Beschäftigte in diese Gemeinde hineinpendeln als aus ihr herauspendeln, wenn die Einwohnerzahl seit 1990 um mehr als 33 % gestiegen ist und wenn sich

die Siedlungs- und Verkehrsfläche der Gemeinde seit 1990 um mehr als 10 % vergrößert hat.

Damit, meine Damen und Herren, wird es nur dann zu zwangsweisen Eingemeindungen kommen, wenn sich die Bildung eines Zweckverbandes und eine Teileingemeindung als ungeeignet erwiesen haben. Das hohe Gut der kommunalen Selbstverwaltung wird - das betone ich - mit dieser klaren Stufung der eingesetzten Mittel vor vorschnellen Eingriffen geschützt.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Wir wollen zugleich bewährte Instrumente einsetzen, die erstmalig die Sicherung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Oberzentren gewährleisten. Im Übrigen wird der Gesetzgeber über die Erfüllung der oben genannten Kriterien entscheiden.

Im Gesetzentwurf wird auch die Frage der Finanzbeziehungen angesprochen, deren Anpassung ebenfalls ein Beitrag zur Entspannung der Stadt-Umland-Problematik sein kann.

Meine Damen und Herren! Der zweite Teil des Entwurfs eines Kommunalneugliederungs-Grundsätzegesetzes beschäftigt sich mit dem Thema der Landkreise. Das Land Sachsen-Anhalt und das Land Thüringen sind die einzigen Bundesländer, die ausschließlich Landkreise mit weniger als 150 000 Einwohnern haben. Dabei beträgt die Einwohnerzahl in zwei Dritteln der Landkreise sogar weniger als 100 000.