Protokoll der Sitzung vom 28.01.2005

Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Wir brauchen, um diese Dinge mit einer ehrenamtlichen Funktionsträgerschaft zu realisieren, zwei neue Elemente:

Erstens müssen wir für die ehrenamtlichen Kreistagsabgeordneten natürlich die Voraussetzungen schaffen, die es ihnen ermöglichen, diese Arbeit zu realisieren. Da wird man möglicherweise über eine Anrechnung der Arbeitszeit reden müssen. Da wird man möglicherweise auch darüber reden müssen, wie die Geschäftsstellen für diese ehrenamtlichen Kreistagsabgeordneten ausgestaltet sind.

(Minister Herr Dr. Daehre: Kleine Landtagsabge- ordnete werden das sein!)

- Herr Daehre bzw. Herr Jeziorsky - das ist eigentlich Ihr Problem -,

(Minister Herr Dr. Daehre: Bitte!)

wir müssen einmal darüber reden, was für eine Funktion Kreistage eigentlich haben. Als ich Kreistagsabgeordneter in dem neu gegründeten Landkreis Stendal geworden bin, habe ich auch in einem Sammelbeschluss über Kindertagesstätten entscheiden müssen, die ich in meinem Leben vorher nie gesehen habe und die ich mit großer Wahrscheinlichkeit in meinem Leben auch nie sehen werde. Das ist aber schon in der jetzigen Größenordnung so. Ist es denn wirklich von Bedeutung, dass ein Kreistagsabgeordneter jeden Gullydeckel vor Ort kennt? Muss er in diesem Kreistag nicht die politischen Strategien, wie man eine Regionalentwicklung realisieren soll, beschließen?

(Unruhe bei der CDU und bei der FPD - Herr Gürth, CDU: Herr Gallert, das geht nicht!)

Dass Sie anderer Meinung sind, ist uns durchaus klar.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Eine Frage, die Herr Daehre gestellt hat, möchte ich noch beantworten, und zwar die Frage, wie sich die Regionen zusammensetzen.

(Zuruf von Frau Weiß, CDU)

Aus unserer Sicht besteht eine Priorität bei der regionalen Ausdifferenzierung einer Wirtschaftsregion. Die Wirtschaftsregion ist aus unserer Sicht wichtiger als die Einwohnerzahl. Deshalb will ich kurz sagen, wie sich die Dinge bei uns darstellen. Wir wollen die Altmarkregion mit den zwei Kreisen, die Harzregion mit den drei bekannten Kreisen, die Region Anhalt - ob nun mit oder ohne Bernburg, das ist sicherlich noch eine offene Frage - ausgerichtet an dem früheren Regierungsbezirk Dessau realisieren, und dazwischen haben wir die beiden Großregionen, die Region rings um Halle sowie das Gebiet weiter im Süden. So stellt es sich aus unserer Sicht dar.

Diese Regionen haben zwar Disparitäten hinsichtlich der Einwohnerzahl, aber sie ermöglichen trotzdem eine Zweistufigkeit der Verwaltung und bringen sozusagen eine neue Identitätsentwicklung, nämlich die Identität mit der Wirtschaftsregion, hervor.

Natürlich ist das - das sage ich ausdrücklich - ein mutiger Schritt. Natürlich - das sage ich hier auch gleich - werden in den Kreistagen bei weitem nicht alle PDSAbgeordneten sozusagen Feuer und Flamme sein. Das alles ist mir klar. Es gibt diesen Spruch mit den Fröschen und dem Teich. Er gilt für alle Parteien und er gilt auch für uns.

Ich frage Sie: Wollen wir vor dem Hintergrund der Herausforderungen, die das Land Sachsen-Anhalt auch in dieser Hinsicht zu bewältigen hat, den Weg des kleinsten gemeinsamen Nenners gehen? Oder wollen wir einen mutigen Weg beschreiten, der langfristig erfolgreich ist?

Wir sagen ausdrücklich: Wir haben den Mut, trotz aller schwierigen Diskussionen, diesen langfristig erfolgreichen, diesen mutigen, diesen neuen Weg zu beschreiten. Wir wollen diesen kleinsten gemeinsamen Nenner nicht. Wir glauben, er bringt dieses Land nicht weiter. - Danke.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Die Debatte wird abgeschlossen mit dem Beitrag der CDU-Fraktion. Es spricht Herr Schröder. Bitte, Herr Schröder.

(Zustimmung - Frau Weiß, CDU: Er kriegt schon vorher Applaus!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man am Ende einer Debatte spricht, hat man den Vorzug, sie gewissermaßen abschließen und bündeln zu können. Ich glaube, zu Beginn einer solchen Rede gehört es dazu, in diesem Hohen Hause Einigkeit darüber festzustellen, dass angesichts der raumordnerischen Gesichtspunkte und der demografischen Herausforderungen eine Neuordnung der Stadt-Umland-Beziehungen und der Kreisstrukturen erforderlich ist. Ich glaube, dieser Einigkeit sollten wir uns noch einmal vergewissern, auch

wenn es in der Natur der Sache liegt, dass man auf dem Weg dahin trefflich streiten kann.

(Zustimmung bei der CDU)

Der vorliegende Gesetzentwurf soll für die von uns allen gewollte Neugestaltung zu beachtende Grundsätze festlegen. Es ist quasi so etwas wie ein raumordnerisches Leitbild, das keine unmittelbaren Rechtspflichten für Gebietsneugliederungen zum Inhalt hat, das quasi nur verwaltungsinterne Abstimmungsprozesse festlegt. Das ist wichtig für die Bewertung auch vor dem Hintergrund des Vorwurfes der Beliebigkeit.

Alle Redner vor mir haben festgestellt, dass die Notwendigkeit einer funktionsräumlichen Arbeitsteilung um die großen Städte herum zugenommen hat und dass die administrative Kleinteiligkeit zunehmend zu einem Problem wird. Diese Situation ist nicht neu; sie hat sich zugespitzt.

Im Übrigen: Würde diese Situation erhalten bleiben, würden sich die Eingemeindungswünsche um die großen Zentren erfüllen. Der Verwaltungs-, der Kompetenzbereich dieser Verwaltung wäre immer kleinteiliger als die nachweisbaren, messbaren Verflechtungsbeziehungen um die Oberzentren. Deswegen ist es falsch, eine Alternative zu entwickeln, die heißt: entweder Eingemeindung oder Zweckverband.

Meine Damen und Herren! Es ist ebenfalls falsch, in der historischen Debatte um vergangene Fehler, die es auf allen Seiten gegeben hat, zu sagen: Damals waren die Strukturen festgezurrt und wir konnten nicht anders handeln. - Dies ist bei der Kreisstrukturreform vielleicht der Fall, nicht aber bei der Frage der Stadt-Umland-Verhältnisse.

Dazu gab es einen Entschließungsantrag, der von der SPD-Landtagsfraktion eingebracht wurde, unterschrieben von Reinhard Höppner. Dieser Entschließungsantrag sah die Bildung eines Planungsverbandes zwischen dem Stadtkreis Halle und den angrenzenden Landkreisen mit der Frage der Flächennutzungsplanung, wie es ausdrücklich im Begründungstext stand, vor. Dieser Antrag wurde schon im Jahr 1993 vom Landtag beschlossen.

(Frau Bull, PDS: 1993!)

- Er wurde im Jahr 1993 so beschlossen. Lassen wir es dahingestellt.

Dann kam die Zeit, in der der damalige Fraktionsvorsitzende Ministerpräsident war und die Frage der StadtUmland-Verhältnisse keine Rolle mehr gespielt hat.

Meine Damen und Herren! Es ist immer der Vorwurf laut geworden - ich glaube, Herr Bullerjahn hat das gesagt -, der Gesetzentwurf der Regierung sei inkonsequent. Ich will Ihnen sagen, was inkonsequent ist. Inkonsequent ist es, eine Reform der breiten Füße zu fordern und gleichzeitig, im selben Atemzug, eine Zuspitzung anzukündigen. Die Alternative der Opposition lässt sich auf die Zahl Fünf beschränken. Bisher gibt es nur die Zahl Fünf.

Ich behaupte, der Regierungsentwurf ist konsequent, weil er ein lange Jahre liegen gebliebenes Thema aufgreift.

(Zustimmung bei der CDU)

Der Gesetzentwurf der Landesregierung ist konsequent, weil er verbindlich einen Stufenplan vorschreibt. Und der Gesetzentwurf der Landesregierung ist konsequent, weil

er an einem verfassungsrechtlich verbrieften Recht, nämlich an dem hohen Recht der kommunalen Selbstverwaltung, festhält und dieses Recht ernst nimmt, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich bitte deswegen darum, Folgendes zu bedenken: Dieser Gesetzentwurf hat es verdient, dass man sich sachlich damit auseinander setzt. Bitte widerstehen Sie der Versuchung, statt eines Reformprozesses nur Ihren eigenen Wahlkampf anzustoßen, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU - Frau Dr. Weiher, PDS: Das sagen gerade Sie!)

Einen Schritt weiter war die Diskussion, als es darum ging, wie wir die Zweckverbände funktionstüchtig kriegen und was möglicherweise der Inhalt der Aufgaben über die Frage der Flächennutzungsplanung hinaus ist. Obwohl weitere Zweckverbände durchaus gegründet werden können, ist aus unserer Sicht eine möglichst geringe Anzahl von Zweckverbänden empfehlenswert, um eine kurzfristige Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Dafür sollten die Zuständigkeiten eines Zweckverbandes möglichst umfassend ausgestaltet werden. Die bereits aufgeworfenen Fragen der Abfallentsorgung, der ÖPNVPlanung, der Schulentwicklung und vielleicht auch einmal langfristig die Frage einer kommunalen Wirtschaftsförderung könnten darin einbezogen werden.

Meine Damen und Herren! Sollten die Grundsätze des Leitbildes gegen den Willen einzelner Kommunen geschaffen werden müssen, sind gesonderte Durchführungsgesetze erforderlich. Auch das Instrument der Teileingemeindung und der Eingemeindung ist in einer Stufenfolge vorgesehen. Potenzielle Eingemeindungskandidaten können jedoch nicht den Blick davor verstellen, dass der beabsichtigte Zweckverband stets einen größeren Verflechtungsbereich erfassen und schon deshalb nicht ohne weiteres durch Gebietsneugliederungen ersetzt werden kann.

Meine Damen und Herren! Zur langfristigen Sicherung der Leistungsfähigkeit gehört auch eine Neuordnung der Kreisstrukturen. Auch dies ist unbestritten. Auch hierfür nennt der Gesetzentwurf Voraussetzungen, die in Teilen vielen aus der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vom April des letzten Jahres bekannt sind.

Mit der Zahl von 150 000 Einwohnern soll auch noch im Jahr 2015 ein Durchschnittswert der Kreisgrößen in der Bundesrepublik erreicht werden. Dabei können wir davon ausgehen, dass Einzelfallumstände es rechtfertigen, von dieser starren Einwohnerzahl geringfügig abzuweichen.

Wirtschaftliche oder naturräumliche Gegebenheiten sowie historische und landsmannschaftliche Verbundenheiten sollen berücksichtigt werden. Die Zusammenführung bestehender Kreise soll in der Regel als Vollfusion erfolgen. Im Interesse der gebotenen Homogenität wollen wir keine extremen Größenunterschiede zulassen. Ich bitte darum, dass wir en detail über diese Fragen im für die Raumordnung zuständigen Ausschuss sowie im Innenausschuss beraten.

Meine Damen und Herren! Ich möchte die Diskussion nicht weiter ausdehnen. Vieles ist von den Vorrednern gesagt worden. Ich möchte alle Fraktionen im Landtag zu einer sachlichen Debatte und Diskussion über die Vorschläge der Landesregierung auffordern.

Wir alle - damit meine ich alle Fraktionen im Landtag - haben gemeinsam immer die Chance, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und bei zukünftigen Entscheidungen einen Entwurf mit Augenmaß, einen soliden Entwurf vorzulegen, auch wenn es in der Sache bei Unterschieden bleiben wird.

Aus dem Beitrag der PDS-Fraktion ist das Bekenntnis zu einem zweistufigen Verwaltungsaufbau hervorgegangen. Dies wollen wir nicht. Wir wollen sehr wohl bei fachspezifischen Gemeinschaftslösungen bleiben. Die Erfahrungen in anderen Bundesländern zeigen, dass wir eine sehr effiziente Verwaltungsstruktur auch mit einer dreistufigen Gliederung haben können.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns in den Ausschüssen sachlich über das Thema beraten. In dem raumordnerischen Leitbild sind keine Zeitvorgaben gemacht worden. Ich sehe Einigkeit im Haus auch darin, dass wir nunmehr nach vielen Jahren der Untätigkeit kaum noch Zeit zu verlieren haben. Deswegen bitte ich Sie, dabei mitzuhelfen, dass wir noch in diesem Jahr zu Entscheidungen im Landtag kommen und dass wir bei dem raumordnerischen Leitbild, das für den Innenminister wichtig sein wird, in der Umsetzung der einzelnen Gesetzesvorhaben, zügig vorankommen. - Meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Schröder. Möchten Sie eine Frage von Herrn Gallert beantworten?

(Herr Gallert, PDS: Nein!)

- Keine Frage?