Protokoll der Sitzung vom 03.03.2005

Warum wurde in der Zeit von 8.30 Uhr bis 11.45 Uhr kein Dolmetscher herangezogen, der Herrn Jallow seine Situation dargelegt hätte?

Wer hat gegen 12.09 Uhr den Zellenschlüssel in die Tür gesteckt?

Warum ziehen sich die Ermittlungen seit sieben Wochen ohne wesentliche Erkenntnisse hin?

Aus welchen Gründen wurden der Öffentlichkeit und dem Landtag in den letzten Wochen wichtige Erkenntnisse vorenthalten?

Meine Damen und Herren! Diese Fragen müssen umgehend und umfassend geklärt werden. Die PDS-Fraktion erwartet, dass der Landtag heute sein Bedauern über den Tod von Oury Jallow zum Ausdruck bringt und feststellt, dass dieser vermeidbar gewesen wäre. Zudem fordert die PDS, dass die Umstände und die Hintergründe des Todes von Oury Jallow vollständig und rückhaltlos aufgeklärt werden und die Öffentlichkeit umfassend

informiert wird. Das sind wir den Angehörigen von Herrn Jallow einfach schuldig. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Gärtner. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion eintreten, hat für die Landesregierung der Herr Innenminister Jeziorsky um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den ersten zwei Monaten dieses Jahres starben im Gewahrsam der Polizei unseres Landes zwei Menschen. Die Medien haben ausführlich darüber berichtet. In Dessau kam am 7. Januar Oury Jallow auf tragische Weise bei einem Brand ums Leben. In Magdeburg verstarb am 18. Februar Michael Lippert vermutlich an Unterkühlung oder Herzversagen. Oury Jallow war erst 21 Jahre alt. Er war abgelehnter Asylbewerber und wohnte zuletzt in Roßlau. Michael Lippert verstarb in seinem 51. Lebensjahr. Er war am Ende seines Lebens ohne festen Wohnsitz. Ihr Tod muss jeden betroffen machen, der sich die letzten Stunden und Minuten ihres Lebens vor Augen führt. Dies gilt besonders für den fürchterlichen Tod, den Oury Jallow erlitten hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach beiden Todesfällen hat die Polizei unverzüglich die erforderlichen Ermittlungen zur Todesursache aufgenommen, die Staatsanwaltschaft informiert bzw. dort Anzeige erstattet und unter deren Leitung weitere Ermittlungen eingeleitet bzw. durchgeführt. So ist es gesetzlich vorgeschrieben und so haben Polizei und Staatsanwaltschaft gehandelt.

Die Öffentlichkeit ist über beide Fälle umgehend informiert worden. Über die Presse ist auch über die Todesopfer und die Umstände, unter denen sie gestorben sind, berichtet worden. Es ist über Versäumnisse oder Fehler von Polizeibeamten und die hierzu getroffenen disziplinarrechtlichen Maßnahmen berichtet worden. Über Einzelheiten wurden die Ausschüsse für Recht und Verfassung sowie für Inneres am 2. Februar durch das Ministerium des Innern und am 16. Februar durch das Ministerium des Innern, den Generalstaatsanwalt sowie die zuständige Staatsanwaltschaft informiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem Todesfall in Dessau sind die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und die eingeleiteten Disziplinarverfahren noch nicht abgeschlossen. Zu dem Todesfall in Magdeburg hat die Staatsanwaltschaft in einer Presseerklärung am 24. Februar mitgeteilt, dass gegen Polizeibeamte kein Anfangsverdacht für eine Straftat besteht. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung bestehen nach dieser Pressemitteilung derzeit jedoch gegen die Rettungskräfte, da sie die weitere medizinische Versorgung des später Verstorbenen nicht für erforderlich hielten und ihn stattdessen in die Obhut der Polizei gaben. Ob diese mögliche Pflichtverletzung ursächlich für den Todeseintritt war, sei in weiteren Ermittlungen zu klären.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Neben den genannten Straf- und disziplinarrechtlichen Verfahren ist eine Reihe präventiver Maßnahmen getroffen worden,

um Risiken für die in polizeilichen Gewahrsam genommenen Personen weitestgehend auszuschließen. Unmittelbar nach dem Todesfall in Dessau ist angeordnet worden, alle im Land vorhandenen Gewahrsamsräume der Polizei hinsichtlich möglicher Mängel zu überprüfen und gegebenenfalls vorhandene Defizite sofort abzustellen.

Es wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt und beauftragt, den Komplex Unterbringung von Personen im Gewahrsam der Polizei umfassend zu untersuchen und bis zum 15. Mai einen Bericht vorzulegen. Schwerpunkte des Berichtes sollen sein: Rechtsvorschriften sowie baulich-technische und administrativ-organisatorische Regelungen für den Polizeigewahrsam in den einzelnen Behörden und Dienststellen einschließlich Optimierungsbedarf. Die Arbeitsgruppe besteht aus knapp 30 Beamten der Polizei. Fachleute aus dem Justizvollzug und dem Geschäftsbereich des Ministeriums für Gesundheit und Soziales sollen beteiligt werden.

Die Polizeipräsidentinnen und Polizeipräsidenten erhielten die Weisung, nochmals alle Bedientesten auf den äußerst sorgsamen Umgang mit in Gewahrsam genommenen Personen hinzuweisen und die Gewahrsamsräume regelmäßig durch die Abteilungsleiter Polizei überprüfen und bei dieser Gelegenheit kontrollieren zu lassen, ob bei den in der Vergangenheit durchgeführten Gewahrsamsnahmen vorschriftsmäßig verfahren worden ist. Die Abteilungsleiter Polizei haben zukünftig mindestens vierteljährlich mit den für den Polizeigewahrsam unmittelbar Verantwortlichen zu erörtern, ob und gegebenenfalls welche Verbesserungsmaßnahmen durchzuführen sind.

Ferner haben die Polizeidirektionen unabhängig von den Untersuchungen und Vorschlägen der Arbeitsgruppe sowie den aus ihrer Sicht erforderlichen Sofortmaßnahmen die Gewahrsamsnahmen der letzten zwei Jahre hinsichtlich der einzelnen polizeilichen Maßnahmen zu überprüfen und dabei festgestellte Mängel unverzüglich abzustellen.

Zusätzlich haben die Behörden eine Reihe konkretisierender Anweisungen zur Gewahrsamsordnung aus dem Jahr 1995 erhalten. Ich nenne einige Beispiele.

Erstens. Die Kontrolle der in Gewahrsam genommenen Personen ist jeweils von zwei Beamten durchzuführen. Beide Beamte haben im Gewahrsamsbuch zu dokumentieren, wann die Kontrolle erfolgte und welche Feststellungen bei jeder Kontrolle getroffen wurden. Zur Kontrolle ist der jeweilige Gewahrsamsraum zu betreten.

Zweitens. Die Gewahrsamsräume sind unmittelbar vor und nach der Unterbringung von Personen gründlich durch zwei Beamte zu durchsuchen und hinsichtlich möglicher Mängel zu überprüfen. Die Durchsuchung und Prüfung sowie die dabei getroffenen Feststellungen sind von beiden Beamten zu dokumentieren.

Drittens. Bereits bei der Anforderung des Arztes ist möglichst umfassend auf den Zustand der in Gewahrsam genommenen Person hinzuweisen und, soweit möglich, anzugeben, welche Untersuchungen und Feststellungen von Rettungssanitätern oder anderen medizinisch fachkundigen Personen bereits getroffen worden sind. Ferner ist darzustellen, in welcher Situation die Person angetroffen bzw. aufgefunden wurde.

Viertens. Der Arzt, der die Gewahrsamsfähigkeit prüft oder feststellt, ist zu befragen, bei welchem Verhalten

der in Gewahrsam genommenen Person eine erneute ärztliche Kontrolle erforderlich ist, ob und gegebenenfalls in welchen Zeitabständen die Person vorübergehend bzw. kurzfristig zu wecken ist, und ob und gegebenenfalls in welchen Zeitabständen von weniger als einer halben Stunde die Person zu kontrollieren ist.

Fünftens. Es ist eine erneute ärztliche Untersuchung der in Gewahrsam genommenen Person erforderlich, sollte sie nach sechs Stunden im Gewahrsam nicht bei klarem Bewusstsein sein.

Sechstens. Grundsätzlich sind keine Personen in Polizeigewahrsam zu halten oder in einem Gewahrsamsraum unterzubringen, die zuvor versucht haben, sich selbst zu verletzen, die unter Alkohol- und gleichzeitig unter Drogeneinfluss stehen; die alkoholisiert sind, bei denen jedoch keine Atemalkoholkontrolle durchgeführt werden kann, die nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung oder einem Unfall mehr als unerheblich verletzt oder aber bewusstlos angetroffen worden sind.

Ergänzend zu diesen vorrangig polizeiinternen Maßnahmen ist das Ministerium für Gesundheit und Soziales gebeten worden, eine Prüfliste für die bei einer Gewahrsamsnahme erforderlichen ärztlichen Untersuchungen und einen Katalog der Fälle zu erarbeiten, in denen eine Unterbringung im Polizeigewahrsam aus medizinischer Sicht nicht in Betracht kommt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir abschließend einige Anmerkungen zu dem Antrag der PDS-Fraktion. Zu den von der PDS-Fraktion aufgeworfenen Fragen muss ich darauf verweisen, dass die von mir angesprochenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen sind. Da kein Anlass besteht, daran zu zweifeln, dass diese Verfahren streng nach den gesetzlichen Vorgaben durchgeführt werden, bedarf es auch keiner Aufforderung des Landtages zu einer vollständigen und rückhaltlosen Aufklärung an die Landesregierung. Hier den Eindruck zu vermitteln, dass die Justiz des Landes Sachsen-Anhalt erst durch den Landtag aufgefordert werden müsse, um die ihr durch Gesetz übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen, halte ich für nicht vertretbar.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich ist die Landesregierung bereit, nach Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren in den zuständigen Ausschüssen zu berichten. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren! Sie haben es von Herrn Minister Jeziorsky gehört: Der im Änderungsantrag der CDU- und der FDP-Fraktion benannte Manfred Lippert heißt Michael Lippert. Dies gilt es, richtig zu stellen. Herr Reichert hätte das vielleicht auch getan.

Nun erteile ich für die CDU-Fraktion dem Abgeordneten Herrn Reichert das Wort. Bitte, Herr Reichert.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie gesagt, uns ist ein Schreibfehler in unserem Änderungsantrag unterlaufen, und ich bitte, diesen hier

zu entschuldigen. Der verstorbene Herr Lippert heißt mit Vornamen Michael. Ich bitte, dieses so zu korrigieren.

Der Tod von Oury Jallow im Dessauer Polizeigewahrsam bewegt uns alle. Dass ein junger Mensch auf diese schreckliche Art und Weise sterben musste, kann niemanden unberührt lassen. Mich bedrückt auch, dass wir - das hat die Staatsanwaltschaft bereits in einer Pressekonferenz in Dessau verlauten lassen - wahrscheinlich nicht mehr alle einzelnen Details aufklären können. Die Ermittlungen in dieser Sache sind im Übrigen noch nicht abgeschlossen, insbesondere auch nicht hinsichtlich der Frage, ob ein schuldhaftes Verhalten von Polizeibeamten mit ursächlich war oder ob Herr Oury Jallow unrettbar verloren war.

Gleichwohl zeichnet sich bereits jetzt ab, dass am Ende der Einmittlungen ein dienstliches Fehlverhalten festzustellen sein wird, ob todesursächlich oder nicht. Hiergegen ist mit aller Konsequenz und erforderlichenfalls auch mit Härte vorzugehen. Denn dort, wo der Staat, wie bei der Gewahrsamsnahme, die Obhut und damit die absolute Verantwortung für das Wohl und Weh eines Menschen übernimmt, darf es kein laxes, unaufmerksames oder verantwortungsloses Handeln geben.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Vonseiten des Ministers des Innern wurde sofort sehr schnell, konkret und sachgerecht gehandelt und wurden wirksame Maßnahmen eingeleitet. Dies gilt ebenso für die Staatsanwaltschaft und die mit der Ermittlung beauftragten Polizeibeamten, die noch am Tag des Geschehens mit Hochdruck die Ermittlungen aufgenommen haben.

Die vollkommen haltlosen Behauptungen der PDS-Fraktion, erst Herr Gärtner habe dafür gesorgt, dass die Aufklärungsarbeit in Gang gekommen sei, sind gleichermaßen absurd wie empörend.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Das Verhalten von Herrn Gärtner ist aber nicht nur empörend, sondern es ist auch unverantwortlich. In einer Zeitung wird er mit Angaben aus nichtöffentlichen Ausschusssitzungen und mit vorschnellen, teilweise geradezu abenteuerlichen Bewertungen zitiert. Dies führte dann bekanntlich zu Ungenauigkeiten, zu Spekulationen und zu handfesten Unsinnigkeiten in der Berichterstattung, wie zum Beispiel die sachlich falsche Darstellung, Herr Jallow habe gebrochene Handgelenke gehabt. Sodann spielt sich Herr Gärtner auch noch als Strafrichter auf, indem er vor Abschluss der staatsanwaltlichen Ermittlungen verkündete, der Tod des Afrikaners hätte durch die diensthabenden Beamten verhindert werden können.

Ob dies das der Fall ist, ist Gegenstand der bisher nicht abgeschlossenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Diesen furchtbaren und tragischen Vorfall dazu zu benutzen, daraus billiges, politisches Kapital zu schlagen, ist für einen Angehörigen dieses Hohen Hauses absolut unwürdig.

(Starker Beifall bei der CDU - Beifall bei der FDP - Zustimmung von der Regierungsbank)

Eine Verurteilung von Polizeibeamten vor Abschluss staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen zeigt doch nur, dass in der PDS-Fraktion offenkundig noch nicht überall wahrgenommen wurde, dass über die strafrechtliche

Schuld oder Unschuld eines Menschen allein unabhängige Gerichte zu entscheiden haben und nicht die PDSFraktion.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von der Regierungsbank)

Ich möchte, mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, aus einem Zeitungsartikel vom 17. Februar 2005 zitieren, den der Kreisoberpfarrer Dr. Diestelkamp aus Dessau unter der Überschrift „Vorverurteilungen taugen nichts“ verfasst hat:

„Ich bin dankbar, dass ich in einem Rechtsstaat lebe. Zu diesem Rechtsstaat gehört, dass gegen die diensthabenden Beamten Anklage erhoben worden ist und darüber hinaus noch ein Disziplinarverfahren in Gang gesetzt wurde.“

Weiter führt er aus:

„Mich erschreckt, wie schnell und wie laut der Ruf auf Sündenböcke geworden ist. Können wir nicht bei allem Recht der Öffentlichkeit auf Information das Verfahren abwarten? Ich meine, etwas mehr Zurückhaltung wäre nötig und viel mehr Mitgefühl für alle, die an diesem schrecklichen Geschehen beteiligt waren.“

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)