Protokoll der Sitzung vom 19.07.2002

Sie können davon ausgehen, dass selbstverständlich beide Ressorts und insbesondere Kollege Olbertz mit allem Nachdruck daran arbeiten, die Position des Landes im Wettbewerb - zunächst einmal innerhalb der Bundesrepublik - nachhaltig zu unterstützen.

Herr Kollege Olbertz hat im Zusammenhang mit der Sitzung des Wissenschaftsrates in diesen Tagen ganz entscheidend dazu beigetragen, dass eine für SachsenAnhalt ungünstige Tendenz in der Vorbereitung dieser Sitzung des Wissenschaftsrates umgekehrt werden konnte und unsere Position nachhaltig abgesichert ist. Ich möchte dem Kollegen Olbertz ausdrücklich dafür danken, dass er mit seinen Möglichkeiten entscheidend dazu beigetragen hat, die Optionen zu nutzen. Das zum einen.

Was das Tempo anbetrifft, liebe Frau Budde, ist eines doch ganz klar: Wenn Sie den mitteldeutschen Raum, die drei Länder Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt betrachten, dann hinkt leider Gottes Sachsen-Anhalt bisher den beiden anderen hinterher. Die neue Landesregierung hat sich vorgenommen, deren Tempo zu übernehmen, damit wir in Zukunft ein gleiches Gewicht haben wie die beiden anderen Länder.

(Beifall bei der CDU - Oh! und Lachen bei der SPD)

Ich weiß nicht, ob bei Ihnen das Tempo darin besteht, dass Sie alle Zahlen vergessen, die Sie wissen sollten. Wenn Sie die volkswirtschaftlichen Daten des Landes Sachsen-Anhalt, die Sie als Schlussbilanz auf den Tisch gelegt haben, betrachten, dann müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen, dass Sachsen-Anhalt in wesentlichen volkswirtschaftlichen Daten im Moment hinterherhinkt. Wir wollen das mit dem Tempo, das geboten ist, korrigieren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Rehberger. - Die SPD-Fraktion hat auf einen Beitrag verzichtet. Für die FDP-Fraktion hat Herr Lukowitz eine Wortmeldung abgegeben.

(Herr Lukowitz, FDP: Die FDP verzichtet eben- falls auf einen Redebeitrag!)

- Die FDP verzichtet auch. - Die PDS hatte auch verzichtet. - Dann könnte jetzt Herr Dr. Sobetzko noch einmal sprechen - wenn Sie möchten.

(Herr Dr. Sobetzko, CDU: Nein, danke!)

- Auch nicht.

(Zustimmung bei der CDU)

Dann kommen wir zur Abstimmung. Zunächst war Einvernehmen hergestellt worden; die Fraktionen hatten signalisiert, dass der Änderungsantrag in den Antrag übernommen wird. Folglich können wir über den Antrag insgesamt in der veränderten Fassung abstimmen. Wer stimmt zu? - Das ist die Mehrheit. Stimmt jemand dagegen? - Niemand. Enthält sich jemand der Stimme? - Auch niemand. Dann ist dieser Antrag einstimmig beschlossen worden und der Tagesordnungspunkt 19 ist erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung

Einsetzung eines Sonderausschusses nach § 46 a des Abgeordnetengesetzes

Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD und der FDP - Drs. 4/58

Ich bitte Herrn Ruden, für die Einbringer zu sprechen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Fraktionen von FDP, SPD und CDU haben vereinbart, mit diesem Antrag die in den beiden ersten Wahlperioden geübte demokratische Notwendigkeit einer Überprüfung der Abgeordneten auf eine eventuelle Zusammenarbeit mit dem MfS fortzusetzen.

Damit, meine Damen und Herren, gilt es ein Stück Demokratieverlust in diesem Lande wieder gutzumachen. Wenn man die unsägliche Diskussion am Anfang der dritten Wahlperiode Revue passieren lässt, ist festzustellen, dass es sich dabei wahrlich um keine Sternstunde des Parlamentarismus gehandelt hat. - So viel zu diesem Thema.

Nach 40 Jahren sträflicher Verzerrung demokratischer und menschlicher Wertmaßstäbe ist diese Überprüfung ein - leider - immer noch notwendiger Akt der politischen Hygiene.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der Umbruch 1989/90 war für viele der Anlass, eine politische Laufbahn in der neu gewonnenen freiheitlichen Grundordnung zu beginnen. Selbstverständlich ist, dass damit auch das Recht auf einen ganz persönlichen politischen Wandel verbunden war und ist.

Es ist für mich und die Antragsteller aber nicht akzeptabel, dass es in unserer Demokratie Politiker gibt, die im verdeckten Waggon von einem System in das andere

gleiten, ohne Signal zu geben. Es gehört eben leider zu den Erfahrungen der letzten 13 Jahre, dass die aktive Arbeit für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR für viele ehemalige inoffizielle Mitarbeiter - ich sage ruhig: viele - kein Hindernis im Hinblick auf eine Bewerbung um politische Ämter und Mandate war. Es scheint im Gegenteil eine politische Strategie zu geben, die aus ehemaligen IM politische Führungsgrößen macht. Wir kennen alle die prominenten und weniger prominenten Fälle.

Hier bleibt einfach festzustellen: Gerade hinsichtlich der Zusammenarbeit mit dem Repressionsapparat des MfS existiert bei der Bevölkerung bis zum heutigen Tage der ungebrochene Wunsch nach Aufklärung über dieses in der deutschen Geschichte einmalige Spitzelsystem. Ebenso existiert nach wie vor eine elementare Verabscheuung dieser Bespitzelung.

Natürlich haben die ehemaligen Mitarbeiter des MfS wie jeder andere Bürger auch ein Recht auf Menschenwürde und Schutz vor persönlicher Anfeindung. Aber aus der Sicht der den Antrag einbringenden Fraktionen darf dieses Recht nicht die Erringung und Ausübung eines politischen Mandats oder Amtes beinhalten. Um das zu verhindern, muss eine Offenlegung jeder geheimdienstlichen Tätigkeit für das MfS erfolgen.

Meine Damen und Herren der PDS-Fraktion, ich spreche Sie jetzt ruhig direkt an. Wenn Sie nun seit 1994 der Meinung sind, dass ein ehrlicher und offener Umgang mit der Tatsache einer früheren Stasi-Mitarbeit zu einer Pogromstimmung im Lande führe, dann dürften Sie in den letzten acht Jahren eigentlich eines Besseren belehrt worden sein. Wo sind denn die gedemütigten und gestrauchelten, die vernichteten Existenzen? Meines Wissens gibt es in diesem Land Einrichtungen, in denen man solche ehemaligen Mitarbeiter der Stasi integriert. Ich will hier keine konkreten Namen nennen.

Eine ehemalige Stasi-Mitarbeit ruft eben nur dann das Interesse der Medien und des Volkes hervor, wenn es sich um Mandate und Ämter handelt, im Zusammenhang mit denen eine Stasi-Mitarbeit einen Vertrauensmissbrauch bedeutet. Insofern ist für die einbringenden Fraktionen die in der Vergangenheit geübte ablehnende Haltung der PDS zur Einsetzung dieses Sonderausschusses und die Nichtbeteiligung ihrer Mitglieder an dem Überprüfungsverfahren nicht akzeptabel.

Ich möchte abschließend an alle Abgeordneten und an die Fraktion der PDS des vierten Landtages von Sachsen-Anhalt appellieren, sich an dem demokratischen Verfahren zur Überprüfung auf eine eventuelle StasiMitarbeit zu beteiligen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Vielen dank, Herr Ruden. - Für die PDS-Fraktion spricht Frau Dr. Hein. Bitte, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD und FDP zur Einsetzung eines Sonderausschusses zur Überprüfung der Mitglieder des Landtages hat die PDS-Fraktion, wie Sie sich sicher denken können und wie es bereits öffentlich ist, eine abweichende Auffassung.

Vorausgeschickt sei, dass wir den verantwortungsvollen Umgang mit unserer Geschichte für eine dauerhafte Aufgabe halten und damit alle Überlegungen über ein eventuelles Schließen der Akten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit für uns nicht zur Debatte stehen. Sie sind Teil unserer Geschichte und müssen als solcher behandelt werden.

Die PDS steht für einen kritischen Umgang mit Geschichte und lehnt Einseitigkeiten in die eine oder in die andere Richtung ab. Das hat die PDS in den letzten Jahren mehrfach, auch durch streitige Debatten in den eigenen Reihen, zu verteidigen versucht, und dabei wird es bleiben.

Es erscheint uns allerdings nach wie vor unverständlich, dass die Bewertung von Geschichte relativ einseitig an die Bewertung der Unterlagen des ehemaligen MfS/ AfNS gekoppelt wird. Zudem wird sie aufgrund dieser Sicht nicht selten einseitig mit der Aburteilung von Personen verbunden.

(Herr El-Khalil, CDU: Das sind die Spitzel!)

Umgang mit Geschichte ist ein individueller, ein gesellschaftlicher und ein öffentlich notwendiger Prozess und für den oder die Einzelne mitunter eine sehr schmerzhafte Erfahrung, auch heute noch. Dieser Prozess muss individuell, gesellschaftlich und öffentlich vollzogen werden, ebenfalls auch heute noch.

Doch es ist einfach nicht wahr, dass derjenige, der keinen Eintrag in der Täterkartei der Birthler-Behörde aufzuweisen hat, frei von Verantwortung und womöglich von Schuld in der Vergangenheit ist. Zu vielfältig waren die Verantwortlichkeiten und auch die Möglichkeiten, gewollt oder ungewollt schuldig zu werden. Eine solche Überprüfung, wie Sie sie vorhaben, würdigt in der Regel kaum Motivationen, selten Zwänge oder Einsichten und schon gar nicht solche, die in den letzten zehn Jahren gewachsen sind.

(Herr Schomburg, CDU: Woher wollen Sie das wissen?)

Es gehört zu den unbewältigten Aufgaben des Umgangs mit deutscher Geschichte aus beiden deutschen Staaten, dass zehn Jahre nach der Wende manche immer noch gleicher sind, auch wenn das Stasi-Unterlagengesetz nun geändert wurde. Diese Art Umgang verhindert eine öffentliche Auseinandersetzung mit Gewesenem, weil sie Betroffene stets in eine Verteidigungshaltung führt, die unangemessen ist, aber zum Selbstschutz nötig erscheint.

Die PDS sieht die besondere Verantwortung vieler ihrer Mitglieder für Geschehenes sehr genau. Auch darum haben wir uns vor Jahren, nämlich im Jahr 1993, für einen anderen Weg entschieden. Bei einer Kandidatur für die PDS - gleich, für welche Ämter - gehört ein offener Umgang mit der eigenen Vergangenheit zu den Selbstverständlichkeiten, ebenso bei Kandidaturen auf den offenen Listen der PDS. Sie sind im Übrigen öffentlich und man kann sich davon überzeugen. Darum enthält unser Bewerbungsfragebogen auch immer einen Teil zur politischen Biografie.

Kandidierende werden von uns unterstützt bei der gewünschten Selbstüberprüfung, wenn sie es wollen, aber sie werden nicht dazu genötigt. Für uns steht der eigene kritische Umgang mit, die eigene kritische Sicht auf früheres Agieren im Vordergrund. Das bezieht sich aber

nicht nur auf eine offizielle oder inoffizielle Mitarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit, sondern auf alle Felder und Ebenen politischen Tätigseins. Kleiner wollen wir es auch gar nicht haben.

Es ist darum auch konsequent, dass wir bei verschwiegenen oder nachträglich bekannt werdenden Tatsachen das delegierende Gremium zurate ziehen - genau da gehört es hin - und dort beraten und dort auch ein Votum abgeholt wird. Diese Verfahrensweise steht im Beschluss unseres Bundesparteitages vom Juni 1993, der für uns bis heute bindend ist. Er ist öffentlich; jede Wählerin und jeder Wähler, für die oder für den dies wahlausschlaggebend ist, kann das wissen.

Es ist auch kein großes Geheimnis, was für eine Partei die PDS ist, wie sie sich zusammensetzt und wofür sie steht. Wir sehen darum keinen Grund, von der bisherigen Verfahrensweise abzuweichen. Einen entsprechenden Beschluss hat die Landtagsfraktion auf ihrer Sitzung am 28. Mai dieses Jahres nach gründlicher Debatte einstimmig gefasst; der Landesvorstand hat dies ebenso einstimmig unterstützt.

Wir lehnen darum den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses für die Mitglieder des Landtages ab. Die Mitglieder der PDS-Fraktion werden sich an einer entsprechenden Überprüfung durch diesen Ausschuss nicht beteiligen. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS - Zurufe von Herrn Reichert, CDU, und von Herrn El-Khalil, CDU)

Vielen Dank, Frau Dr. Hein. - Für die FDP-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Ernst. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abschnitt V a des Abgeordnetengesetzes trägt den Titel „Wahrung des Ansehens des Landes Sachsen-Anhalt, des Landtages und seiner Mitglieder“. Der Antrag in Drs. 4/58 trägt den Titel „Einsetzung eines Sonderausschusses nach § 46 a des Abgeordnetengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt zur Überprüfung der Mitglieder des Landtages“. Grundanliegen dieses Antrages ist die Einsetzung eines zeitweiligen Sonderausschusses, dem die Überprüfung der Mitglieder des Landtages obliegt, und die Bestätigung der Geschäftsordnung für diesen Sonderausschuss.

Meine Damen und Herren! Es ist noch nicht so lange her, als dass sich nicht viele von Ihnen noch an die Auswirkungen der Stasi-Praktiken in der DDR erinnerten - von den direkt Betroffenen abgesehen; diese werden sich ihr Leben lang daran erinnern. Für diese, für die Opfer wollen und müssen wir mit diesem Beschluss ein Zeichen setzen.

Gerade für unsere Partei steht das Recht auf Freiheit über allen Dingen. Es ist eigenartig, dass die Täter nach Freiheit schreien und diese den Opfern nicht zugestanden haben. Aufgrund des Abgeordnetengesetzes und der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt kann niemand gezwungen werden, sich überprüfen zu lassen.