Protokoll der Sitzung vom 19.07.2002

(Zustimmung bei der PDS)

Nun haben uns die Kolleginnen von CDU und FDP und auch der Minister im Ausschuss gesagt, das sei alles nicht so schlimm, es gehe um ganz wenige Eltern, die ihre Kinder früher abholen wollten und auch nur um einen engen Zeitraum. Letzteres stimmt - nur nicht um einen engen Zeitraum für die Ein- und Ausgangsphase, sondern für das, was zum Unterrichten und für die Gestaltung von Konzepten übrig bleibt.

Ich wiederhole es gern noch einmal: Wenn die Zeit der Ein- und Ausgangsphase an einem vierstündigen Unterrichtstag auf mindestens 75 Minuten angehoben wird - mindestens, das heißt, darunter darf man gar nicht bleiben -, dann bleiben nach Abzug der normalen Pausen maximal noch 35 bis 45 Minuten, die als eine so genannte Aktivpause zu gestalten sind. Auch eine Aktivpause ist nicht dafür da, für übendes Lernen zu sorgen.

Wenn jemand dafür sorgt, dass genau das eintritt, was er vorher befürchtet hat, nennt man das in der Psychologie, glaube ich, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Genau das tun die Regierungsfraktionen nun. Sie machen aus der neuen Grundschule eine Grundschule mit Betreuung. Sie nehmen der Grundschule wesentliche Entwicklungsmöglichkeiten, die gerade erst eröffnet worden sind, und sie tun das schnell, damit den Verlust möglichst niemand so richtig bemerkt.

(Widerspruch bei der CDU)

Dabei handelt es sich obendrein noch um eine gewaltige Mogelpackung. Die Landesregierung hat im Ausschuss klargestellt, dass sie keineswegs davon ausgeht, dass nach Unterrichtsschluss künftig ein Beförderungsanspruch besteht. Das wurde eben in dem Beitrag von Frau Mittendorf noch einmal gesagt. Ich glaube, Herr Volk,

(Zuruf von Herrn Dr. Schellenberger, CDU)

Sie hatten es vorhin gesagt und in der Berichterstattung des Ausschusses wurde es auch angedeutet: Wer sein Kind früher aus der Schule haben möchte - ganz freiwillig -, der muss es selbst abholen oder bringen. Oder es gibt - um bei der Sprache und Denkweise der CDU zu bleiben - eine Zwangseingangs- bzw. Zwangsausgangsphase für jene Schülerinnen und Schüler, die auf den Schulbus angewiesen sind.

(Zustimmung bei der PDS)

Diese Zwangseingangs- bzw. Zwangsausgangsphase soll nach Vorstellung des Ministeriums für einen vierstündigen Unterrichtstag mindestens 75 Minuten dauern. Die Ein- und Ausgangsphase soll dem Wortsinn des Gesetzentwurfes der CDU-Fraktion nach eben nicht wirklich Lernzeit sein. Außerdem stünde sie dann ohnehin nicht allen Kindern zur Verfügung. - Klasse, meine

Damen und Herren. Dann können Sie sich Ihren Dankesbrief einrahmen und sehr stolz darauf sein.

Übrigens gibt es unter den Wünschen der Eltern im Hinblick auf ihre Rechte auch den Wunsch, die Schulpflicht ganz abzuschaffen. Vielleicht kommt auch noch so ein famoser Vorschlag demnächst von Ihnen, weil Sie die Minderheitenrechte doch jetzt so hoch schätzen.

(Frau Wybrands, CDU: Lassen Sie das nicht die Schüler hören!)

Das Debakel in der bundesdeutschen Bildungsdebatte hat mit dem weit verbreiteten Missverständnis bezüglich der Rolle des spielerischen Lernens zu tun. Dabei weiß eigentlich jeder, der Kinder großgezogen hat, dass Kinder am schnellsten und am intensivsten im Spiel lernen,

(Zustimmung bei der PDS)

dass sie sich dabei ungeheuer anstrengen können, dass sie kreativ sind und so fort. Sie lernen übrigens am schnellsten voneinander. Das geschieht auch noch im höheren Schulalter und auch durch Irrtum. Auch das wird landläufig unterschätzt, obwohl es faktisch tagtäglich und von den Erziehenden meist unbemerkt geschieht.

In der Schule soll das harte Leben aber möglichst schnell zuschlagen. Das geht am besten mit Zensuren. Nicht nur Leistung wird belohnt, sondern auch der Irrtum wird betraft. Und das geschieht nachhaltig. Sonst spräche der Kultusminister nicht von der Schmach des Misserfolges.

(Zustimmung bei der PDS)

Die Kinder verlieren damit ihre Kreativität und die Lust am Lernen. Das Lernen wird zur Last und die Motivation geht verloren.

Meine Damen und Herren! Ich bin Kunsterzieherin. Ich habe in der 9. Klasse Schülerinnen und Schüler in meinem Kunstunterricht kennen gelernt und habe nicht selten festgestellt: Zu diesem Zeitpunkt war nahezu jede Phantasie verloren. Die Bäume waren grün. Eine gerade Linie zog man mit dem Lineal. Das ist in Geometrie sicherlich in Ordnung. Aber im Kunstunterricht?

Kreativität setzt Phantasie voraus. Ohne Kreativität werden wir im Ergebnis keine Höchstleistungen in der Bildungslandschaft, in der Bildungspolitik und im gesamten Bildungswesen erreichen können.

Vielleicht sollten sich alle mit Bildungspolitik befassten Parlamentarier einmal ein Semester lang bei Frau Professor Dr. Prengel einschreiben, um auch andere, modernere Sichtweisen über das Lehren und das Lernen auf sich einwirken zu lassen. Wenn ich ihr zuhöre, dann lerne zumindest ich immer etwas dazu.

(Zustimmung bei der PDS und von Frau Budde, SPD)

Dass wir die beabsichtigte Gesetzesänderung als einen Schritt in die völlig falsche Richtung ablehnen, brauche ich somit nicht zu betonen. In der Auswertung der Anhörung haben wir uns allerdings zu einem anderen Schritt entschlossen, der möglicherweise doch irgendwann zum Nachdenken anregt. Wir hofften, dass er eher zustimmungsfähig ist als das bisherige Verfahren.

In der Anhörung und in vielen Debatten davor wurde immer wieder angemahnt, dass mehr Unterricht in den Fächern Deutsch und Mathematik in der Grundschule

erteilt werden solle, um die bestehenden Defizite abzubauen.

Darum, Frau Mittendorf, fordern wir, die Anzahl der Unterrichtsstunden in der 1. und 2. Klasse um drei bis vier Unterrichtsstunden und in der 3. und 4. Klasse mindestens für den Fremdsprachenunterricht um eine Unterrichtsstunde zu erhöhen. Darum werden wir nicht herumkommen.

(Zuruf von Frau Mittendorf, SPD)

Weil wir eben nicht wollen, dass dies auf die reine Aufgliederung in der Stundentafel hinausläuft, wollen wir die Entscheidung über die Gestaltung dieser Unterrichtszeit der Schule überlassen. Genau darum haben wir diese Flexibilität auch in unseren Antrag aufgenommen.

Lehrkräfte für mehr Deutsch- und Mathematikunterricht sind angesichts des in der Grundschule oft niedrigeren Beschäftigungsumfangs von Lehrerinnen und Lehrern durchaus vorhanden. Wir müssen ohnehin mit dem nächsten Tarifvertrag die tarifliche Beschäftigungszeit auch für Grundschullehrerinnen weiter beschreiben und weiter festschreiben.

Wir wollen aber eben auch den Schulen einen größeren konzeptionellen Bewegungsspielraum verschaffen. Natürlich - ich gebe das gern zu - ist das der Versuch, integrative Modelle über die Hintertür der Stundentafel - weil die CDU nur in Unterrichtskategorien denken kann - wiederherzustellen. Da die Schulen aus Ihrer Sicht - auch in der Koalitionsvereinbarung kann man das lesen - ohnehin einen größeren Entscheidungsspielraum bekommen sollen, müsste Ihnen das eigentlich entgegenkommen.

Unter Punkt 1 des Entschließungsantrages der Fraktion der PDS, der wie Punkt 3 ursprünglich Bestandteil eines anderen PDS-Antrages zu den Ergebnissen der Pisa-Studien war, fordern wir die Landesregierung auf, dem Landtag nunmehr ein Konzept zu der von ihr beabsichtigten künftigen Gestaltung der Grundschule vorzulegen, aus dem hervorgeht, wie sie sich vorstellt, die Lesekompetenz, die Kommunikationsfähigkeit und die Kalkulationsfähigkeit künftig stabiler auszuprägen. Schließlich wollen wir auch wissen, wie die Inhalte reformiert werden sollen und wie sich das in den Rahmenrichtlinien niederschlägt.

Weil wir wissen, dass insbesondere die Vorbereitung einer erhöhten Stundentafel Zeit benötigt, wollen wir der Landesregierung bis zum übernächsten Schuljahr Zeit lassen, um das vernünftig vorzubereiten.

Möglicherweise könnten wir uns in den Debatten des Ausschusses zu den anderen Angelegenheiten, die man schneller regeln kann, durchaus auch noch einmal mit den Forschungsergebnissen der Martin-Luther-Universität aus dem Bereich der Grundschulpädagogik befassen.

Da ich nun gehört habe, dass die SPD und die CDU diesem Antrag nicht zustimmen werden und auch der Kultusminister ihn nicht aufnehmen möchte, bitte ich darum, über die Punkte in dem Entschließungsantrag einzeln abzustimmen. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Frau Dr. Hein. - Als letzte Debattenrednerin für die CDU-Fraktion wird die Abgeordnete Frau Feußner sprechen. Bitte, Frau Feußner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute das Gesetz zur Grundschule mit verlässlichen Öffnungszeiten beschließen, dann werden wir nicht nur ein Wahlversprechen einlösen, sondern wir tragen auch dazu bei, dass das Elternrecht wieder gestärkt wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Anhörung im Ausschuss hat gezeigt, dass sich die Mehrheit der Angehörten für diese von uns vorgeschlagene Veränderung ausgesprochen hat. Es waren lediglich die drei Vertreter, Frau Mittendorf, die Sie erwähnt haben, die sich dagegen ausgesprochen haben. Die Mehrheit der Angehörten war immerhin dafür.

(Frau Mittendorf, SPD: Es waren mehr! Richtig durchlesen!)

Deshalb bin ich den Oppositionsfraktionen dankbar für das Urheberrecht der Anhörung, da dadurch unser Anliegen noch einmal bestärkt wurde. Die wesentlichen Argumente sind im Ausschuss bereits ausgetauscht worden, sodass ich heute nur noch auf einige wenige Aspekte eingehen möchte.

In zahlreichen Zuschriften haben sich viele positiv zu unserem Gesetzentwurf geäußert. Häufig kamen diese Zuschriften von betroffenen Eltern, die das ihnen zuvörderst obliegende Erziehungsrecht bisher eingeschränkt sahen. Lassen Sie mich an dieser Stelle - mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident - aus einem Brief zitieren, den ich vor zwei Tagen bekam:

„Mit einer Reihe von Eltern haben wir Ihre Partei auch besonders deshalb gewählt, weil sie das wenig durchdachte und gegen die Interessen vieler durchgepeitschte Gesetz über die festen Öffnungszeiten abschaffen wollte.“

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Aussage eines Lehrers lautet:

„Ich kann auch nichts dafür, dass mein Kind fünfeinhalb Stunden in der blöden Grundschule mit festen Öffnungszeiten herumhocken muss.“

(Zuruf von Frau Theil, PDS)

Ein Oberarzt, der vorher SPD-Wähler war, schrieb in einem Brief an Herrn Dr. Höppner im November 2000:

„Der Zwang muss aus dem Gesetz heraus. Ich fände es schade, wenn das Gesetz nur dadurch abänderbar wäre, wenn ich beim nächsten Mal die CDU wählen müsste.“

(Zuruf von Frau Bull, PDS)