Protokoll der Sitzung vom 27.05.2005

Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Familien, Sicherung einer nachhaltigen Bevölkerungspolitik sowie Förderung des Wiedereinstiegs in den Beruf (Familienfördergesetz Sachsen-Anhalt - FamFöG-LSA)

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 4/2183

Ich bitte nun die Landesregierung, den Gesetzentwurf einzubringen. Das Wort hat Herr Minister Kley.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf besonders die FDP-Fraktion grüßen, die hier in großer Zahl dieser interessanten Debatte lauscht.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der FDP und bei der PDS - Frau Bull, PDS: Wir sind zweiter Sie- ger!)

- Für das Protokoll: gefolgt von der PDS.

Allzu selten, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben wir noch den Grund, jemandem zur Geburt eines Kindes zu gratulieren. Zu einem Geburtstag hatten wir erst gestern hier in diesem Rahmen zu gratulieren, aber die Geburt eines neuen Erdenbürgers ist zunehmend seltener zu verzeichnen. Wir haben auch in diesem Hause die Aufgabe, uns mit diesem Thema zu befassen. Denn vielfach wären die jungen Menschen gerne Väter und Mütter, aber sie erfüllen sich diesen Wunsch nicht mehr.

Die Entscheidung für oder gegen Kinder ist und bleibt - das möchte ich hier noch einmal betonen - jederzeit eine private Entscheidung. Dennoch muss es uns nachdenklich stimmen, dass die Wünsche junger Leute nach Kindern und die Zahl der tatsächlich geborenen Kinder weit auseinander klaffen. Denn Familien sichern durch die Erziehung von Kindern den Fortbestand der Gemeinschaft. Sie leisten damit zugleich einen unverzichtbaren Beitrag zum Generationenvertrag, der die Grundlage unseres sozialen Sicherungssystems darstellt.

Das Zusammenleben in der Familie muss deshalb auch öffentlich wieder als positiver Wert wahrgenommen werden. Um diesen Wertewandel hin zur Familie nachhaltig zu befördern, verfolgt die Landesregierung eine langfristige und konsequent am Kind orientierte Politik, indem sie verlässliche Rahmen und Normen setzt und darüber hinaus mit allen gesellschaftlich relevanten Gruppen in Kontakt tritt, um Verbesserungen für Familien zu erreichen.

Es sind Vorbilder, Ideen und Werte nötig, um Kinderfreundlichkeit als Selbstverständlichkeit in allen Entscheidungen von Politik und Wirtschaft zu verankern. Die Politik der Landesregierung soll hierbei eine Signalwirkung für die Bürgerinnen und Bürger haben. Eines dieser Signale - ich denke, das ist das zentrale Signal - ist das Ihnen vorliegende Familienfördergesetz, in dem wichtige Eckpunkte zur Verbesserung der Familienfreundlichkeit in unserem Land festgelegt werden.

Die Förderung von Familien sehen wir als eine öffentliche Aufgabe an, die alle Handlungsfelder einbezieht, welche die Familien betreffen. Aus diesem Grunde hatte die Landesregierung eine Studie „Zukunftschancen junger Frauen und Familien in Sachsen-Anhalt“ in Auftrag gegeben. Diese so genannte Dienel-Studie befasst sich mit den Gründen der Abwanderung aus Sachsen-Anhalt und untersucht die Einflussfaktoren auf die Familiengründung.

Hier im Landtag wurden im Herbst letzten Jahres die Ergebnisse dieses Werkes präsentiert. Danach können familienpolitische Maßnahmen erst wirksam werden, wenn sie sich auf das konkrete sozialräumliche Umfeld beziehen. Es geht darum, auf lokaler und kommunaler

Ebene familienfreundliche Strukturen zu schaffen. Hierzu zählen:

- eine verbesserte Familienorientierung bei den Wohnverhältnissen, beim Wohnumfeld und bei der Verkehrspolitik,

- Initiativen zur familienfreundlichen Ausgestaltung der Arbeitswelt und Frauenförderung,

- gesundheitliche Förderung und Hilfen für Familien, Bildungs- und Beratungsangebote für Familien,

- Familien unterstützende Betreuungsangebote für Kinder,

- finanzielle Entlastungen durch Ermäßigungen bei Gebühren und Eintrittsgeldern,

- eine familienorientierte Schul-, Sport- und Kulturpolitik,

- die Schaffung von Partizipationschancen von Kindern und Jugendlichen vor Ort sowie nicht zuletzt

- familienfreundliches Verwaltungshandeln.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir diese Forderungen um. Dazu haben wir verschiedene Instrumente verankert. Zuvörderst ist sicher die neue Förderung bei der Begründung von Wohneigentum zu nennen. Sie führt dazu, dass die Bindung an das Land, an den Lebensort gestärkt wird. Aus den Ergebnissen der Studie wissen wir, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Kinderzahl und Wohneigentum gibt.

Ebenso werden wir den Kommunen eine praxisorientierte Handreichung geben, um die Wohn- und Lebensverhältnisse für die Familien zu verbessern. Ein Beratungsdienst des Landes wird hierfür zur Verfügung stehen, denn zu familiengerechten Wohnungen gehört auch ein familiengerechtes Umfeld.

Gleichzeitig werden die Kommunen in die Lage versetzt, durch den „Familienratgeber“ und eigene Auskunftsstellen über die Leistungen des Landes und die Angebote für Familien vor Ort zu informieren, Angebote, die sich mit der Einführung des neuen Familienpasses noch ausweiten werden. Ich erwarte, dass mit dem Familienpass in Zukunft viele Unternehmen und öffentliche Einrichtungen Vergünstigungen anbieten und damit dazu beitragen, dass Familien in unserem Land entlastet werden und so unser Land Stück für Stück familienfreundlicher wird.

Bei diesem Familienpass werden wir gerade Bereiche der freien Wirtschaft in das Leistungsangebot mit einbeziehen. Deshalb ist ein kommunaler Familienpass zu kurz gesprungen, schließt wesentliche Bereiche der Leistungen aus und begünstigt auch diejenigen Einwohnerinnen und Einwohner, die in Kommunen leben, die Leistungen anbieten können, während andere nur davon Kenntnis erhalten würden.

Ein Wettbewerb „Familienfreundliche Kommune“ und Auditierungen zur Familienfreundlichkeit sollen darüber hinaus einen Anreiz für Kommunen und Unternehmen bieten, die permanente Fortentwicklung eines familienfreundlichen Umfeldes, auch des Arbeitsumfeldes sicherzustellen. Übrigens: Mein Haus wird sich als eines der nächsten Unternehmen dem Audit „Beruf und Familie“ unterziehen.

(Zustimmung von Frau Dr. Kuppe, SPD)

Aber auch die Politik der Landesregierung insgesamt wird von diesem Gesetz nachhaltig beeinflusst werden. Die Familienfreundlichkeitsprüfung, die sich das Land vorgenommen hat, bedeutet ja nichts weniger als die institutionalisierte Sicherung und Ausweitung der Rechte von Familien in alle für Familien wichtigen Handlungsfelder. Damit wird die Familienpolitik Teil jeder politischen Entscheidung, und so, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss es auch sein.

An dieser Stelle kann ich nur noch einmal an alle Fraktionen dieses Hohen Hauses appellieren, dass Familiengründung zwar zuerst eine Herzenssache ist, aber auch von Gefühlen und dem Verstand begleitet wird.

Für uns ist die Frage: Welches Signal wird von der folgenden Debatte ausgehen - das Signal für mehr Familienfreundlichkeit, für das gemeinsame Handeln für die Familie oder ein Signal politischer Streiterei auf dem Rücken von Familien?

Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Herren, mit diesem ersten Anfang erreichen wird einen notwendigen Wandel im direkten Lebensumfeld von Familien. Wir sind auch die ersten in Deutschland, die es in dieser komplexen Form tun. Wir können daher auch an dieser Stelle sagen: Wir stehen früher auf.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Kley. - Als nächste Rednerin spricht die PDS-Abgeordnete Frau Bull. Ich erteile Ihnen das Wort.

Meine Damen und Herren! Ich war jetzt von der Kürze etwas überrascht. - Die Regierungserklärung vom 1. April, denke ich, wird dem einen oder anderen von Ihnen noch in Erinnerung sein: 1. April 2003. Das war quasi der familienpolitische Aufschlag der Landesregierung. Ich habe damals vehement dagegen gesprochen, dass das ein Aprilscherz sei. Ich habe das auch wirklich ernst genommen. Danach fingen die Akteure im Land an zu scharren. Und was kam, war zunächst nichts.

Also musste ein schweres Geschütz herbei. Das Familienleistungsgesetz wurde damals ausgerufen. Was Ihnen jetzt vorliegt, meine Damen und Herren - dabei werden wir ohne Streit nicht auskommen; das ist nun mal so -, ist ein Familienfördergesetz, das sich vor allem dadurch auszeichnet, dass gähnende Leere herrscht.

(Zustimmung bei der PDS und bei der SPD)

Diesen Eindruck mag man vielleicht gar nicht gewinnen, wenn man sich die Papierfülle anschaut; das ist mir schon klar. Aber es ist so. Nun weiß ich, Herr Minister, dass man die Zahnpasta, wenn man sie herausdrückt, nicht ohne weiteres wieder in die Tube hineinbekommt. Das ist auch klar. Aber was Sie gemacht haben, ist nichts weiter, als sich sämtliche irgendwo vorhandene Förderprogramme, mindestens zehn Jahre alt, zusammenzuholen, aufzuschreiben und Paragrafen davor zu setzen.

Das Schülerferienticket haben wir seit 1997. Die Förderung des Schülerverkehrs ist in § 71 FAG bereits festgeschrieben. Die Stiftung „Familie in Not“ ist auch mindestens zehn Jahre alt. Den Inhalt des gesamten Artikels 2, Familienbildung und Familienerholung, haben wir seit

mindestens zehn Jahren. Das ist obendrein Gesetzesverpflichtung nach SGB VIII und SGB II.

Zugegeben, meine Damen und Herren, man kann nicht immer etwas gegen alte Hüte haben. Das ist gar keine Frage. Das Problem ist nur: Wenn ich sie in Gesetzesform gieße, habe ich natürlich auch keine Handhabe mehr, flexibel und zeitgemäß zu reagieren. Ich will das an einem Beispiel darstellen.

Das Programm Familienerholung leistet seit vielen Jahren gute Dienste, keine Frage. Dann wurde die Bildung formal zur Bedingung gemacht und neuerdings werden Familienerholungsmaßnahmen so gut wie nicht mehr abgerufen. Der Landkreis Wernigerode hatte in den letzten Jahren 20 000 € zur Verfügung. Im Moment sind es mit Stand April genau noch drei, vier Familien, die davon Gebrauch machen wollen. Nun könnte man sagen, okay, dann sind wenigstens unsere Einrichtungen in SachsenAnhalt ausgelastet. Das ist aber auch nicht der Fall.

Wie gesagt, nichts gegen alte Hüte, aber flexibel handhabbar müssen sie sein und das sind sie mit einem Gesetz nicht.

Dann haben Sie schnell noch das Kinderförderungsgesetz gedoubelt, das SGB VIII umformuliert, es aber dabei keineswegs konkreter gemacht. Ich frage mich, wie man Juristen motivieren kann, ein solches Gesetz zu fabrizieren und es auch noch als Artikelgesetz auszugeben.

Nun zu den beiden, wie ich zugebe, tatsächlich substanziellen Punkten, die das Gesetz unter Umständen zu bieten hat und über die man streiten muss.

Ich dachte, dass man zu der Gestaltung des Landesfamilienpasses nun ein paar konkrete Mitteilungen bekommt, damit man eine Vorstellung bekommt, wie das funktionieren soll. Das ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Bisher habe ich gedacht, dass Sie sich an dem Modell des Freistaates Thüringen orientieren. Nun muss ich zur Kenntnis nehmen: Mein Personalausweis sagt in Zukunft, dass ich ich bin, und mein Landesfamilienpass sagt, dass ich auch noch Mitglied meiner Familie bin. - Danke schön!

Ich war bereit, meine schnippische Bemerkung bezüglich des Landesweingutes von vor einem Jahr zurückzunehmen. Aber das Modell in Thüringen ist ein attraktives Angebot, ein Bildungsangebot, ein touristisches Angebot für Familien. Wir haben uns das vor Ort angeschaut. Der Freistaat Thüringen stellt 500 000 € im Jahr zur Verfügung. Vor dem Hintergrund des Thüringen-Passes werden für ungefähr 25 000 Familien Familienpässe möglich gemacht, die ansonsten ungefähr 30 € pro Familien kosten würden.

Zugegeben, es ist ein attraktives Angebot für wenige, es ist anspruchsvolle Familienbildung. Nur, gemessen an der Zahl der Familien, die überhaupt infrage kämen, macht es ganze 20 % aus. Mit 300 000 € würden wir im Land Sachsen-Anhalt weitaus darunter liegen.

Die PDS - das ist bekannt - hat anstelle dessen die Förderung kommunaler oder regionalpolitischer Familienpässe gefordert. Sie könnten die Familienerholungsmaßnahmen freigeben, Sie könnten die Elternbriefe stoppen - diese halte ich für freundlich, aber dennoch überflüssig -, Sie könnten Ihre pompöse Öffentlichkeitsarbeit einschränken. Zusammen mit den Mitteln für den Landesfamilienpass hätten wir 1 Million € für Familienpolitik in der Region. Dazu kämen - das fände ich zumindest

aus inhaltlicher Sicht auch sinnvoll - die Mittel aus dem Unterhaltsvorschussgesetz. Damit hätten wir rund 2,5 Millionen € für Familienpolitik vor Ort zur Verfügung, meine Damen und Herren.

Familienpolitik und Sozialpolitik sind in den Kommunen in den besten Händen. Dort sind sie flexibel, komplex und zugleich auch bürgernah, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)