Protokoll der Sitzung vom 06.10.2005

Niemals sind Einsparungen in Höhe von 500 Millionen € auf den Weg gebracht worden. In Wahrheit ist es viel weniger, vielleicht die Hälfte. Nehmen wir einmal den Landesbetrieb Bau. In diesem Fall zahlt das Land allein rund 60 Millionen € im Jahr an Personalkostenzuschüssen. Aber diese Ausgaben tauchen eben nicht mehr in der Personalausgabenstatistik des Landes auf. Sie sind vielmehr zu Zuschüssen an Dritte mutiert.

(Beifall bei der SPD)

Herr Paqué, wo ist denn hier die Einsparung? - Sie wissen es selbst nicht. Wie wollen Sie die gesamte Summe künftig erwirtschaften, die Sie doch bereits in Ihrer Sparstatistik verbucht haben? - Wieder fehlt ein langfristiges Konzept. Ich bin in höchstem Maße darüber entsetzt, dass Sie versuchen, das Parlament für dumm zu verkaufen. So etwas bringt uns keinen Schritt weiter. Sich selbst und anderen etwas vorzumachen, das bringt nun wirklich nichts.

Wir müssen uns stattdessen mit Ehrlichkeit, Mut und Kraft den Realitäten stellen. Realität bedeutet: Der Aufbau Ost muss in Sachsen-Anhalt konkret gestaltet werden - ich betone: gestaltet. Dafür bedarf es eines Konzeptes, das über die übliche Sicht der Wahlperioden hinausreicht.

Bei Ihnen kann ich ein solches Konzept nicht sehen. Sie formulieren ein paar Phrasen in Richtung Bundespolitik, und das war es. Zum Gestalten eines so komplexen und langfristigen Prozesses wie der weiteren Entwicklung unseres Landes braucht es aber klare Linien und klare Schwerpunktsetzungen, Schwerpunktsetzungen, über die wir als SPD bereits länger diskutieren und bei denen Gerechtigkeit und Solidarität eine ganz wesentliche Rolle spielen.

Gerade in der Diskussion um den weiteren Fortgang des Aufbaus der östlichen Bundesländer müssen diese Werte, die tief in der Bevölkerung verwurzelt sind, beachtet werden; denn vor uns liegt kein leichter Weg. Ich möchte es ganz deutlich sagen: Aufbau Ost heißt heute, von der überholten Vorstellung flächendeckender blühender Landschaften Abschied zu nehmen und zu einem realistischen Blick zu kommen, welcher den Menschen einen dauerhaften sozialen Zusammenhalt ermöglicht.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Es ist in diesem Zusammenhang notwendig, nach neuen Lösungsansätzen zu suchen, um den Prozess des demografischen Wandels mit all seinen Auswirkungen sozial gerecht gestalten zu können. Lassen Sie mich deshalb von der Vergangenheit und der Gegenwart in die Zukunft, also nach vorn blicken.

Was ist finanzpolitisch notwendig, um das Land Sachsen-Anhalt so aufzubauen, dass es nach dem Jahr 2020 auf eigenen Füßen stehen kann? - In den vergangenen Wochen und Monaten hat sich eine Gruppe nicht nur finanzpolitisch Interessierter um Jens Bullerjahn mit diesem Thema beschäftigt und die Ergebnisse dazu niedergeschrieben. Ich selbst habe an diesem Thema mitgearbeitet. Glauben Sie mir: Das ist keine leichte Kost für eine Oppositionspartei. Das ruft auch in den eigenen Reihen oft Fragen hervor: Warum macht ihr das?

(Herr Tullner, CDU: Deswegen muss es nicht richtig sein!)

Darauf kann ich nur eine Antwort geben, die alles erklärt: Weil wir auf die Übernahme der Regierungsverantwortung im Jahr 2006 deutlich besser vorbereitet sein wollen, als Sie alle zusammen es je waren. - So einfach, aber auch so schwierig ist das.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Wir haben festgestellt, dass eine Politik des „Weiter so“ mit uns nicht machbar ist.

(Oh! bei der CDU)

Ich verdeutliche Ihnen nun unseren Ansatz. Die weitere Gestaltung des Aufbaus Ost bis zum Auslaufen des Solidarpaktes II gelingt uns aus finanzpolitischer Sicht nur, wenn eine zukunftsorientierte, solide und solidarische Finanzpolitik betrieben wird.

(Herr Schulz, CDU: Endlich ist die SPD so weit! - Weitere Zurufe von der CDU)

Erstens. Diese Finanzpolitik muss sich an der demografischen Entwicklung orientieren; denn viele Einnahmen und Ausgaben hängen - da erzähle ich auch Ihnen nichts Neues - von der Einwohnerzahl ab.

(Oh! bei der CDU)

Zweitens. Diese Finanzpolitik muss endlich von einer echten Konsolidierung bestimmt sein. Der Wille allein, Herr Paqué, reicht nicht.

(Zurufe von der CDU)

Konkret heißt das: Rückführung der jährlichen Kreditaufnahme bis zum Jahr 2010 und Beginn der Schuldentilgung ab dem Haushaltsjahr 2011 mit jährlich 200 Millionen €.

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hüskens zu beantworten?

Das mache ich gern am Ende.

Am Ende.

Nur so kann es gelingen, die Zinsbelastungen in Höhe von mehr als 1 Milliarde € jährlich zurückzuführen.

Drittens. Die Ausgaben im Landeshaushalt müssen dauerhaft an die zu erwartenden Einnahmen angepasst werden. Die Rückführung der Ausgaben muss klar nachvollziehbaren politischen Prioritäten folgen und langfristig angelegt werden. Das Rasenmäherprinzip hat damit ausgedient.

Viertens. Eine solche Finanzpolitik konzentriert sich auf Ausgabenschwerpunkte. Dazu möchte ich die Arbeitsmarkt-, Familien- und Bildungspolitik sowie allgemein die Investitionen nennen.

(Herr Tullner, CDU: Also alles!)

Hierin liegen die Zukunftschancen unseres Landes. Klar ist dann aber auch: Wird an einer Stelle mehr Geld zur Verfügung gestellt, muss an anderer Stelle noch konsequenter gespart werden.

Fünftens. Wir brauchen eine Konsolidierungspartnerschaft zwischen dem Land und den Kommunen, und zwar mit Kommunen, die effizient gegliedert sind, also nicht in der Form, in der Sie derzeit neu gliedern. Nur eine Gebiets- und Funktionalreform, die sich an der künftigen demografischen Entwicklung orientiert, eröffnet die Möglichkeit, dauerhaft Kosten einzusparen. Das heißt: Zweistufigkeit, große Landkreise, Einheitsgemeinden,

(Beifall bei der SPD - Herr Scharf, CDU: Steht das in dem Papier?)

- ja, ja - Überarbeitung des Finanzausgleichsgesetzes mit dem Ziel, die Starken zu stärken. Fairerweise sage ich auch, dass die Kommunen mittel- und langfristig entsprechend dem sinkenden Landeshaushalt weniger Zuschüsse erhalten werden.

Sechstens. Eine zukunftsfähige Finanzpolitik forciert die Anpassung der Anzahl der Landesbediensteten an den heutigen bundesdeutschen Durchschnitt. Das heißt konkret: jährlicher Abbau von netto 1 750 Stellen im öffentlichen Dienst bei einem Einstellungskorridor von jährlich 250 Stellen. Dann erreicht Sachsen-Anhalt im Jahr 2020 mit etwa 38 000 Landesbediensteten den Durchschnitt von 18 Stellen auf 1 000 Einwohner.

Siebentens. Das Land Sachsen-Anhalt braucht auf dem Weg der Haushaltskonsolidierung eine echte Entbürokratisierung, verbunden mit einem Aufgabenverzicht. Ohne den Wegfall bürokratischer Verwaltungstätigkeit ist weder der Personalabbau zu bewältigen, noch erhalten die Kommunen bei sinkenden Zuweisungen den notwendigen Handlungsspielraum für ihre Kosteneinsparungen.

Achtens. Der Rückgang des Gesamthaushaltsvolumens auf den Durchschnitt westdeutscher Flächenländer ist nicht allein ausgabenseitig zu bewältigen. Eine dauerhafte Stärkung der Einnahmenseite ist unabdingbar. Mittelfristig brauchen wir eine Steuerreform, die auch dort, wo der Aufbau Ost aktiv gestaltet werden muss, zu deutlichen Mehreinnahmen führt.

Die volkswirtschaftliche Steuerquote muss von ihrem derzeitigen historischen Tiefpunkt von 21,5 % auf 23 % steigen, um allen staatlichen Ebenen die notwendigen finanziellen Handlungsspielräume zu gewähren. Dies gilt umso mehr für die ostdeutschen Länder und in der Folge auch für die Kommunen im Zusammenhang mit der schrittweisen Absenkung der Zahlungen aus dem Solidarpakt II bis zum Jahr 2020.

Neuntens. Auch bei striktester Ausgabendisziplin wird Sachsen-Anhalt ab den Haushaltsjahren 2010/2011 unter den derzeit geltenden Rahmenbedingungen keinen ausgeglichenen Haushalt erreichen können. Mit dem Beginn der sinkenden Zahlungen aus dem Solidarpakt II, dem politisch gewollten Verzicht auf neue Kredite und dem Beginn der Tilgung der Gesamtverschuldung entsteht ein jährliches Defizit zwischen Einnahmen und Ausgaben in Höhe von ca. 500 bis 600 Millionen €.

Mit diesem Problem werden die anderen ostdeutschen Länder ebenso wie Sachsen-Anhalt konfrontiert werden. Deshalb muss eine gesamtstaatliche Lösung gefunden werden. Das ist kein Kneifen und auch kein Aufgeben, sondern es ist das Ergebnis einer realistischen Berechnung, nach der wir ohne einen Beitrag des Bundes keinen ausgeglichenen Haushalt hinbekommen werden. Neben den Möglichkeiten einer Teilentschuldung, der Öffnung des Solidarpaktes II oder der Übernahme besonderer sozialer Lasten der Länder durch den Bund er

scheint die Verbesserung der steuerlichen Einnahmebasis durch eine umfassende Steuerreform am realistischsten.

Ich denke, dass mit diesem vorgeschlagenen Maßnahmenpaket deutlich wird, dass die finanzpolitische Herausforderung des Aufbaus Ost in Sachsen-Anhalt gelingen kann. Die Punkte müssen nur umgehend angegangen werden. Dazu fehlt der jetzigen Landesregierung derzeit jedoch die Kraft.

(Herr Tullner, CDU: Ach ja?)

Am Ende des Weges sehe ich ein Sachsen-Anhalt, das familienfreundlich, lebenswert und zukunftsgerecht gestaltet ist, das bundesweit für seine moderne Hochschullandschaft anerkannt ist und den hier lebenden Einwohnern verstärkt im eigenen Land innovative Arbeitsplätze und ein lebenswertes Wohnumfeld für alle Generationen bietet.

Der Solidarpakt stellt uns für die Umgestaltung unseres Landes noch 15 Jahre lang Mittel bereit. Lassen Sie uns diese Zeit gemeinsam nutzen. Das ist unsere politische Verantwortung, die wir wahrzunehmen haben. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Fischer. Sie waren bereit, eine Frage der Abgeordneten Frau Dr. Hüskens zu beantworten.

Aber gern.

Frau Dr. Hüskens, Sie haben jetzt die Möglichkeit, die Frage zu stellen.

Frau Fischer, Sie haben eingangs kritisiert, dass der Minister keine Vorschläge unterbreitet habe, wie wir zu einer Konsolidierung des Haushaltes kommen könnten. Sie haben in Ihren Ausführungen drei Punkte genannt, Personalabbau, Endbürokratisierung und Deregulierung, die der Minister auch genannt hatte. Ich glaube, diese Punkte bestehen relativ unstrittig in den Vorstellungen aller Fraktionen.

Sie haben aber im nächsten Punkt als Lösung unserer Probleme vorgeschlagen, dass der Bund uns Geld geben soll. Das ist aus unserer Sicht außerordentlich unrealistisch. Gibt es in Ihrem Papier - ich muss gestehen, ich habe es noch nicht ganz bis zum Ende gelesen -

Dann tun Sie das, Frau Dr. Hüskens. Es wird erhellend sein.

irgendeinen aktiven Vorschlag der SPD zur Haushaltskonsolidierung dieses Landes? Ich konnte das nicht finden.