Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

Es geht jetzt darum, diese Funktionalreform in ein Gesetz zu kleiden. Ich meine, dass aufgrund der zeitlichen Nähe zum Ende der Legislaturperiode eine in der thematischen Breite notwendige Diskussion und Verabschiedung des Gesetzes nicht mehr möglich sein wird.

Wir würden es etwas blind angehen, wenn wir sozusagen noch kurz vor dem Ende der Legislaturperiode einen Gesetzentwurf einbringen, den wir nicht mehr mit einer ausreichenden Beratung verabschieden können. Das würde Ihnen auch nicht gefallen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wären die Ersten, die sich in diesem Fall zu Recht über abgekürzte Beratungsverfahren beschweren würden.

Lassen Sie uns also gemeinsam in der nächsten Legislaturperiode eine Funktionalreform als erste und vordringliche Aufgabe angehen. Ich meine, damit schließt sich der Kreis auch zum Landkreistag, der einen engen zeitlichen Zusammenhang zum In-Kraft-Treten der Kreisgebietsreform am 1. Juli 2007 fordert.

Das bedeutet nicht, dass wir die Funktionalreform heute beschließen müssen, dass sie aber jedenfalls zum 1. Juli 2007 fertig sein muss. Je eher wir damit fertig sind, desto besser ist es natürlich. Aber es besteht keine Not, ein abgekürztes Verfahren zu wählen und die Diskussion, die, wenn man sich den Beschluss anschaut, in thematischer Bereite zu führen ist, abzuschneiden.

Meine Damen und Herren! Ich sage Ihnen, aus den Diskussionen, die in den letzten dreieinhalb Jahren mit den kommunalen Spitzenverbänden, aber natürlich auch mit Funktionsträgern vor Ort geführt wurden, ist eines ganz klar geworden: Wir werden in der Diskussion auch darüber reden müssen, ob wir einzelne Punkte des Be

schlusses so umsetzen können. Deshalb scheidet auch - daran könnte man vielleicht denken - die schnelle Übernahme des Beschlusses in ein Gesetz aus unserer Sicht aus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fasse zusammen. Die FDP-Fraktion spricht sich ganz klar für eine umfangreiche Funktionalreform aus. Dies ist eine Aufgabe für die nächste Legislaturperiode, um rechtzeitig vor dem In-Kraft-Treten der neuen Kreisgebietsstrukturen den Kreisen weitere Aufgabe übertragen zu können - wir wollen sie auch umfangreich übertragen -, sodass die aus unserer Sicht leistungsfähigen Landkreise die Aufgaben, die sinnvollerweise auf der unteren Ebene zu erfüllen sind, auch erfüllen können. Lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kosmehl. - Für die SPD-Fraktion erteile ich nun Herrn Rothe das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS findet die Zustimmung der SPD-Fraktion. Wir sind der Auffassung, dass die Landesregierung im Innenausschuss und in den Fachausschüssen darüber berichten soll, wie sie sich zu den Forderungen des Landkreistages zur Funktionalreform verhält und welche konkreten Schritte sie zur Umsetzung zu unternehmen gedenkt.

Eigentlich hätte dieser Antrag der CDU-Fraktion gut zu Gesicht gestanden. Der Kollege Becker hat am 7. Oktober 1999 in der Debatte zu einer Große Anfrage der CDU-Fraktion zur Verwaltungsreform für die CDU-Fraktion Folgendes festgestellt:

„Wir werden jetzt und für alle Zukunft - das möchte ich deutlich machen - einer Gebietsreform in diesem Lande unser Wort nicht geben, solange es nicht zu einer echten und vernünftigen Verwaltungs- und Funktionalreform kommt.“

(Beifall bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS - Zuruf von Herrn Bischoff, SPD)

Die Rede von Herrn Becker ist mir auch deshalb unvergesslich, weil er mir damals in Naumburg Asyl gewähren wollte wegen der Forderung, die Zahl der Landkreise zu reduzieren.

In den zehn Thesen zur Fortentwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Sachsen-Anhalt, welche die CDU-Fraktion im September 2000 einstimmig beschlossen hat, heißt es unter der Überschrift „Es lebe die Vielfalt“:

„Bloße Einwohner-Mindestgrößen und Durchschnittsbetrachtungen, wie sie das Leitbild der Landesregierung in theoretischen Denkmodellen anstellt, werden der Wirklichkeit in unserem Land nicht gerecht.“

Und weiter:

„Entscheidendes Kriterium für Zusammenschlüsse kann nur die Frage sein, wie kommunale Gebietskörperschaften ihren zukünftigen Aufgabenbestand qualitativ gut wahrnehmen können.“

Am 20. März 2001 hat der Landesausschuss der CDU Sachsen-Anhalt in Brehna einen Kommunalwahlaufruf beschlossen. Darin heißt es:

„Erst wenn über den künftigen Aufbau der Landesverwaltung und Aufgabenverlagerungen an Kommunen Klarheit besteht, kann über eine Änderung der Kommunalstrukturen nachgedacht werden.“

(Herr Bischoff, SPD: Wir waren schon einmal weiter!)

Nachgedacht werden - der Gedanke war schon zu viel.

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

- Ja, Herr Borgwardt, was will ich jetzt damit sagen?

(Heiterkeit bei der CDU)

Wissen Sie, Herr Gürth hat vor der Landtagswahl im Jahr 2002 in einer Wahlkampfzeitung bei uns in Aschersleben verkündet: „Wer zur Landtagswahl SPD und PDS wählt, beendet damit die Geschichte Ascherslebens als Kreisstadt.“

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS)

Wie wollen wir, Herr Gürth und ich, den Leuten den Verlust des Kreissitzes erklären, wenn wir überhaupt nicht in der Lage sind zu sagen, welche Aufgaben künftig ortsnäher erledigt werden als bisher und welche Aufgaben von dem zentralistischen Landesverwaltungsamt herunterverlagert werden?

(Zustimmung bei der SPD und bei der Linkspar- tei.PDS)

Wir brauchen eine vernünftige Funktionalreform, um die Kreisgebietsreform zu legitimieren, um die Akzeptanz vor Ort herzustellen. Wir können das doch nicht allein mit fiskalischen Erwägungen begründen.

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Daehre)

Die Aufgabenverlagerung muss klar sein, und es muss konkret benannt werden können,

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Daehre)

was künftig auf der Kreisebene gemacht wird statt im fernen Halle. Das ist genau der Punkt. Weil Sie diese Klarheit nicht schaffen, werden Sie auch die Zustimmung in der Bevölkerung für den notwendigen Verlust von Kreissitzen nicht herstellen.

Ich finde es sehr schade, dass die Debatte heute Nachmittag nicht vor dem gleichen Publikum stattfindet wie die Debatte heute Vormittag.

(Zustimmung bei der SPD und bei der Linkspar- tei.PDS)

Aber eigentlich ist es wieder gut, dass wir den Landräten die Peinlichkeit ersparen zu hören, wie Herr Minister Robra und Kollege Kosmehl mit dem Anliegen der Funktionalreform heute umgehen. Das ist doch ein Herumgedruckse, statt dass man klare Aussagen trifft.

(Zustimmung bei der SPD und bei der Linkspar- tei.PDS - Zuruf von Staatsminister Herrn Robra)

- Dann lassen Sie uns doch einmal über die Aufgaben reden. Ich nehme einmal die Schulaufsicht. Die Landräte wollen, dass die Schulaufsicht in die Kreisverwaltungen eingegliedert wird. Dafür gibt es auch konkrete Anlässe.

Beispielsweise gab es bei uns im Kreis neulich eine Auseinandersetzung um die Besetzung der Schulleiterstelle in Nachterstedt. Aufgrund der Schließung der benachbarten Sekundarschule in Hoym war eine Neuentscheidung erforderlich. Am Ende war der Eindruck weit verbreitet, dass es besser wäre, wenn man so etwas schulfachlich im Landratsamt anstatt im Landesverwaltungsamt in Halle entscheiden würde.

(Zuruf von der CDU)

Das wäre nicht nur ein innovativer Gedanke, die inneren und äußeren Schulangelegenheiten im Landratsamt zusammenzuführen, sondern ein Rückgriff auf Bewährtes. Ich meine damit nicht die damalige Bildungspolitik, sondern die Aufbauorganisation beim Rat des Kreises, Abteilung Volksbildung.

(Herr Scharf; CDU: Herr Rothe, sehen Sie sich die Sonderschulen und Berufsschulen an! Da be- kommen Sie ein differenziertes Bild!)

- Die Sonderschulen und die Berufsschulen sind nun auch ein besonderer Fall, Herr Scharf.

(Herr Scharf, CDU: Ja!)

Ich meine, dass die Landkreise ihre Kompetenzen einbringen können und wollen, vor allem im Jugend- und Sozialbereich, um das Schulsystem zu ertüchtigen.

(Staatsminister Herr Robra: Das ist schwierig!)

Sehen Sie einmal nach Skandinavien und lesen Sie nach, was dazu in der Pisa-Studie steht.

Die Eingliederung der staatlichen Schulaufsicht in die Kreisverwaltungen ist aber nur ein markanter Punkt im Forderungskatalog des Landkreistages. An erster Stelle geht es den Landkreisen um die Federführung bei der Weiterentwicklung des ländlichen Raums. Damit würde auch der Neuausrichtung der Agrarförderung Rechnung getragen, die sich künftig weniger an der Agrarproduktion als an einem ganzheitlichen Ansatz zur Entwicklung des ländlichen Raumes orientieren soll. Dafür sind die Landkreise als Bündelungsbehörde genau richtig. Die Landkreise sind an den Aufgaben der Ämter für Landwirtschaft und Flurneuordnung interessiert und sind auch bereit, das gesamte Personal zu übernehmen.

Der Herr Innenminister hat auf diese Forderungen neulich bei der Landkreisversammlung in Oschersleben verständnisvoll reagiert. Er sagte in seinem Grußwort:

„Die Entwicklung des ländlichen Raumes ist vielleicht die wichtigste Aufgabe der Landkreise.“