Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 7. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode. Dazu möchte ich Sie, sehr verehrte Anwesende, auf das Herzlichste begrüßen.
Zunächst möchte ich Sie darüber informieren, dass der Sender Phoenix, der Ereignis- und Dokumentationskanal von ARD und ZDF, während der Debatte zum Tagesordnungspunkt 1 Live-Aufnahmen machen wird. Dazu werden neben dem MDR weitere drei Kamerateams tätig sein. Für eventuelle platzmäßige Einschränkungen möchte ich gleich zu Beginn um Verständnis werben.
Meine Damen und Herren! Die Mitglieder des Landtages Herr Horst Hacke und Herr Minister Dr. Horst Rehberger haben heute Geburtstag.
Im Namen des Hohen Hauses sowie persönlich gratuliere ich Ihnen dazu recht herzlich. Ich wünsche Ihnen alles Gute, besonders beste Gesundheit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt leider nicht nur Erfreuliches. Uns hat die Nachricht erreicht, dass am 9. September 2002 der Liberaldemokrat Herr Professor Dr. Dr. Gerd Brunner im Alter von 74 Jahren verstorben ist. Herr Professor Brunner war Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt der ersten Wahlperiode. In den Jahren 1990 und 1991 gehörte er der ersten Landesregierung Sachsen-Anhalts nach der Wende als Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten an. Zugleich war er stellvertretender Ministerpräsident. Ich habe auch in Ihrem Namen an die Hinterbliebenen ein Kondolenzschreiben gerichtet und einen Kranz überbringen lassen.
Im Gedenken an den Verstorbenen darf ich Sie bitten, sich zu einer Schweigeminute von den Plätzen zu erheben. - Ich danke Ihnen.
Ich darf zu Beginn Mitglieder der Landesregierung entschuldigen. Herr Minister Becker entschuldigt sich für den heutigen Sitzungstag. Er nimmt an dem Treffen der Justizminister in Heidelberg teil. Herr Staatsminister Robra wird heute um ca. 11.30 Uhr die Sitzung verlassen müssen und hat sich auch für die morgige Landtagssitzung entschuldigt, da er an der Tagung des ZDFFernsehrates in Mainz teilnimmt.
Nun zur Tagesordnung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Tagesordnung für die 5. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Im Ältestenrat wurde vereinbart, die Tagesordnungspunkte 3, 4 und 12 als erste Punkte am morgigen Tag zu behandeln.
Zu Tagesordnungspunkt 3 - Aktuelle Debatte - hat die Fraktion der SPD fristgemäß ein weiteres Thema beantragt. Der Antrag liegt Ihnen in der Drs. 4/251 vor. Wie im Ältestenrat vereinbart, wird das Thema als Tagesordnungspunkt 3 b in die Tagesordnung eingeordnet.
Gibt es weitere Bemerkungen zur Tagesordnung? - Ich stelle fest, das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren.
Gestatten Sie mir, noch einige Bemerkungen zu organisatorischen Fragen der 5. Sitzungsperiode zu machen.
Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, hat es in der dritten Wahlperiode wiederholt Hinweise zur Qualität der Tonübertragung im Plenarsaal gegeben. Die durchgeführten Untersuchungen haben dazu geführt, dass nunmehr ein anderes Mikrofonsystem zu testen sein wird. Dieses entspricht den Mikrofonen im Deutschen Bundestag.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die Mikrofone allerdings zunächst nur provisorisch montiert sind, um gegebenenfalls Korrekturen bzw. den Abbau der Mikrofone zu ermöglichen. Deshalb werden sich zeitweilig Techniker im Plenarsaal aufhalten, die mit Prüfaufgaben betraut sind. Nach der Landtagssitzung muss dann eine Entscheidung getroffen werden, ob die testweise aufgebauten Mikrofone erworben und endgültig montiert werden sollen.
Ich bitte Sie daher, während der Sitzung auf die Qualität der Tonübertragung und der Anlage zu achten. Dazu hat die Landtagsverwaltung einen Fragebogen verteilt, in welchen Sie bitte am Ende der Sitzung Ihr Votum zu der neuen Anlage eintragen möchten.
Erlauben Sie mir bitte noch eine weitere Bemerkung. Wegen der Bauarbeiten im Westflügel steht bekanntlich in den nächsten Monaten der Speisesaal nicht zur Verfügung. Das begrenzte Platzangebot in der Cafeteria reicht für die sonst übliche Mittagsversorgung während der Landtagssitzung verständlicherweise nicht aus. Deshalb besteht zusätzlich die Möglichkeit, in der Zeit von 11 Uhr bis 14.30 Uhr im Erdgeschoss des Ostflügels eine warme Mahlzeit einzunehmen. Zudem haben sich die Fraktionen im Ältestenrat darauf verständigt, die Sitzung des Landtages an beiden Tagen wegen der Mittagspause nicht zu unterbrechen.
Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat des Weiteren darauf verständigt, die heutige Sitzung wegen der um 20 Uhr beginnenden parlamentarischen Begegnung mit der Landesvereinigung für Gesundheit Sachsen-Anhalt e. V. gegen 19.45 Uhr zu beenden.
Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten Prof. Dr. Böhmer zum Thema: Die Bewältigung der Hochwasserkatastrophe und deren Folgen in Sachsen-Anhalt
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erteile das Wort Herrn Ministerpräsidenten Professor Dr. Wolfgang Böhmer zur Abgabe der Regierungserklärung. Bitte sehr, Herr Ministerpräsident.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im August dieses Jahres haben wir in SachsenAnhalt eine Sommerhochwasserflut der Elbe und der Mulde erleben müssen, wie sie seit mehr als 100 Jahren
nicht mehr vorgekommen ist. Die Hochwasserfluten der Elbe betrafen auch die Menschen in Tschechien, in Sachsen, in Brandenburg, in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein. Infolge des Hochwassers der Donau war der Freistaat Bayern ebenfalls von Hochwasser betroffen. Wir haben aber auch nicht vergessen, dass zuvor Österreich und im September dieses Jahres Frankreich sowie eine Reihe asiatischer Länder von Hochwasserkatastrophen schwer betroffen waren. Unser Schicksal haben somit mehrere Regionen in dieser Welt durchleben müssen.
Ich möchte Ihnen heute eine erste zusammenfassende Darstellung der Hochwasserkatastrophe bei uns in Sachsen-Anhalt und der Beseitigung der Folgen vortragen, ungeachtet des Umstands, dass der Landtag voraussichtlich einen zeitweiligen Ausschuss einrichten wird, der sich mit diesen Fragestellungen ausführlicher befassen soll.
Nach starken Niederschlägen in der tschechischen Republik und im Freistaat Sachsen stiegen die Pegel der Flüsse Moldau, Elbe und Mulde dramatisch an. Am Dienstag, dem 13. August 2002, erreichte ein erster Hochwasserscheitelpunkt der Mulde Sachsen-Anhalt. Hiervon betroffen waren der Landkreis Bitterfeld und die Stadt Dessau, die daraufhin den Katastrophenalarm ausriefen. In der Folge wurden in Dessau Stadtteile überflutet. Erste Evakuierungsmaßnahmen wurden vollzogen. Die ersten Deichüberflutungen und ein Deichbruch oberhalb der Goitzsche wurden am 14. August festgestellt.
Am 15. August erreichte das Hochwasser der Elbe das Land Sachsen-Anhalt. Die Landkreise und kreisfreien Städte entlang des Flusses bereiteten sich auf den Katastrophenfall vor. Durch die Landkreise Wittenberg, Anhalt-Zerbst, Köthen, Schönebeck, Stendal, den Ohrekreis und die Landeshauptstadt Magdeburg wurde der Katastrophenfall am 15. August festgestellt. Der Landkreis Jerichower Land folgte am 16. August. Am 15. August wurde das Pretziener Wehr vor Magdeburg geöffnet.
Im Landkreis Wittenberg kam es am 17. August zu ersten Deichbrüchen. Der Scheitelpunkt der Elbe erreichte Wittenberg am 18. August mit einem Pegelstand von 7,80 m. In Dessau wurde am gleichen Tag ein Pegelstand von 7,16 m gemessen.
In der Nacht zum 19. August kam es zu einem Deichbruch bei Seegrehna im Landkreis Wittenberg, infolge dessen das Elbewasser eine Vielzahl von Ortschaften in den Landkreisen Anhalt-Zerbst und Wittenberg - mit tagelangen Folgeproblemen - überflutete.
Im Bereich des Elbe-Umflutkanals bei Magdeburg stieg der Wasserpegel so stark an, dass die Bundesstraße B 1 bei Heyrothsberge am 19. August für den Fahrzeugverkehr gesperrt werden musste. An diesem Abend kam es zu einem Bruch eines Siels bei Heyrothsberge, infolge dessen mehrere Orte überflutet wurden und evakuiert werden mussten. Der Scheitelpunkt der Elbe durchlief an diesem Abend die Stadt Magdeburg mit einer Pegelhöhe von 6,70 m. Teile der östlichen Stadtgebiete wurden überflutet.
Erstmalig wurde aus Anlass eines Elbehochwassers im Grenzbereich zwischen den Ländern Brandenburg und Sachsen-Anhalt eine Gruppe von Wehren im Bereich Quitzöbel geöffnet, um die an der Elbe liegende Stadt
Wittenberge zu entlasten. Nach einer Absprache zwischen mir und meinen Kollegen, dem Ministerpräsidenten Platzeck in Brandenburg und dem Ministerpräsidenten Gabriel in Niedersachsen, wurde am 20. August das Wehr Neuwerben geöffnet. Damit wurden vier der fünf Havelpolder gezielt geflutet, um die Elbe zu entlasten. Vorausgegangen war eine ausdrückliche Bitte des niedersächsischen Ministerpräsidenten, was für die Entschädigungsregelungen von Interesse sein könnte.
Der Scheitelpunkt der Elbe erreichte die Stadt Wittenberge am 20. August gegen Mitternacht mit einem Pegel von 7,34 m. Zu weiteren Deichbrüchen bzw. großflächigen Überschwemmungen kam es danach im Norden von Sachsen-Anhalt nicht mehr.
Die Pegelstände übertrafen fast alle bisherigen Höchstmarken, die überwiegend aus den Jahren 1845 bzw. 1862 stammen. Deshalb kann sicherlich zu Recht von einem Jahrhunderthochwasser gesprochen werden.
In den Folgetagen entspannte sich die Hochwassersituation. Die Regierungspräsidien, die Landkreise und die kreisfreien Städte hoben in der Mehrzahl in der Zeit vom 26. bis zum 28. August den Katastrophenalarm wieder auf. Der Landkreis Bitterfeld und die Stadt Dessau konnten aufgrund ihrer komplizierten Lage den Katastrophenalarm erst am 13. September aufheben.
Über die außergewöhnliche Hochwasserlage habe ich mir selbst verschiedentlich vor Ort ein Bild gemacht. Der Minister des Innern und Ministerin Frau Wernicke waren täglich in den Katastrophengebieten unterwegs, die anderen Minister, sofern ihr Zuständigkeitsbereich betroffen war, ebenfalls.
Schon zu Beginn der Hochwasserlage wurde ein in der Folge Tag und Nacht durchgehend tätiger Arbeitsstab „Hochwasser“ im Ministerium des Innern eingerichtet, in dem auch Vertreter der Bundeswehr und des Technischen Hilfswerks mitwirkten.
Parallel dazu wurde im Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt ein Hochwasserstab gebildet, um die ressortinterne Koordination und Abstimmung von Maßnahmen des Hochwassermeldedienstes sicherzustellen sowie gegebenenfalls Hochwasserschutzmaßnahmen einzuleiten. Beteiligt waren Experten aus den Bereichen Hochwasserschutz, Gewässerschutz, Trinkwasser und Abwasser sowie Anlagensicherheit. Dieser Stab tagte bis Ende August ca. 35-mal. Die Querverbindung zum Arbeitsstab des Innenministeriums war durch die Beteiligung des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft gewährleistet.
Die wesentlichen Aufgaben des Arbeitsstabes im Ministerium des Innern waren die Weiterleitung von im Innenministerium eintreffenden Hilfeleistungsangeboten an die Katastrophenschutzstäbe, die Koordinierung und Heranführung kurzfristiger Hilfeleistungen anderer Bundesländer, des Bundes - das heißt der Bundeswehr und des Technischen Hilfswerkes - und ausländischer Hilfsleistungen auf der Grundlage der Anforderungen der Katastrophenschutzstäbe der Regierungspräsidien. Des Weiteren ging es um die vorausschauende Organisation von Wechsel- und Reservekräften aus anderen Bundesländern und des Bundes für die überörtliche Hilfe, die Organisation und Sicherstellung einer lageangepassten Mittelbereitstellung auf der Grundlage der Anforderungen der Katastrophenschutzstäbe der Regierungspräsi
dien und, soweit möglich, die Organisation des Transports in das jeweilige Einsatzgebiet. Ferner erfolgte die Gewährleistung der Lagedarstellung und der Lageberichterstattung, die Einrichtung und das Betreiben einer Bürgerhotline und die Information der Öffentlichkeit.
Der Arbeitsstab des Innenministeriums hat aufgrund der Kräfte- und Mittelanforderungen aus den Landkreisen und kreisfreien Städten für die Bewältigung der Schadenslage die notwendigen personellen und sächlichen Hilfen organisiert und zusammengefasst. Zum Einsatz kamen nach diesem Überblick mehr als 13 500 Kräfte der Feuerwehren aus anderen Bundesländern, des Technischen Hilfswerkes, der Polizei, des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr. Zusammen mit diesen Hilfskräften waren zeitweilig mehr als 17 000 Helfer im Einsatz, darunter 3 600 Soldatinnen und Soldaten aus Bundeswehreinheiten in Sachsen-Anhalt.
Insgesamt wurden schätzungsweise ca. 13 Millionen Sandsäcke verbaut. Es waren im Einsatz 21 Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr, 50 Boote und eine Vielzahl weiterer Einsatzmittel aus fast allen Bundesländern, zum Beispiel Pumpen, Sandsackfüllmaschinen, Notstromaggregate, Spezialhochwasserpumpen aus den Niederlanden und vieles andere mehr.
Dringendster Handlungsbedarf bestand von Anfang an bei der rechtzeitigen und lageabhängigen bedarfsgerechten Organisation der Sandsackbereitstellung an den Einsatzschwerpunkten des Landes. Dazu war es in kürzester Zeit notwendig, trotz der bereits seit Tagen vorhandenen Hochwasserlagen in Bayern und in Sachsen und der bevorstehenden Hochwasserlagen in Brandenburg, Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein die für Sachsen-Anhalt erforderlichen Sandsackmengen in Deutschland und im Ausland zu ordern sowie den Antransport zur Entlastung der eigenen Kräfte von den jeweiligen Lagern möglichst bis unmittelbar in die Einsatzgebiete Sachsen-Anhalts zu organisieren.
Nur mit der Hilfe Bayerns, für die ich ausdrücklich sehr dankbar bin, konnte diese logistisch sehr schwierige Aufgabe gelöst werden. Durch das bayerische Innenministerium wurde in kürzester Zeit in Nürnberg eine Sandsackkoordinierungsstelle und auf dem Flughafen Leipzig/Halle ein Sandsacklogistikzentrum für Sachsen und Sachsen-Anhalt eingerichtet sowie die erforderliche Transportlogistik organisiert.
Beide durch die Situation entstandenen Einrichtungen haben sich nicht nur für Sachsen-Anhalt außerordentlich bewährt. Deshalb muss in der Länder übergreifenden Nachbereitung der Hochwasserlage in Deutschland darüber nachgedacht werden, ob die Länder oder der Bund zukünftig gemeinsam solche überregional bedeutsamen Einrichtungen vorhalten wollen oder sollen.
Über 12 000 Angehörige freiwilliger Feuerwehren des Landes Sachsen-Anhalt waren im Einsatz, das heißt nahezu jeder dritte aktive Angehörige der freiwilligen Feuerwehren. Die örtlichen Feuerwehren erhielten hierbei Unterstützung durch Nachbarschafts- und überörtliche Hilfe aus dem gesamten Bundesgebiet. Die Hilfeleistung durch nicht angemeldete Feuerwehren anderer Bundesländer hat gelegentlich logistische und organisatorische Probleme geschaffen, die eine überregionale Einsatzleitung unverzichtbar machten.
Aber, meine Damen und Herren, trotz der umfangreichen Maßnahmen zur Schadensabwehr konnten Schäden nicht vermieden werden. Ca. 60 000 Menschen mussten zeitweise evakuiert werden. Todesfälle haben wir glücklicherweise nicht zu beklagen.
Etwa 55 000 ha Fläche wurden überflutet, davon ca. 40 000 ha landwirtschaftliche Nutzfläche. Geschädigt sind 565 landwirtschaftliche Betriebe und 20 Gartenbaubetriebe.
Etwa 1 500 Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft sind durch das Hochwasser unmittelbar betroffen, davon 1 250 Unternehmen im Regierungsbezirk Dessau und ca. 250 Unternehmen im Regierungsbezirk Magdeburg.