Protokoll der Sitzung vom 10.10.2002

eine Sondersitzung in der Sommerpause durchzuführen. Ich sage es noch einmal: Es war ein Abwägungsprozess. Im Rahmen dieses Abwägungsprozesses haben wir uns für das Handeln und nicht für Reden entschieden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Damit ist die Aussprache zur Regierungserklärung beendet. Beschlüsse in der Sache werden nicht gefasst.

Es ist deutlich geworden, welches Ausmaß die Katastrophe in einigen Regionen unseres Landes hatte und noch hat und wie lebendig die Erfahrung großer Solidarität und Hilfsbereitschaft ist. Was wir jetzt brauchen, sind Zusammenhalt, Tatkraft und vor allem Beharrlichkeit. Die Menschen im Land erwarten von uns Politikerinnen und Politikern völlig zu Recht auch unser entschlossenes Engagement im Interesse der Organisation der Hilfen für die durch die Katastrophe Geschädigten, eine Analyse der Ursachen und das Ziehen von unabdingbaren rechtlichen und organisatorischen Schlussfolgerungen.

Das Haus, meine Damen und Herren, hat sich dieser Aufgabe bereits unmittelbar nach der Katastrophe vor allem in den zuständigen Ausschüssen und in den Fraktionsarbeitskreisen gestellt. Nun gilt es - ich sage das mit Blick auf die erfreuliche Tatsache, dass es hierzu im Hause Konsens gibt -, den einzusetzenden Ausschuss Hochwasser schnell arbeitsfähig zu machen. Ich rechne fest mit Ihrer Mitwirkung und danke Ihnen für die bisher geleistete Arbeit.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind wir beim Tagesordnungspunkt 2:

a) Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes über staatliche Ausgleichsleistungen für Schadensfolgen aus der Hochwasserkatastrophe im August 2002 im Land Sachsen-Anhalt (Hochwasserschaden-Ausgleichgesetz Sachsen- Anhalt (HwAusglG)

Gesetzentwurf der Fraktion der PDS - Drs. 4/244

b) Beratung

Einrichtung eines zeitweiligen Ausschusses „Hochwasser“

Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU, der PDS und der FDP - Drs. 4/248

c) Erste Beratung

Siebenpunkteprogramm zur Flutfolgenbekämpfung

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/203

Änderungsantrag der Fraktionen der FDP und der CDU - Drs. 4/261

d) Beratung

Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/234

Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, dass im Interesse der Zeiteffizienz alle mit der Hochwasserkatastrophe zusammenhängenden Beratungsgegenstände in einer verbundenen Debatte behandelt werden sollen. Die Einbringung zu den einzelnen Anträgen bzw. zu dem Gesetzentwurf erfolgt getrennt.

Ich rufe als Einbringerin zu dem Gesetzentwurf die Abgeordnete Frau Dr. Weiher auf. Bitte sehr, Frau Dr. Weiher.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast zwei Monate sind vergangen, seit sich die Flut ihren Weg durch Sachsen-Anhalt gesucht hat und der Fluss außerhalb seines ursprünglichen Bettes Schäden, Verwüstungen und großes Leid anrichtete. Die Wassermassen sind verschwunden und erst nach und nach wird sichtbar, wo welche Schäden entstanden sind. Erst nach und nach begreifen wir das gesamte Ausmaß der Katastrophe - und der Winter steht vor der Tür. Deutlich sichtbar wird erst im Frühling werden, mit welcher Kraft und welchem Ungestüm die Natur in das Leben der Menschen eingegriffen hat.

Ich komme aus dem Landkreis Köthen, der unmittelbar an der Elbe liegt. Aber Köthen hatte Glück. Durch die umfangreiche Hilfe und Solidarität Tausender Menschen aus ganz Deutschland konnten die Dämme gehalten werden. Kein Durchbruch, keine Überflutung hat den Landkreis getroffen. Die Elbe ließ uns einen knappen Spielraum von einigen Zentimetern.

In den Pausen beim Sandschippen auf den Dämmen drehten sich die Gespräche fast endlos um die möglichen Folgen einer Überflutung und um das Leben danach. Niemand wagte sich das Entsetzliche für sich selbst vorzustellen. Aber viele hatten Freunde und Bekannte in Orten, deren Schicksal durch die Medien ging.

An Köthen ging der Kelch gefährlich nahe vorbei, an vielen anderen Dörfern und Städten nicht. Das Leid und die Sorgen der Menschen machen auch heute betroffen und zeigen uns, dass noch lange Zeit Hilfe gebraucht wird.

Die Menschen auf den Dämmen waren sich einig darin, das fast Unmögliche gemeinsam vollbringen zu wollen. Sie waren sich einig in dem Bemühen, den Wassermassen Widerstand zu bieten. Die Bürgerinnen und Bürger haben gezeigt, wie man in den Stunden der Not solidarisch miteinander umgeht und dass selbstlose Hilfe, beherztes Zupacken und Füreinander-Einstehen in solchen Situationen großgeschrieben werden.

Wir sind uns darin einig, dass den Menschen geholfen werden muss, dass vieles abgerissen, noch mehr aufgeräumt und aufgebaut werden muss. Wir wissen alle, dass es neben den körperlichen Anstrengungen viel Geld kosten wird, denen, die alles oder fast alles verloren haben, die Möglichkeit eines Neubeginns zu geben.

Das Ausmaß der Schäden ist bisher nicht endgültig festgestellt. Das wurde heute schon mehrmals betont. Erste Zahlen für das Land Sachsen-Anhalt deuten auf Schäden in einer Größenordnung von ca. 2 Milliarden € hin. Es wird aber noch dauern, bis wirklich alle Schäden erfasst sind.

Neben der ungeheuren Spendenbereitschaft noch während der Flut haben auch erste Soforthilfen bei den Menschen für Ermutigung gesorgt. Es gab eine Reihe von Maßnahmen der Soforthilfe. Ich erwähne nur die Hilfe in Höhe von 500 € für Privatpersonen, die bis zu einem Betrag von maximal 2000 € pro Haushalt ausgezahlt wurde, die Übergangshilfe für verlorenen Hausrat in Höhe von maximal 10 000 € oder die Soforthilfe für Unternehmen von maximal 15 000 €. Die Reihe der Soforthilfemaßnahmen ließe sich fortsetzen.

Es existiert eine Unzahl von Bundes- und Landesprogrammen, die für verschiedene Gruppen Betroffener unterschiedliche Hilfestellungen geben, die von der Bereitstellung finanzieller Mittel bis zur Kreditvergabe reichen. In vielen Fällen wurde durch diese erste Hilfe den Menschen Mut und Optimismus zurückgegeben.

So wichtig diese Sofortmaßnahmen auch waren und so gut die jetzigen Programme auch sind, sie können eines nicht leisten: Sie können jedem einzelnen Betroffenen nicht die Sicherheit geben, eine staatliche finanzielle Hilfe zu erhalten - abhängig allein von der Höhe und Wirkung seiner Schäden.

Genau hier setzt unser Gesetzentwurf an. Wir wollen unabhängig von Kappungsgrenzen in bestehenden Programmen, unabhängig vom Verdienst der Betroffenen, unabhängig von weiteren Programmen, die auch nur Einzelprobleme aufgreifen, und unabhängig von möglichen Spendengeldern den Menschen in diesem Land die Sicherheit vermitteln, dass ihnen eine Regulierung ihres Schadens zusteht, eine Regulierung, die allerdings den Ausgangszustand nicht wiederherstellen wird, wie es Bundeskanzler Schröder in Magdeburg wohlweislich versprach, oder alles ersetzt, was verloren gegangen ist.

Die Menschen brauchen und erwarten einen Ausgleich für ihre Schäden. Es ist im Grunde eine Zumutung, Frau Pieper, und ein Ausdruck der uns eigenen Bürokratie, dass man sich heute eben durch mehr als 20 Bundes-, Landes- und möglicherweise EU-Programme arbeiten muss, um dann möglicherweise festzustellen, dass man unter keine Schadenskategorie fällt oder einem nur eine

geringe Hilfe zusteht. Das verstehe ich unter Bürokratie. Genau das wollen wir mit unserem Gesetzentwurf nicht.

(Beifall bei der PDS)

Den bisherigen Programmen haftet neben einer gewissen Unübersichtlichkeit, wie das bei Programmen eben so ist, und engen Anspruchsvoraussetzungen der Mangel an, dass kein Rechtsanspruch auf finanzielle Hilfe besteht. Das Anliegen der PDS-Fraktion ist es, eine einfache landesgesetzliche Regelung zu schaffen, mit der genau das erreicht wird, nämlich den Betroffenen einen gesetzlichen Anspruch auf einen Schadensausgleich für die Vermögensschäden zu gewähren, die sich nachweislich unmittelbar auf die Flutkatastrophe zurückführen lassen. Wir wollen ihnen die Perspektive geben, dass das Land einen Teil ihres Schadens durch finanzielle Leistungen ersetzt.

Das ist das Ziel dieses Gesetzentwurfes, das in einer ähnlichen Fassung in dieser Woche von unseren Kolleginnen und Kollegen der sächsischen PDS-Landtagsfraktion eingebracht wird.

Nun zu einigen wesentlichen Inhalten des Gesetzentwurfes.

Erstens. Wer hat nach diesem Gesetz Anspruch auf einen Schadensausgleich? - Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmer der gewerblichen Wirtschaft, des Handwerks, des Handels, der freien Berufe, der Land- und Forstwirtschaft, Künstler und Kulturschaffende, weitere Dienstleister, aber auch Vereine und Verbände, Städte, Gemeinden und Landkreise, die unmittelbar von der Hochwasserkatastrophe im August 2002 betroffen waren.

Der Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz wird auf Antrag nach Feststellung des Schadens und einer Glaubhaftmachung gewährt, dass mithilfe der ihm zugestandenen Leistung die eingetretenen Schäden beseitigt oder zumindest gelindert werden oder aber dass ein finanzieller Beitrag zur Wiederaufnahme der Wirtschaftstätigkeit von Unternehmen und Einrichtungen geleistet wird.

Von unserer Seite - das möchte ich hier auch sagen - gab es die Überlegung, den Kreis der Anspruchsberechtigten auszuweiten. Einen Monat vor der Hochwasserkatastrophe gab es im Juli in der Harzregion das Ilsehochwasser. Hier gab es keine so umfangreichen Bundes- und Landesprogramme, und viele der betroffenen Menschen wissen nach wie vor nicht, wann und woher sie eine Regulierung erwarten können. Ich möchte zum Schluss meiner Ausführungen zu dem Gesetzentwurf sagen, warum wir diesen Personenkreis hier nicht aufgenommen haben.

Zweitens. Wie soll den Betroffenen geholfen werden? - Möglichst schnell, möglichst unbürokratisch und mit mehr als einem symbolischen Euro. Das Gesetz sieht vor, einen Hochwasserschadenausgleichfonds als Sondervermögen des Landes Sachsen-Anhalt zu errichten, um daraus die angemeldeten Ansprüche zu befriedigen.

Die Finanzierung des Fonds kann und soll nicht allein aus Landesmitteln erfolgen, sondern soll aus zwei weiteren Quellen gespeist werden. Das sind zum einen die von der Europäischen Union zur freien Verfügung bereitgestellten Mittel. Es sind zum anderen die Mittel aus dem Bundeshaushalt, die dem Land Sachsen-Anhalt nach dem beschlossenen Aufbauhilfefondsgesetz zur

Verfügung stehen und die ebenfalls pauschal verfügbar und nicht bereits in Programmen zweckgebunden sind.

Da wir erreichen möchten, dass ein möglichst großer Betrag für den Hochwasserschadenaugleichsfonds zur Verfügung steht, drängen wir darauf, dass die Landesregierung alle ihre Möglichkeiten nutzt, im Bund und bei der EU bestehende Zweckbindungen der Mittel zu beseitigen, um mehr Mittel frei verfügbar zu machen. Herr Scharf sprach vorhin davon, dass er die Landesregierung zu Nachverhandlungen ermuntern möchte. Genau das möchte die PDS-Fraktion an dieser Stelle auch tun.

(Beifall bei der PDS)

Es gibt mittlerweile allein auf Bundesebene ca. 20 Programme zum Wiederaufbau, deren Mittel den Ländern ebenfalls über den Aufbauhilfefonds des Bundes zur Verfügung stehen. Die genaue Aufteilung dieser Mittel wird letztlich auch davon abhängen, wie groß die Schadensbilanz der einzelnen Länder ist, die heute noch nicht genau dargestellt werden kann. Ein Teil der Gelder geht jetzt nach Quoten verteilt in die Länder, der Rest wird danach aufgeteilt werden.

Seitens der EU wird ein Betrag in Höhe von 1,2 Milliarden € aus der Effizienzreserve der EU-Strukturfonds bereitgestellt. Dazu soll ein weiterer Betrag in Höhe von 1 Milliarde € aus dem Katastrophenfonds verfügbar gemacht werden. Auch hier ist eine letzte Aufteilung noch nicht vollzogen.

Wir wissen zurzeit also, dass ein Teil der Mittel der EU und aus dem Aufbauhilfefonds des Bundes bereits durch Programme gebunden ist und für den von uns vorgeschlagenen Fonds nur in Betracht kommt, wenn die Zweckbindung entfällt. Wir wissen ebenfalls, dass ein weiterer Teil der Mittel pauschal, also frei verfügbar ist. Genau diesen Teil der Mittel wollen wir, mit eigenen Landesmitteln ergänzt, in den Hochwasserschadenausgleichsfonds des Landes bringen.

Über die Höhe der Landesmittel muss der Gesetzgeber in den Haushaltsberatungen entscheiden. Ich meine, Professor Böhmer, dass die von Ihnen bereits jetzt gezeigte Ablehnung, Landesmittel frei verfügbar zu machen, einen faden Beigeschmack sicherlich nicht nur bei mir hinterlassen wird.