Protokoll der Sitzung vom 09.12.2005

musbekämpfungsgesetz in den Bundesländern zulasten der Bürgerrechte schwer aus dem Gleichgewicht geraten, ohne allerdings die Sicherheit wirklich zu erhöhen.

(Herr Kosmehl, FDP: Was haben Sie in Berlin gemacht?)

Es handelt sich hierbei zu einem erheblichen Teil um gesetzliche Regelungen, die das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung beruhigen sollen und insoweit Resultate politischer Symbolik sind. Elementare Grundrechte werden über Gebühr eingeschränkt und gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird verstoßen.

Insgesamt gesehen ist mit dem vorliegenden Entwurf eines Artikelgesetzes eine erhebliche Ausweitung der Aufgaben und Befugnisse des sachsen-anhaltischen Verfassungsschutzes verbunden. Dabei gehen die Änderungen teilweise noch über die Novellierung des Bundesverfassungsschutzgesetzes hinaus, die im Rahmen der so genannten Antiterrorgesetze aus dem Jahr 2002 erfolgte.

Nun zu einigen Regelungen im Detail. Erstens. Die Ausweitung der Befugnis zum Speichern, Nutzen und Verarbeiten von Daten von Kindern und Jugendlichen ist rechtlich problematisch und äußerst bedenklich.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Mit dieser Regelung wird der Minderjährigenschutz klar unterlaufen. Es ist aus datenschutzrechtlicher Sicht schwer vertretbar, 14-Jährige, also noch in der Persönlichkeitsentwicklung befindliche Kinder und Jugendliche, in geheimdienstlichen Dateien zu erfassen, sie auf diese Weise zu stigmatisieren und einem hohen Anpassungsdruck auszusetzen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Zweitens. Verfassungsrechtlich nicht akzeptabel und damit aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit verfassungswidrig ist es, dass die Löschungsfrist für gespeicherte personenbezogene Daten auf 15 Jahre verlängert werden soll. Es muss an dieser Stelle bezweifelt werden, dass eine Information nach einer so langen Zeit ohne weitere neue Erkenntnisse noch von Aktualität und hinlänglicher Zuverlässigkeit und Bedeutung sein kann.

Luftfahrtunternehmen, Kreditinstitute und Finanzdienstleiter, Post- und Telekommunikationsunternehmen sollen für den Verfassungsschutz zu offenen Büchern werden und frühzeitig und umfassend Auskunft erteilen. Das ist auf keinen Fall hinnehmbar.

Die erhebliche Ausweitung des Aufgabenfeldes des Verfassungsschutzes, einhergehend mit einer ausgedehnten geheimdienstlichen Beobachtung in Richtung Völkerverständigung, insbesondere im Interesse des friedlichen Zusammenlebens der Völker ist gleichwohl äußerst problematisch. Die gesetzlich unscharf gefasste Formulierung ist vage, zum Teil spekulativ und weit im Vorfeld des Verdachts.

Das nur zu einigen aus unserer Sicht verfassungsrechtlich problematischen Beispielen. Entscheidend für unser Abstimmungsverhalten ist und bleibt die Grundkritik am vorliegenden Gesetzentwurf. Bürger- und Freiheitsrechte werden aufgrund eines falschen Sicherheitsverständnisses preisgegeben.

Die Linkspartei.PDS setzt zur Stärkung der öffentlichen Sicherheit vor allem auf das demokratische Handeln der

Zivilgesellschaft, auf Zivilcourage. Wir plädieren für einen weiten, progressiven, bürgerrechtlichen, kurzum: zivilisatorischen Ansatz.

Die Fraktion der Linkspartei.PDS wird die vorliegende Beschlussempfehlung ablehnen. Zum Änderungsantrag der SPD-Fraktion beantragen wir eine Abstimmung über die einzelnen Punkte. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS.)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Tiedge. - Zum Schluss erhält der Abgeordnete Herr Kosmehl für die FDP-Fraktion das Wort. Bitte sehr, Herr Kosmehl.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Frau Kollegin Tiedge, ich weiß nicht, ob Sie die Rede von Herrn Gärtner nur abgelesen haben oder ob dies Ihre eigene Rede war.

(Frau Bull, Linkspartei.PDS: Wir sind schon groß!)

- Das mag ja sein.

(Frau Bull, Linkspartei.PDS: Das ist so!)

In jedem Fall würde ich mich noch einmal dazu hinreißen lassen, auch Ihnen, sehr geehrte Frau Kollegin Tiedge, folgende Ausführungen, die ich bereits bei der Einbringung gemacht habe, noch einmal entgegenzuhalten. Frau Kollegin Tiedge, Sie können hier vorn an das Pult treten und dem Hohen Haus weismachen wollen, dass Sie für Bürgerrechte eintreten würden. Solange Sie am Ende solche Gesetze wie das Verfassungsschutzgesetz ablehnen, das die Wehrhaftigkeit der Demokratie sichern will, sichern Sie keine Bürgerechte, sondern Sie gefährden sie.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU und von der Regierungsbank - Zuruf von Herrn Czeke, Links- partei.PDS)

Deshalb war das heute kein Sachbeitrag, der uns weiterhilft. Manchmal merkt man es nach der zweiten oder nach der dritten Wiederholung, Herr Czeke, dass man sich auf dem Irrweg befindet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich einmal einen Aspekt aufgreifen, den Herr Minister Jeziorsky in seiner Rede ebenfalls deutlich gemacht hat. Terroristen - ich füge hinzu: auch Extremisten - agieren konspirativ. Der Verfassungsschutz muss diese Aktivitäten aufspüren und er muss sie beobachten. Dies ist nach unserer festen Überzeugung notwendig, um die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie zu sichern.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Dazu ist es auch notwendig, dass die Verfassungsschutzbehörde sowohl personell wie auch sachlich gut ausgestattet ist, weil nur das am Ende den Erfolg bringt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch kurz auf die Anmerkungen von Herrn Rothe und von Frau Kollegin Tiedge eingehen.

Frau Kollegin Tiedge, Sie haben von der Ausweitung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes des Bundes gesprochen. An dieser Stelle sage ich Ihnen: Ja, wir haben das ausgeweitet. Wir haben es nicht nur auf den Terroris

mus, sondern auch auf den Inlandsextremismus bezogen. Auch in dieser Hinsicht soll der Verfassungsschutz tätig werden. Ich finde das auch richtig, weil auch der Inlandsextremismus eine Bedrohung für den Bestand des Staates und seine Bürger darstellen kann. Deshalb ist es notwendig, dass auch dieser berücksichtigt wird.

Das war in dem betreffenden Bundesgesetz nicht zu regeln, denn darin hat man im Januar 2002 auf die Ereignisse von New York reagiert. Insofern gehe ich davon aus, dass es auch im Bund nicht anders diskutiert werden wird, als dass man natürlich auch diesen Bereich einbezieht.

Herr Kollege Rothe hat angesprochen, die von ihm so bezeichneten Rucksackterroristen würden von uns in vorauseilendem Gehorsam - das ist jetzt mein Ausdruck - bereits einbezogen.

Herr Rothe, das Oberlandesgericht Brandenburg hat ein Urteil gefällt - Aktenzeichen 1/5600 OJS 1/2004 -, das sich auf zwölf Jugendliche aus Brandenburg bezog, die Anschläge auf Imbissstände und Restaurants von Menschen aus der Türkei und aus asiatischen Ländern verübt haben. Die Angeklagten waren zwischen 14 und 19 Jahre alt. Das sind zwar keine der von Ihnen genannten jugendlichen Rucksackterroristen; es ist aber die Tätergruppe, die wir mit unserer Regelung einbeziehen wollen, weil wir feststellen, dass immer Jüngere auch für den Verfassungsschutz interessant werden, weil sie Bedrohungen darstellen können und weil sie Taten verüben, die wir alle - in diesem Punkt sind wir wohl wieder einer Meinung - ablehnen und verfolgen wollen.

(Zuruf von Frau Bull, Linkspartei.PDS)

Deshalb ist es wichtig, dass der Verfassungsschutz durchaus auch in diesem Bereich tätig werden kann. Wir haben eine Klausel eingebracht - -

(Zuruf von Frau Bull, Linkspartei.PDS)

- Frau Bull, ich hätte es gern gesehen, wenn Sie einmal in den Innenausschuss gekommen wären; dort hätten wir das alles diskutieren können. Um jetzt auf Zwischenrufe einzugehen, habe ich leider keine Zeit. Aber Sie können mir eine Frage stellen, die ich dann sehr gern beantworte.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Sätze möchte ich dann doch noch zum Änderungsantrag der SPD in Bezug auf § 17a Abs. 6, zu den so genannten IMSI-Catchern, verlieren. Dies liegt mir sehr am Herzen; denn es war ein langer Findungsprozess innerhalb der FDP-Fraktion, wie wir mit dieser Maßnahme umgehen sollen, einer Maßnahme, die in anderen Ländern auch mit Zustimmung der SPD in den Gesetzen verankert wurde.

Wir glauben, dass man über einen begrenzten Zeitraum - wir haben es befristet; es tritt am 30. Juni 2009 außer Kraft - das Instrument des IMSI-Catchers nutzen muss, weil er die Grundlage bietet, Telefonnummern herauszufinden, auf deren Grundlage wir dann das Verfahren der Telefonüberwachung anwenden können. Wenn wir die Grundlage der Vorfeldermittlungen nicht nutzen, schneiden wir uns dieses Instrumentarium ab, weil immer mehr Verdächtige auf den Gebrauch von Handys ausweichen.

Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, diese Maßnahme mitzutragen. Wir haben sie zeitlich begrenzt und wir haben gefordert, dass evaluiert werden solle, ob das

am Ende erzielte Ergebnis im Verhältnis zu den Kosten und zum Aufwand angemessen ist. Ich halte das für einen guten Kompromiss und glaube, dass der Verfassungsschutz mit dem gesamten Gesetz gut arbeiten kann, weil er damit eine angemessene gesetzliche Grundlage hat.

Herr Abgeordneter, Sie haben ebenfalls Ihre Redezeit schon um eine Minute überzogen.

Herr Präsident, ich habe es gerade gesehen; ich komme zum Schluss. - Ich bedanke mich recht herzlich bei allen, die an der Anhörung und an den Beratungen teilgenommen haben. In diesem Moment, da ich mich bedanke, widerspreche ich auch dem, was der Kollege Rothe gesagt hat. Meines Erachtens haben wir an manchen Stellen doch sehr intensiv diskutiert. Das war vielleicht nicht immer der Fall, aber die meisten Beratungen waren durchaus konstruktiv. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kosmehl. - Meine Damen und Herren! Damit ist die Debatte abgeschlossen und wir treten in das Abstimmungsverfahren zu der Drs. 4/2514 und zum Änderungsantrag der SPD-Fraktion in der Drs. 4/2532 ein. Herr Rothe hat bereits angekündigt, eine differenzierte Abstimmung zu beantragen. Frau Tiedge hat eine Einzelabstimmung über den Änderungsantrag der SPDFraktion beantragt, sodass wir also zunächst bei der Abstimmung über die selbständigen Bestimmungen Einzelabstimmungen vornehmen werden.

Wir kommen zu Artikel 1. Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion unter Abschnitt I Nr. 1 ab. Das betrifft die Einfügung einer neuen Nr. 4a. Wer dieser Änderung seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei der SPD-Fraktion. Gegenstimmen? - Gegenstimmen bei den Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Enthaltungen bei der Linkspartei.PDS. Damit ist dieser Änderungsantrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag unter Abschnitt I Nr. 2. Dies betrifft die Streichung der Nr. 5 in Artikel 1. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei der Linkspartei.PDS und bei der SPD-Fraktion. Gegenstimmen? - Gegenstimmen bei den Koalitionsfraktionen. Damit ist auch dieser Teil des Änderungsantrages mehrheitlich abgelehnt worden.

Wir kommen nun zum Änderungsantrag der SPD-Fraktion unter Abschnitt I Nr. 3. Dies betrifft die Änderung der Nr. 6 in § 11 Abs. 3. Wer dieser Änderung seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei der SPD-Fraktion. Gegenstimmen? - Gegenstimmen bei den Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Enthaltungen bei der Linkspartei.PDS. Damit ist auch dieser Teil des Änderungsantrages mehrheitlich abgelehnt worden.

Wir kommen nun zum Abschnitt I Nr. 4 des Änderungsantrages der SPD-Fraktion. Dies betrifft die Änderung zu § 17a unter Nr. 10 der Beschlussempfehlung. Wer die

sem Änderungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Es gibt wiederum Zustimmung bei der SPD-Fraktion. Gegenstimmen? - Gegenstimmen bei den Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Enthaltungen bei der Linkspartei.PDS. Damit ist auch dieser Teil des Änderungsantrages mehrheitlich abgelehnt worden.