Unser Ziel ist es, möglichst vielen Schülerinnen und Schülern einen soliden Abschluss der 10. Klasse zu ermöglichen und mehr Schülerinnen und Schülern als heute ein gutes Abitur.
Das Abitur betraf im Übrigen die dritte gravierende Änderung mit dem Achten Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes. Es legte fest, dass in Sachsen-Anhalt künftig das Abitur nach zwölf Jahren abgelegt werden kann. Sieht man einmal von den formalistischen Konditionen ab, unter denen das geschieht, kann man dieser Änderung nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen. Allerdings: Über das mit dem Kardinalfehler wollen wir noch einmal reden. Den machen die Bayern immer noch. Sie haben damit offensichtlich kein Problem.
In diese Zeit fällt auch die Verlängerung und die Verschlimmbesserung der Schulentwicklungsplanung, deren Auswirkungen wir heute schon schmerzlich merken und bei der sich mehr und mehr herausstellt, dass sie an manchen Stellen wenig taugt und nachgebessert werden muss. Wir haben darauf hingewiesen.
Immerhin haben Sie diesen Packen nicht allein zu tragen. Eine gehörige Portion Verantwortung kommt dabei auch der Vorgängerregierung und natürlich auch uns zu, die wir uns gegen die Exekutive nicht genügend durchsetzen konnten. Aber das soll ja gelegentlich auch bei Koalitionen schwierig sein, nicht nur bei einer Tolerierung.
Eher positiv, wenn auch nicht ohne Kritik, sehen wir dagegen das Agieren der Landesregierung bei der Umsetzung des Ganztagsschulprogramms der Bundesregierung. Allerdings halten wir auch hierbei eine weitere kritische Begleitung für erforderlich, damit das Ganztagsschulprogramm am Ende auch eines mit pädagogischen Effekten wird und bleibt und nicht als reines Schulsanierungsprogramm endet.
Das Neunte Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes schließlich hatte auch inhaltliche Änderungen zum Gegenstand, von denen wir einige mittragen. Dazu gehören die Veränderungen in der Grundschule und zum Übergang in die Grundschule, auch wenn unsere Zweifel an der Ausgestaltung der Neuerungen, insbesondere hinsichtlich der Schuleingangsphase, nicht grundlos waren. Aber diesbezüglich haben Sie im letzten Jahr immerhin dazugelernt: Heute hat der Minister schon von der flexiblen Schuleingangsphase gesprochen.
Begrüßt haben wir auch die stärkere Betonung der Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und die Einrichtung von Förderzentren als einen richtigen Weg dahin.
Schließlich sind auch Festlegungen im Gesetz zur Förderung schulischer Qualität, wie die Förderung der Arbeit nach Schulprogrammen, nicht ohne Nutzen. Ob dies allerdings reicht, um mehr Schulen anzuregen, moderne Lernkonzepte zu entwickeln, die den Qualitätsmaßstäben folgen, die der Minister zum Beispiel auch in seinem Expertenbeitrag für die Enquetekommission entwickelt hat, das wage ich zu bezweifeln.
Dass hier ein erheblicher Nachholbedarf besteht, zeigt die Selbsteinschätzung von Schulen hinsichtlich der Entwicklung von Gegenstrategien bei ungünstigen Lernausgangslagen, wie sie auch in der Pisa-Studie erfasst wurden. Mehr als die Hälfte der Schulen in Sachsen-Anhalt entwickeln solche Gegenstrategien nicht, davon ein Viertel aller so genannten belasteten Schulen. Die größte Distanz zu solchen Gegenstrategien haben offensichtlich die Gymnasien. - Das ist kein Schlechtreden; denn es
handelt sich um Selbstauskünfte der Schulen, die bei aller Vorsicht schon ein Bild über die Reformbereitschaft in den Schulen ergeben.
Dabei gibt es richtig gute Ansätze in mancher Schule und viele engagierte Kolleginnen und Kollegen. Das produktive Lernen gehört dazu. Aber es ist nicht einzusehen, warum das nur bis zu einem erfolgreichen Hauptschulabschluss führen soll. Die Schwierigkeiten, die die betreffenden jungen Leute mit der Schule haben, sind doch auch dann nicht verschwunden, wenn der Hauptschulabschluss mit Bravour geschafft worden ist. - Hier aber endet die Weisheit des Ministers.
Unsere Hauptkritik am Neunten Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes richtet sich allerdings auf die weitere Einschränkung des Bildungszuganges. Darüber ist heute hier schon gesprochen worden: dass die Schullaufbahnempfehlung ein deutlich größeres Gewicht erhält und dass, wer ohne eine entsprechende Laufbahnempfehlung zum Gymnasium will, sich einer Aufnahmeprüfung unterziehen muss. Ich gehe von diesem Begriff „Aufnahmeprüfung“ nicht weg; denn die Art, wie das Aufnahmeverfahren praktiziert wird, erfüllt ungeachtet aller Beteuerungen des Kultusministers genau diesen Tatbestand.
Das Fazit Ihrer vierjährigen Bildungspolitik ist also: weniger Bildungsbeteiligung, mehr Ausgrenzung, eine stringentere Leistungsauslese. Instrumente des Gegensteuerns wurden nur wenige entwickelt. Immerhin ist hängen geblieben - auf den Anfang kommt es an -: In der Grundschule vollziehen sich tatsächlich aussichtsreiche Entwicklungen. Daneben gibt es einige Formen, die geeignet sind, die schlimmste Auswirkung des gegliederten Schulsystems, nämlich den fehlenden Schulabschluss, zu minimieren. Es gibt die Förderschule mit einem deutlich integrativen Bildungsansatz.
Das ist gut, aber es reicht nicht, um die hoch gesteckten Ziele von Leistung und neuerdings auch sozialer Gerechtigkeit in der Bildung zu erreichen. Schon gar nicht reicht das Begonnene aus, um eine höhere Bildungsbeteiligung zu erreichen. Dies ist eben gekoppelt an die Frage der Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom sozialen Status, vom Bildungshintergrund in den Familien. In dieser Hinsicht sind andere Schritte notwendig.
Ich habe mich nun gefragt, was Ihren Bildungsansatz von unserem grundsätzlich unterscheidet. Ich habe doch heute eigentlich viel gelobt. Ich glaube, Ihr Ansatz ist im besten Sinne ein karitativer, nachsorgender, unserer ist ein emanzipatorischer, vorsorgender.
Darum können wir Ihnen auch nach der Wahl die Debatten um die Veränderung von Schule in Inhalt und Form nicht ersparen. Wir wollen eine höhere Bildungsbeteiligung, also mehr und höhere Bildungsabschlüsse, ein höheres Leistungsniveau an allen Schulen und einen aktiven Nachteilsausgleich.
Das erfordert eine Reform von Schule in Inhalt und Form, eben eine grundlegende Bildungsreform. Dabei wissen auch wir, dass die Bildungslandschaft in Sachsen-Anhalt durch drei aufeinander folgende, jeweils sehr gegensätzliche Regierungskonzepte ebenso beschädigt ist wie durch den dramatischen Rückgang der Geburtenzahlen.
Wir wissen aber auch, dass eine Bildung auf hohem Anspruchsniveau der Grundpfeiler einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung ist. Darum haben wir uns entschieden: Wir wollen gesetzlich fixierte Veränderungen, die den Weg frei machen zu einem längeren gemeinsamen Lernen, ohne die Schullandschaft wieder völlig durcheinander zu wirbeln. Aber wir brauchen dazu nicht drei Gesetze, wir werden nur eines brauchen.
Wir werden in wenigen Wochen ein Schulreformgesetz vorstellen, das diesen Ansprüchen genügen wird. Dabei wird im Zentrum der Aufmerksamkeit auch die Sekundarschule stehen. Dazu sollen zunächst alle Bildungsgänge in der Sekundarstufe I auf ein gleichwertiges Niveau gehoben werden. Dazu gehört die Angleichung der Stundentafel. Dazu gehört die Anpassung der Bildungsinhalte.
Unser Ziel ist es, dass auch nach dem 9. Schuljahrgang ein Übergang von der Sekundarschule an ein Gymnasium ohne Zeitverzug möglich ist. Dazu muss man natürlich auch einmal über die Aufhebung der äußeren Fachleistungsdifferenzierung nachdenken und tatsächlich eine differenzierte Förderung möglich machen.
Wir wollen eine qualitativ anspruchsvolle neue Schule, die niemanden ausgrenzt und ein längeres gemeinsames Lernen ermöglicht. Die Vollzeitschulpflicht soll wieder auf zehn Jahre angehoben werden. Das geschieht mit dem Ziel, dass so viele Schülerinnen und Schüler wie möglich einen soliden Realschulabschluss erwerben können. Darauf soll der Unterricht in der Sekundarstufe I konsequent ausgerichtet werden. Das muss man dann konsequenterweise auch am Gymnasium machen, sodass dort auch ein mittlerer Schulabschluss erworben werden kann. Allerdings sehen wir das auf freiwilliger Basis vor.
Wir wollen eine polytechnisch orientierte Schule - dazu sind vielfältige Möglichkeiten der Kooperation mit Berufsschulen und Unternehmen in den Regionen möglich - und natürlich auch das produktive Lernen,
Wir wollen eine Schule, die sich der Notwendigkeit des Nachteilsausgleiches ebenso stellt wie der Förderung besonderer Begabungen. Dazu wollen wir zusätzliche pädagogische Fachkräfte, vergleichbar denen in Grundschulen, in der Sekundarstufe I und wenn möglich auch in den berufsbildenden Schulen einsetzen. Damit das auch mit einem entsprechenden pädagogischen Konzept vor sich geht, schlagen wir vor, mit einem StartProgramm zu beginnen; denn pädagogische Mitarbeiterinnen sollen keine Schulsozialarbeiterinnen - die wollen wir außerdem - und keine Freizeitpädagogen sein, sondern sie sollen den Unterricht begleiten und zusätzlich fördern.
Wir haben auch Vorschläge zur Entwicklung eines leistungsfähigen Schulangebotes im Land und in allen Regionen. Dazu ist heute schon etwas gesagt worden. Unsere Vorschläge dazu liegen seit längerer Zeit auf dem Tisch. Wir werden uns auch weiterhin in diese Richtung einsetzen. Wir wollen allerdings auch, dass nach dem Abschluss dieser Phase der Schulentwicklungsplanung die Kompetenzen verstärkt auf die dann größeren Landkreise weitergegeben werden können, möglicherweise bis hin zum Personaleinsatz. Darüber muss man reden.
Es geht natürlich auch um die Erhöhung der Autonomie der Einzelschule bei Entscheidungen. Vielleicht finden wir dabei wieder eine gemeinsame Sprache.
Der Minister sagte in seiner Rede, wer sich eine längere gemeinsame Schulzeit für alle Schülerinnen und Schüler wünscht, der müsse die Schule um die Schüler herum konfigurieren und nicht umgekehrt. Ich finde diesen Satz bemerkenswert. Genau das haben wir vor, Herr Minister. Ich werde mir diesen Satz merken.
Auf viele Themen, die in der Zukunft vor uns stehen, kann ich hier nicht in der gebotenen Ausführlichkeit eingehen, nicht auf die Hochschulstrukturreform und auch nicht auf die Lehrerausbildung, bei der wir die Weichen falsch gestellt sehen.
Ich will aber noch einen Satz zu den Berufsschulen sagen, weil ich das für hochproblematisch halte. Nicht nur dass diese in den nächsten Jahren von einem Rückgang der Schülerzahlen erfasst werden, sie müssen vielmehr in einem nie gekannten Maße auch heute schon mit veränderten Berufsbiografien umgehen. Unter anderem ist die Rasanz der Wirtschaftsentwicklung und die Entwicklung am Arbeitsmarkt ein Grund dafür, dass mitunter mehrere berufliche Ausbildungen aufeinander folgen.
Die Vertreter des Berufsschullehrerverbandes haben uns neulich - da war ich selbst überrascht - gesagt, dass sie manche jungen Leute bis zu elf Jahre lang in ihrem System haben. Dabei handelt es sich keineswegs um Schulabgänger mit einem Hauptschulabschluss oder noch weniger, sondern es handelt sich um Schulabgänger mit gutem Schulabschluss.
Ich finde, das muss uns zu denken geben. Ich glaube, dass wir alle, die wir hier sitzen, dabei noch nicht einmal auf die Debatte vorbereitet sind, geschweige denn Lösungsstrategien haben.
Das Stichwort „soziale Gerechtigkeit“ ist inzwischen in aller Munde. Ich wünsche mir für die künftige Legislaturperiode eine Landesregierung, die den Mut hat, in diesem Interesse endlich den Weg zu einem längeren gemeinsamen Lernen zu gehen, ohne heute schon gute Ansätze zu verwerfen. Das entspräche auch der Mehrzahl der Meinungen einer Ted-Umfrage, deren Ergebnis man heute in der „Volksstimme“ nachlesen kann.
Ich wünsche einer künftigen Landesregierung Mut, um die nach wie vor offenen Probleme zu lösen. Wir werden dazu bereit sein, auch in der Regierungsverantwortung.
Vielen Dank, Frau Dr. Hein. - Meine Damen und Herren! Die Aussprache zur Regierungserklärung wird nun mit dem Beitrag der FDP-Fraktion abgeschlossen. Ich erteile dazu Herrn Dr. Volk das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Volk.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Mehr Arbeit, mehr Bildung“ - unter diesen Schlagworten führte die FDP vor vier Jahren einen erfolgreichen Landtagswahlkampf. Sachsen-Anhalt hat die „rote Laterne“ in der Arbeitslosenstatistik abgegeben, auch
Noch erfolgreicher waren wir nach meiner Meinung in dem zweiten herausgehobenen Politikfeld, in der Bildungspolitik. Wir sind vor vier Jahren mit dem Anspruch angetreten, die Qualität der Schulbildung in unserem Land zu verbessern, Fehlentwicklungen der letzten Jahre zu stoppen und die Schulen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu wappnen. Das war überfällig, da die Bildungspolitik der PDS-tolerierten SPD-Minderheitsregierung in qualitativer und inhaltlicher Hinsicht in eine Sackgasse führte und von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt abgelehnt wurde.
Auch wenn die Politik ein schnelllebiges Geschäft ist, lohnt es sich, sich die Situation im Jahr 2002 noch einmal vor Augen zu führen, da insbesondere Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, nur allzu gern vergessen, welches Erbe Sie hinterlassen haben.
Frau Dr. Hein, das Erbe, das Sie hinterlassen haben, lässt sich auch nicht durch viele Worte verklären. Die Grundschule mit festen Öffnungszeiten missachtete die Erziehungshoheit der Eltern.
Die Einheitsförderstufe in der 5. und 6. Klasse mutete den Schülern einen zusätzlichen Schulwechsel zu. Die Abschlüsse der Sekundarschule wurden von den Ausbildungsbetrieben nicht akzeptiert. Damit waren die Schulabgänger aus Sachsen-Anhalt bei der Suche nach einer Lehrstelle über Gebühr benachteiligt.
Das Symbol für eine rückwärtsgewandte, ideologiebehaftete Schulpolitik war schließlich die Einführung des 13. Schuljahres an den Gymnasien. Während auch in den alten Bundesländern die Weichen für ein Abitur nach zwölf Jahren gestellt wurden, führte die SPD-Regierung Mitte der 90er-Jahre gegen den Widerstand nahezu aller Bildungsverbände das 13. Schuljahr in Sachsen-Anhalt ein.
Frau Mittendorf und Frau Dr. Hein, wenn Sie heute nichts mehr davon wissen wollen oder auch sehr schnell für die Rückführung dessen plädieren, dann frage ich mich, was Sie vor acht Jahren in diesem Saal getan haben.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Frau Mit- tendorf, SPD: Ich kann die Probleme nennen! Ich kann das heute noch begründen!)