Ich möchte gern zum Thema der Aktuellen Debatte zurückkommen und auf die Zahlen eingehen, die schon genannt worden sind. Man muss in der Tat feststellen, dass die aktuelle Situation in der beruflichen Erstausbildung die mit Abstand schlechteste seit Jahren in Sachsen-Anhalt ist. Die Zahlen, die schon genannt worden sind, belegen dies eindeutig.
Auf zwei Zahlen möchte ich noch einmal besonders eingehen. Erstens haben wir die Situation, dass mit Beginn des Ausbildungsjahres 2002/2003 den 4 830 Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz lediglich 840 freie Ausbildungsstellen gegenüberstanden. Das ist der niedrigste Stand an freien Ausbildungsstellen seit sechs Jahren. Das muss man einmal sehr deutlich auf den Punkt bringen. Diesbezüglich nützt alles Drumherumgerede von Minister Herrn Rehberger nichts.
Zweitens haben wir lediglich 10 600 betriebliche Ausbildungsstellen. Auch das ist der niedrigste Stand seit über zehn Jahren. Auch diese Zahl muss man sich genau ansehen.
Zwischenzeitlich haben sich die Zahlen verändert. Die „Erfolgsmeldungen“ waren unter der Überschrift „Fast alle Jugendlichen erhalten Ausbildung“ gestern in der Presse nachzulesen. Aber man muss genau nachfragen, was tatsächlich passiert. Es gibt öffentlich geförderte Maßnahmen nach dem SGB III, die Bund-Länder-Pro
gramme und das Jugend-Soforthilfeprogramm des Bundes, das im Übrigen fortgeführt und - entgegen Ihrer Behauptung, Herr Minister - keineswegs zurückgefahren wird.
- Ich denke, Sie sollten sich einmal kundig machen. Es wird nicht eingeschränkt. Es wird sogar ausgebaut.
Darüber hinaus müssen die speziellen Programme auf Landesebene die Defizite im Ausbildungsbereich ausgleichen.
Alle Programme und Maßnahmen haben eines gemeinsam: Sie sind überbetriebliche, außerbetriebliche oder schulische Maßnahmen, aber eben keine betrieblichen Ausbildungsplätze. Das bedeutet im Klartext - auch das gehört, wie ich meine, zu dieser Debatte -, die Wirtschaft hat ihr Ausbildungsplatzangebot nicht etwa erhöht, sondern gegenüber den Vorjahren erheblich reduziert,
(Herr Gürth, CDU: Es gibt auch wesentlich weni- ger Betriebe! - Zuruf von Frau Fischer, Merse- burg, CDU)
und das, obwohl in der neuen Landesregierung angeblich die geballte Wirtschaftskompetenz vertreten ist und man sich mit Herrn Bohn einen Vizewirtschaftsminister leistet.
Insofern kann ich nur noch einmal an Herrn Rehberger appellieren: Wälzen Sie nicht die Verantwortung auf eine anderen Ebene ab; kümmern Sie sich um die Jugendlichen; kümmern Sie sich um Ausbildungsplätze in diesem Land.
(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS - Frau Feußner, CDU: Das müssen gerade Sie sagen! Was haben Sie in den letzten acht Jahren gemacht?)
Meine Damen und Herren! Es wird immer wieder geklagt, die Wirtschaft sei dazu nicht in der Lage. Dass es auch anders geht, zeigen - Gott sei Dank - etliche Beispiele im Land, wo Unternehmen verantwortungsvoll mit ihrer Ausbildungsverpflichtung umgehen. So gibt es etwa im Landkreis Wernigerode, aus dem ich komme, seit Jahren einen Ausbildungsverbund, an dem sich aktuell 23 Unternehmen beteiligen. Dieser Ausbildungsverbund hat sich in den letzten Jahren ständig ausgeweitet.
Mittlerweile ist dieser Ausbildungsverbund auch für den Landkreis Halberstadt tätig. Dies zu Ihrer Kenntnis, Frau Weiß. Gemanagt wird dieser Ausbildungsverbund vom Teutloff-Bildungszentrum, das auch Ausbildungsinhalte übernimmt und Ausbildungseinrichtungen vorhält, die gerade in den kleinen Betrieben nicht vorhanden sind.
In den vergangenen Jahren konnten die Betriebe über diesen Ausbildungsverbund den Anteil der betrieblichen Ausbildungsplätze im Landkreis Wernigerode ständig ausweiten. Gerade durch die Kooperation der Unternehmen untereinander wurde auch rechtzeitig auf quali
tative Veränderungen in der Berufsausbildung reagiert. Beispielsweise wurde frühzeitig mit der Mechatronikerausbildung begonnen. Dieses Konzept der Verbundprojekte wurde zwischenzeitlich auch vom TeutloffBildungszentrum in Schönebeck übernommen. Es gibt auch andere Ausbildungsverbünde in den Regionen, zum Beispiel in Bitterfeld.
Meine Damen und Herren! Die Unternehmen forcieren ihre Ausbildung nicht etwa aus reiner Menschenfreundlichkeit, sondern weil sie erkannt haben, dass in den nächsten Jahren ganze Generationen von qualifizierten Fachkräften die Betriebe verlassen werden und aufgrund des schlagartigen Rückgangs der Schulabgängerzahlen bereits ab dem Schuljahr 2005/2006 kaum Auszubildende zur Verfügung stehen werden.
Dies alles ist bekannt, dies alles ist untersucht werden und liegt als Gutachten vor. Man kann es aber offensichtlich nicht oft genug sagen. Im Übrigen geht es nicht nur um den Bereich der Facharbeiter, sondern auch um Techniker und Ingenieure, die gerade für Innovationen sowie für die Forschung und Entwicklung dringend gebraucht werden.
Meine Damen und Herren! Wo Licht ist, gibt es auch Schatten. Ausgerechnet die Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau, die sich bei ordnungspolitischen Fragen immer am lautesten zu Wort meldet, betätigt sich massiv als außer- und überbetrieblicher Bildungsträger.
Dabei wäre es gerade die Aufgabe der IHK, alle Mittel dafür einzusetzen, dass der Anteil der betrieblichen Ausbildungsplätze erhöht wird und Unternehmen und Betriebe in die Lage versetzt werden, mittel- und langfristig auch ohne Fördermittel ihrer Ausbildungsverpflichtung nachzukommen. Das genau ist letztlich der Sinn und Zweck des dualen Ausbildungssystems.
Doch damit nicht genug. Als Einrichtung des öffentlichen Rechts überwacht sich die IHK dann auch noch selbst bei der Durchführung der beruflichen Bildung. Kurz und knapp: Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht.
Meine Damen und Herren! Wenn die Betriebe und Unternehmen auch zukünftig konkurrenzfähig bleiben wollen und wir in Sachsen-Anhalt im Bereich der Produkt- und Verfahrensinnovation keinen Stillstand zulassen wollen, dann muss jetzt die vorhandene Qualifikation gesichert und für die Zukunft ausgebaut werden. Der Schlüssel hierfür ist die Ausweitung des betrieblichen Ausbildungsplatzangebots.
Dass dies nicht im Selbstlauf funktioniert, ist, wie ich denke, hinreichend deutlich geworden. Deshalb fordern wir als SPD-Fraktion: Die berufliche Erstausbildung und die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit müssen zur Chefsache werden. Hier ist nach unserer Auffassung der Ministerpräsident gefragt.
Handlungsmöglichkeiten und Optionen sind in der Tat auch zahlreich vorhanden. Beispielsweise gäbe es die Möglichkeit, an die Aktivitäten der Ministerin a. D. Frau Dr. Kuppe anzuknüpfen, die mit der IG BCE und dem VCI eine Vereinbarung abgeschlossen hat und mit dem
Verband der Metall- und Elektroindustrie sowie der IG Metall eine analoge Regelung vorbereitet hatte. Danach sollen in Zusammenarbeit mit dem Landesarbeitsamt Sachsen-Anhalt/Thüringen über ein Sonderprogramm zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen werden.
Das Land fördert dabei jedes betriebliche Ausbildungsverhältnis mit einer Pauschale in Höhe von 6 200 €. Die Besonderheit des Programms besteht darin, dass die so geförderten und ausgebildeten Jugendlichen in ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis übernommen werden sollen, in jedem Fall aber die Übernahme für die Zeit von 24 Monaten nach der Ausbildung verpflichtend geregelt ist.
Eine zusätzliche Förderung erfolgt über die Bundesanstalt für Arbeit in Form eines Eingliederungszuschusses für jüngere Arbeitnehmer. Darüber hinaus können Qualifikationskosten bezuschusst werden. An dieser Stelle wurden neue Wege gegangen, um einerseits zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen und andererseits eine Übernahme nach der Ausbildung zu ermöglichen.
Handlungsoptionen ergeben sich auch bei der landesweiten Umsetzung eines Projektes, das in der Region Halle vom Qualifizierungsförderwerk Chemie QFC gestartet wurde. Dabei geht es um die Bildung eines Nachwuchskräftepools, der gemeinsam mit den Unternehmen der Region aufgebaut werden soll. Die Idee des Pools wendet sich gezielt an Jugendliche nach Abschluss ihrer Ausbildung, um ihnen in ihrem Lebens- und Arbeitsbereich auch nach der Ausbildung eine Perspektive zu geben.
Diese bzw. ähnlich gelagerte Fragen sind bisher im Bündnis für Arbeit und Ausbildung mit den betroffenen Verbänden und Gewerkschaften besprochen und zum Teil auch vereinbart worden. Wir fordern deshalb den Ministerpräsidenten auf: Werden Sie initiativ und setzen Sie das Bündnis für Arbeit und Ausbildung fort. Die Themen der Jugendarbeitslosigkeit und der Schaffung betrieblicher Ausbildungsplätze müssen dabei mit absoluter Priorität behandelt werden.
Ein letzter Satz noch, weil meine Redezeit abgelaufen ist. Meine Damen und Herren! Es geht dabei nicht um ein Detailproblem der Landespolitik, sondern um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Ich gehe davon aus, dass Herr Professor Dr. Böhmer das auch so sieht. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Metke, Sie haben, sicherlich ungewollt, dem Minister Recht gegeben. Sie haben hauptsächlich über die Wirkungen, aber nicht über die Ursachen gesprochen. Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist seit Jahren angespannt. Das ist allen bekannt. Es ist mehrfach betont worden.
Betrachtet man die Entwicklung der Relation von freien Ausbildungsplätzen und Bewerbern, muss man feststellen, dass sich diese seit Jahren auf einem Wert zwischen 0,5 und 0,6 bewegt. Mit anderen Worten: Das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen reicht nur für ca. 50 bis 60 % der Bewerber. Der Hinweis darauf, dass sich das Land damit im Durchschnitt der neuen Bundesländer bewegt, taugt nicht einmal als ein schwacher Trost. Die Situation ist schlicht unbefriedigend.
Da es keine Gesellschaft verkraften würde, dass 40 % der Jugendlichen nach ihrem Schulabschluss den Einstieg ins Berufsleben verpassen und damit im gesellschaftlichen Aus landen, sind verschiedene Sonderprogramme von Bund und Land und insbesondere die außerbetrieblichen Ausbildungsstellen notwendig. Sie haben aber unserer Meinung nach in erster Linie einen sozialpolitischen Charakter. Wir werden diese Programme so lange unterstützen, wie sie zur Schließung der Ausbildungsplatzlücke notwendig sind.
Genauso deutlich muss aber festgestellt werden, dass die außerbetriebliche Ausbildung immer nur die zweitbeste Lösung ist. Diese Ansicht teilen wir übrigens mit der überwiegenden Anzahl der Schulabgänger der Sekundarschulen, von denen nach Aussage des aktuellen Berufsbildungsberichtes über 80 % eine Ausbildung im dualen System, also dem Zusammenspiel von Ausbildungsbetrieb und Berufsschule, wünschen.
Beim Lesen dieses Berichtes tritt der eigentliche Grund für die Ausbildungsmisere in den neuen Bundesländern zutage. Auf die Frage, warum sie trotz Berechtigung nicht ausbilden, erklärten nahezu die Hälfte der Betriebe, dass sie die Auszubildenden nicht übernehmen könnten und deshalb keine Veranlassung zum Ausbilden sähen.
Dies bedeutet: Solange diese wirtschaftliche Situation nicht nachhaltig gebessert wird, so lange wird auch die Lage auf dem Ausbildungsmarkt angespannt bleiben. Hierbei zeigt sich, dass die Aussage, eine Wirtschaftspolitik sei die beste Sozialpolitik, keine Plattitüde, sondern eine Beschreibung der Realität ist.
Indem wir das gesellschaftliche Klima wirtschaftsfreundlicher gestalten, alle gesetzlichen Einschränkungen auf ihre Notwendigkeit hin überprüfen und die Unternehmen von überflüssiger Bürokratie befreien, können wir mehr für die Verbesserung der Ausbildungssituation beitragen als mit jedem staatlichen Programm zur überbetrieblichen Ausbildung. Dass der wirtschaftliche Aufschwung auch die Jugendarbeitslosigkeit nachhaltig senken wird, liegt auf der Hand.
Apropos Jugendarbeitslosigkeit: Wir lehnen die Mobilitätshilfe genannte Abwanderungsprämie für Jugendliche ab, auch wenn wir wissen, dass sich die Abwanderung eben nur durch die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und ein damit verbundenes Angebot an attraktiven Arbeitsplätzen stoppen lässt.