Wer stimmt der Überweisung in den für Raumordnung zuständigen Ausschuss zu? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Damit ist die Überweisung ebenfalls abgelehnt worden.
Damit bleibt der Ausschuss für Recht und Verfassung, der einzige Ausschuss. Deshalb muss auch nicht über die Federführung abgestimmt werden. Somit ist der Gesetzentwurf in den Ausschuss für Recht und Verfassung überwiesen worden. Wir können den Tagesordnungspunkt 8 verlassen.
Entwurf eines Gesetzes zur Förderung, Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflegestellen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wie groß ist die Welt? Wie viele Stacheln hat ein Igel? Warum ist der Mond manchmal so krumm wie eine Banane? Wo schwitzt ein Schwein?
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist nur eine Auswahl der Fragen, die meiner Fraktion im Rahmen eines Wettbewerbes unter dem Motto „Kinder fragen Politiker“ zugesandt worden sind. Die Fragen sind nicht ohne. Überlegen Sie doch einmal selbst, ob Sie einem Fünfjährigen darauf eine kindgerechte Antwort geben können.
Kinder sind neugierig. Sie wollen wissen, wie die Welt funktioniert. Eltern, Erzieherinnen, wir alle können ihnen das Rüstzeug dafür geben, um Antworten auf ihre Fragen zu finden und um die Welt um sich herum zu erschließen.
Warum hat nicht jeder Mensch genug zu essen? Wann sind wir denn erwachsen? Warum sind die anderen Kinder so oft ungezogen? Hat jeder Mensch Freunde? - Auch das sind Fragen von Kindergartenkindern. Sie sammeln Eindrücke, saugen sie auf wie ein Schwamm und nehmen sie mit in das Leben hinein.
Am 13. Oktober 2006 fand im Sozialausschuss eine Anhörung zum Thema Kinderarmut statt. Ich gehe davon aus, dass die entsprechenden Studien allen in diesem Hause bekannt sind.
Herr Dr. Martens, der die Studie für den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband entwickelt hat, führte in seinem Statement aus, dass in Sachsen-Anhalt ca. 70 000 bis 80 000 Kinder unter Armutsbedingungen leben. Bei der Hälfte der Kinder muss damit gerechnet werden, dass sie relativ dauerhaft in dieser Situation leben werden. Es kommt hinzu, dass in dieser Gruppe tendenziell Familien zu finden sind, die neben dem zu geringen Einkommen noch weitere Unterversorgungslagen aufweisen, zum Beispiel im Bereich der Bildung.
Aus der Sicht des Kinderschutzbundes werden sich langfristig die Folgen der Kinderarmut unter anderem in einer dramatischen Minderung der Chancen der Kinder auf einen guten Schulabschluss zeigen. Schon seit der letzten Pisa-Studie ist bekannt, dass ein sehr enger Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft besteht. Dies ist nicht neu, weder für Sie noch für mich.
Neu war jedoch in der Anhörung die nachdrücklich geäußerte Forderung des Deutschen Kinderschutzbundes und des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes nach einem voraussetzungsfreien Zugang aller Kinder zu einem ganztägigen Besuch in einer Kindertageseinrichtung. Dies wurde als dringend erforderliche Handlungsoption angesprochen, um Kinderarmut zu beseitigen und zu verhindern; denn ein wesentliches Problem der Kinderarmut ist nun einmal die Verbindung zur Bildungsarmut. Das war ein Beweggrund für uns, den Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf heute einzubringen.
Ein weiterer Beweggrund war, dass wir die Novellierung des Gesetzes im Jahr 2003 weiterhin für falsch halten.
Hauptgrund für die damalige Koalition war einzig und allein der damit verbundene Spareffekt. Das war ein Fehler und das hat sich in den letzten Jahren deutlich gezeigt.
Der Gesetzentwurf der Linkspartei.PDS geht von einer erweiterten Aufgabenbestimmung von Kinderbetreuungseinrichtungen aus. Kindertageseinrichtungen sind kein Ersatz für elterliche Förderung, Erziehung und Bildung. Sie sind ein Recht der Kinder, ein Recht auf Teilhabe an gemeinschaftlicher öffentlicher Förderung, Bildung und Erziehung, im weitesten Sinne ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Gerade weil es ein Recht des Kindes ist, darf das nicht in Abhängigkeit von der Erwerbssituation der Eltern stehen. Allen Kindern muss der Zugang zu einer Kindertageseinrichtung als persönlicher Anspruch offen stehen.
Ich gebe dem Wirtschaftsminister Recht, wenn er sagt, dass junge Menschen über entsprechende Ganztagsangebote aus ihrem persönlichen Umfeld herausgenommen werden können und Chancen erhalten müssen - Chancen, die sie in ihren Familien oftmals nicht erhalten. Dieser Ansatz ist nicht nur auf ein bestimmtes Alter begrenzt, sondern beginnt mit der frühkindlichen Förderung, wenn wir tatsächlich etwas erreichen wollen.
„Das A und O ist die frühkindliche Bildung in den Kindertagesstätten. Hier haben wir das Potenzial, die Weichen umzustellen, damit die Kinder nicht geradewegs in die Sackgasse fahren.“
Interessanterweise steht auch der Bundesvorstand der CDU diesem Ansatz sehr nah. So heißt es in einem Antrag an den 20. Parteitag in zwei Wochen unter der Überschrift „Klein und einzigartig - auf den Anfang kommt es an“ - ich zitiere -:
„Bildungschancen sind individuelle Lebenschancen für kulturelle Teilhabe, für beruflichen Erfolg und für Entwicklung und Innovation in unserem Land. Die Teilhabe aller an Bildung und Ausbildung ist Voraussetzung dafür, dass möglichst jede Begabung entdeckt wird.“
Wenn ich mir diese Worte durchlese, dann muss ich denken, dass Ihnen unser Gesetzentwurf momentan wie gerufen kommt, weil er Ihnen Arbeit erspart.
(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Herr Dr. Schellenberger, CDU: Warum? - Herr Tullner, CDU: Warum?)
Meine Fraktion möchte Sie alle daher heute beim Wort nehmen und Sie auffordern, Ihre eigenen Worte ernst zu nehmen.
Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen und nehmen Sie die begründeten Forderungen der Lobbyisten der Kinderrechte, des Deutschen Kinderschutzbundes, des DPWV, des DRK und der AWO, nach einem Ganztagsbildungsanspruch für alle Kinder ernst.
Neben dem Ganztagsanspruch ist ein wesentlicher Punkt des Gesetzesentwurfes die Weiterschreibung des Bildungsauftrages. Die Linkspartei.PDS hat sich deutlich für den Bildungsauftrag ausgesprochen, der im Bildungsprogramm „Bildung elementar“ eine gute Grundlage hat. Dennoch halten wir es für erforderlich, bei der Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtungen und Schule hervorzuheben, dass es sich um einen kontinuierlichen Prozess handelt. Die konkreten Probleme vor Ort müssen weiterhin auf unserer Agenda stehen. Die Zusammenarbeit beider Institutionen muss auf Augenhöhe stattfinden und von einem gegenseitigen Willen getragen sein. Das ist bisher noch nicht überall der Fall.
Des Weiteren sollen in die Aufgaben der Kindertageseinrichtungen Bildungs- und Beratungsangebote für Eltern einbezogen werden. Diese können und sollten gemeinsam mit Familienverbänden oder anderen Organisationen gestaltet werden. In Kindertageseinrichtungen haben wir objektiv noch die Möglichkeit, mit den Eltern in Kontakt zu treten; denn dorthin bringen sie ihre Kinder und holen sie von dort ab. Das ändert sich mit dem Eintritt in die Schule.
Es gibt im Land bereits vereinzelt erfolgreiche Projekte; diese reichen jedoch nicht aus. Es muss uns gelingen, insbesondere sozial schwache und bildungsferne Elternhäuser zu erreichen; denn grob gesagt: Es reicht nicht aus, Kinder aus schwierigen Elternhäusern für die Zeit der Betreuung in der Kita herauszuholen; vielmehr müssen wir parallel dazu Familien helfen, wieder Familie zu sein. Ich sage sehr deutlich: Hierbei ist der Staat in der Pflicht; denn Kinder können sich nicht allein helfen, haben aber einen Anspruch auf einen bestmöglichen Start ins Leben.
Außerdem wird in dem Gesetzentwurf die Spezifik der Aufgaben von Kindertageseinrichtungen im vorschulischen und im schulbegleitenden Bereich, sprich im Hort, hervorgehoben. Es war uns wichtig, eigenständige Aufgaben des Hortes zu formulieren, um seine besondere Verantwortung zur Unterstützung und Anregung von Bildungsprozessen zu unterstreichen.
Des Weiteren haben wir mit der Formulierung „Hochschulabschluss auf dem Gebiet der Sozialpädagogik“ der unserer Ansicht nach zu etablierenden Hochschulausbildung für Erzieherinnen und Erzieher Rechnung getragen. Das ist eine äußerst wichtige Aufgabe, der wir uns im Land dringend widmen müssen.
Gerade weil wir so hohe Ansprüche an die Erzieherinnen und Erzieher stellen, war es uns wichtig, auch die Qualifizierung des Tagespflegepersonals festzuschreiben. Das Ziel, dass auch diese eine Ausbildung wie Erzieherinnen und Erzieher in Kindertageseinrichtungen haben müssen, ist nicht utopisch, sondern aus unserer Sicht realisierbar und im Sinne der Qualität auch erforderlich.
Als wesentlicher Schwachpunkt bei der Ausgestaltung des Kinderförderungsgesetzes hat sich die fehlende gesetzliche Fixierung von Vor- und Nachbereitungszeiten herausgestellt. An dieser Stelle haben wir eine sehr große Qualitätsreserve bei der Ausgestaltung des Bildungsauftrages.
Erzieherinnen und Erzieher brauchen einen ausreichenden Zeitfonds für die Reflexion der kindlichen Individualentwicklung, für die Konzipierung und Organisation pädagogischer Angebote sowie für die eigene Qualifikation. Es soll daher ein rechtlich verbindlicher Mindestzeitrahmen eingeführt werden. Ohne den haben wir ein tolles und teures Bildungsprogramm, das mangels erforderlicher Vor- und Nachbereitungszeit nur teilweise umgesetzt werden kann.
Angesichts der Tatsache, dass sich die Bereitstellung solcher Zeiten deutlich auf die Kosten der Betreuung auswirkt, haben wir bewusst nur ein Mindestmaß von einer Stunde pro Woche festgeschrieben. Einem Vergleich mit den Möglichkeiten von Lehrerinnen und Lehrern hält dieses nicht stand. Dennoch wäre dies aus unserer Sicht zumindest ein Anfang dafür, dass Erzieherinnen und Erzieher tatsächlich die Möglichkeit erhalten, dem Bildungsauftrag in allen Einrichtungen gerecht zu werden und sich nicht ausschließlich in ihrer Freizeit vorbereiten zu müssen.
Abschließend möchte ich zu den Kosten des Gesetzes etwas sagen. Zunächst dürfte Ihnen bei der Lektüre des Gesetzentwurfs aufgefallen sein, dass wir darauf verzichtet haben, die komplette Kostenfreiheit oder ein kostenfreies Vorschuljahr einzuführen. Insgesamt wäre schon bei einem kostenfreien Vorschuljahr mit einem ähnlichen finanziellen Umfang zu rechnen wie bei unseren Änderungen. Aber das ist nicht der Grund.
Uns geht es darum, dass in Sachsen-Anhalt bereits bis zu 95 % der Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren in Kindertageseinrichtungen betreut werden. Das heißt, wir müssen die Eltern nicht durch diesen Anreiz überzeugen, wie wertvoll die Betreuung in der Kindertageseinrichtung ist. Zum anderen werden bereits 40 % der Elternbeiträge aus sozialen Gründen durch die Kommunen finanziert. Eine weitere Entlastung der anderen Eltern ist langfristig sicherlich wünschenswert, aber unsere Prioritätensetzung sehen Sie in unserem Gesetzentwurf.
Wir haben insgesamt einen Mehraufwand von ca. 36,6 Millionen € berechnet. Wie sich bei den derzeit stattfindenden Haushaltsverhandlungen jedoch herausgestellt hat, ist dabei durchaus ein gewisser Puffer vorhanden, da im Jahr 2006 ca. 3,1 Millionen € Landesmittel nicht abgeflossen sind. Mir ist immer noch unklar, wie bei einer festen Summe, die auf die Landkreise verteilt wird - ohne Pauschalen pro Kind -, Gelder nicht abfließen können. Ich denke, das wird noch geklärt werden.
Ich möchte gleich vorwegnehmen, dass durch das Gesetz beim In-Kraft-Treten keine Mehrkosten für die Kommunen entstehen. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dass in einem Übergangszeitraum von zwei Jahren sämtliche Kosten der Gesetzesnovellierung durch das Land getragen werden. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass wir die derzeitigen Zuweisungen an die Kommunen für nicht verfassungskonform halten und daher die Kommunen an dieser Stelle entlasten wollen. Außerdem kann die Zahl der nach dem In-KraftTreten des Gesetzes tatsächlich ganztags betreuten Kinder erst nach zwei Jahren seriös ermittelt werden.
Von den oben genannten 36,6 Millionen € entfallen ca. 4,4 Millionen € auf die Einführung der Vor- und Nachbereitungszeit. Diese Last soll allein durch das Land getragen werden. Daher haben wir den Kofinanzierungsanteil um einen Prozentpunkt auf 52 % gesenkt. Die restlichen Kosten werden durch die Rückkehr zum Ganztagsanspruch für alle Kinder entstehen. Hier soll aber, wie oben erwähnt, nach einem Übergangszeitraum von zwei Jahren über eine Beteiligung der Kommunen neu beraten werden.