Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

denn das Sonn- und Feiertagsgesetz greift erst ab 16 Uhr. Das ist auch eine konsequente Lösung, meine Damen und Herren.

Es gibt schließlich ein weiteres und zentrales Problem in dem Gesetzentwurf. Es geht um die Übergangsregelung für das Jahr 2006, vor allem um die bevorstehende Adventszeit. Die kommenden Wochen werden, was die Ladenöffnung angeht, von großer geschäftlicher und symbolischer Bedeutung sein. Unsere Nachbarn in Sachsen und Berlin wissen dies und haben deshalb gesetzgeberische Vorkehrungen getroffen, um an allen Adventssonntagen die Möglichkeit der Öffnung zu bieten.

In diesem Land haben CDU und SPD dies nicht vor. Das ist ein schwerer Fehler. Auch der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie diesem Weg folgen, dann würden Sie in der Tat auch an den kommenden Adventssonntagen die Kunden nach Berlin und Leipzig vertreiben.

Meine Damen und Herren! Wir stellen deshalb als FDPFraktion den Antrag, mit einer Übergangsregelung für

das Jahr 2006 dafür zu sorgen, dass auch der Einzelhandel in Sachsen-Anhalt öffnen kann. Was in Berlin und Sachsen geht, das muss auch in Sachsen-Anhalt gehen. Da bin ich ganz anderer Meinung, Herr Wirtschaftsminister, als Sie vorhin bei Ihren Ausführungen. Berlin ist auch ein Maßstab für uns, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der Linkspar- tei.PDS)

Mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses liegt uns auch ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD vor. In diesem Antrag heißt es wörtlich:

„Der Landtag von Sachsen-Anhalt spricht sich für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung für den abzuschließenden Tarifvertrag im Einzelhandel von Sachsen-Anhalt aus. Der Landtag erwartet vom zuständigen Ministerium, dass auf den entsprechenden Antrag hin der in Kürze abzuschließenden Manteltarifvertrag für den Bereich des Einzelhandels für allgemeinverbindlich erklärt wird.“

Meine Damen und Herren! Dies ist ein abenteuerlicher Entschließungsantrag.

(Frau Rogée, Linkspartei.PDS: Jawohl, wird alles weggewischt!)

Der Antrag spricht im Befehlston von einem abzuschließenden Tarifvertrag, so als ob wir, die Volksvertreter, den Tarifparteien Befehle erteilen könnten, sollten oder wollten. Mit Blick auf die Tarifautonomie ist das schlechter politischer Stil.

Aber es kommt in dem Antrag noch schlimmer. Der Entschließungsantrag spricht gegenüber dem zuständigen Ministerium eine Erwartungshaltung aus, was das Ergebnis der Prüfung des Antrags betrifft, den niemand anderes als die Tarifpartner - und nicht der Staat - stellen kann.

Die Erwartung der Allgemeinverbindlichkeit wird ausgesprochen, obwohl gemäß § 5 des Tarifvertragsgesetzes die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit an objektive rechtliche Kriterien gebunden ist, die auch der zuständige Minister zu beachten hat. Ich bin dem Minister dafür dankbar, dass er vorhin darauf noch einmal hingewiesen hat.

Meine Damen und Herren! Der Entschließungsantrag läuft in der Tat auf eine grobe Missachtung der Tarifautonomie hinaus. Das Anliegen gerät in die gefährliche Nähe einer Aufforderung an den zuständigen Minister, es mit der rechtlichen Prüfung einmal nicht ganz so genau zu nehmen und der Parlamentsmehrheit zu Willen zu sein.

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

Das ist nicht in Ordnung. Ich kann die scharfe Reaktion des Handelsverbandes BAG Sachsen-Anhalt e. V. nachvollziehen, der in einem Brief an den Landtag sein tiefes Befremden in dieser Sache zum Ausdruck gebracht hat.

Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion wird diesen Entschließungsantrag selbstverständlich ablehnen. Ich möchte die CDU und die SPD an dieser Stelle eigentlich auffordern, diesen Antrag zurückzunehmen; denn der gehört wirklich nicht in einen Landtag, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Mit der folgenden etwas allgemeineren Bemerkung möchte ich an diesem historischen Tag schließen. Ich sage das einmal mit einem Blick zu Herrn Gürth hinüber, den ich eigentlich als jemanden kenne, der gewisse ordnungspolitische Prinzipien hat, die gelegentlich Berührungspunkte mit dem Liberalismus haben.

(Minister Herr Dr. Daehre und Minister Herr Dr. Ha- seloff lachen)

Der Entschließungsantrag ist im Grunde eine Beleidigung der Ordnungspolitiker wie Ludwig Erhard - CDUMitglied, erster Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland -, die damals dieses Tarifsvertragsgesetz mit Bedacht

(Zuruf von Frau Rogée, Linkspartei.PDS)

aufgrund der Erfahrungen in der Weimarer Republik geschaffen haben, wo der staatliche Einfluss auf die Tarifverhandlungen verheerende Wirkungen hatte. Sie haben gesagt: Wir gehen den Weg, hohe rechtliche und politische Hürden für den Fall der Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu errichten.

Im Geist einer liberalen Wirtschaftsordnung, genannt soziale Marktwirtschaft, meine Damen und Herren, sollten wir heute handeln und nicht mit Entschließungsanträgen herumoperieren, die nicht in einen Landtag wie diesen gehören. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Professor Paqué. Es besteht der Wunsch, eine Reihe von Fragen an Sie zu richten. Möchten Sie antworten?

Dann fragt zunächst Herr Bischoff und danach Herr Dr. Thiel.

Herr Professor, Sie sind, glaube ich, nicht nur ein parteipolitisch liberaler Mensch, sondern sicherlich auch ein Mensch, der noch aus einer anderen Sozialisation kommt. Zumindest glaube ich, dass Sie das dritte Gebot und vieles mehr kennen.

Sie haben während Ihrer ganzen leidenschaftlichen Rede keinen Satz dazu gesagt, welche Bedeutung für Sie der Sonntag hat. Ich habe nicht erschließen können, warum Sie nicht alle Sonntage freigeben und sagen, man kann doch nach Ihrer Logik jetzt immer einkaufen.

Der zweite Grund. Ich bin mit vier Kindern groß geworden und weiß, wie wichtig für Kinder ein Familienleben ist. Das spielt sich auch und gerade am Samstagabend ab, weil man dann bestimmte Dinge machen kann, die man am Sonntag nicht machen kann, weil dort schon die neue Woche beginnt. Ich weiß nicht, ob Sie es selbst erleben können, welche Bedeutung gerade für die Kinder in der Familie der freie Samstagabend und der freie Sonntag auch in der Adventszeit haben.

(Beifall bei der SPD)

Herr Bischoff, ich antworte sehr gern darauf. Den ersten Teil der Frage habe ich heute nicht angeschnitten, weil ich den bei der Einbringung des Gesetzentwurfs schon angeschnitten habe. Ich komme aus einer katholischen Familie. Ich habe in den Vereinigten Staaten und in Kanada gelebt. Ich habe dort erlebt, dass am Sonntag die Kirchen erheblich besser mit Gläubigen gefüllt waren, obwohl es dort keine entsprechenden Restriktionen bei den Öffnungszeiten gibt, weil es ganz selbstverständlich ist, dass am Sonntagmorgen die Geschäfte nicht geöffnet haben. Das haben die Läden schon selbst so gehandhabt bis auf ganz wenige Ausnahmen, die man als eine Art Notdienst ansehen kann.

Insofern bin ich so optimistisch zu glauben, dass sich das vernünftig regelt und dass sich die Gläubigen keineswegs durch den Rahmen der Öffnung, der sich in einer freien Welt einstellt, belästigt fühlen.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, dass die Rolle des Glaubens in unserer Gesellschaft überhaupt nicht leiden würde.

Bezüglich des Samstags kann ich auch nur wiederholen, Herr Bischoff: Es ist kein Zwang - das muss man immer deutlich sagen -, dass die Familien im Gleichschritt zu den Einkaufsläden und in die Stadtzentren gehen. Das ist doch kompletter Unsinn. Es ist eine Gestaltungsfreiheit.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

Eine Gesellschaft lebt von der Freiheit der Gestaltung. Das gilt auch in weiten Bereichen des sozialen Lebens, Herr Bischoff. Ich glaube, darin sind wir uns sicherlich einig.

(Lebhafter Beifall bei der FDP - Zuruf von Herrn Bischoff, SPD)

Vielen Dank. - Nun bitte Herr Dr. Thiel.

Herr Professor Paqué, Sie sprachen davon, dass Berlin ein Beispiel für uns ist.

Gerade für die PDS.

Dieses Lob aus FDP-Sicht für die rot-rote Wirtschaftspolitik erstaunt schon, wenn es offenbar in den Kram passt. Ich stelle Ihnen a) die Frage: Ist Ihnen bekannt, dass in den Berliner Gesetzentwurf die umfangreichen Regelungen in Bezug auf die Arbeitnehmerrechte aus dem alten Ladenschlussgesetz übernommen worden sind? Und b): Ist davon auszugehen, dass Ihre Fraktion unseren Änderungsanträgen zustimmen wird?

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Zu Frage 1, zu Berlin. Es ist natürlich so, dass wir die Wirtschaftspolitik in Berlin kritisch und interessiert verfolgen. Das ist in der Tat ein Aspekt, den wir als gelungen betrachten. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir allen

anderen Dingen zustimmen. Ich habe Berlin hier nur deshalb ausführlich zitiert, weil ich mich schon etwas darüber wundere, wie die PDS den Spagat geschafft hat, in der einzigen rot-roten Koalition, die es in Deutschland gibt und in der die PDS jetzt noch Verantwortung trägt, ein derart liberales Gesetz zu machen.

Zu Frage 2. Wir halten die weiter gehenden Schutzrechte nicht für nötig. Hierzu gibt es keinen Regelungsbedarf. Den Regelungsbedarf, den es gibt, können die Tarifparteien aus eigenem Antrieb festlegen. Dazu muss nicht der Staat über die normalen Regeln hinaus, die wir in Bezug auf den Arbeitsschutz in unserer Gesellschaft und in den bundesgesetzlichen Regelungen bereits haben, tätig werden. Das ist ein Gebot der Deregulierung oder der Minimierung der Regulierung. Hierbei müssen wir nicht noch etwas draufsatteln.

Vielen Dank. - Nun noch eine Frage von Frau Rogée. Bitte.

Herr Paqué, ich habe Ihnen gut zugehört. Ich habe eine Frage und hätte gern gewusst, warum Sie nicht den Antrag gestellt haben, dass gar kein Gesetz mehr gemacht wird. Sie haben alles kritisch gesehen und sich gegen alles ausgesprochen. Dann wäre es wirklich sinnvoll zu sagen: Wir brauchen kein - das Ladenschlussgesetz wird heute beerdigt - Ladenöffnungsgesetz. Eigentlich macht das überhaupt keinen Sinn.

In Bezug auf die Öffnung von Montag bis Samstag plädieren wir für eine völlig liberale Lösung. Insofern sind wir in diesem Bereich bei einer völligen Liberalisierung.