Protokoll der Sitzung vom 25.01.2007

Das System der GKV, wie es bisher bestand, gewährleistete trotz aller Einschränkungen durch die Reformen der vergangenen Jahre immer noch einem Anteil von über 90 % der Bevölkerung eine weitgehende Absicherung im Krankheitsfall. Zahlreiche Studien belegen, dass die Mehrheit der Bevölkerung das Solidarprinzip möchte und sich genauso wie wir für die Erweiterung der Finanzierungsbasis der GKV ausspricht.

Wir fordern die Landesregierung auf, sich für eine solidarische Bürgerversicherung einzusetzen, die das bisherige GKV-System weiterentwickelt und alle in die GKV einbezieht. Sorgen Sie für den Erhalt und die Festigung der solidarischen Krankenversicherung, die die Sicherstellung einer bedarfsgerechten, erreichbaren und dauerhaft funktionsfähigen Versorgung mit den medizinisch und gesundheitlich als zweckmäßig, notwendig und ausreichend erachteten Leistungen für die gesamte Bevölkerung gewährleistet.

Die solidarische und soziale Krankenversicherung basiert darauf, dass jeder entsprechend seiner finanziellen Leistungsfähigkeit Beiträge einzahlt und unabhängig von der Höhe der gezahlten Beiträge Leistungen in dem Umfang erhält, wie er für ihn individuell erforderlich ist. Dieses Grundprinzip wird mit den Neuregelungen in dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz in wesentlichen Teilen aufgehoben.

Die Wahl- und Sondertarife für junge und gesunde Menschen führen zu niedrigen Teilkaskotarifen. Die möglichen Rückzahlungen bzw. der Erlass in Höhe von bis zu 900 € jährlich müssen letztlich durch die anderen Versicherten erwirtschaftet oder mit Zusatzbeiträgen erbracht werden. Besonders negativ davon betroffen sind Alleinstehende und Familien, weil Beitragsrückerstattungen auch davon abhängig gemacht werden, ob volljährige mitversicherte Kinder Leistungen in Anspruch nehmen.

Außerdem wird dieses Instrument hinsichtlich der europarechtlichen Risiken von Rechtswissenschaftlern äußerst kritisch eingeschätzt. Die gesetzlichen Krankenkassen gelten bislang wegen des Solidarprinzips nicht als Unternehmen, die dem Wettbewerbsrecht unterliegen. Beitragsrückerstattungen und Selbstbehalte in der GKV können aber dazu führen, dass die gesetzlichen Krankenkassen unter das europäische Kartellrecht geraten.

Auch die geplante Einführung von Zuzahlungen im Falle eines Verschuldens des Kranken aufgrund des Versäumens von entsprechenden Früherkennungsmaßnahmen oder Vorsorgeuntersuchungen sind ein Dammbruch in der solidarischen Bürgerversicherung.

Ich möchte es dabei bewenden lassen und nichts weiter aufzählen. Ich möchte aber vor allem die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der SPD auffordern, sich auf ihre Wahlversprechen zu besinnen und die Reform mit dem Ziel einer alle Teile der Bevölkerung umfassenden solidarischen Bürgerversicherung von vorn zu starten. Sorgen Sie in Ihrer Arbeitsgruppe auf Bundesebene

dafür, dass dieses GKV-WSG nicht in Kraft tritt. Die Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion sollten Sie dabei unterstützen.

(Herr Tullner, CDU: Wir machen weiter!)

Es kann und darf nicht sein, dass es wieder heißt: Nach der Reform ist vor der Reform und Toll-Collect ist überall in Deutschland. - Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Herr Tullner, CDU: Was, Toll-Collect?)

Herzlichen Dank der Abgeordneten Frau Penndorf für die Einbringung. - Für die Landesregierung erteile ich jetzt Frau Ministerin Dr. Kuppe das Wort. Bitte schön, Frau Dr. Kuppe, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen Abgeordnete! Die Gesundheitsreform ist, wie wir aus eineinhalb Jahrzehnten Erfahrung wissen, ein Prozess, bei dem eine Reform der anderen folgt.

Mit kleineren und größeren Gesetzesänderungen reagiert der Gesetzgeber seit Jahren auf aktuelle Entwicklungen im Gesundheitswesen, versucht Strömungen zu kanalisieren, versucht die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens zu erhalten, das Gesundheitswesen selbst aber auch bezahlbar zu halten, dem medizinischen Fortschritt gegenüber aufgeschlossen zu bleiben, den Versicherten die Gewähr für eine gute und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung zu bieten und auch den Leistungserbringern gerecht zu werden.

Dabei müssen Organisationsstrukturen überprüft und angepasst, eine gerechte Risikoverteilung geschaffen, die bürokratischen Erfordernisse in Grenzen gehalten, größtmögliche Sicherheit auf allen Ebenen gewährleistet, Unwirtschaftlichkeiten vermieden, die Entwicklung neuer Modelle zugelassen und die Rechtssicherheit beachtet werden.

Meine Damen und Herren! Nach diesen allgemein beschriebenen Herausforderungen wird, glaube ich, schon deutlich, dass die gleichzeitige Erfüllung all dieser Zielsetzungen der Quadratur des Kreises gleichkommt.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Die Verwirklichung e i n e r Forderung, meine Damen und Herren, kann der Umsetzung eines anderen Zieles diametral entgegenstehen. Wer die Interessen einer Berufsgruppe zu stark berücksichtigt, der wird die Interessensphäre einer anderen Gruppe stark beeinflussen oder gar beeinträchtigen.

Werden Leistungen für Versicherte eingeschränkt, wird der Vorwurf einer Zwei-Klassen-Medizin erhoben. Geht es an Strukturen, wird dies als unzulässiger Eingriff in die Selbstverwaltung beschrieben.

Aber 82 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland erwarten stets eine schnelle, eine umfassende, eine qualitativ hochwertige gesundheitliche Versorgung mit allen erforderlichen Leistungen. Und jede Interessenvertretung kämpft natürlich für ihre eigene Klientel. Das verstehe ich auch. Aber der Gesetzgeber - das sage ich in diesem Hohen Haus ganz deutlich -

muss bei allen Entscheidungen stets den Blick auf alle und auf das Gemeinwohl richten.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Davor, meine Damen und Herren, kann sich keiner verstecken. Keiner und keine, die in den politischen Gremien für Entscheidungen zuständig ist, kann den Kopf in den Sand stecken.

Denn wir wissen, es gibt Ineffizienzen im gesundheitlichen Versorgungssystem. Unter-, Über- und Fehlversorgung sind Reizworte. Es gibt Anforderungen an finanzielle Grundlagen, die entsprechend der demografischen Entwicklung und dem Fortschritt bei der medizinischen und der medizintechnischen Entwicklung verändert werden müssen. Es sind aber auch neue Anforderungen an Leistungen und an die Qualität von Leistungen im medizinischen System zu stellen.

Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - um das geht es hier -, soll dazu beitragen, dass alle Menschen in Deutschland die Versorgung, die sie im Krankheitsfall benötigen, auch auf der Höhe des medizinischen Fortschritts erhalten. Das ist derzeit nicht der Fall.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Strukturen, Organisationen und Finanzströme umgestaltet werden und muss auch der Bereich der PKV umgestaltet werden. Es wird ein Kompromiss erreicht werden. Weder CDU noch SPD werden ihre Vorstellungen in Gänze durchsetzen können. Das ist in einer Koalition nun einmal so. Aber es wird ein Kompromiss mit umfangreichen Änderungen im Fünften Buch des Sozialgesetzbuches erreicht werden.

Ich kann an dieser Stelle nur einige Punkte im Ausschnitt darstellen. Zehn Minuten reichen für eine umfassende Betrachtung dieser umfangreichen Veränderungen nicht aus.

Als ersten Punkt möchte ich den Versicherungsschutz für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nennen. Das ist wirklich ein Zuwachs an Sicherheit in der gesundheitlichen Versorgung.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Der zweite Punkt: Die Finanzstrukturen in der GKV erhalten eine neue Grundlage. Es wird ein Gesundheitsfonds geschaffen. Dieser wird erstmalig einen 100-prozentigen Einkommensausgleich gewährleisten. Aus dem Gesundheitsfonds heraus werden die Krankenkassen neben einer Grundpauschale für jeden Versicherten und jede Versicherte auch eine risikoadjustierte Zusatzpauschale erhalten.

Das nützt den Krankenkassen, die mehr kranke und mehr schwerkranke Versicherte haben. Das ist in Ostdeutschland und speziell in Sachsen-Anhalt der Fall, sodass die Krankenkassen für die Versicherten in unserem Bundesland von der Schaffung dieses Fonds, wie er angedacht ist und ausgestaltet werden soll, profitieren werden. Deswegen setze ich mich für den Fonds, wie er angedacht ist, ein, weil er Vorteile für Sachsen-Anhalt und für die Bürgerinnen und Bürger bei uns bringen wird.

Der Zusatzbeitrag, der in Höhe von 1 % des beitragspflichtigen Einkommens erhoben werden kann, ist allerdings eine schwierige Sache. Aber bei Abwägung von Vorteilen und Nachteilen bin ich der Meinung, dass die Vorteile überwiegen.

Der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Einführung eines regulären Steuerzuschusses für die GKV. Der Anteil aus der Tabaksteuer soll gesenkt werden; dieser Zuschuss hat bisher schon eine Entspannung im Gesundheitssystem gebracht. Wir brauchen eine regulär und gut ausgestattete steuerfinanzierte Säule im Gesundheitswesen. Sie soll über diese Legislaturperiode hinaus bis in eine Größenordnung von 14 Milliarden € aufgebaut werden.

Ich denke, das ist für die Finanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben im Gesundheitssystem eine wichtige Sache. Ich stehe nachdrücklich dafür ein, dass diese steuerfinanzierte Säule im Gesundheitswesen auch dauerhaft die Mitfinanzierung übernimmt.

Frau Ministerin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Ich würde gern erst zu Ende sprechen und stehe dann gerne zur Verfügung.

Gut. Fahren Sie bitte fort.

Der vierte Punkt ist der Leistungskatalog. Sie, Frau Penndorf, haben es angesprochen. Der Leistungskatalog wird im präventiven Bereich und hinsichtlich der demografisch bedingten Anforderungen ausgeweitet. Ich nenne beispielhaft die Mutter-/Vater-Kind-Kuren und die Impfleistungen nach dem staatlichen Impfkatalog; ich nenne aber auch die Förderung von Selbsthilfegruppen und Selbsthilfekontaktstellen - ein Thema, das wir hier im Landtag ausführlich erörtert haben - und die geriatrische Rehabilitation sowie die palliativmedizinische Versorgung, die in den Leistungskatalog aufgenommen werden. Das ist ein echter Fortschritt.

Der fünfte Punkt: Die häusliche Krankenpflege - auch das ist für unser Land nicht uninteressant - wird zukünftig nicht nur in konventionellen Haushalten, sondern auch in neuen Wohnformen, zum Beispiel in Wohngemeinschaften, erbracht werden können. Das nützt den Bürgerinnen und Bürgern von Sachsen-Anhalt.

Der sechste Punkt ist die integrierte Versorgung. Auch dieser haben wir uns schon oft gewidmet; sie ist ein wichtiger und wachsender Bereich in der Gesundheitsversorgung. Die integrierte Versorgung wird zukünftig Leistungen der Pflegeversicherung einbeziehen. Das ist für die Verzahnung der verschiedenen Leistungsbereiche ein echter Fortschritt.

Darüber hinaus wird es eine Senkung des bürokratischen Aufwandes geben. Das nützt natürlich allen Beteiligten im Gesundheitswesen. Abrechnungsverfahren und Prüfverfahren sollen vereinfacht werden, Kontrollen sollen eingeschränkt werden. Ich glaube, das ist bei Sicherung der Qualität auch ein wichtiger Aspekt.

Frau Penndorf, Sie haben es angedeutet: Der Bundesrat hat in der Tat einen ganzen Katalog von Änderungen beschlossen, insgesamt sind es 104. Das war ein erheb

liches Arbeitspensum. Ich möchte drei Änderungen davon nennen, die uns, der Landesregierung, besonders wichtig waren.

Ein Punkt betrifft die vorgeschlagenen pauschalen Kürzungen bei den Fahrtkosten im Rettungsdienst um 3 %. Dies hat der Bundesrat abgelehnt. Derzeit gibt es ernsthafte Signale dafür, dass diese Ablehnung auch akzeptiert wird. Diese dreiprozentige Kürzung bei den Fahrtkosten im Rettungsdienst wird also vom Tisch sein. In diesem Punkt hat sich der Bundesrat durchgesetzt. Das finde ich auch richtig, gerade angesichts der Veränderung des Rettungsdienstgesetzes in unserem Land hinsichtlich der Verhandlungslösung.

Der zweite Punkt, der für uns im Bundesrat wichtig war, war der Krankenhaussanierungsbeitrag, die 500 Millionen €, die in diesem Bereich eingespart werden sollten. Eine differenzierte Betrachtungsweise war leider nicht durchsetzbar. Man hätte durchaus noch spezifischere Regelungen finden können.

Wir haben uns im Bundesrat für die gänzliche Streichung dieses Vorschlags eingesetzt. Derzeit wird noch beraten, wie eine Kompromisslösung in diesem Bereich aussehen kann. Aber wir sind optimistisch, dass wir mit der zu erzielenden Lösung mit den Krankenhäusern in unserem Land auch wirklich leben können.

Der dritte Punkt ist die vertragsärztliche Vergütung. Wir haben im Landtag schon mehrfach über die Frage der Sicherstellung im ambulanten medizinischen Bereich diskutiert. In diesem Bereich spielt natürlich auch die ärztliche Vergütung eine Rolle. Sie ist e i n Baustein.

Wir unterstützten deshalb nachdrücklich den Ansatz im Gesetzentwurf, dass eine Euro-Preisfinanzierung eingeführt werden soll. Wir wollen aber bis zur Einführung des Fonds eine Angleichung der Vergütung der vertragsärztlichen Versorgung Ost an den Durchschnitt West erreichen.

Wir haben zusammen mit Thüringen einen Stufenvorschlag eingebracht. Diesem hat der Bundesrat zugestimmt. Darüber gibt es derzeit noch Diskussionen. Wahrscheinlich wird in einer modifizierten Art und Weise zumindest dem inhaltlichen Anspruch der ostdeutschen Bundesländer Rechnung getragen werden.

Ich will am Ende noch darauf hinweisen, dass uns in der vergangenen Woche der Vorschlag aus Bayern, die Konvergenzklausel maßgeblich zu verändern, außerordentlich beunruhigt hat, weil die Verwirklichung der bayerischen Vorschläge eine massive Beschneidung der Finanzströme aus dem Gesundheitsfonds heraus in Richtung ostdeutsche Länder bedeutet hätte. Wir wären die Leidtragenden par excellence des bayerischen Vorschlages geworden. Das darf so nicht kommen und das wird auch nicht so kommen. Dafür gibt es eindeutige Signale.