Protokoll der Sitzung vom 22.03.2007

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/578

Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drs. 5/601

Ich bitte zunächst Herrn Wolpert, den Antrag für die FDP-Fraktion einzubringen. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Innenminister, versprochen ist versprochen. Im letzten Plenum hatten wir verabredet, noch einmal über das Thema Kommunalstrukturen und Einheitsgemeinden zu sprechen. Das ist auch deshalb notwendig, weil in den ganzen Diskussionen über die Struktur ein wichtiger Aspekt unter den Tisch zu fallen droht: die politische Partizipation auf der kommunalen Ebene und damit das Ehrenamt.

Meine Damen und Herren! Vor jeder Strukturreform stellen sich immer drei Fragen. Erstens. Ist sie erforderlich? Zweitens. Ist sie geeignet? Drittens. Ist sie angemessen?

Schon bei der Erforderlichkeit gibt es die ersten Einwände. Der Innenminister hat in seinem Papier zur flächendeckenden Einführung der Einheitsgemeinden die Erforderlichkeit damit begründet, dass zukunftsfähige Strukturen geschaffen werden müssten.

(Minister Herr Hövelmann: Ja!)

Meine Damen und Herren! Es ist ein Novum, dass in einer Koalition der Innenminister ohne Abstimmung mit dem Koalitionspartner eine solche Reform in die Öffentlichkeit gibt. Ich kann verstehen, dass die CDU-Abgeordneten schon allein deswegen von den Vorschlägen nicht begeistert sind.

Aber zurück in die Zukunft: Was erwartet die Kommunen in der Zukunft, was es erforderlich macht, die Strukturen zu ändern? Es sind der demografische Wandel einerseits und die Funktionalreform andererseits.

Der demografische Wandel bedeutet, dass immer weniger Menschen auch weniger Verwaltung bezahlen können und sich die Verwaltung effizienter gestalten muss. Gleichzeitig sollte gerade diese kommunale Verwaltung groß genug sein, um neue Aufgaben bewältigen zu können.

Bereits in der letzten Legislaturperiode wurden deshalb Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften von im Regelfall 8 000 bzw. 10 000 Einwohnern geschaffen. Warum jetzt noch einmal eine Strukturreform erforderlich sein soll, erschließt sich mir nicht, zumal von einer Funktionalreform im Regierungslager niemand mehr spricht. - Ja, Herr Gürth, da staunen Sie.

Dass die jetzigen Strukturen nicht ausreichend zukunftsfähig sein sollen, lässt sich auch deshalb nicht feststellen, weil die mit Wirkung von 2005 erfolgte Umstrukturierung noch nicht einmal evaluiert ist und weil es dafür auch noch zu früh ist.

Um es beispielhaft zu erklären: Wenn ich in eine billigere Wohnung umziehe, habe ich trotzdem Umzugskosten. Dann kann ich nicht in dem Jahr, in dem ich umgezogen bin, schon den Schlussstrich ziehen und sagen, dass es billiger war. Das versuchen Sie gerade mit dem Gutachten, das Sie jetzt durchzupeitschen versuchen. Das ist zu früh.

Ob die Reform wirklich zu effizienteren kommunalen Strukturen führt, soll zumindest durch ein Gutachten er

forscht werden, wobei allein die Frage, ob die Einheitsgemeinde oder die Verwaltungsgemeinschaft die effizientere Form der Kommunalstruktur ist, im Mittelpunkt steht. Ein Gutachten wird kein eindeutiges Ergebnis bringen. Die Nutzung der Strukturen hängt im Wesentlichen von den Menschen ab, die sich darin bewegen, und damit ist auch die Effizienz variabel.

Entscheidend ist jedoch Folgendes: Dem Gutachten fehlt ein wichtiger Teil in der Beurteilung, nämlich die Antwort auf die Frage: Wie wirkt sich die jeweilige Struktur auf die demokratische Teilhabe der Bürger, auf die Identifikation und das bürgerliche Engagement aus? Diese Frage muss beantwortet sein, um abwägen zu können, ob die Reform auch verhältnismäßig ist.

Meine Damen und Herren! Um eine Reform durchzuführen, die am Ende Strukturen schafft, die effizienter sind als die bisherigen, müsste man an die Einheitsgemeinde als einzigen Heilsbringer glauben und verhindern, dass die Anzahl der Verwaltungsämter erhöht wird. Das aber bedeutet, dass die bestehenden Verwaltungsgemeinschaften in Einheitsgemeinden umgewandelt werden müssten. Im Klartext: In Sachsen-Anhalt gäbe es künftig nur noch 100 Gemeinden, keinen ehrenamtlichen Bürgermeister mehr - ich rede nicht von Ortschaftsbürgermeistern -, und die Anzahl der Gemeinderatsmitglieder würde von heute ca. 12 000 auf 2 000 reduziert.

(Zuruf von der SPD: Wo?)

- Weil wir derzeit 11 800 und ein paar Zerquetsche Gemeinderäte haben.

(Herr Gallert, Linkspartei.PDS: Haben wir nicht! - Herr Miesterfeldt, SPD: Nicht zerquetschte!)

Wenn Sie noch 100 Gemeinden mit im Schnitt 20 Gemeinderatsmitgliedern haben, macht das 2 000. Die Differenz ist bei 10 000 anzusetzen und genau das ist der Knackpunkt. Diese Reform bedeutet nämlich einen radikalen Kahlschlag im ehrenamtlichen Engagement der Bürger in unserem Land.

Ein ehemaliges CDU-Mitglied und Bürgermeister von Jävernitz brachte es auf den Punkt: „Dann muss sich der Herr Minister nicht mehr mit uns Meckerköpfen aus den Gemeinden herumärgern, die gibt es dann nämlich nicht mehr.“

Da hilft auch kein Hinweis auf die Möglichkeit der Ortschaftsräte und Ortschaftsbürgermeister. Die Kompetenz der Ortschaftsräte in den jetzt bestehenden Einheitsgemeinden ist nur ein Placebo. In Wirklichkeit haben die Ortschaftsräte keine echten Kompetenzen, für die es sich lohnt, seine Freizeit zu opfern und sich für das Gemeinwohl zu engagieren.

(Zuruf von Herrn Miesterfeldt, SPD)

Die Kompetenzen sind in ihrem Budget auf ca. 300 € per anno zur Förderung des Brauchtums und von Vereinen beschränkt - so zum Beispiel in der Gemeinde Sülzetal. Im Übrigen haben sie maximal ein Vorschlagsrecht.

Fragen Sie die amtierenden Ortschaftsbürgermeister! Sie werden zu hören bekommen, dass sie sich nicht wieder zu Wahl aufstellen lassen, weil es keinen Sinn macht, sich ohne Gestaltungsspielraum zu engagieren.

(Minister Herr Hövelmann: Das habe ich anders gehört!)

- Herr Minister, Sie haben so vieles anders gehört. Sie waren offensichtlich immer auf anderen Veranstaltungen, obwohl es dieselben waren.

Die kommunale Selbstverwaltung ist die Keimzelle unserer Demokratie. Die Menschen leben und fühlen in und mit ihrer Gemeinde, in ihrem Zuhause, mit ihren Nachbarn und Freunden, in ihrer Heimat. Sie kennen ihre Heimat und sie wollen sie gestalten. Sie fühlen sich verantwortlich für ihre Gemeinde. Aus diesem Verantwortungsgefühl entspringt auch das ehrenamtliche Engagement, zu dem wir uns alle in Sonntagsreden so einmütig bekennen.

Da muss man doch etwas tun! Das kann man so nicht lassen! Das packen wir an! - Das sind doch die Worte, die man vor Ort bei engagierten Bürgern hört. So etwas kann man nicht sterben lassen, meine Damen und Herren.

Solche Sätze hören Sie nicht von Menschen, denen das Gestaltungsrecht genommen wurde. Da hören Sie: Da müsste doch mal wer! Wieso macht denn niemand was? Die da oben!

Nein, kommunales Engagement ist die Voraussetzung für eine offene, tolerante und demokratische Bürgergesellschaft. Demokratie lebt vom Mitmachen, und mitmachen heißt nicht nur wählen, sondern auch selbst gestalten und auch selbst mit verwalten.

Wenn Sie nun 10 000 Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land verwehren, sich aktiv in die Gestaltung unserer Gesellschaft, sich aktiv in die Demokratie einzubringen, brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass die Verankerung der Demokratie in den Köpfen unserer Menschen verkümmert; denn es ist beileibe nicht so, dass in unserem Lande keine Defizite im Demokratieverständnis vorhanden wären.

Das beweist schon der Umgang der Landesregierung mit diesem Thema - nicht nur dass der Innenminister ohne Absprache mit seinem Koalitionspartner ein Leitbild zur Einheitsgemeinde in die öffentliche Diskussion wirft, sondern auch die Tatsache, dass bei der Frage der Sinnhaftigkeit und einem entsprechenden Gutachten der Satz von Frau Budde fällt: Das brauchen wir nicht zu erklären, das ist politisch entschieden.

Im Klartext: Sie üben Zwang aus und greifen in die verfassungsrechtlich geschützten Bereiche der Gemeinden ein, ohne zu prüfen und nachzuweisen, ob eine ausreichende Rechtfertigung vorliegt. Ihre Rechtfertigung für die Einschränkung der Verfassungsrechte liegt einzig in der politischen Mehrheit in diesem Hause.

Meine Damen und Herren! Wer so denkt, ist in der Gewaltenteilung noch nicht angekommen. Das stört aber den Innenminister unseres Landes nicht. Er kritisiert einwandfreie Schritte der Justiz kraft seines Amtes als Minister und stellt diese sogar infrage. Gewaltenteilung - ein Fremdwort!

Als sich die CDU der Kritik aus der Bevölkerung an den Plänen zur Einheitsgemeinde nicht mehr erwehren kann und die Protagonisten es leid sind, gegen die eigene Überzeugung zu argumentieren, erklärt der Ministerpräsident, Bedenken kämen nur von den kommunalen Amtsträgern. - Ja, von wem denn sonst? Ist es denn dem Bestohlenen verwehrt, „Haltet den Dieb!“ zu rufen, nur weil er betroffen ist? Was für ein infames Argument, das gleichzeitig unterstellt, die im Ehrenamt Tätigen wür

den ihre ach so üppigen Pfründe, nämlich Aufwandsentschädigung und Sitzungsgeld, verteidigen!

Als sich die CDU-Fraktion immer mehr fragt, ob das, was hier angestrebt wird, wirklich erforderlich, geeignet und verhältnismäßig ist, stoppt die SPD alle streitigen Gesetze im Parlament - gibst du mir den Fußball nicht, geb’ ich dir den Handball nicht! - und erklärt, die Entscheidungen würden aus dem Parlament genommen und in den Koalitionsausschuss getragen, in ein demokratisch nicht legitimiertes Gremium. Dort würde dann durch den Innenminister und den Ministerpräsidenten ein Paket geschnürt und dieses würde man wieder ins Parlament zur Abstimmung geben.

Das wird noch nicht einmal verheimlicht; das wird offiziell als Begründung angeführt. Das demokratisch gewählte Parlament gibt die Entscheidung über einen Gesetzentwurf in den nicht gewählten Koalitionsausschuss, um dort von der Exekutive darüber entscheiden zu lassen. Gewaltenteilung? - Ein Fremdwort.

Ich appelliere an Ihr Demokratieverständnis und an Ihren Parlamentarismus. Liebe Kollegen von der CDU, Ihr „D“ steht für „Demokratie“ und nicht für „Doktrin“.

In diesen Zusammenhang hätte das Wort von der Politbürodemokratie gepasst, Herr Ministerpräsident. Er ist leider nicht anwesend, aber er kann es nachlesen.

Aber von ihm kam in dieser Situation nur: Ich möchte einmal mit Profis arbeiten. - Nein, das hat er so nicht gesagt. Aber er hat gesagt, dass mehr Professionalität in die Arbeit kommen sollte, und meinte damit ausgerechnet die eigene Partei.

Herr Ministerpräsident, ich rufe Ihnen zu: Wenn Sie schon die CDU nicht mitnehmen können, wie wollen Sie dann die Menschen im Lande bei dieser Reform mitnehmen?

Sie erklärten noch im Mai 2006 wörtlich:

„Wir müssen uns Zeit nehmen und in der Diskussion möglichst viele mitnehmen.“

Vergessen haben Sie offensichtlich auch Ihre Aussage im Juli 2006. Zumindest in der „Magdeburger Volksstimme“ werden Sie mit der folgenden Aussage zitiert:

„Man kann doch keine Politik mit dem Kopf durch die Wand machen. Wir wollen Politik für die Menschen machen und nicht von oben herab gegen sie.“

(Frau Fischer, SPD: Ist doch richtig!)

Vielleicht müssen Sie sich eine neue CDU basteln oder gar ein neues Volk suchen, wie es Bertolt Brecht schon einmal vorgeschlagen hat.

(Frau Fischer, SPD: Ach, Herr Wolpert!)