Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung will mit der Reform der gemeindlichen Strukturen in Sachsen-Anhalt durch die Bildung von Einheitsgemeinden die vorhandene kleinteilige Gebietsstruktur in unserem Lande überwinden und die Gemeinden stärken; denn ein Flächenland und das Gemeinwesen können eben nicht nur von großen Landkreisen leben, sondern brauchen ebenso dauerhaft leistungsstarke und attraktive Gemeinden. Leistungsstarke Städte und Gemeinden sind das Fundament für ein lebendiges Land und das Zentrum des sozialen, kulturellen und politischen Lebens der Bürgerinnen und Bürger.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kommunalreform wird das Ehrenamt stärken. Die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, die sich ehrenamtlich für ihre Gemeinde engagieren und für die Gestaltung ihres Lebensumfeldes wirken wollen, hängt entscheidend davon ab, dass es vor Ort Entscheidungsspielräume für kommunales Handeln überhaupt gibt, dass die Menschen das Gefühl haben, in ihrem Kompetenzbereich etwas mitbestimmen zu können, und dass sie das, was sie wollen, auch umsetzen können.
Dies können leistungsschwache Gemeinden nicht bieten, da Aufgaben entweder nicht erfüllt werden können oder auf andere, auf die Verwaltungsgemeinschaft oder auf Zweckverbände, übertragen worden sind.
Wenn wir uns einmal die finanzielle Situation der Gemeinden in Sachsen-Anhalt anschauen, so können wir drei Gruppen feststellen, die jeweils auch ca. ein Drittel der Gesamtzahl der Gemeinden ausmachen: erstens die Gemeinden, die in ausreichendem Umfang über Finanzmittel verfügen, zweitens die Gemeinden, deren Haushalt nicht mehr ausgeglichen und deren Liquidität nur noch über Kassenkredite sichergestellt ist, und drittens die Gemeinden, deren Haushalt nicht mehr ausgeglichen ist, deren Liquidität nicht mehr über Kassenkredite sichergestellt werden kann und die Zuweisungen aus dem Ausgleichsstock erhalten.
Betrachtet man ausschließlich die erste Gruppe der Gemeinden, so sprechen aus finanzieller Sicht keine Gründe für eine Reform der gemeindlichen Strukturen. Dass diese Gemeinden dank ihrer guten Finanzsituation keinen Reformbedarf erkennen, ist nachvollziehbar. Diese Gemeinden machen aber nur rund ein Drittel aller Gemeinden in Sachsen-Anhalt aus. Bei zwei Dritteln der Gemeinden in unserem Land sieht es ganz anders aus.
Seit dem Jahr 2000 wurden von insgesamt 300 Gemeinden etwa 800 Anträge auf Zuweisungen aus dem Ausgleichsstock gestellt. Bei 168 Gemeinden hatten diese Anträge bisher Erfolg - mit deutlich steigender Tendenz.
Mögen die Ursachen für diese finanzielle Situation der Gemeinden in der zweiten und dritten Gruppe auch vielfältiger Natur sein, so führen sie doch insgesamt dazu, dass sich der Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum für die kommunalpolitisch tätigen Mandatsträger von zwei Dritteln aller Gemeinden in Sachsen-Anhalt faktisch auf die Schuldenverwaltung beschränkt.
Das Maß gelebter örtlicher Demokratie hängt jedoch entscheidend von der Leistungsfähigkeit einer Gemeinde ab. Ist eine Gemeinde nach ihrer Größe und Finanzkraft nicht in der Lage, den öffentlichen Aufgaben, den Anforderungen und Erwartungen ihrer Einwohner nachzukommen, so werden Unzufriedenheit, Enttäuschung und Verdrossenheit der Bevölkerung die Folge sein. Dies beeinträchtigt auch die Bereitschaft, sich kommu
nalpolitisch zu engagieren. Leistungsschwache Gemeinden fördern nicht zuletzt die Demokratieverdrossenheit, weil die finanziellen Möglichkeiten zur Gestaltung kommunaler Selbstverwaltung fehlen und der Handlungsspielraum das kommunalpolitische Ehrenamt faktisch auf die Schuldenverwaltung reduziert.
Hingegen sind Gemeinden, die in der Lage sind, ihre Aufgaben in eigener demokratischer wie finanzieller Verantwortung wahrzunehmen, die Voraussetzung für eine lebendige Selbstverwaltung, für Entwicklungschancen und für realisierbare Zukunftspläne. Die Stärkung der gemeindlichen Verwaltungs- und Finanzkraft durch die Bildung größerer Gemeinden ist daher geeignet, einer Gefährdung der demokratischen Einstellung der Bevölkerung entgegenzutreten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch in größeren Gemeinden geht das Dorf nicht verloren. Die Reform wird zwar Gemeindegrenzen ändern, dabei aber die örtliche Identität der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Heimatgemeinde und ihre Möglichkeit der direkten Mitwirkung bei der Bestimmung der Entscheidungsträger für ihre Ortschaft bewahren.
Die Gemeinden, die sich zu einer Einheitsgemeinde zusammenschließen, können - das haben Sie zitiert - die Einführung der Ortschaftsverfassung vereinbaren. Auf der Ebene der Ortschaftsräte können die Menschen vor Ort weiterhin unmittelbar mitwirken und mitbestimmen, wer ihre Interessen und die Belange ihrer Ortschaft vertreten soll. Die Ortschaftsräte können ihre Ortskenntnisse in die Gemeindevertretung einbringen und sich für ihre Ortschaft einsetzen.
Über viele Angelegenheiten, die für die Gemeinde wichtig sind, wird heute in anderen Gremien als im Gemeinderat entschieden, weil die Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger oft nur noch zu erfüllen sind, wenn die Gemeinden die Aufgaben miteinander lösen - in Zweckverbänden, in der Verwaltungsgemeinschaft oder in anderen Formen gemeindlicher Zusammenarbeit.
In einer leistungsstarken größeren Gemeinde, die aufgrund ihrer Verwaltungs- und Finanzkraft über mehr eigenen Handlungs- und Gestaltungsspielraum verfügt und die ihre Selbstverwaltungsaufgaben wirklich wieder in eigener Verantwortung erfüllen kann, können Ortschaften mit eigenständigem lebendigen Engagement mehr bewegen als viele kleine leistungsschwache Gemeinden.
Es ist nicht so, dass die Ortschaftsräte keine oder wenige Rechte hätten, verehrter Herr Wolpert. Der Ortschaftsrat kann zu allen die Ortschaft betreffenden Angelegenheiten Vorschläge unterbreiten. Er ist bei allen wichtigen Angelegenheiten der Ortschaft anzuhören. Der Ortschaftsrat kann über ein Ortschaftsbudget zur eigenen Bewirtschaftung verfügen und hat damit auch Entscheidungsbefugnis in bestimmten Angelegenheiten der Ortschaft.
Die Arbeit der Ortschaftsräte und Ortsbürgermeister nach unserer Kommunalverfassung hat sich bewährt. Sie soll daher, meine sehr verehrten Damen und Herren, weiter ausgestaltet werden. Die Aufgaben des Ortschaftsrates sollen daher hinsichtlich des Anhörungsrechts und damit korrespondierend mit der Anhörungspflicht des Gemeinderates erweitert und im Rahmen der Übertragung von Aufgaben ergänzt werden.
Es ist gerade nicht so, dass es in größeren Gemeinden weniger Engagement der Bürgerinnen und Bürger gibt;
denn für alle Gemeinden gilt: Wollen die Bürgerinnen und Bürger etwas für ihren Ort tun, dann können sie dieses auch. Die Mitwirkung ist nicht auf das Mandat beschränkt. Es gibt sachkundige Einwohner in Ausschüssen, die Beteiligung an Einwohnerfragestunden und Einwohnerversammlungen, die Mitwirkung in Vereinen, in der freiwilligen Feuerwehr, wo auch immer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend bemerken: Der nach dem Antrag der Fraktion der FDP geforderten Konkretisierung des Gutachtens zur Wirtschaftlichkeit von Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften bedarf es nicht.
Das Gutachten, das die Landesregierung entsprechend dem Beschluss des Landtages vom 26. Januar 2007 vergeben wird, wird den Vergleich der Einheitsgemeinde mit anderen gemeindlichen Verwaltungsstrukturen hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit und Effektivität zum Gegenstand haben. Als Aspekt der Effektivität werden in die Untersuchung daher auch die demokratische Partizipation und das ehrenamtliche Engagement mit einfließen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns die Diskussion so führen, dass wir nach vorn schauen und dass wir den Menschen in diesem Lande nicht permanent Angst vor Veränderungen machen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Minister Hövelmann. - Wir kommen nun zu den Beiträgen der Fraktionen. Es spricht für die CDU-Fraktion Herr Madl. Bitte schön, Herr Madl.
Danke schön, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Bürgermeister hat man vielleicht täglich mehr mit dem Ehrenamt zu tun als irgendein anderer. Als ehrenamtlicher Bürgermeister hat man 24 Stunden am Tag mit dem Ehrenamt zu tun, weil man ein Teil davon ist.
„Willst du froh und glücklich leben, lass kein Ehrenamt dir geben! Willst du nicht zu früh ins Grab, lehne jedes Amt gleich ab!
So ein Amt bringt niemals Ehre, denn der Klatschsucht scharfe Schere schneidet boshaft dir, schnipp-schnapp, deine Ehre vielfach ab.
Wie viel Mühen, Sorgen, Plagen, wie viel Ärger musst du tragen, gibst viel Geld aus, opferst Zeit - und der Lohn? Undankbarkeit!
Selbst dein Ruf geht dir verloren, wirst beschmutzt vor Tür und Toren, und es macht ihn oberfaul jedes ungewaschne Maul!
Ohne Amt lebst du so friedlich und so ruhig und so gemütlich, du sparst Kraft und Geld und Zeit, wirst geachtet weit und breit.
Drum, so rat ich dir im Treuen: Willst du Weib und Kind erfreuen, soll dein Kopf dir nicht mehr brummen, lass das Amt doch and’ren Dummen.“
Meine Damen und Herren! Dieses Gedicht wurde, glaube ich, vor zehn Jahren zum ersten Mal im „Löbejüner Amtsblatt“ veröffentlicht. Ich finde es immer noch gut, weil das in Deutschland eben nicht so ist; denn in Deutschland engagieren sich rund 23 Millionen Menschen im Alter von mehr als 14 Jahren in Verbänden, Vereinen, Initiativen und Kirchen. Viele Bereiche des öffentlichen und sozialen Lebens würden ohne Ehrenamtliche kaum mehr existieren. Jeder Dritte in Deutschland engagiert sich also ehrenamtlich.
Die Frage ist natürlich: Wieso ist das so? - Der Stellenwert des Ehrenamtes in einem Land hängt von mehreren Faktoren ab, wie Geschichte, Tradition und Stand des öffentlichen Sozialsystems. In der gesamten abendländischen Tradition - sei es aus der Sicht der klassischen Antike oder des Christentums - gehört der individuelle Beitrag zum allgemeinen Wohl unverzichtbar zu einem sinnerfüllten Leben.
Schon in den Stadtgesellschaften der griechischen Antike war es Sache jedes männlichen Bürgers, sich für das Gemeinwesen zu interessieren, sich für dessen Wohl zu engagieren und in den Versammlungen über die Belange der Stadt zu diskutieren.
Da Sklaven und Frauen die produktiven Arbeiten ausführten, verfügten sie, die Männer, auch über genügend Zeit, dieses zu tun. Wer an solchen Veranstaltungen nicht teilnahm und sich den Angelegenheiten des Gemeinwesens verweigerte, war ein Idiotes, also ein Privatmensch.
Perikles, ein Athener, sagte 500 Jahre vor Christus: „Wer an den Dingen der Stadt keinen Anteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger.“
Im antiken Rom bezeichnete „Magistrat“ das durch Volkswahlen in den Komitien verliehene ordentliche staatliche Ehrenamt.
Die Möglichkeit der Mitbestimmung des Bürgertums wurde zum ersten Mal in der preußischen Städteordnung aus dem Jahr 1808 festgeschrieben, die die kommunale Selbstverwaltung regelte und mit der auch die Bedeutung des Ehrenamtes wuchs.
Hauptmotiv des freiwilligen Engagements ist das Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger zur gesellschaftlichen Mitgestaltung wenigstens oder gerade im Kleinen. Dazu kommt der Wunsch nach sozialen Kontakten und sozialer Einbindung. Spaß zu haben und mit sympathischen Menschen in Kontakt zu kommen, stehen im Vordergrund der konkreten Erwartung an die freiwillige Tätigkeit. Für drei Viertel ist es darüber hinaus wichtig, Kenntnisse und Erfahrungen zu erweitern. Ein möglicher beruflicher Nutzen ist dagegen nur für eine Teilgruppe von rund 20 % von Bedeutung, so ein Gutachten von Rosenbladt und Picot aus dem Jahr 1999.
Schlägt man bei Google nach, so findet man zum kommunalen Ehrenamt ungefähr 1 030 Textstellen. Politiker
aller Couleur preisen das Ehrenamt. Man hat das Gefühl, man müsse sich bei diesem Thema rechts, links, oben und unten sogar überholen, ohne einzuholen.
Ein kommunalpolitisches Ehrenamt üben nicht nur der Stadt- und der Gemeinderat, der Kreistagsabgeordnete, der Bürgermeister, sondern auch der Rettungshelfer, der Feuerwehrmann, der Tierschützer, also faktisch alle 23 Millionen in Deutschland ehrenamtlich Tätigen aus. Ohne diese Menschen wäre die Kommune, das Gemeinwesen, die Stadt und das Dorf nicht das, was es ist, und in vielen Bereichen unseres öffentlichen und sozialen Lebens würde ohne diese Menschen gar nichts mehr stattfinden.
Deshalb ist es nicht so, dass das Ehrenamt nur funktioniert, wenn es Entscheidungsräume vor Ort gibt und ausreichend Geld zur Verfügung steht. Es ist genau anders herum: Durch das kommunale Ehrenamt werden Handlungsspielräume geschaffen und wird Geld nicht nur gespart, sondern auch durch Spenden eingesammelt. Dabei stellen die Ehrenamtlichen das Wertvollste von sich selbst zur Verfügung, um für andere Menschen und für das Gemeinwesen da zu sein, etwas zu bewegen, zu gestalten und das Gemeinwesen zu bereichern. Das Wertvollste ist ihre Lebenszeit.
Weil das so ist, nehmen wir als CDU das Ehrenamt ernst und damit auch Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP. Wir nehmen das Anliegen Ihres Antrages so ernst, dass wir es durch den Alternativantrag der Koalitionsfraktionen noch ein Stück verbessern wollen.
Kurz zu den Anträgen. Sie haben gesehen, dass der erste Satz in dem Antrag der FDP-Fraktion und in dem Alternativantrag der Koalitionsfraktionen identisch ist.
Meine Damen und Herren von der FDP, zu dem zweiten Satz in Ihrem Antrag würde ich als Techniker sagen: Das ist Stand der Technik. Wir haben es auch schon vom Innenminister gehört, dass das Ergebnis eigentlich klar ist. Es ist schon so, dass durch jede Zentralisierung Demokratie abgebaut wird. Übrigens hat das der stellvertretende Bürgermeister von Altenweddingen Herr Rabe auf einer Veranstaltung in Wanzleben, die ich mit Holger Hövelmann besucht habe, ausführlich vorgetragen. In diesem Sinne brauchten wir den Satz in Ihrem Antrag nicht.