Verehrte Anwesende! Im berufsbildenden Bereich muss die Qualitätssicherung im Mittelpunkt stehen. Mit der Neuformulierung der Verordnung für berufsbildende Schulen wurden erste Schritte dazu getan. Die Einführung der so genannten Lernfelddidaktik, die Handlungszusammenhänge und berufspraktische Erfahrungen einbezieht, ist deutlich vorangetrieben worden. Das sind Prozesse, die bei Weitem noch nicht abgeschlossen sind, die auch zukünftig noch großer Aufmerksamkeit bedürfen.
Aus dem Berufsbildungsgesetz des Bundes ist weiterer Handlungsbedarf erwachsen, beispielsweise in Bezug auf die Anerkennung vollzeitschulischer Bildungsgänge, in Bezug auf die duale Ausbildung oder auf die Zulassung zur Kammerprüfung. Ich würde mich freuen, wenn die Kammern in Sachsen-Anhalt diesbezüglich mehr Entgegenkommen zeigen würden und wenn sie sich hierbei genauso engagieren würden wie in anderen Bereichen.
In anderen Bundesländern - ich nenne als Beispiel wieder das Land Niedersachsen - wird dies bereits seit einiger Zeit praktiziert. Die Kammern in Niedersachsen verhalten sich bei Weitem nicht so stur wie die in SachsenAnhalt.
Gerade bei uns in den neuen Bundesländern ist aufgrund der Ausbildungsplatzsituation der Anteil der vollzeitschulischen Ausbildung relativ groß. Der Anteil der dualen Ausbildung beträgt bei uns nur ungefähr 35 %. Deshalb setzen wir auf eine stärker zielgerichtete Zusammenarbeit mit den berufsbildenden Schulen, den Trägern, den Unternehmen und vor allem mit den Kammern und natürlich auch mit den Hochschulen und weiteren Bildungseinrichtungen.
Verehrte Anwesende! Der im Kultusministerium existierende Berufsschulbeirat beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit all diesen Themen, die wir in unserem Antrag angesprochen haben. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse dieses Beirats und dessen Handlungsempfehlungen sollten wir gemeinsam im Sinne unserer Auszubildenden ein zukunftsträchtiges Konzept für die Weiterentwicklung unserer Berufsschulen vorlegen. - Vielen Dank.
Herzlichen Dank für die Einbringung. - Für die Landesregierung erteile ich jetzt Herrn Minister Professor Olbertz das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder Punkt und jeder Spiegelstrich Ihres Antrages ver
dient eine längere und gründlichere Erörterung, als sie im Rahmen einer Fünfminutendebatte möglich ist. Deshalb kann ich hier nur einige Aspekte anreißen, auch um damit deutlich zu machen, dass wir uns den genannten Aufgaben stellen wollen und das auch tun werden.
Von der Bedeutung einer qualifizierten beruflichen Bildung muss ich, glaube ich, in diesem Kreis niemanden mehr überzeugen. Allerdings stoßen wir gelegentlich auf recht unterschiedliche Interessenlagen und auch auf objektive Spannungsverhältnisse, gegenüber denen sich das allgemeinbildende Schulwesen fast schon unkompliziert ausnimmt. Allein die Zahl der Beteiligten ist erheblich: Schulen, Träger, Ausbildungsbetriebe, private Bildungsträger, andere Institutionen der beruflichen Bildung, Innungen, Verbände, Kammern und nicht zuletzt die Hochschulen.
Auch die politischen Zuständigkeiten sind gestreut, was allerdings ein Hinweis darauf ist, dass eine Bundeszuständigkeit im Bildungsbereich allein diese Probleme ganz bestimmt nicht lösen würde.
Zu nennen sind überdies die Interessen der Wirtschaft im berufsbildenden Bereich, die auch nicht immer einheitlich sind. Die einen, um nur ein Beispiel zu nennen, halten die Zahl von jährlich rund 15 neuen oder neu geordneten Ausbildungsberufen noch für zu niedrig. Die anderen warnen vor einer zu frühen Spezialisierung und Aufsplittung der Ausbildungsberufe, was übrigens bei uns schon aus demografischen Gründen problematisch ist. Sie weisen meiner Meinung nach nicht zu Unrecht darauf hin, dass eine breitere berufliche Grundausbildung sowohl für die Wirtschaft als auch für die jungen Leute anzustreben sei.
Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Wirtschaft nicht nur Abnehmer der berufsbildenden Schulen ist, sondern sich auch selbst in der Berufsausbildung betätigt - das ist der Sinn des dualen Systems - und insofern auch als Konkurrent auftritt.
Oft heißt es nun, kaum ein Bildungsbereich sei dem gesellschaftlichen Wandel so beständig und intensiv ausgesetzt wie die Berufsbildung. Ich glaube, dass das sogar richtig ist. Insgesamt ist es aber nun einmal eine charakteristische Anforderung an jeden Sektor des Bildungswesens. Umso wichtiger ist es bei aller Dynamik und allen wechselnden Anforderungen, auch nach Konstanten zu suchen, dass heißt nach solidem und beständigem und zugleich entwicklungsoffenem Grundlagenwissen und nach Kernkompetenzen, die zusammen ein belastbares Fundament für die enorme Dynamik der Dinge, die sich darüber abspielen, bieten können.
Wenn ich mir die Klagen von Ausbildern in der Wirtschaft anhöre, dann wird in der Regel nicht vermisst, dass ein Auszubildender zum Beispiel nicht die neueste IC-Bus-Schaltung in einer computergestützten Anlage beherrsche. Vermisst werden vielmehr solche allgemeinen, beruflichen und berufsbezogenen Grundkenntnisse und Fertigkeiten, die den jungen Menschen in die Lage versetzen, Neues zu verstehen und vor allem selbständig hinzuzulernen.
Damit bin ich bei einem weiteren Punkt, der mir für die Zukunft einer der wichtigsten ist, nämlich eine bessere Abstimmung zwischen allgemeiner und Berufsbildung. Das ist der Grund, warum Berufsvorbereitung eine Schlüsselaufgabe insbesondere der Sekundarschulen
ist, warum regelmäßige Begegnungen mit der Arbeitswelt so wichtig sind und warum die inhaltliche Definition und die Ansprüche an die Ausbildungsreife so dringend revisionsbedürftig sind. Im Rahmen der jetzt angelaufenen Lehrplanreform für die Sekundarschulen ist das der Dreh- und Angelpunkt.
Ein weiteres Spannungsfeld ist mit der Frage benannt, welchen Grad an Eigenständigkeit berufsbildende Schulen künftig haben sollen. Auch darunter wird sehr Unterschiedliches verstanden. Die Forderungen gehen teilweise so weit, dass sich die berufsbildenden Schulen zu Bildungsanbietern für Fort- und Weiterbildungsdienstleistungen in der Region entwickeln sollten, und reichen bis hin zur Änderung der Rechtsform und zu unentgeltlichen Angeboten unter den Bedingungen einer Vollkostenrechnung. Das halte ich derzeit aber nicht für die dringendste Aufgabe. Selbst wenn unser berufsbildendes Schulwesen perfekt wäre, was es beileibe nicht ist, müssten wir mehr tun, als uns nur über zusätzliche und neue Aufgaben zu verständigen.
Die Verbesserung ist eine wichtige Handlungsnorm, die für jeden Tag der Arbeit dieser Schulen gilt. Mir jedenfalls erscheint alles, was zu einer Qualitätssicherung der derzeitigen Arbeit in der Berufsausbildung beiträgt, ganz vordringlich zu sein.
Je weiter wir in dieser qualitativen Betrachtung und damit im Übrigen auch in der Rechenschaftslegung kommen, desto mehr Spielräume werden sich für die pädagogische Eigenverantwortung der einzelnen Schule ergeben. Es ist jetzt schon abzusehen, dass die Stärkung der Eigenverantwortung auch mit höheren Ansprüchen und Anforderungen an die Qualität der Bildungsarbeit einhergehen wird.
Eine Herausforderung in der beruflichen Bildung, die mir besonderes Kopfzerbrechen bereitet, ist die demografische Entwicklung, zu Deutsch: die sinkenden Schülerzahlen. Die Mindestgröße einer Schule ist dabei eine bedeutende, aber keineswegs die einzige Frage. Natürlich überlegen wir, ob wir die Mindestgröße von 700 Schülerinnen und Schülern für eine eigenständige Schule künftig anders betrachten müssen. Ich halte es auch für vernünftig, darüber kritisch nachzudenken und diese Zahl in einem wohl dosierten Spielraum nach unten zu korrigieren.
Das eigentliche Problem liegt aber tiefer: Wir wollen nicht einfach eine Mindestgröße, sondern eine möglichst ausbildungsort- und wohnortnahe berufliche Bildung. Das bedeutet auch ein regional ausgewogenes, landesweit abgestimmtes Angebot. Dieses Ziel ist immer zu berücksichtigen, wenn von der Eigenständigkeit der einzelnen Schule die Rede ist.
Es wäre illusorisch zu glauben, dass diese Ausgewogenheit ganz von allein, ohne Steuerung, ohne gemeinsame Planungen und Abstimmungen zwischen Schulen, Trägern und Land entstünde. So weit sind wir einfach noch nicht, gerade angesichts der Dynamik der demografischen Entwicklung bei diesen Jahrgängen, bei denen die Entwicklung im Moment besonders dramatisch ist. Danach - das möchte ich hier ausdrücklich einfügen -, wenn wir von kalkulierbaren und konstanten Rahmenbedingungen ausgehen können, gibt es allerdings überhaupt keinen legitimen Grund mehr, das System ständig durch den Staat in einer solchen Detaildichte zu steuern.
Viele von Ihnen, meine Damen und Herren, haben schon Schreiben von Betroffenen erhalten, wenn die berufliche Ausbildung in größerer Entfernung erfolgen soll. Das wird vor allem in Berufen mit einer geringen Zahl von Auszubildenden nie zu vermeiden sein. Das Problem wird sich in dem Maße verschärfen, in dem es nicht gelingt, die Zersplitterung und Kleingliedrigkeit einer Vielzahl neu entstehender Ausbildungsberufe einzudämmen. Jeder, der in diesem Zusammenhang für ein völlig freies Kräftespiel plädiert, muss sich über die Konsequenzen im Klaren sein.
Darum sollten wir auch immer Alternativen ausloten, zum Beispiel modulare Ausbildungsformen, wie sie das Bundeswirtschaftsministerium erproben will, temporäre Mischklassen in verwandten, teilweise zum Verwechseln ähnlichen Berufen.
Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. Es laufen zwei Interessen gegeneinander. Die Kammern und Verbände haben das Interesse, immer mehr Einzelberufe zu konfigurieren und zu formulieren. Sie kennen mein Lieblingsbeispiel mit dem Kraftfahrer und dem Servicefahrer.
Liebe Leute, das können wir uns überhaupt nicht leisten! Wenn wir das nicht auf eine gemeinsame Ausbildungsgrundlage stellen, dann kann es nicht funktionieren, abgesehen davon, dass der Transport von Sachen, übrigens auch von Ministern, immer eine Dienstleistung ist. Ich verlange, dass das mit Servicebewusstsein gemacht wird, wie Sie alle das auch verlangen würden.
Mir ist die Trennung zwischen einem Fachberuf Kraftfahrer und einem Fachberuf Servicefahrer einfach nicht einleuchtend. Das hat übrigens zur Folge, dass die Ausbildung unter den demografischen Krisenzuständen, unter denen wir es im Moment machen, kaum noch organisierbar ist.
Nicht die ureigenste, aber dennoch eine besonders wichtige Aufgabe der berufsbildenden Schulen, ist die Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitsmarktchancen von jungen Leuten ohne allgemeinbildenden Schulabschluss - unseren Sorgenkindern also. Deren Anzahl ist übrigens gegenüber den Vorjahren deutlich zurückgegangen. Ich brüste mich damit nicht, weil es immer noch zu viele sind. Im Grunde genommen ist jeder Einzelne einer zu viel.
Die Landesregierung hat sich diese Aufgabe unter anderem durch die Initiierung eines über mehrere Jahre laufenden Schulversuchs zur Neugestaltung des Berufsvorbereitungsjahres gestellt. Unterrichtsgrundlage bilden die mit Beginn des Ausbildungsjahres 2004/2005 in unserem Land neu eingeführten Rahmenrichtlinien für das BVJ.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine kurze weitere Bemerkung zu einer Form der Förderung besonders leistungsstarker Schülerinnen und Schüler. Der
zeit kann neben dem beruflichen Abschluss ein allgemeinbildender Abschluss erworben werden, und zwar der Realschulabschluss oder die Fachhochschulreife. Eine Verknüpfung des Berufsabschlusses mit der Erlangung der allgemeinen Hochschulreife ist bisher nicht vorgesehen. Die Oberstufenvereinbarung der KMK ließe das zwar zu, aber ohne Einschränkungen des gymnasialen Anspruches.
Außerdem kann keine duale Berufsausbildung mit dem Abitur gekoppelt werden, sondern lediglich eine Berufsausbildung nach Landesrecht. Auch dann verlängert sich die Ausbildungsdauer um mindestens ein Jahr. Auch in Bezug auf spätere Numerus-Clausus-Hürden an den Hochschulen würde ich in diesem Punkt eher zur Vorsicht raten, als allzu forsch solche neuen Wege zu beschreiten.
Wie ich bereits am Anfang sagte, ist es im Rahmen der Debatte nicht möglich, alle wichtigen Punkte des Antrages anzusprechen. Die Berichterstattung und die parlamentarische Diskussion müssen sich zum Beispiel auch auf die fachgerechte Absicherung des Lehrkräftebedarfs erstrecken, auf die vollzeitschulische Ausbildung, auf die Umsetzung des Berufsbildungsgesetzes, auf europarechtliche Fragen der beruflichen Bildung und auf vieles andere mehr sowie, liebe Frau Feußner, ganz klar natürlich auch auf den Lehrkräftebedarf. Wir werden wieder - so haben wir es jedenfalls angemeldet - mindestens 20 Neueinstellungen vornehmen können.
Dass diese Stellen noch nicht ausgeschrieben worden sind, hängt einfach damit zusammen, dass die Personalentwicklungskonzeption erst am Dienstag diskutiert wird. Danach werden wir unmittelbar handeln unter der Voraussetzung, dass ich mich mit dieser Forderung durchsetzen kann.
(Frau Feußner, CDU: Das muss aber schnell ge- hen! - Herr Tullner, CDU: Das muss ganz schnell gehen!)
Der zweite Punkt ist: Natürlich müssen wir darüber nachdenken, inwieweit wir Sekundarschullehrer - übrigens auch Gymnasiallehrer - dort, wo die demografische Entwicklung inzwischen mit voller Wucht ankommt, stärker im berufsbildenden Bereich einsetzen. In den allgemeinbildenden Fächern ist das möglich.
Drittens müssen wir bedenken, dass in diesem Sektor die demografische Krise in den nächsten Jahren ebenfalls mit voller Wucht ankommt. Also können wir nicht Verhältnisse schaffen, die anschließend eine Überkapazität hinterlassen, die uns - ich sage es etwas salopp - bei der weiteren Planung um die Ohren fliegt.
Das ist ein unglaublich komplexes und schwieriges Geschäft. Wir versuchen, dem mit höchstmöglicher Verantwortung nachzukommen und in kleinen, aber nachhaltigen Schritten diese Personalbedarfsentwicklung auch für die folgenden Jahre im Auge zu behalten.
Ich bin froh, dass es Einvernehmen mit dem Finanzministerium gibt, den benötigten Einstellungskorridor nicht infrage zu stellen. Es geht um die Altersstruktur, es geht um die Fächerstruktur und es geht um viele Dinge mehr, sodass man von einem Personalüberhang nicht einfach linear ableiten kann, es bestünde kein Handlungsbedarf.