Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 2. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der fünften Wahlperiode. Dazu möchte ich Sie und auch unsere Gäste ganz herzlich begrüßen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit der konstituierenden Sitzung des Landtages hat es eine Mandatsveränderung gegeben. Der Abgeordnete Herr Rüdiger Erben, SPD, hat wegen seiner Berufung in das Amt eines Staatssekretärs im Ministerium des Innern sein Landtagsmandat niedergelegt. Der Landeswahlleiter hat mir mit Schreiben vom 4. Mai 2006 mitgeteilt, dass der Sitz auf Herrn Jürgen Barth, SPD, übergegangen ist. Herr Barth hat die Wahl angenommen.
Sehr geehrter Herr Barth, ich darf Sie in diesem Hohen Haus herzlich begrüßen und wünsche uns eine gute Zusammenarbeit. Seien Sie uns ganz herzlich willkommen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses feststellen. Wir haben damit die erforderliche Arbeitsgrundlage geschaffen.
Herr Minister Dr. Haseloff bittet seine ganztägige Abwesenheit am heutigen Sitzungstag zu entschuldigen. Er nimmt an der Wirtschaftsministerkonferenz in Erfurt teil, deren Vorsitz derzeit das Land Sachsen-Anhalt innehat.
Ferner liegt eine Entschuldigung von Frau Ministerin Dr. Kuppe vor. Die Frau Ministerin bittet ihre Abwesenheit aufgrund der Teilnahme an der Sitzung der Arbeitsgruppe zur Gesundheitsreform in Berlin heute ganztägig zu entschuldigen.
Herr Ministerpräsident Professor Dr. Böhmer entschuldigt für die heutige Landtagssitzung ab 18 Uhr. Er eröffnet am heutigen Tag die Händel-Festspiele in Halle. Herr Minister Bullerjahn und Herr Minister Professor Dr. Olbertz nehmen ebenfalls an diesem Festakt in Halle teil und bitten daher, auch ihre Abwesenheit ab 18 Uhr zu entschuldigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tagesordnung für die zweite Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor.
Die Fraktion der FDP hat fristgemäß beantragt, eine Aktuelle Debatte zum Thema „Klarheit bei der Feuerwehrstruktur in Sachsen-Anhalt“ auf die Tagesordnung zu nehmen. Ich verweise auf den Antrag in Drs. 5/49. Gemäß der Verständigung im Ältestenrat schlage ich vor, den Antrag formal als Tagesordnungspunkt 22 in die Tagesordnung einzuordnen und diesen am morgigen Tag als ersten Tagesordnungspunkt aufzurufen.
Im Zusammenhang mit der nachgereichten Entschuldigung von Frau Ministerin Dr. Kuppe haben sich die par
lamentarischen Geschäftsführer auf eine geänderte Reihenfolge einiger Tagesordnungspunkte verständigt. Ich bitte das zur Kenntnis zu nehmen. Diese Änderungen sind in der zeitlichen Orientierung für die Sitzungsperiode bereits berücksichtigt und mit einem Sternchenvermerk versehen.
Herr Präsident, es gibt eine Verständigung zwischen den parlamentarischen Geschäftsführern, den Tagesordnungspunkt 20 - Antrag der Fraktion der FDP zum Thema „Modellprojekte für Schülergerichte“ - auf den morgigen Freitag zu verlegen, und zwar zwischen die Tagesordnungspunkte 19 und 21. Es gibt, wie gesagt, dazu bereits eine Abstimmung zwischen den parlamentarischen Geschäftsführern.
Gibt es weitere Wortmeldungen zur Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall. Dann gehe ich davon aus, dass die Tagesordnung so bestätigt ist und dass wir entsprechend verfahren können.
Zum zeitlichen Ablauf der zweiten Sitzungsperiode: Die heutige Landtagssitzung wird gegen 19.30 Uhr beendet sein. Wir haben bekanntlich ab 20 Uhr die parlamentarische Begegnung außerhalb des Hauses am Petriförder. Die Techniker-Krankenkasse hat uns zum Thema Gesundheitspolitik eingeladen, um Sie zu informieren. Wir alle sind schriftlich herzlich eingeladen. Ich bitte um rege Beteiligung.
Die morgige Sitzung des Landtages beginnt wie üblich um 9 Uhr. Um pünktliches Erscheinen wird wie immer gebeten, damit wir das ordentlich durchziehen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erteile dem Herrn Ministerpräsidenten Professor Dr. Böhmer zur Abgabe der Regierungserklärung das Wort. Bitte schön, Herr Professor Dr. Böhmer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Ergebnis der Landtagswahl am 26. März dieses Jahres haben sich zwei Parteien zu einer Regierungskoalition zusammengeschlossen, die sich bis dahin in unterschiedlicher parlamentarischer Funktion eher gegenübergestanden hatten. Trotzdem konnte in relativ kurzer Zeit ein gemeinsames Arbeitsprogramm vereinbart werden, weil beide Parteien von den gleichen sozioökonomischen Parametern und der gleichen Situationsanalyse ausgehen mussten und weil beide Parteien die gleichen Konsequenzen daraus ableiten.
Nach einem grundlegenden wirtschaftlichen Transformationsprozess hat sich seit Mitte der 90er-Jahre der wirtschaftliche Konvergenzprozess in Deutschland deutlich verlangsamt. Im Jahr 2004 belief sich das Bruttoinlands
produkt pro Einwohner in Sachsen-Anhalt nur auf knapp 70 % des bundesdeutschen Durchschnitts oder auf knapp 72 % des EU-Durchschnitts. Sachsen-Anhalt zählt damit immer noch zu den weniger wohlhabenden Regionen der Europäische Union, deren Bruttoinlandsprodukt je Einwohner weniger als 75 % des Gemeinschaftsdurchschnitts beträgt.
Auch wenn die Arbeitsproduktivität überproportional gestiegen ist, erreichten wir im Jahr 2004 nur weniger als 80 % des bundesdurchschnittlichen Niveaus. Trotz eines geringen Anstiegs der Zahl der Beschäftigungsverhältnisse in einigen Branchen ist es bis zum Jahr 2004 wegen des starken Beschäftigungsrückgangs im Baugewerbe und einem notwendigen Personalabbau im öffentlichen Dienst insgesamt zu einem Rückgang der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse gekommen.
Die von Eurostat ausgewiesene Beschäftigungsquote lag im Jahr 2004 mit 58,7 % deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Die Selbständigenquote ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen; liegt aber immer noch erheblich unter dem Bundesdurchschnitt. Die Arbeitslosenquote ist zwar entgegen dem Bundestrend bei uns geringfügig gesunken, liegt aber immer noch fast doppelt so hoch wie der Durchschnitt in der Bundesrepublik.
Die Bevölkerungsentwicklung ist, sowohl aufgrund einer negativen Wanderungsbilanz als auch wegen eines deutlich höheren reproduktiven Defizits, rückläufig. Innerhalb des innerdeutschen Finanzausgleichs müssen wir statistisch mit einem Ausgleichsverlust von 2 155 € pro Einwohnerabgang rechnen. So hatten wir im Jahr 2004 allein durch diesen Einwohnerrückgang gegenüber dem Jahr 2003 Mindereinnahmen in Höhe von 61,4 Millionen € zu verzeichnen.
Nennenswerte wirtschaftliche Wachstumspotenziale - bei immer noch unterdurchschnittlich Exportquoten - gibt es bei uns im Bereich der Ernährungsgüterwirtschaft und der gewerblichen Wirtschaft.
Die Haushaltssituation weist inzwischen die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller deutschen Flächenländer aus, und dies bei deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegenden Ausgaben pro Einwohner. Die Eigenfinanzierungsquote unseres Landeshaushaltes liegt immer noch unter 45 %.
Das ist der mit wenigen Zahlen beschriebene volkswirtschaftliche Hintergrund, vor dem die Konzeption der Landesregierung für die fünfte Legislaturperiode des Landtages erarbeitet werden musste. Dabei wissen wir, dass die finanziellen Hilfen aus dem Solidarpakt II ab dem Jahr 2008 deutlich rückläufig sein werden, dass die Finanzhilfen aus den EU-Fonds in der nächsten Förderperiode um etwa ein Fünftel niedriger sein werden, dass uns die Verwendung der SoBEZ, der so genannten Sonderbundesergänzungszuweisungen, bei einer nur haushaltstechnischen Beurteilung in den Fortschrittsberichten öffentlichkeitswirksam als Fehlverwendung vorgeworfen wird und dass die innerdeutsche Finanzarchitektur von den so genannten Geberländern in den zukünftigen Föderalismusverhandlungen grundsätzlich infrage gestellt werden wird.
Daraus ergibt sich die nüchterne Konsequenz, dass der gegenwärtige haushaltspolitische Status nur in dem Maße erhalten werden kann, in dem es uns gelingt, ausfallende Finanzhilfen durch eigenes Steueraufkommen zu ersetzen. Das ist der Rahmen, in dem gestaltungspolitische Entscheidungen getroffen werden müssen.
Für die Landesregierung und für die Koalitionsfraktionen gilt es daher, bei allen finanzrelevanten Entscheidungen zu fragen, ob eine Maßnahme die Transferabhängigkeit unseres Landes vermindert, neue Arbeitsplätze schafft oder die eigene Steuerkraft erhöht. Diese Grundsätze gelten auch für die noch laufende Proportionierung zukünftiger operationeller Programme der Europäischen Union. Dabei sind zusätzlich die Kofinanzierungskonditionen zu berücksichtigen und die Möglichkeiten der Bildung revolvierender Fonds zu prüfen, damit unser Land auch nach dieser Förderperiode noch eigene Gestaltungsmöglichkeiten hat.
Die Koalition hat sich vorgenommen, die jährliche Neuverschuldung kontinuierlich zu reduzieren und ab dem Jahr 2011 keine neuen Schulden mehr aufzunehmen. Wie sehr wir dabei von den bundespolitischen Rahmenbedingungen abhängig sind, haben wir während der vergangenen Legislaturperiode erfahren müssen. Die gegenwärtige Entwicklung des Steueraufkommens berechtigt zu der Erwartung, dieses notwendige Ziel jetzt erreichen zu können; trotzdem wird es ohne eine konsequente kritische Überprüfung aller Ausgabenansätze nicht möglich sein.
Auch die Finanzbeziehungen zu unseren Kommunen bedürfen einer Überprüfung. In dem Zeitraum von 1995 bis 2005 sind die Einnahmen des Landes um 5 % gesunken, die Einnahmen aus kommunalen Steuern sind um 50 % gestiegen. Im letzten Jahr verbesserten sich die Steuereinnahmen der Gemeinden um 14,3 % bei gleichzeitig um 2,7 % rückläufigen Einnahmen des Landes.
Die Landesregierung wird trotzdem den häufig schmerzhaften Konsolidierungskurs bei den kommunalen Haushalten nach Möglichkeit unterstützen und darauf hinwirken, dass die durch Bundesgesetze steigenden Ausgabenverpflichtungen ausgeglichen werden. Gleichwohl kann nicht übersehen werden, dass im letzten Jahr das Finanzierungsdefizit des Landes ca. zehnmal größer war als das auf der kommunalen Ebene.
Das Gewerbesteueraufkommen der Gemeinden ist hochgradig unterschiedlich. Das wissen wir zwischenzeitlich alle. Das Gesamtaufkommen wird in die Finanzkraft des Landes eingerechnet und vermindert die Finanzzuweisungen von außen. Je reicher also einzelne Gemeinden werden - das wünschen wir uns schließlich auch alle -, desto ärmer werden die anderen. Bei der Novellierung des Finanzausgleichsgesetzes muss diese Entwicklung berücksichtigt werden.
Die Leistungen der Gemeinden für die kommunale Grundsicherung sind zurzeit sehr unterschiedlich. Vielleicht gerade ein Drittel unserer Gemeinden ist noch Träger einer Grundschule, weniger als zwei Drittel sind noch Träger einer Kindertageseinrichtung, um nur diese beiden Bereiche anzusprechen.
Daraus ergibt sich nahezu zwangsläufig, dass im Zusammenhang mit der geplanten zweiten Stufe einer Verwaltungsreform, mit der Aufgaben auf die kommunale Ebene, sowohl auf die Kreise als auch auf die Gemeinden, übertragen werden sollen, auch eine weitere kommunale Strukturreform notwendig ist. Sachsen-Anhalt ist im kommunalen Bereich noch zu kleinteilig organisiert. Von den 1 045 kreisangehörigen Gemeinden hatten im Mai dieses Jahres 62,8 % weniger als 1 000 Einwohner. Außer in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein liegt dieser Anteil in den anderen Ländern zwischen 0 % und, wie etwa in Niedersachsen, bei 23 %. In
Schleswig-Holstein wird gegenwärtig die Bildung von Verwaltungsgemeinschaften organisiert, die sich dort weiterentwickeln sollen.
Für unser Land hat die jetzige Koalition vereinbart, die bisher eher sporadische Bildung von Einheitsgemeinden mit dem Ziel, bis zu den Kommunalwahlen im Jahr 2009 möglichst freiwillig flächendeckend Einheitsgemeinden zu bilden, voranzutreiben. Sie alle wissen es: Kein anderes Ziel der Koalitionsvereinbarung ist bisher so breit diskutiert worden wie dieses, von eindeutiger Zustimmung - allerdings seltener - bis zu ausgesprochen schroffer Ablehnung - dies häufiger. Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.
Die Erreichung dieses Zieles wird nur möglich werden, wenn es uns gelingt, möglichst viele auf diesem Weg mitzunehmen. Dazu haben wir beschlossen, gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden ein Leitbild zu erarbeiten. Dieses Leitbild muss dann auch den Rahmen beschreiben, in dem kommunale Selbstverwaltung gewährleistet bleibt.
Es muss dem uns vorgeworfenen Eindruck widersprochen werden, es sei angeblich die Absicht der Landesregierung, aus dogmatischen Gründen ein kollektives Todesurteil für alle bisherigen Gemeinden zu administrieren. Das sind die Vorwürfe, die ich mir anhören muss. Deswegen muss auch deutlich werden, dass kommunale Selbstverwaltung nur dann möglich ist, wenn überhaupt noch etwas entschieden werden kann und wenn die Gemeinden ab einer bestimmten Mindestgröße die Grundaufgaben kommunaler Daseinsvorsorge auch schultern können.
Die meisten Länder in Deutschland haben diese Reform bereits hinter sich, in anderen laufen die gleichen Diskussionen. Ein einziger Blick auf die Landkarte SachsenAnhalts mit den eingezeichneten gegenwärtigen Verwaltungsstrukturen macht deutlich, dass in diesem Zusammenhang viele raumordnerische Probleme gelöst werden müssen. Die demografischen Unterschiede und der Abgleich mit den inzwischen bestehenden Strukturen wird von uns eine erhebliche Beweglichkeit und Spannbreite schon bei der Formulierung des Leitbildes verlangen.
Um den bereits begonnenen Diskussionsprozess zu strukturieren, werden wir uns schon bald auf einige Eckpunkte festlegen wollen und müssen. Danach brauchen wir Zeit, um möglichst viele einzubinden und deutlich zu machen, dass wir nicht die eigene Geschichte leugnen, aber für die veränderten Bedingungen und Aufgaben der Zukunft vorbereitet sein wollen.
Dazu werten wir gegenwärtig die Erfahrungen anderer Länder und die bisher in diesem Zusammenhang ergangene Rechtsprechung aus. Wir haben uns darauf geeinigt, dass eine gesetzliche Regelung erst nach einer Freiwilligkeitsphase und nach der Auswertung der dabei gewonnenen Erfahrungen in Angriff genommen werden wird.