Protokoll der Sitzung vom 08.06.2006

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

An dieser Stelle offenbart der Koalitionsvertrag das zentrale Problem der neuen Landesregierung. Sie setzt nahezu ungebrochen die Politik einer abgewählten Regierung fort und befindet sich damit von vornherein in einem politischen Dilemma.

Vor diesem Hintergrund besteht unsere Oppositionsarbeit darin, die politischen Positionen im Landtag zu vertreten, die aufgrund ihrer Mehrheitsfähigkeit zur Abwahl der bisherigen Landesregierung geführt haben.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Herr Scharf, CDU: Das ist doch Quatsch! - Herr Gürth, CDU: Das ist Nonsens!)

Die politische Analyse wäre jedoch unvollständig, wenn man nicht einen weiteren Schritt der Differenzierung vornehmen würde. Im Gegensatz zum ehemaligen Koalitionspartner FDP ist es der CDU gelungen, nahezu unbeschadet aus den Wahlen zum Landtag hervorzugehen und deutlich stärkste politische Kraft zu bleiben.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Defizite und Schwächen der letzten Regierung sind erfolgreich auf die Schultern des Juniorpartners FDP abgeladen worden. Somit ergibt sich jetzt für die CDU die Möglichkeit, unter Auswechslung ihres Juniorpartners fast ungebrochen weitermachen zu können.

Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum noch, dass die einzige Position, bei der sich die CDU bei den Koalitionsverhandlungen revidieren musste, nämlich die zwangsweise Einführung von Einheitsgemeinden, jetzt massiv unter Kritik gerät. Dabei hilft auf die Dauer auch kein Machtwort des Ministerpräsidenten, das ich in dieser Frage übrigens heute nicht gehört habe. Im Endeffekt hat er heute nichts anderes gesagt als noch einmal das, was Herr Scharf in seinem umstrittenen Interview in der „Volksstimme“ dazu gesagt hat. Wenn jetzt die SPD droht, deswegen die Koalition zu verlassen, dann nimmt das in diesem Land wirklich keiner mehr ernst.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Der Mangel an inhaltlich belastbaren Aussagen im Koalitionsvertrag soll jedoch nicht verhindern, dass wir uns mit den Problemen in diesem Land beschäftigen. Erste Priorität - - Das ist wirklich der substanzielle Unterschied zwischen dem, was Herr Böhmer vorgetragen hat, und dem, was ich für die Linkspartei vortrage: Sie analysieren die Situation des Landes aus der Haushaltslage, wir analysieren die Situation des Landes aus der sozialen Problemlage heraus. Das ist ein grundsätzlich anderes Herangehen und deswegen kommen wir auch zu grundsätzlich anderen Schlüssen.

(Zurufe von Herrn Scharf, CDU, und von Herrn Gürth, CDU)

- Wissen Sie, auf diesen Einwand hin könnte ich jetzt sagen, Ihnen ist die soziale Situation im Land egal, Herr Scharf. So einfach sind die Dinge nicht.

Erste Priorität hat für uns die Positionierung der Landesregierung eben zu dieser sozialen Frage. Es ist zwar klar, dass diese Fragen ganz wesentlich bundespolitisch entschieden werden. Gerade deshalb ist es so wichtig, wie sich Sachsen-Anhalt auf diesem Parkett bewegt, ein Land, das mit am schärfsten von den Veränderungen in diesem Bereich betroffen ist, weil eben die Menschen in Sachsen-Anhalt mit am schärfsten davon betroffen sind. Dazu schweigt jedoch der Koalitionsvertrag.

Die Bürger in diesem Land brauchen jedoch eine Landesregierung, die gerade ihre Interessen, die der Hunderttausenden von Menschen, die hier von den sozialen Sicherungssystemen existenziell abhängig sind, vertritt. Das will die Landesregierung offensichtlich nicht. Deswegen befindet sich hier eine vollständige Leerstelle im Koalitionsvertrag. Das ist aus unserer Sicht der zentrale Mangel dieser Landesregierung, den wir in unserer Oppositionsarbeit thematisieren werden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Damit kommen wir schon zu dem grundlegenden konstituierenden Merkmal dieser Landesregierung: Sie ist vor allem unter bundespolitischen Aspekten gebildet worden mit dem Ziel, die Vorgaben der großen Koalition in Berlin kritiklos umzusetzen. Da darf dann ruhig einmal ein bisschen herumgekrittelt werden, solange man im Bundesrat an der richtigen Stelle die Hand hebt.

(Herr Scharf, CDU: Sie denken wohl, es gibt ein Zentralkomitee wie früher?)

- Das sind die Erfahrungen der letzten Legislaturperiode, Herr Scharf.

(Herr Scharf, CDU: Das sind Ihre alten Denk- schemata, in die Sie immer wieder hineinverfal- len!)

- Na ja, dann haben Sie sich aber in der letzten Legislaturperiode danach gerichtet, Herr Scharf. Da, muss ich sagen, ist Ihre politische Sozialisation nicht so sehr viel anders als meine.

So groß die konzeptionellen Unterschiede von CDU und SPD auf landespolitischer Ebene auch sein mögen, bundespolitisch liegen hier Ihre gemeinsamen Interessen und unsere klare Oppositionshaltung. Aber - das will ich auch betonen - diese Gemeinsamkeiten der beiden Koalitionspartner werden in Berlin und nicht in Magdeburg entschieden und sind damit, glaube ich, keine wirklich ausreichende Grundlage für diese Landesregierung.

Vor allem die SPD wird sich fragen müssen, wie lange sie in diesem bundespolitischen Fahrwasser permanent gegen ihre landespolitischen Interessen verstoßen kann.

Eines der gravierendsten Beispiele dafür ist die Debatte zum Mindestlohn. Aus unserer Sicht ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gerade für SachsenAnhalt eines der wichtigsten politischen Projekte gegen die weitere soziale Polarisation und gegen die Abwanderung von jungen Menschen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Interessanterweise sah das die SPD noch im Februar und März dieses Jahres ähnlich. Der ehemalige Bundesvorsitzende Herr Platzeck kündigte im Februar in Magdeburg eine Gesetzesinitiative zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes an; der Spitzenkandidat Jens Bullerjahn griff dies im Wahlkampf auf. - Nicht nur wir werden die Annoncen der SPD mit diesem Thema gut aufgehoben haben.

Was aber finden wir im Koalitionsvertrag und genauso heute in der Rede von Herrn Böhmer? - Dort steht: Die in Sachsen-Anhalt praktizierten Kombilohnvarianten werden auf ihre Nachhaltigkeit und Wirksamkeit überprüft. In diesem Zusammenhang sollen Empfehlungen zur Einführung von Mindestlöhnen gegeben werden.

Das, liebe Kollegen von der SPD, ist genau das, was der Kollege Böhmer im gesamten Wahlkampf gesagt hat. Natürlich ist es so: Wenn ich Kombilöhne einführe, dann muss ich vom Arbeitgeber eine Mindestmitfinanzierung verlangen. Ansonsten sind es nämlich bald keine Kombilohnfinanzierungen mehr, sondern rein staatliche Finanzierungen von privater Arbeit.

Aber das ist doch nicht das, was in der Diskussion um den gesetzlichen Mindestlohn diskutiert worden ist. Das ist gerade deswegen interessant, weil die SPD natürlich sehr, sehr vorsichtig mit dieser Kombilohnvariante umgeht, und zwar mit völlig richtigen Argumenten, weil wir nämlich nach und nach eine staatliche Finanzierung privater Arbeit mit dieser Geschichte kriegen können.

Das bedeutet, dass die Forderung nach dem gesetzlichen Mindestlohn sich in Luft aufgelöst hat oder wie Eis in der Sonne geschmolzen ist und ein Wahlziel nach der Wahl aufgegeben worden ist, ähnlich wie nach der Bundestagswahl die Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung. Dann, liebe Kollegen, brauchen wir uns aber über

die geringe Wahlbeteiligung, auch bei der Landtagswahl, nicht zu wundern.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Noch deutlicher als die Sprachlosigkeit der Koalition zu den Veränderungen im Bereich der sozialen Sicherungssysteme tritt die Ignoranz dieses Problems im Bereich des Bildungswesens zutage. Gerade in diesem Bereich ist die Enttäuschung derjenigen, die auf die konzeptionellen Vorschläge zur AOS gesetzt haben, besonders groß. Zwar werden Ziele wie die Herstellung von Chancengerechtigkeit proklamiert, aber gleichzeitig wird klargestellt, dass man dafür nichts tun wird. Dafür konstituiert man einen Bildungskonvent, in dem man alles Mögliche diskutieren soll, vor allem die Konzepte der SPD, aber bitte sehr folgenlos.

Damit Sie mich nicht missverstehen: Auch wir sind dafür, eine gesellschaftliche Debatte über die Grundlagen und Ziele dieses wichtigsten gesellschaftlichen Investitionsbereiches in Gang zu setzen. Wir werden uns deshalb mit unserem Schulgesetzentwurf daran beteiligen, sagen aber mit gleicher Deutlichkeit, dass wir uns daraus zurückziehen werden, wenn sich dessen Funktion darauf beschränkt, ein Trostpflaster für die SPD zu sein.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Wir werden unseren Schulgesetzentwurf in den Landtag einbringen; dann müssen sich alle im Parlament vertretenen Parteien zur Frage der Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozialen Herkunft positionieren.

Natürlich wissen wir auch, dass die soziale Selektion nicht erst in der Schule beginnt.

(Herr Tullner, CDU: Eben!)

Schon in der frühkindlichen Bildung und Erziehung werden entscheidende Weichen gestellt. Aber auch hier wird im Wesentlichen der Status quo konserviert. Dabei wird das größer werdende Spannungsverhältnis zwischen dem Ausbau dieses Bereiches durch einen Bildungsauftrag und dem sozial differenzierenden Anspruch auf Betreuung in diesen Kindertagesstätten immer deutlicher. Dieses Problem wird jetzt genau wie von der Vorgängerregierung vollständig ignoriert, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem sich SPD und CDU bundespolitisch schon bei der quantitativen und qualitativen Ausdehnung der Kinderbetreuung gegenseitig übertrumpfen.

Unsere politische Position ist und bleibt, dass jedes Kind ein Recht auf Ganztagsbetreuung haben muss und dass eine inhaltliche Qualifizierung der Kinderbetreuung dadurch gewährleistet werden muss, dass die Erzieherinnen - übrigens auch die Erzieher - in Zukunft einen Hochschulabschluss haben sollen und nicht nur die Leiterinnen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Danach, liebe Kollegen, können wir uns auch Gedanken darüber machen, wie wir die Kindertagesstättenplätze kostenlos realisieren.

Sie könnten sich darauf berufen, dass es genau zu dieser Frage einen Volksentscheid gegeben hat, der Anfang des Jahres 2005 das erforderliche Quorum dazu nicht erreicht hat. Ich sage aber auch, vor allem Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, guckt man sich die Zahlen genau an, dann stellt man eines fest: Zu diesem Zeitpunkt, im Januar 2005, haben mehr Menschen

für diese Gesetzesnovelle gestimmt, als Sie im Jahr 2006 gewählt haben. Auch das ist ein Beweis für andere Mehrheiten in diesem Land, die wir durch unsere Oppositionsarbeit politisch wirkungsvoll werden lassen wollen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Einer der zentralen Streitpunkte zwischen CDU und SPD im Landtagswahlkampf, soweit man überhaupt noch davon sprechen kann, war die Auseinandersetzung über die Gestaltung der Wirtschafts- und Förderpolitik. Auch dieser Streit um Zentrums- oder Territorialförderung löste sich nach dem 26. März in Luft und in kryptischen Beschreibungen im Koalitionsvertrag auf.

Heute in der Rede des Ministerpräsidenten hörte sich das nun wiederum etwas anders an. Nun weiß man allerdings nicht, wie dieser einzelne Satz zu bewerten ist. So wie ich die Dinge kenne, wird man auch den wieder kryptisch auflösen. Offensichtlich hatte der Streit ohnehin nicht übermäßig viel Substanz.

Die eigentlichen Entwicklungserfordernisse liegen ohnehin auf einem anderen Feld: die Konzentration der Wirtschaftsförderung auf die Stärkung innovativer Potenziale. Während noch im Koalitionsvertrag unter einer Überschrift einige Aspekte beschrieben worden sind, war in der entsprechenden Pressekonferenz des Wirtschaftsministers davon offensichtlich nichts mehr zu hören. Dabei ging es um Betriebsgrößen und die Zahl von Arbeitsplätzen - durchaus wichtige Fragen.

(Herr Tullner, CDU: Aha!)

Aber in unserem Zeitalter der wissensbasierten Produktion wird diese Förderung nur dann nachhaltig sein, wenn Sie die Innovationspotenziale der neuen oder auch der zu sichernden Arbeitsplätze in den Mittelpunkt stellen.

Dies betrifft eben nicht nur die noch gar nicht dafür existierenden Stiftungsgelder. Nein, das muss das zentrale Kriterium für die Vergabe von GA- und EFRE-Mitteln in diesem Bereich werden. Es darf nicht darauf gewartet werden, dass wir irgendwann einmal durch Verkaufserlöse Stiftungsgelder haben werden, die wir dann in diesem Bereich einsetzen. Nein, die ganz normalen Wirtschaftsförderinstrumente müssen darauf ausgerichtet werden. Hierin wird einer der Schwerpunkte unserer Oppositionsarbeit auf diesem Feld liegen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)