Protokoll der Sitzung vom 08.06.2006

Meine Damen und Herren! Die Aussagen zur Bildungspolitik sind programmatisch ungenügend. Mit einem Bildungskonvent wollen wir uns - so wurde formuliert - an der Diskussion über die beste Methodik und die besten Organisationsstrukturen beteiligen; es gebe von Kindergärten bis Hochschulen unterschiedliche Angebote und Empfehlungen. Ja, Herr Ministerpräsident, was soll das denn heißen und was wollen Sie mit den Schulen und Hochschulen weiter machen - außer diskutieren?

Wir Liberale haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Frau Dienels „Lernen im Bus“ nicht das letzte Wort der Koalition war.

(Beifall bei der FDP)

Wir fragen: Wo sind Ihre Ziele für unsere Schulen im ländlichen Raum? Wo sind Ihre Ziele für unsere Hochschulen im weltweiten Wettbewerb um Exzellenz in Forschung und Lehre und um junge talentierte Köpfe?

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Die kennen Sie doch!)

Herr Ministerpräsident, genauso dürftig sind Ihre programmatischen Mitbringsel in der Wirtschaftspolitik. Die Begriffe „Ansiedlungsoffensive“ und „Standortwettbewerb“ kommen bei Ihnen überhaupt nicht vor. Die Wachstumspolitik läuft bei Ihnen unter den so genannten vielen anderen Aufgabenbereichen, die auch nicht zu vernachlässigen sind, auf der gleichen Ebene wie Ihre Steckenpferde, das E-Gouvernement und das Landesportal.

Wir Liberale sehen das ganz anders. Wir sehen, dass die Zukunft dieses Landes entscheidend davon abhängt, ob es uns gelingt, durch offensive und erfolgreiche Standortpolitik Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt entstehen zu lassen, nämlich durch Neuansiedlungen und durch ein Wachstum des Mittelstandes in der Region.

Nur so wird es gelingen, junge Menschen in der Region zu halten und die Abwanderung in eine Zuwanderung umzukehren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Dies setzt allerdings auch voraus, dass die Verantwortlichen in der Regierung die Bedeutung zentraler exportorientierter Branchen in diesem Land erkennen und danach handeln.

Die jüngsten Äußerungen von Wirtschaftsminister Haseloff zu angeblichen Privilegien der Chemieindustrie, die es zu kappen gilt, stimmen sehr bedenklich. So geht man, meine Damen und Herren, nicht mit einer Branche um, die wie kaum eine andere für die neue Innovations- und Exportkraft dieser Region steht und die im Übrigen mittelständisch organisiert und strukturiert ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Es bleibt das Versprechen der Regierung, die Innovationskraft der Wirtschaft durch die Gründung einer Innovationsstiftung zu stärken, wie es schon im Koalitionsvertrag zu lesen ist. Über die Zwecke und die Finanzierung im Rahmen des längst vorhandenen breiten Spektrums der Mittelstandsförderung, nämlich durch die Bürgschaftsbank, die Investitionsbank und die Innovationsbeteiligungsgesellschaft - daran haben wir in der letzten Legislaturperiode hart gearbeitet -, habe ich mir heute eine Aufklärung erhofft - nichts dergleichen, Fehlanzeige.

Was die Finanzierung angeht, ist das fast schon ein wenig unseriös. Der Ministerpräsident spricht von dem Aufbau eines Stiftungsvermögens durch Verkaufserlöse, die nicht in den Haushalt zurückfließen sollen. Aber weder im Koalitionsvertrag noch sonst wo ist bisher von einer einzigen Privatisierung die Rede; die Privatisierung der Spielbanken wurde im Koalitionsvertrag ausdrücklich ausgeschlossen.

Sagen Sie uns bald, Herr Ministerpräsident, wo das Geld herkommen soll und was Sie damit vorhaben, sonst sind Ihre Ankündigungen zu einer Innovationsstiftung einfach nicht mehr ernst zu nehmen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Der Ministerpräsident hat heute eine kraftlose Regierungserklärung abgegeben. Es ist eine Erklärung eines angesehenen politischen Patriarchen,

(Frau Weiß, CDU: Na, na, na!)

- der Ausdruck „angesehener politischer Patriarch“ ist ein Kompliment - dem in der neuen Koalition allerdings die Energie zur entschlossenen politischen Gestaltung abhanden gekommen ist, von ehrgeizigen politischen Zielen ganz zu schweigen.

Es bleibt eine bloße pragmatische Verwaltung mit dem Ziel, den Haushalt zu konsolidieren. Aber dies wird nicht gelingen, wenn es kein Wachstum gibt, wenn es keine Bemühungen und Erfolge bei der Ansiedlungspolitik gibt, wenn es keinen Sprung bei der Innovationskraft, nämlich durch eine enge Verzahnung von Wirtschaft und Hochschulen, gibt und vieles mehr. Denn nur wenn die Wirtschaft wächst und nur wenn rentable Arbeitsplätze entstehen, steigen die Steuereinnahmen und die Soziallasten sinken. Nur dann ist der Landeshaushalt zu konsolidieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Es macht den Eindruck, dass der Ministerpräsident in seinem skeptischen Pessimismus ein Stück der Zukunft dieses Landes längst aufgegeben hat. Das haben die Menschen in diesem Land nicht verdient. Die allermeisten wollen viel leisten und sie wollen, wie in den letzen vier Jahren, politische Orientierung, Führung und Entschlossenheit.

Wir stehen früher auf. - Dieser freche und zukunftsweisende Satz wird inzwischen bei Ihnen, Herr Ministerpräsident, ganz klein geschrieben, so klitzeklein wie an den eigenartigen Autobahnschildern an den Grenzen zu Niedersachsen und Brandenburg. Dort wirkt unser Land Sachsen-Anhalt inzwischen gegenüber dem stolzen Ross Niedersachsens und dem weiten blauen Himmel mit dem Adler Brandenburgs ziemlich mickrig.

Meine Damen und Herren! Wir Liberale werden aus der Opposition heraus alles tun, um der Regierung Beine zu machen. Wir werden alles tun, um die großen Ziele des Aufbaus Ost Stück für Stück zu erreichen.

Wenn wir morgen die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland eröffnen und stolz darauf sind, dass wir dieses große Ereignis in einem vereinten Deutschland feiern dürfen, dann sollte uns das zusätzlich motivieren, um hier wirklich mit Energie, Tatkraft und Optimismus und nicht mit Zaudern und Zögern ans Werk zu gehen. Dazu fordern wir die Regierung auf. Wir Liberale werden in der Opposition das Nötige dafür tun. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Professor Paqué. - Für die CDU-Fraktion nimmt nun Herr Scharf das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Beginn der neuen Legislaturperiode diskutieren wir die Leitlinien der Landespolitik, auf denen wir uns in den kommenden Jahren bewegen werden. Nach vier für Sachsen-Anhalt erfolgreichen Jahren haben wir guten Grund, vor allem auch auf landespolitische Kontinuitäten zu setzen.

Beim Wirtschaftwachstum liegen wir im Vergleichszeitraum deutschlandweit auf Platz 2. Entgegen dem Bundestrend konnten wir bei der Zahl der in der Industrie Beschäftigten zulegen, vor allen Dingen im Bereich der Hochtechnologie.

Herr Gallert, wir sind nicht mehr das Rote-Laterne-Land; das ist auch bei den Menschen spürbar. Als Sie die Zeit Ihrer Mitbestimmung in der Regierung so gelobt haben, haben Sie mit keinem Wort erwähnt, dass Sie in dieser Zeit Monat für Monat die rote Laterne hatten. Ich denke, das gehört zu Ihrer Bilanz dazu und Sie sollten sie ehrlicherweise auch nennen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir haben eine effektive Wirtschaftsförderung in Sachsen-Anhalt aufgebaut. Sachsen-Anhalt ist ein familienfreundliches Land. Wir gehen das Problem der Abwanderung und der Überalterung entschlossen an.

Meine Damen und Herren! Unsere Schüler konnten bei Pisa punkten und unsere Hochschulen haben im internationalen Wettbewerb durchaus ihr Profil geschärft. - Diese Aufzählung ließe sich fortsetzten, ich möchte es dabei aber bewenden lassen.

Das Jahr 2002 war ein Jahr des Aufbruchs. Im Jahr 2006 machen wir deutlich: Der Aufschwung geht weiter. Sachsen-Anhalt bleibt auf der Überholspur, meine Damen und Herren!

(Zustimmung bei der CDU)

Ich sage es ganz deutlich: Wir werden alles dafür tun, mit dem neuen Koalitionspartner, der FDP, an die gute und erfolgreiche Regierungsarbeit - -

(Frau Weiß, CDU: SPD!)

- SPD, na klar. Was habe ich gesagt?

(Beifall bei der FDP)

Wir werden alles dafür tun, dass wir mit der SPD erfolgreich an die vorherige gute Regierungsarbeit, die wir mit der FDP hatten, anknüpfen.

(Beifall bei der FDP)

Ich will Herrn Professor Paqué ganz deutlich sagen: Wenn Sie die Wählerinnen und Wähler mit Ihren Visionen im Wahlkampf hätten überzeugen können, hätten Sie vielleicht ein paar mehr Bänke besetzen können. Aber das ist Ihr Problem, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir stehen in diesem Haus für eine ehrliche und faire Zusammenarbeit in einer funktionierenden Koalition mit der SPD

(Zuruf von Herrn Kley, FDP)

und das werden wir in den nächsten fünf Jahren hier erleben, meine Damen und Herren.

Wir haben aber in Deutschland und wohl darüber hinaus ein wirklich ungelöstes Problem: Wie gestalten wir eine wirtschaftlich effektive Gesellschaft, die zugleich ein zukunftsfähiger Sozialstaat ist und sich besonders der Chancengerechtigkeit, der Teilhabegerechtigkeit und der Generationengerechtigkeit verpflichtet weiß? Die scheinbar einfachen Antworten sind meist die falschen Antworten und die primitiven Antworten gar spielen den Extremisten in die Hände.

Aber, meine Damen und Herren, die Völker und so auch die Menschen in Deutschland wollen in ihrer Mehrzahl eine Gesellschaft, in der Solidarität etwas zählt. Sie wollen keine Ellenbogengesellschaft. Jean-Claude Juncker hat uns bei der Verleihung des diesjährigen Karlspreises eindringlich gemahnt, man könne Europa nicht gegen die Bedürfnisse der Arbeitnehmer zum Erfolg führen. Ich zitiere:

„Wenn wir es nicht schaffen, in den nächsten zehn Jahren aus dieser höchst erfolgreichen wirtschaftspolitischen Konstruktion Europa auch eine sozialpolitisch erfolgreiche Europäische Union zu machen, inklusive die Massenarbeitslosigkeit in Europa abzubauen, dann wird Europa scheitern.“

Und weiter:

„Wenn wir gerne hätten, dass Europa nicht auf der Strecke bleibt, dann müssen wir die europäischen Arbeitnehmer via einem Mindestsockel an europaweit gültigen minimalen Arbeitnehmerrechten wieder für die Europäische Union begeistern.“