Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 20. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der fünften Wahlperiode. Dazu möchte ich alle Anwesenden ganz herzlich begrüßen.

Wir haben die große Freude, heute ein Geburtstagskind unter uns zu haben. Frau Silke Schindler hat heute Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch vom Hohen Haus, viel Gesundheit und Schaffenskraft!

(Beifall im ganzen Hause)

Ich kann mit Freude feststellen, dass das Hohe Haus beschlussfähig ist.

Ich komme zu Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung. Für die 11. Sitzungsperiode liegen mir Entschuldigungen von folgenden Mitgliedern der Landesregierung vor:

Herr Minister Professor Dr. Olbertz entschuldigt sich in der heutigen Sitzung ab 17 Uhr. Er nimmt an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Soll das deutsche Stammzellengesetz geändert werden?“ teil. Am 27. April, also morgen, wird Herr Professor Dr. Olbertz das Haus gegen 11 Uhr verlassen, um an einem Workshop teilzunehmen.

Herr Minister Bullerjahn lässt sich für den heutigen Tag entschuldigen. Er nimmt an der Konferenz der Landesfinanzminister teil.

Ministerin Frau Dr. Kuppe entschuldigt sich für den heutigen Sitzungstag in der Zeit von 10.30 Uhr bis 12.30 Uhr. Sie hält ein Grußwort auf dem 5. Kongress der Sozialwirtschaft.

Herr Staatsminister Robra wird am 26. April, also heute, ab 14 Uhr abwesend sein. Er wird in Berlin eine Delegation aus der Region Valencia empfangen. Entgegen der ursprünglichen Anmeldung wird er am 27. April anwesend sein. - So viel zu Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung.

Ich komme nun zur Feststellung der Tagesordnung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Tagesordnung liegt Ihnen vor.

Der Ältestenrat hat vereinbart, den Tagesordnungspunkt 12 - Einsetzung einer Enquetekommission - als ersten Beratungsgegenstand morgen auf die Tagesordnung zu nehmen.

Der Ausschuss für Recht und Verfassung bittet aus terminlichen Gründen um die zusätzliche Aufnahme von zwei Beschlussempfehlungen zu Verfassungsgerichtsverfahren. Es handelt sich um Drs. 5/658 und um Drs. 5/659. Beide Drucksachen werden nach Feststellung der Tagesordnung ausgeteilt oder liegen vielleicht schon bei Ihnen vor. Ich schlage vor, diese Beschlussempfehlungen am morgigen Tag als Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b zu behandeln.

Die Fraktionen haben sich weiterhin darauf verständigt, bei Tagesordnungspunkt 3 - Hochschulzulassungsgesetz - auf eine Debatte zu verzichten. Damit verkürzt sich sicherlich unser Tagespensum.

Gibt es weitere Fragen zur Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich um Zustimmung dazu, dass wir nach dieser Tagesordnung verfahren. Ich bitte um

das Handzeichen. - Zustimmung bei allen Fraktionen. Damit ist die Tagesordnung so bestätigt.

Zum zeitlichen Ablauf: Wir werden die heutige Sitzung gegen 19 Uhr beenden und morgen um 9 Uhr wieder beginnen. Ein parlamentarischer Abend findet heute nicht statt. Der Verband der Wohnungswirtschaft hat um Vertagung gebeten. Also haben wir heute Abend frei.

Meine Damen und Herren! Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aussprache zur Großen Anfrage

Situation im Justizvollzugsbereich im Land Sachsen-Anhalt

Große Anfrage der Fraktion der Linkspartei.PDS - Drs. 5/450

Antwort der Landesregierung - Drs. 5/547

Gemäß unserer Geschäftsordnung hat zunächst der Fragesteller das Wort. Danach wird die Landesregierung antworten. Der Ältestenrat schlägt die Debattenstruktur C vor, also insgesamt 45 Minuten Redezeit, davon CDU zwölf Minuten, FDP fünf Minuten, SPD acht Minuten, Linkspartei.PDS ebenfalls acht Minuten.

Ich erteile nunmehr als Vertreterin der Linkspartei.PDS der Abgeordneten Frau Knöfler das Wort. Anschließend wird Ministerin Frau Professor Kolb das Wort nehmen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Wenn der Justizvollzug zum Thema einer Landtagsdebatte wird, hat das meist höchst unerfreuliche Anlässe, etwa Ausbrüche oder Straftaten - wie erst am letzten Wochenende in Thüringen geschehen, wo es zu einer schweren Misshandlung eines Gefangenen durch einen anderen Gefangenen aufgrund von Gemeinschaftsunterbringung kam - oder auch öffentliche Kritiken an den Zuständen der Justizvollzugsanstalten von Experten des Europarates.

Anlass unserer heutigen Debatte ist die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der Linkspartei.PDS zur Situation im Justizvollzugsbereich im Land Sachsen-Anhalt.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren! Wir verstehen die Vortragende hier vorn ganz schlecht. Vielleicht können wir doch ein Stück weit auf die Vortragende achten. - Herzlichen Dank.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Gleichwohl hoffen wir, dass die Vorwürfe bezüglich der Unstimmigkeiten in den Justizvollzugsanstalten durch die Ministerin ausgeräumt und aus gegebenem Anlass Handlungsoptionen der Landesregierung aufgezeigt werden.

Mit der Beantwortung der Anfrage liegt uns ein umfängliches, aussagefähiges, aber teilweise auch widersprüchliches Arbeitsmaterial vor, worauf ich nachher noch näher eingehen werde.

Vorangestellt, sehr geehrte Damen und Herren, sei ein Dank an all jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit der Beantwortung der Großen Anfrage befasst und daran beteiligt waren.

Noch einen weiteren Dank möchte ich ganz bewusst an den Anfang meiner Ausführungen stellen. Es ist meiner Fraktion und auch mir ganz persönlich ein Anliegen, unseren herzlichen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Strafvollzug Sachsen-Anhalts zu richten.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Denn sie sind es letztlich, die für unser aller Sicherheit täglich ihre Arbeit im Strafvollzug leisten und mit den Gefangenen arbeiten. Sie stimmen mir sicherlich parteiübergreifend darin zu, dass die Arbeit im Strafvollzug eine der anspruchsvollsten und psychisch am stärksten belastenden Aufgaben des öffentlichen Dienstes überhaupt darstellt.

Diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten täglich freiwillig und im Schichtdienst hinter Gittern mit dem gesellschaftlichen Auftrag, die Gefangenen zu erziehen und zu resozialisieren. Wir danken ihnen auch dafür, dass sie immer noch Zeit und Motivation finden, wenn uns Politikerinnen und Politikern nach einem freiwilligen, aber zeitlich sehr begrenzten Besuch im Strafvollzug ist und sie uns zu den Fragen des Vollzugs umfänglich Rede und Antwort stehen. Ihre Vorschläge und Anregungen werden stets in unser politisches Handeln einbezogen.

Zurück zur Großen Anfrage. Anlass derselben war und ist es, dass ab 1. September 2006 die Zuständigkeit für die Gesetzgebung auf den Gebieten des Jugend- und Erwachsenenvollzuges einschließlich der Untersuchungshaft auf die Bundesländer übergegangen ist. Folgerichtig ist es nun erforderlich, durch das Land die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen.

Meine Fraktion, die Fraktion der Linkspartei.PDS, vertritt, sehr geehrte Damen und Herren, nach wie vor die Auffassung, dass all das, was den Justizvollzug betrifft, bundeseinheitlicher Regelungen und Standards bedarf. Nach unserer Auffassung birgt es viele Risiken und Gefahren, diesen höchst sensiblen Bereich in die Länderhoheit zu übergeben. So könnten ärmere Länder, zu denen ich auch Sachsen-Anhalt zähle, beschließen, den Justizvollzug voll und ganz zu privatisieren und es aus Geldmangel den privaten Betreibern überlassen, die Standards eigenständig festzulegen. Damit bestünde die Gefahr des Infragestellens des Behandlungs- und Erziehungsvollzuges.

Der Verwahrvollzug könnte in den Anstalten zur Tagesordnung werden. Dies wiederum würde bedeuten, dass keine Ergründung und Aufarbeitung der Ursachen erfolgen würde, warum ein Gefangener gegen gesellschaftliche Normen verstoßen hat, was eventuell bei der Erziehung in seiner Kindheit und Jugend falsch gemacht wurde oder was in seinem bisherigen Leben falsch gelaufen ist.

(Herr Tullner, CDU: Nun!)

Wenn also dort die Ursachen einer Fehlentwicklung nicht untersucht werden, an welcher Stelle muss und kann dann die Erziehung bei jugendlichen oder die Behandlung bzw. Resozialisierung von erwachsenen Straftätern begonnen und durchgeführt werden?

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Wir alle sollten daran interessiert sein, dass von diesen Menschen nach der Entlassung aus dem Justizvollzug weniger bzw. keine Gefahren und Risiken mehr ausgehen.

So kann bereits der Antwort zur Großen Anfrage entnommen werden, dass erstens das Gefängnis in Burg in öffentlich-privater Partnerschaft entsteht und dass zweitens viele Aufgabenbereiche privatisiert werden sollen, so unter anderem vollzugliche Hilfsleistungen wie Besuchshilfsdienst, Nachthilfsdienst, Gitterkontrolle, Poststelle, Telefonzentrale, Hilfskraft Personal und Hilfskraft der allgemeinen Verwaltung.

Bei diesem Modellversuch ist eine kritische Begleitung unumgänglich. Schon im Vorfeld ist die Frage zu klären, welche Aufgaben erforderlich und notwendig sind. So ist die Gitterkontrolle angesichts der angedachten Sicherheitsvorkehrungen nach meiner Auffassung höchst fragwürdig. Außerdem sind die folgenden Fragen zu klären: Wie werden die zu privatisierenden Aufgabenbereiche vergütet, um Bestechungen als Sicherheitsrisiko vorzubeugen? Wie kann der Datenschutz umfassend gewährleistet werden?

Fest steht, dass es dringend eines Konzeptes bedarf, welches unter anderem die Wahrung des Datenschutzes und eine Arbeitsplatzbeschreibung mit festen Kriterien für alle Bediensteten einschließlich der Festlegung der Vergütungs- und Besoldungsgruppen beinhaltet. All dies muss zeitnah im Ausschuss für Recht und Verfassung diskutiert werden.

Es kann und muss uns immer zuerst darum gehen, im Justizvollzug die Behandlung und die Erziehung der Strafgefangenen sowie die Sicherheit zu verbessern. Eine einseitige Ausrichtung des Justizvollzugs, zum Beispiel lediglich auf die Frage der Sicherheit, kann und darf es nicht geben.

Von besonderer Bedeutung ist, dass der Strafvollzug für die Gesellschaft elementare Bedürfnisse zu erfüllen hat. Zum einen sollen die Allgemeinheit und jeder Einzelne von uns vor Straftaten geschützt werden. Zum anderen sind die Gefangenen im Vollzug auf ein Leben in Freiheit ohne Straftaten vorzubereiten. Dies ist nur durch Erziehung und Behandlung zu realisieren und erfordert hoch qualifiziertes und gut motiviertes Fachpersonal, was die Strafvollzugsbediensteten in unserem Land auszeichnet. Das, sehr geehrte Damen und Herren, gibt es nun einmal nicht zum Nulltarif.

In der Beantwortung der Großen Anfrage auf der Seite 3 bekennt sich die Landesregierung klar dazu, den Behandlungsgedanken für den Erwachsenenvollzug und zusätzlich den Erziehungsgedanken für den Jugendvollzug gesetzlich zu verankern. Man trägt dem Umstand Rechnung, dass der Justizvollzug ein nicht zu unterschätzender Eckpfeiler der inneren Sicherheit ist.

Der Umgang mit diesem Thema verlangt ein durchdachtes und kluges Herangehen sowie intelligente Lösungen angesichts der schwierigen Haushaltslage unseres Landes. Hieraus resultiert unsere Forderung, dass dem Behandlungsgedanken und dem Erziehungsgedanken oberste Priorität eingeräumt werden muss. Die Aufgabe der Resozialisierung ist generell und immer vor den Auftrag der Sicherung und Verwahrung zu stellen.

Meiner Fraktion ist bekannt, in welchem maroden Zustand sich die Vollzugsanstalten im Jahr 1 nach der Wende befanden. Ebenso uns ist bekannt, dass durch

das Sicherheitssofortprogramm viel Geld sowohl in die Sicherheitsanlagen als auch in die Bauhüllen geflossen ist. Dadurch hat sich zwar auch die Unterbringung für die Gefangenen verbessert, aber nicht ausreichend entspannt.

Seit nunmehr drei Jahrzehnten besteht die Pflicht der Landesjustizverwaltung zur grundsätzlichen Einzelunterbringung nach dem Strafvollzugsgesetz, welches bis zum Erlass eines Landesgesetzes auch für SachsenAnhalt fortgilt. Der Antwort der Landesregierung ist zu entnehmen, dass eine flächendeckende Mehrfachunterbringung in den Justizvollzugsanstalten nicht vorgesehen, aber heute noch ständige und gängige Praxis ist.