Protokoll der Sitzung vom 14.06.2007

„Der Nazismus war das Deutscheste vom Deutschen, hervorgebracht und getragen von einer Schicht der Nation, viel breiter als sie je zuvor ein deutsches Regierungssystem getragen hatte.“

Haben wir Deutschen den Krebs des Rechtsextremismus endgültig besiegt? - Ich habe mir sagen lassen, dass man sich dessen bei einer Krebskrankheit niemals sicher sein kann.

Die Atmosphäre bei der Fußballweltmeisterschaft im vergangenen Jahr, auch hier auf dem Magdeburger Domplatz, auch mit den vielen Deutschlandwimpeln, hat mir wirklich Freude gemacht. Allerdings teile ich nicht die vom Kollegen Stahlknecht in der Aktuellen Debatte am 7. Juli 2006 aufgestellte These von der Wiedergeburt der Nation aus dem Geist der Fußballweltmeisterschaft.

(Herr Stahlknecht, CDU: Das habe ich so auch nicht gesagt!)

- Ich habe mir erlaubt, Herr Stahlknecht, das einmal zusammenzufassen, um den Kollegen das Nachlesen zu ersparen.

(Herr Scharf, CDU: Das ist aber kein guter Mo- ment, Herr Rothe! - Herr Stahlknecht, CDU: Das war die Emser Depesche von Herrn Bismarck, die dann den Krieg ausgelöst hat! Das müssen sie schon richtig wiedergeben, Herr Rothe!)

Was macht die Nation aus, Herr Stahlknecht? - Ich sehe es so wie die Franzosen: Es kommt weniger auf die Gemeinsamkeit der Abstammung an als vielmehr auf das Bekenntnis zu den Grundwerten der Republik, wie sie von der französischen Nationalversammlung am 26. August 1789 beschlossen worden sind.

(Zuruf von Herrn Weigelt, CDU)

In der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte werden „das Recht auf Freiheit, das Recht auf Eigentum, das Recht auf Sicherheit und das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung“ als „natürliche und unantastbare Menschenrechte“ benannt. Zur Freiheit heißt es weiter:

„Die Freiheit besteht darin, alles tun zu dürfen, was einem anderen nicht schadet. Die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen hat also nur die Grenzen, die den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuss eben dieser Rechte sichern. Diese Grenzen können nur durch Gesetz bestimmt werden.“

Meine Damen und Herren! Das, was die Zivilgesellschaft wie die Nation ausmacht, ist das gemeinsame Bekenntnis zu diesen unveräußerlichen Menschenrechten. Der rechtsradikale Überfall von Halberstadt ist ein infamer Anschlag auf diese Wertegemeinschaft.

(Beifall bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung von Herrn Schröder, CDU, und von der Regierungsbank)

Wie ist darauf zu reagieren? - Indem wir denen wehrhaft begegnen, die anderen Menschen den Genuss ihrer natürlichen Rechte absprechen, und indem wir denen, die jung oder unentschlossen sind, die Menschenrechte positiv vermitteln.

Das Problem ist also der Rechtsextremismus selbst, nicht die zu Recht ausführliche Berichterstattung darüber in den Medien.

Die Verfolgung von Straftätern ist Aufgabe von Polizei und Justiz, die Aufklärung rechtsextremistischer Umtriebe im Vorfeld von Straftaten Aufgabe des Verfassungsschutzes.

Aufgrund der sich wiederholenden Pannen kommt die Polizei in Sachsen-Anhalt zunehmend ins Gerede. Das ist umso bedauerlicher, als sich Minister Hövelmann vom Beginn seiner Amtszeit an in vorbildlicher Weise gegen den Rechtsextremismus engagiert.

(Zustimmung bei der SPD, bei der Linkspar- tei.PDS und von der Regierungsbank)

Er hat vorhin die vielfältigen Aktivitäten auch der anderen Ressorts der Landesregierung beschrieben. Ich habe den Eindruck, dass mittlerweile die ganze Landesregierung das Problem Rechtsextremismus als einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit erkannt hat.

Die neue Schwerpunktsetzung bei der Polizei zeigt nicht sofort überall Wirkung. Es braucht Zeit, bis ein derart großer Personalkörper die Fortbildungsmaßnahmen durchlaufen hat. Ich unterstütze Ihren Ansatz, Herr Professor Paqué, dass man nach den Führungskräften als Multiplikatoren auch die Beamten des mittleren Dienstes schult.

Man muss den Polizeivollzugsbeamten auch zugute halten, dass wir es mit einer veränderten Lage gegenüber dem Jahr 2000 zu tun haben, als Alberto Adriano umgebracht wurde. In jenem Jahr gab es 67 rechtsextremistische Gewalttaten. Bis zum Jahr 2006 ist diese Zahl auf 122 angestiegen. Dieser Trend über die Jahre hinweg ist besorgniserregend, auch wenn die Zahlen in den letzten Monaten rückläufig waren.

Rechtsextremisten treten zunehmend selbstbewusst auf und versuchen, die Zivilgesellschaft zu beeindrucken oder sogar zu infiltrieren. Ein Beispiel - Herr Schulz hat das eben erwähnt - war der rechtsextreme Aufmarsch beim Sachsen-Anhalt-Tag in Osterburg am 2. Juni 2007. Ich begrüße es, dass derartige Vorfälle für die Fortbildungsmaßnahmen der Polizei sorgfältig ausgewertet werden.

Herr Gallert hat die Vorwürfe gegen den Abteilungsleiter Polizei in der Polizeidirektion Dessau erwähnt. Wir haben uns über den Stand der Vorermittlungen im Innenausschuss berichten lassen. Ich möchte anmerken, dass nach der polizeilichen Kriminalstatistik in der Polizeidirektion Dessau auf dem Feld des polizeilichen Staatsschutzes zahlreiche Taten ermittelt werden. Es ist für mich kaum vorstellbar, dass das gegen den Willen des obersten Polizeivollzugsbeamten in dieser Behörde geschehen sein könnte.

(Zustimmung von Herrn Kolze, CDU)

Gleichwohl wäre eine abfällige Äußerung über die Kampagne „Hingucken“ der Landesregierung zu missbilligen.

Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Debatte soll nach dem Wunsch der Linkspartei.PDS auch dazu dienen,

weitere Vorschläge für den Kampf gegen den Rechtsextremismus zu erörtern. Der Innenminister hat bereits im vergangenen Jahr vorgeschlagen, ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD anzustrengen. Wir haben darüber in der SPD-Fraktion auch mit dem Hallenser Politologen Everhard Holtmann diskutiert. Es gab keine Abstimmung, aber das Meinungsbild in der Fraktion sieht so aus, dass wir den Vorstoß des Innenministers unterstützen. Leider hat sich bislang nur der Berliner Innensenator Körting ebenfalls für eine Neuauflage des Verbotsverfahrens gegen die NPD ausgesprochen.

Ich möchte in Erinnerung rufen, dass es das Bundesverfassungsgericht seinerzeit allein aus verfahrensrechtlichen Gründen abgelehnt hat, das Verbotsverfahren fortzusetzen. Ich denke, dass mit einem Abzug aller VLeute aus den Führungsgremien der NPD die Hürde für ein neues Verbotsverfahren nach einer gewissen Übergangszeit beseitigt wäre. Es gibt genügend öffentliche Äußerungen von NPD-Funktionären, beispielsweise im Sächsischen Landtag, die deren Verfassungsfeindlichkeit belegen.

Mit der Föderalismusreform ist die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungswesen vom Bund auf die Länder übergegangen. Im April dieses Jahres hat der Innenminister öffentlich darüber nachgedacht, in einem Landesversammlungsgesetz Orte und Zeiten festzulegen, an bzw. zu denen nicht demonstriert werden darf.

Ich selbst habe als Referendar bei der Bonner Polizei, wo wir viel mit Versammlungsrecht zu tun hatten, die liberale Einstellung des damaligen Polizeipräsidenten Kniesel bewundert. Wir haben für das Land und mit der IG Metall einen Prozess gegen die Stadt und die Universität Bonn geführt, damit Großdemonstrationen auf der Hofgartenwiese stattfinden konnten, also im Zentrum und politiknah, und nicht auf eine stadtferne Fläche jenseits des Rheins verwiesen wurden. Der Streit ist schließlich vom Bundesverwaltungsgericht entschieden worden, im Kern zugunsten der Demonstrationsfreiheit.

Am 9. November 1991 wurde ich in Halle Zeuge einer Demonstration, bei der rechte und linke Demonstranten aufeinander prallten. Hintergrund war eine Verbotsverfügung des Polizeipräsidenten Hermann, der an diesem Tage die NPD nicht demonstrieren lassen wollte. Als diese Verfügung mangels einer gesetzlichen Grundlage gerichtlich aufgehoben wurde, war es für eine großräumige Trennung der NPD-Demonstration von der linken Gegendemonstration zu spät. Es gab zahlreiche Verletze, auch unter den Polizeibeamten.

Am 3. Oktober 2006 erlebte ich auf dem Magdeburger Domplatz eine rechtsextremistische Demonstration, bei der das amerikanisch-jüdische Finanzwesen als Ursache der Entrechtung der Deutschen und der Arbeitslosigkeit angeprangert wurde. Ausländische Touristen fragten bei mir nach und ich genierte mich, dass sich Magdeburg am Nationalfeiertag so präsentierte.

Ich plädiere also dafür, dass wir uns der Diskussion über ein Versammlungsgesetz mit wenigen Beschränkungen hinsichtlich Ort und Zeit ergebnisoffen stellen. Es geht auch hierbei um ein Zeichen der Wehrhaftigkeit unserer Demokratie. In Abwesenheit eines NPD-Verbots kann man dieser Partei das Demonstrieren nicht verbieten. Man kann aber deutlich machen, dass wir uns nicht jede Provokation bieten lassen.

(Zustimmung bei der SPD, bei der Linkspar- tei.PDS und von der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren! Es ist wichtig, die Heranwachsenden über die Verbrechen der Nationalsozialisten und über die Absichten ihrer geistigen Enkel aufzuklären. Das kann in den Schulen geschehen. Das kann an den Gedenkstätten geschehen. Dazu möchte ich heute nichts weiter sagen, weil die Redezeit abgelaufen ist. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der Links- partei.PDS und von der Regierungsbank)

Herzlichen Dank, Herr Rothe, für Ihren Beitrag. - Weitere Redebeiträge sind nicht angemeldet worden.

Meine Damen und Herren! Ich darf mich von dieser Stelle aus ganz herzlich für die Debatte bedanken, die wir geführt haben. Ich glaube, das war eine gute Stunde und damit geht ein gutes Signal von diesem Hause aus.

Ich empfand es außerdem als wohltuend, als ich heute früh in der Zeitung las, dass die Studentenratswahl an der Universität Magdeburg so ausgegangen ist, dass keine NPD-Leute in den Studentenrat gewählt worden sind.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Beschlüsse in der Sache werden nicht gefasst. Wir haben damit die Behandlung des zweiten Themas der Aktuellen Debatte abgeschlossen.

Ich rufe das dritte Thema der Aktuellen Debatte auf:

Konsequenzen der Gutachten zur Wirtschaftlichkeit von Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/707

Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: FDP-Fraktion als Einbringerin und dann CDU-, Linkspartei.PDS- und SPD-Fraktion. Wir beginnen mit dem Antragsteller, der FDP-Fraktion. Anschließend wird für die Landesregierung Herr Minister Hövelmann das Wort nehmen. Danach treten wir in die Debatte ein.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wolpert. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung, bevor ich zum eigentlichen Thema komme. Am 26. Januar 2007 beschloss der Landtag von Sachsen-Anhalt, die Landesregierung aufzufordern, ein Gutachten zur Wirtschaftlichkeit von Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften in Sachsen-Anhalt in Auftrag zu geben. Genau dieses Gutachten stellte der Innenminister dieses Landes am 12. Juni 2007 vor.

Nun sollte man meinen, der Landtag als Gesetzgeber des Landes würde entsprechend als Erster über die Ergebnisse informiert - aber nein. Stattdessen informiert der Innenminister zunächst die Landespressekonferenz, ohne dass ein Mitglied dieses Hauses offiziell Kenntnis davon erhalten hat.

Meine Damen und Herren! Meiner Meinung nach wird dies der Bedeutung des Landtages nicht gerecht, zumal

gerade dieser der Ursprung des Auftrages dieses Gutachtens war.

(Beifall bei der SPD und bei der Linkspartei.PDS)

Herr Minister, aber auf der anderen Seite auch ein Dank dafür an Sie, dass Sie den parlamentarischen Geschäftsführer der SPD heute Morgen noch davon überzeugt haben, dass das ein aktuelles Thema ist. Und auch ein Dank an die SPD, dass sie den Versuch unterlassen hat, diese Aktuelle Debatte durch das Verschieben innerhalb der Tagesordnung zu unterlaufen.