Protokoll der Sitzung vom 13.07.2007

Ein äußerst wichtiger Punkt ist das in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts manifestierte Recht auf Bildung. Davon profitieren die Inhaftierten, aber auch die Gesellschaft. Im Übrigen sollte auch die Kampagne „Hingucken!“ unbedingt in die Jugendanstalt Raßnitz hineingucken.

Des Weiteren erachte ich eine stetige Evaluation des Vollzugs für unabdingbar. Gerade in diesem Bereich sollten wir uns vor Augen halten, dass es sich um ein lernendes System handelt. Die Erfahrungen müssen aufgenommen werden, Verhalten muss kritisch hinterfragt und vor allem muss daraus gelernt und verändert werden.

Ich denke, Sachsen-Anhalt hat mit der Jugendanstalt Raßnitz bereits eine Anstalt mit hohem Standard, aber auch dort sind noch Verbesserungen nötig und möglich. Dies müssen wir im Zuge der Beratungen besprechen. Ob das tatsächlich ganz ohne Mehrkosten geht, wird sich zeigen.

Nun ist die Frage der Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs sicherlich wichtig für die Inhaftierten, aber auch für die Gesellschaft. Parallel dazu darf aber die Jugendkriminalität in ihrer Gesamtheit nicht vernachlässigt werden. Laut der Zeitschrift „Forum Strafvollzug“ lag Sachsen-Anhalt im Jahr 2006 mit einer Gefangenenrate von 153 Gefangenen im Jugenstrafvollzug pro 100 000 Gleichaltrige bundesweit an der Spitze und damit auch um 70 % über dem Bundesdurchschnitt. Die Kinder- und Jugendhilfe spielt dabei eine wesentliche Rolle in der Frage der Prävention.

Abschließend, meine Damen und Herren Abgeordneten, möchte ich aber auch noch etwas zu unserer Verantwortung als Landespolitikerinnen im Land Sachsen-Anhalt sagen. Man kann es gut oder schlecht finden, dass wir im Zuge der Föderalismusreform mehr Gesetzgebungskompetenzen in die Länder bekommen haben. Man kann es auch gut oder schlecht finden, dass sich das gerade auf den Jugendstrafvollzug bezieht. Was wir aber nicht machen dürfen, ist, verantwortungslos mit dieser Kompetenz umzugehen.

Ich denke, da kann es eben nicht sein, wie am Mittwoch dieser Woche im Rechtsausschuss geschehen, dass wir zu Beginn der Ausschusssitzung gerade einmal vier Abgeordnete der Opposition und zwei Abgeordnete der Koalition waren - und das an einem Tag, an dem Kandidatinnen für das Landesverfassungsgericht eingeladen waren. Ich denke, das darf uns nicht mehr passieren. Ich möchte, dass wir da nicht als nörgelnde Gutmenschen unserer Fraktion abgebügelt werden. Ich denke, wir müssen unbedingt darüber reden, wie wir unsere Arbeit in den Ausschüssen nicht nur nach außen hin ernsthaft wahrnehmen wollen. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau von Angern. - Bevor ich Herrn Sturm das Wort erteile, der für die CDU-Fraktion spricht, können wir weitere Schülerinnen und Schüler des SteinGymnasiums aus Weferlingen begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Sie machen offenbar einen halben Schulausflug hierher. - Bitte schön, Herr Sturm.

Danke schön. - Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Jugendstrafvollzug betreten wir im Land Sachsen-Anhalt Neuland, und gerade deshalb sollten wir uns bei den Beratungen im Ausschuss für Recht und Verfassung Zeit lassen.

Neuland betreten wir, weil wir als Land bisher gar nicht dafür zuständig waren, sondern der Bund. Neuland ist es aber auch deshalb, weil es bisher zum Jugendstrafvollzug überhaupt kein Gesetz gab, sondern es gab dazu nur Rechtsnormen. Unsere Fraktion begrüßt es, dass sich die Mehrheit der Bundesländer an einen Tisch gesetzt hat, um einen Mustergesetzentwurf zu erarbeiten, der uns nun in diesem Hohen Haus vorliegt.

Dieser Musterentwurf darf uns aber bei allem Bemühen, möglichst in allen Bundesländern annähernd gleiche Regelungen zu finden, nicht hindern, kritisch an diesen Entwurf heranzugehen und als kleines Flächenland eigene Akzente zu setzen. Schließlich brauchen wir uns im Land Sachsen-Anhalt mit unserem bisher vollzogenen Jugendstrafvollzug nicht zu verstecken.

Lassen Sie mich zunächst hierzu einige kritische Anmerkungen machen. Es fällt auf, dass ein Gesetz, das für 300 bis 500 junge Menschen gelten soll, beinahe genauso umfassend ist wie das Gesetz zum allgemeinen Strafvollzug, das für ein Vielfaches an Straftätern gilt. Diese Regelungsdichte und diese Regelungswut sind zu hinterfragen und werden uns im Ausschuss beschäftigen.

Dieses Gesetz enthält einige Vorschriften, die ich als Lyrik bezeichnen möchte. Das betrifft beispielsweise den § 7 und den § 89. Die Regelungen über den Schusswaffengebrauch in § 89 sind so ausführlich, dass man meinen könnte, die Schusswaffe gehöre zum alltäglichen Gebrauchsmittel. Tatsache hingegen ist, dass Schusswaffen in unseren Vollzugsanstalten kaum mehr eine Rolle spielen. Selbst bei den Geiselnahmen in der JVA Naumburg in den zurückliegenden Jahren hätten allenfalls die herbeigezogenen Polizeikräfte von der Schusswaffe Gebrauch gemacht. Was also sollen so umfangreiche Regelungen, wenn sie in der Praxis ohnehin nicht zum Zuge kommen?

In allein neun Paragrafen auf insgesamt mehr als sieben Seiten widmet sich dieser Entwurf dem sicherlich wichtigen Problem des Datenschutzes. Beim Lesen gewinnt man aber den Eindruck, dass man sich in einem datenschutzrelevanten Hochsicherheitstrakt befindet und nicht in einer Jugendstrafanstalt. Ich frage ganz bescheiden: Ist diese Überfrachtung wirklich notwendig?

In der vergangenen Wahlperiode hatte sich die Landesregierung auf die Fahnen geschrieben, Gesetze zu entrümpeln, und diese Aufgabe dem MJ federführend übertragen. Ich wundere mich, dass nun gerade das MJ uns so einen auch an vielen anderen Stellen überfrachteten

Gesetzentwurf vorlegt. Hier müssen wir im Ausschuss kräftig nacharbeiten. Ich fasse zusammen: Lyrik zu Goethe, Prosa zum Jugendstrafvollzug - das muss unser Ziel sein.

Wenn wir bei unserer Ausschussarbeit das alles beherzigen und nicht gleich wieder ein Problem in unserer Koalition daraus machen, können wir zu einem Gesetz kommen, das kurz, knapp und lesbar ist und allen eine Hilfe bietet.

(Zuruf von Herrn Gallert, DIE LINKE)

Der Kern dieses Gesetzes ist gut. Darauf will ich auch noch ganz kurz eingehen.

Das Ziel des Jugendstrafvollzugs ist klar und eindeutig mit der Formulierung herausgearbeitet, wonach der Vollzug dem Ziel dient, den Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Gleichermaßen hat der Vollzug die Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Beide Forderungen - den jungen Menschen zu ertüchtigen, straffrei zu leben, und allgemein vor weiteren Straftaten zu schützen - stehen gleichrangig nebeneinander, was in dem Wort „gleichermaßen“ zum Ausdruck kommt. Auf diese Feststellung legt die CDU-Fraktion besonderen Wert.

Mir scheint es auch wichtig, den besonderen Erziehungsauftrag des Jugendstrafvollzugs in § 3 noch einmal hervorzuheben. Dort heißt es:

„Der Vollzug ist erzieherisch zu gestalten. Der Gefangene ist in der Entwicklung seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten so zu fördern, dass er zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Lebensführung in Achtung der Rechte anderer befähigt wird. Die Einsicht in die beim Opfer verursachten Tatfolgen soll geweckt werden.“

Die Regelungen in § 14 zur Sozialtherapie sollten im Interesse der Entwicklung der Jugendlichen noch einmal überdacht werden. Mir wäre es wichtig zu verankern, dass gerade bei jungen Straftätern die Therapie zeitlich vor dem Vollzug steht, um den Jugendlichen noch zu formen. Die jetzt gewählte Formulierung gibt Spielraum, was den Zeitpunkt der Verlegung betrifft.

Die Regelungen zur Arbeit und zur Freizeit erscheinen weitgehend ausgewogen und sachlich notwendig, doch auch hier gilt: Weniger wäre manchmal mehr. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Sturm. - Nun erteile ich für die FDPFraktion Herrn Wolpert das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Sturm, ich bin richtig erstaunt. Ich dachte, Sie sind jetzt in der Opposition und greifen die Ministerin an. Ich finde, dass gerade dieses Gesetz dafür gar nicht geeignet ist. Aber bitte.

Dass wir heute über den Entwurf eines Jugendstrafvollzugsgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt diskutieren, haben wir zwei Tatsachen zu verdanken. Seit der Föderalismusreform haben die Länder und nicht mehr der

Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung am 31. Mai 2006 festgestellt, dass für den Bereich des Jugendstrafvollzugs eine spezielle gesetzliche Regelung geschaffen werden muss. Es hat den Ländern hierfür bis Ende 2007 Zeit gegeben.

Meine Damen und Herren! Die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Strafvollzugs auf die Länder hat die FDP schon während der Diskussion über die Föderalismusreform abgelehnt. Sie tut das im Grunde heute noch. Die FDP ist natürlich auch für Wettbewerb. Auch zwischen den Bundesländern kann ein fairer Wettbewerb grundsätzlich Vorteile bringen.

Im Bereich des Eingriffs in die Grundrechte wie beim Strafvollzug halten wir den Wettbewerb aber für problematisch. Zum einen kann ein solcher Wettbewerb aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftskraft der Länder zu einem Zwei- oder sogar bis zu einem Drei-KlassenStrafvollzug führen. Zum anderen beeinflusst die Art des Strafvollzugs die Strafzumessungsregeln, was bedeuten kann, dass ein und dieselbe kriminelle Handlung in Sachsen anders bestraft wird als in Sachsen-Anhalt. Das wäre ein Ergebnis, das niemand wollen kann. Es kam also darauf an, in den Ländern möglichst einheitliche Regelungen herbeiführen.

Meine Damen und Herren! Das war auch der Grund, warum die Fraktion der FDP bereits im vergangenen Juni einen Antrag ins Plenum gebracht hat, der die Landesregierung zu einem frühzeitigen Handeln aufgefordert hat. Wie sich jetzt herausstellt, kam der Anstoß der FDP durchaus zur rechten Zeit, weil der Zeitplan für das Gesetzgebungsverfahren nunmehr genügend Raum lässt, um über das Gesetz umfassend und mit einer Anhörung zu diskutieren, und ein Inkrafttreten zum 31. Dezember 2007 trotzdem gewährleistet erscheint.

Insbesondere aufgrund dieser Überlegungen sind wir sehr froh, dass Sachsen-Anhalt sich der so genannten Neunergruppe angeschlossen hat, die einen einheitlichen Entwurf für das Jugendstrafvollzugsrecht in allen neun Bundesländern angestrebt hat, wobei es bedauerlich ist, dass kein mitteldeutscher Gleichklang erzielt werden konnte.

Meine Damen und Herren! Der nun vorliegende Gesetzentwurf stellt den Erziehungsgedanken in den Vordergrund. Das ist zu begrüßen. Das ist deshalb zu begrüßen, weil kriminelle Handlungen Jugendlicher vornehmlich von Reifedefiziten herrühren. Da Reifedefizite aber allgemein nicht als unheilbare Krankheit angesehen werden, ist Erziehung auch innerhalb des Strafvollzuges als Mittel der Wahl dem bloßen Wegsperren vorzuziehen. Erziehung ist der vielversprechende Weg in ein künftiges Leben ohne Kriminalität. Es ist deshalb folgerichtig, dass der geschlossene und der offene Vollzug grundsätzlich nebeneinander und nicht im RegelAusnahme-Verhältnis zueinander stehen. Diese Regelung wird von den Liberalen ausdrücklich unterstützt.

Das Verbot des Schusswaffengebrauchs, das vielleicht zu bürokratisch geregelt ist, ist dennoch ein gewolltes Zeichen für die Ausrichtung des Vollzugs. Es wird deshalb von uns ebenfalls befürwortet.

Auch in weiteren Bereichen wurden die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts weitestgehend umgesetzt, wobei man darauf hinweisen muss, dass SachsenAnhalt mit der Jugendhaftanstalt in Raßnitz über eine der neuesten Anstalten in Deutschland verfügt und somit

auch weniger Probleme als andere Bundesländer bei der Umsetzung des Gesetzentwurfs haben wird.

In einigen Bereichen stellt sich aber die Frage, warum in Sachsen-Anhalt von den Gesetzentwürfen der meisten anderen Mitglieder der Neunergruppe abgewichen wird. Zu nennen ist unter anderem § 7 - Einbeziehung Dritter. Der Gesetzentwurf sieht in § 7 Abs. 3 eine Sollvorschrift vor. Beispielsweise wird in Brandenburg und in Thüringen durch eine Mussvorschrift sichergestellt, dass die Personensorgeberechtigten in die Erreichung der Erziehungsziele einbezogen werden.

Ich glaube, es kann durchaus von Vorteil sein, dass die Erziehungsberechtigten sich nicht einfach von ihren kriminellen Sprösslingen abwenden dürfen. Für einzelne gesonderte Lagen sollten konkrete Ausnahmetatbestände geschaffen werden. Aber grundsätzlich sollten sie einbezogen werden müssen.

Gleiches gilt für die Feststellung des Erziehungs- und Förderbedarfes nach § 10. Auch an dieser Stelle sollte unserer Ansicht nach eine Mussvorschrift eingefügt werden, damit die Gefangenen stets aktiv in die Festlegung des Erziehungs- und Förderbedarfs und somit in die Erreichung des Vollzugsziels einbezogen werden. Die zu befürchtenden Ausnahmen, die bereits vorgetragen wurden, kann man gesondert regeln.

Meine Damen und Herren! Außerdem stellt sich die Frage, warum auf der einen Seite in den §§ 14 und 114 verbindliche Regelungen zur Einführung von sozialtherapeutischen Maßnahmen normiert sind, auf der anderen Seite aber erst im Jahr 2013 mit der Einrichtung der so genannten sozialtherapeutischen Einrichtungen mit 20 Plätzen begonnen werden soll. Frau Ministerin, ich wünsche mir eine Klarstellung im Ausschuss, was bis zum Jahr 2013 in Sachsen-Anhalt geschieht, um die sozialtherapeutische Betreuung von Gefangenen zu sichern.

Meine Damen und Herren! Über diese Fragen muss im Ausschuss für Recht und Verfassung umfassend und unter Hinzuziehung von Experten in einer Anhörung diskutiert werden, damit im Ergebnis das Hauptziel des Jugendstrafvollzuges, der Erziehungsgedanke, in diesem Gesetz ausreichend Niederschlag findet. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Wolpert. - Zum Schluss der Debatte hören wir den Beitrag der SPD-Fraktion. Es spricht Frau Reinecke. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den soeben gehörten Redebeiträgen vereint uns gemeinsam der Anspruch, dass ein Jugendstrafvollzugsgesetz auf den Weg zu bringen ist, das insbesondere den Erziehungsgedanken und den Resozialisierungsauftrag umsetzt, um zukünftig Rückfälligkeit zu vermeiden. Es kann grundsätzlich festgestellt werden, dass der Gesetzentwurf in die richtige Richtung geht.

Insbesondere im Jugendstrafvollzug sind spezialpräventive Zielstellungen von höchster Bedeutung. Der Gefangene ist, wie in § 2 beschrieben, zu befähigen, künftig in

sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.

Der Vor-Ort-Termin der Mitglieder des Ausschusses für Recht und Verfassung im November 2006 diente dem Ziel, sich rechtzeitig in den Prozess der Erarbeitung eines solchen Gesetzes einzubringen. So verständigten sich die Mitglieder über die vorliegenden Eckpunkte der Ländergruppe und diskutierten auch über offene Fragen, bei denen zum damaligen Zeitpunkt noch kein Konsens vorlag.

Es wurde bereits bei diesem Termin positiv festgestellt, dass Sachsen-Anhalt in der Neun-Länder-Gruppe mitwirkt und dass das Justizministerium meinungsbildend, konzentriert und erfolgsorientiert an dem Entwurf arbeitet. Das macht deutlich, dass wir keinen Wettbewerb nach unten beginnen. Im Interesse einer Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland und auch unter Wahrung internationaler Standards sind diese Länder übergreifenden Bemühungen nur zu begrüßen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf mögliche Verlegungen von Inhaftierten.