Protokoll der Sitzung vom 14.09.2007

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der LINKEN)

Es gilt, ein realistisches Bild zu zeichnen und konkrete Konsequenzen immer mit dem Ziel abzuleiten, für die Betroffenen optimale Qualitätsstandards zu sichern. Alle Verantwortlichen in der Pflege müssen sich diesem Kodex verpflichtet fühlen.

Ich sage das bewusst an dieser Stelle so deutlich, weil der MDK nach der Äußerung eines Verwaltungsratsmitgliedes des MDK, dass auch in Sachsen-Anhalt Pflegebedürftige verhungern, verdursten und eingesperrt werden, auf eine schriftliche Anfrage meines Hauses hin nicht einen Fall benennen konnte. Deshalb hoffe ich, dass noch einmal eine öffentliche Klarstellung erfolgt.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Es darf eben auch nicht passieren, dass gut arbeitende Einrichtungen mit ihren engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch Pauschaldarstellungen in Misskredit gebracht werden.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Es geht aber auch nicht um ein Schwarzer-Peter-Spiel, wie heute von der Liga zu lesen war. Es geht darum, dass wir keinen schwarzen Peter in unserem Land zulassen wollen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Menschen, die pflegebedürftig sind, müssen sich darauf verlassen können, dass die Gesellschaft sie nicht im Stich lässt, dass die sozialen Sicherungssysteme das Netz bilden, um die notwendigen Hilfen zu organisieren und zu finanzieren und dass die Qualität stimmt. Deshalb ist die Reform der Pflegeversicherung im Rahmen der Sozialreformen auch so wichtig und so bedeutsam. Sie haben es ausführlich geschildert, Herr Dr. Eckert.

Es gilt, die Pflegeversicherung noch besser auf die Bedürfnisse und Wünsche der Pflegebedürftigen wie auch der Angehörigen auszurichten. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung gerade bei uns in den neuen, in den ostdeutschen Bundesländern müssen die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden.

Mit zunehmendem Alter nimmt das Risiko der Pflegebedürftigkeit bei Bürgerinnen und Bürgern zu. Gleichzeitig wird in den kommenden Jahren die Zahl der jüngeren Menschen abnehmen, die sich im Rahmen der Familienpflege um die ältere Generation kümmern können. Mehr als 2,1 Millionen Menschen nehmen heute in Deutschland die Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch. Diese Zahl wird ansteigen.

Im Zentrum der Reform muss der pflegebedürftige Mensch mit seinen Wünschen und mit seinen Bedürfnissen stehen. Aus vielen Untersuchungen wissen wir, dass Pflegebedürftige in der Mehrzahl wünschen, so lange wie möglich in ihrem eigenen Haushalt zu leben und dort in vertrauter Umgebung betreut und gepflegt zu werden.

Daher werden in dem nun vorliegenden Referentenentwurf der Bundesregierung zur Reform der Pflegeversicherung strukturelle Änderungen vorgeschlagen, die dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ besser als bisher Rechnung tragen können. Das finde ich richtig, Herr Dr. Eckert. Das ist auch nicht so dahergesagt, sondern es werden ja konkrete Vorschläge gemacht.

(Zuruf von Herrn Dr. Eckert, DIE LINKE)

Hervorzuheben sind insbesondere die Anhebung der Leistungsbeträge im Bereich der häuslichen Pflege, auch die Einführung eines Anspruchs auf Pflegebegleitung sowie die Einführung von Pflegestützpunkten und Pflegezeiten. Zur Verbesserung der Situation demenzkranker Menschen, überhaupt aller Menschen mit eingeschränkten Alltagskompetenzen werden die Leistungen ausgeweitet. Das ist ein Aspekt, den wir lange diskutiert haben und der jetzt endlich im Gesetz verankert werden soll.

Die Qualität der Pflege hängt auch entscheidend davon ab, dass die erbrachten Leistungen ausreichend finanziert werden, dass den alters- und krankheitsbedingten Bedürfnissen Rechnung getragen wird und dass Qualitätsstandards definiert werden.

Auch ich bedauere es sehr, dass es uns in der nächsten Stufe der Pflegeversicherungsreform nicht gelingen wird, die Grundlagen für die Finanzierung in Gänze zu regeln. Es wird einen Beitragsanstieg geben. Dieser ist auch verkraftbar und in Ordnung. Wir brauchen die Milliarden Euro, die damit in das System gespült werden. Aber das ist noch keine generelle Lösung; diese muss noch kommen. Sie wird vermutlich der nächsten Legislaturperiode auf Bundesebene vorbehalten bleiben.

Beim Bundesgesundheitsministerium arbeitet eine Kommission an der Definition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Das ist nicht aus der Welt, sondern nach meiner Kenntnis soll im Jahr 2009 ein Ergebnis vorliegen. Es ist ein schwieriges Geschäft. Ich bedauere auch, dass es so lange Zeit in Anspruch nehmen muss. Aber die Grundlage wird kommen, davon bin ich überzeugt.

Ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Pflegequalität und zur Stärkung des Verbraucherschutzes ist in meinen Augen die Erhöhung der Transparenz von Qualitätsprüfungen des MDK bei Pflegediensten und stationären Einrichtungen unter Berücksichtigung einheitlicher Qualitätskriterien und damit vergleichbarer Kriterien und Bewertungen. Ich kann es daher nur begrüßen, dass die Prüfberichte des MDK in verständlicher Sprache aufbereitet und veröffentlicht werden sollen.

Im Vorgriff auf eine bundesgesetzliche Regelung haben wir in Sachsen-Anhalt als Initiative des Landespflegeausschusses einen Internetauftritt freigeschaltet, der Interessierten bessere Möglichkeiten der Information gibt. Diese Plattform steht allen Betroffenen, ihren Angehörigen, den Heimbeiräten und allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern offen.

Das Internetangebot ist aber nur ein erster und relativ kleiner Schritt. Die Veröffentlichung der Daten beruht auf Freiwilligkeit. Was wir dringend brauchen, ist der direkte und offene Leistungsvergleich zwischen allen Anbietern. Das erfordert aber erstens klare und bundesweit einheitliche Standards und Prüfkriterien und zweitens eine Pflicht zur Veröffentlichung der Ergebnisse von Qualitätskontrollen. Genau das wird unser Ansatz bei der Pflegereform sein.

Meine Damen und Herren! Qualität in der Pflege ist nicht per se gegeben. Sie vollzieht sich in einem kontinuierlichen Qualitätsentwicklungsprozess, an dem verschiedene Partnerinnen und Partner, wie die Träger, die Einrichtungen selber, das Pflegepersonal, der MDK und die Heimaufsicht, beteiligt sind. Der MDK überprüft dabei jährlich knapp ein Fünftel der Pflegeeinrichtungen im Land Sachsen-Anhalt. Die Heimaufsicht ist mindestens einmal pro Jahr in jeder der 433 stationären und Tagespflegeeinrichtungen im Land.

Im Jahr 2006 erfolgten 65 % der Kontrollen der Heimaufsicht angemeldet, 35 %, also etwa jede dritte Kontrolle, unangemeldet. Ich möchte, dass sich dieses Verhältnis wenigstens umkehrt. Kontrolle ist also im Grundsatz gewährleistet, aber nichts ist so gut, dass es nicht noch besser ginge.

Das vom MDK und der Heimaufsicht entwickelte System der gemeinsamen Qualitätsteams, das heißt, der monatliche Informationsaustausch zwischen den Kontrollinstanzen, muss vertieft werden. Jeder Pflegemangel in unserem Land - ich sage es noch einmal deutlich - ist ein Mangel zu viel. Sowohl der MDK als auch die Heimaufsicht haben allen Hinweisen, Kritiken und Anregungen sorgfältig nachzugehen und es muss auch noch stärker präventiv beraten werden.

Der Verbraucherschutz im Pflegebereich hat für mich eine hohe Priorität. Wesentliches Element des Verbraucherschutzes ist die umfassende Information der betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher, also sowohl derjenigen, die schon pflegebedürftig sind, als auch derjenigen, die auf der Suche nach Pflegeangeboten sind, wie auch des gesamten Umfelds.

Dem wollen wir mit unserem Heimgesetz, an dem wir im Ministerium arbeiten, in Sachsen-Anhalt gerecht werden. Wir werden dabei auch darüber zu diskutieren haben, inwieweit deutlichere Sanktionsmöglichkeiten seitens der Heimaufsicht möglich und notwendig sind. Ein Ziel wird es sein, nach einem nutzungsfreundlichen Raster für Betroffene und Angehörige relevante Informationen aus den jährlichen Prüfungen der Heimaufsicht konkret öffentlich zugänglich zu machen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da steht noch ein gewisser Berg an Arbeit vor uns - sowohl bei den Regelungen, die wir im Land Sachsen-Anhalt selbst treffen können, als auch bei den Debatten, die wir auf Bundesebene mit Unterstützung des Landes zu führen haben. Ich denke aber, dass das Thema wirklich wichtig ist und wir uns auch in den Gremien des Landtages damit weiter auseinander setzen sollten, und zwar nicht nur anlassbezogen. Das ist auch richtig, aber wir sind die Debatte der Bevölkerung und vor allem den Pflegebedürftigen immer schuldig.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Danke, Frau Ministerin. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Rotter.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage es gleich zu Anfang meiner Ausführungen - im Gegensatz zur Frau Ministerin -: Auf die heutige Aktuelle Debatte hätte ich liebend gern verzichtet. Leider ist das nach den Veröffentlichungen der

letzten Tage und dem dadurch ausgelösten Antrag der Fraktion DIE LINKE auf eine Aktuelle Debatte im Parlament nicht mehr möglich. Eine fundierte Analyse des Berichts des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen und eine anschließende kritische Aufarbeitung in den entsprechenden Gremien hätte ich für zielführender und der ohnehin emotional schon ziemlich aufgeladenen Situation angemessener erachtet.

(Beifall bei der CDU)

Die Veröffentlichung des Berichts des MDS hat deutschlandweit und auch hier bei ins im Land Sachsen-Anhalt eine zum Teil recht fragwürdige Diskussion ausgelöst.

Meine Damen und Herren! Ich möchte keinesfalls falsch verstanden werden. Die Ergebnisse dieses Berichts bedürfen mit Sicherheit einer kritischen und fachlich fundierten Aufarbeitung und Auseinandersetzung. Aber was in den letzten Tagen in Sachen Situation der Pflege, speziell bezogen auf unser Bundesland, gesagt und geschrieben worden ist, möchte ich in Teilen durchaus als grenzwertig bezeichnen.

(Beifall bei der CDU)

Ich will jetzt nicht - und ich werde das auch wohlweislich nicht tun - Schlagzeilen und geschilderte angebliche Horrorszenarien erwähnen oder aus entsprechenden Berichten zitieren. Jeder von Ihnen hat von solchen Dingen in der vergangenen Zeit selbst gehört oder gelesen.

Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, in meinen Ausführungen einige ganz persönliche Überlegungen anzustellen und Ihnen auch einige ganz persönliche Erlebnisse zu schildern. Ich möchte versuchen - und ich hoffe, es gelingt mir -, einen Beitrag der leisen Töne zu dieser Debatte beizusteuern; denn ich bin überzeugt davon, dass dieses Thema der leisen, aber bestimmten Töne bedarf.

Dabei sollten wir eines nicht vergessen und uns immer wieder ins Gedächtnis rufen: Wir reden hier über das Schicksal älterer Menschen und über das von Menschen mit Behinderungen. Ihnen ein würdevolles und weitgehend selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, muss das Ziel all unseres gesamtgesellschaftlichen Handelns sein.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Wir reden aber auch über Zigtausende von Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, andere zu pflegen. Wir reden von Tausenden pflegenden Angehörigen, die ihre Lieben aufopferungsvoll und mit Hingabe, zum Teil bis zur eigenen psychischen und physischen Erschöpfung betreuen. Wir reden von Tausenden - in der Überzahl von Frauen -, die die Pflege anderer zu ihrem Beruf gemacht haben oder noch machen wollen. Sie haben sich wohl einen der schönsten, aber auch einen der schwierigsten und aufzehrendsten Berufe ausgewählt.

(Beifall bei der CDU)

Das ist von mir nicht nur dahergesagt. Nein, ich glaube hier durchaus kompetent mitreden zu können, und zwar aus eigener Erfahrung. Meine Tochter erlernt seit über einem Jahr den Beruf der Altenpflegerin, nachdem sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Pflegeeinrichtung geleistet hat. In vielen Gesprächen nach Feierabend habe ich von ihr etwas über die Arbeit mit den durchweg an Demenz erkrankten Bewohnern in der Pflegeeinrichtung

erfahren. Sie berichtete mir über die Schwierigkeiten, aber auch über die vielen kleinen und größeren Erfolgserlebnisse im Miteinander mit den Heimbewohnern.

Meine Damen und Herren! Ich wehre mich im Namen der übergroßen Zahl der in der Pflege Beschäftigten gegen eine Pauschalverurteilung, wie sie zum Teil in der letzten Zeit praktiziert wurde.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Noch einmal: Ich möchte die Situation auf keinen Fall schönreden. Dem Bericht des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen mit dem Titel „Qualität in der ambulanten und stationären Pflege“ ist zu entnehmen, dass in der Pflege hierzulande nach wie vor ein Qualitätsproblem besteht, aus dem sich ein erheblicher Optimierungsbedarf in den ambulanten Pflegediensten und den stationären Pflegeeinrichtungen ergibt. Er zeigt aber auch auf, dass in den vergangenen Jahren erkennbare Anstrengungen zur Weiterentwicklung der Pflegequalität unternommen wurden. Bei vielen Kriterien ließen sich Verbesserungen nachweisen.

Meine Damen und Herren! In diesem Bericht ist weder von einem Pflegenotstand noch von verhungernden oder verdurstenden Menschen die Rede. Es ist ein Bericht der ehrlichen, bestimmten, mahnenden, aber auch der fordernden Töne. Es ist kein Bericht, der Angst macht - und das ist gut so.

Angst hat mir jedoch das Lesen so mancher Zeitungsmeldung gemacht - weniger wegen der geschilderten Situation in den Pflegeeinrichtungen unseres Landes, die ich durch etliche Besuche, auch als Mitglied einer Besuchskommission des Psychiatrieausschusses, einigermaßen zu kennen glaube.

Vielmehr ängstigt es mich, wenn öffentlich behauptet wird, dass auch in Pflegeeinrichtungen unseres Bundeslandes Pflegebedürftige verdursten, verhungern oder eingesperrt werden, ohne dass Ross und Reiter benannt werden. Ich frage mich: Wenn solche Fälle bekannt sind, warum sind sie dann nicht angezeigt worden?

Meine Damen und Herren! Wenn man von gravierenden Missständen spricht, sollte man diese kennen. Dann wäre die logische Konsequenz, sie anzuzeigen. Ich würde das jedenfalls tun.

Bei Besuchen in Pflegeeinrichtungen meines Wahlkreises und während meiner Tätigkeit als Mitglied in der Besuchskommission des Psychiatrieausschusses sind mir Fälle von mangelnder Pflege nicht bekannt geworden. Ich streite nicht ab, dass es sie gibt. Aber wenn ich sie bemerkt hätte, hätte ich entsprechende Schritte unternommen. Mit meiner Wahrnehmung der Situation und meinen Schlussfolgerungen daraus bin ich auch nicht allein.