Protokoll der Sitzung vom 14.09.2007

Wir beantragen keine Auszeit. Es steht jetzt lediglich zur Abstimmung, ob der Antrag zur Mitberatung in alle Ausschüsse gehen soll oder nicht. Wenn das keine Mehrheit findet, würden wir als CDU-Fraktion die Überweisung mitberatend in den Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr beantragen.

(Herr Wolpert, FDP: Der ist federführend! - Zurufe von CDU: Nein!)

Das war jetzt im Konjunktiv. Wie lautet nun der Antrag? Auszeit, ja? - Das ist kein Problem, es ist ohnehin jetzt Mittagspause. Genügen 45 Minuten für das Nachdenken?

Herr Präsident, die CDU-Fraktion möchte, dass das Thema im Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr mitberaten wird. Wir möchten aber nicht, dass der Antrag pauschal in alle Ausschüsse überwiesen wird. Das wäre aus unserer Sicht nicht sinnvoll. Deswegen müsste jetzt zunächst über den von Ihnen vorgestellten Antrag abgestimmt werden. Wenn dieser keine Mehrheit findet, müsste darüber abgestimmt werden, ob das Thema in den Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr geht.

Die Anträge stimmen in einem Punkt überein: Sie wollen alle eine Mitberatung im Ausschuss für Landesentwick

lung und Verkehr. Dann klären wir das erst einmal. Wer ist für die Mitberatung im Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr? Wer stimmt dem zu? - Das sind offensichtlich alle. Das ist erst einmal geklärt.

Jetzt geht es um weitere Ausschüsse. Der Antrag lautet: Überweisung in alle anderen ständigen Ausschüsse außer in den Petitionsausschuss und die jetzt schon beschlossenen Ausschüsse. - Herr Dr. Eckert, bitte.

Vielleicht darf ich noch einmal dafür werben. Warum? - Wir haben uns im Vorfeld Gedanken darüber gemacht, ob wir alle Ausschüsse oder ausgewählte Ausschüsse wollen. Aber wenn ich die Diskussion richtig verstanden habe, dass das eine sehr langfristige Aufgabe ist, dann hat das Thema natürlich Bedeutsamkeit für die Gestaltung im ländlichen Raum. Es hat auf die Bereiche Justiz, Recht und Verfassung und Bildung entsprechend weitgehende Auswirkungen, selbstverständlich auch auf den Bereich Inneres. Deshalb sollten wir uns nicht selbst beschränken. Wenn Herr Minister Daehre mit Recht darauf hinweist, dass die Städte, die Gemeinden und die Landkreise sich nicht unbedingt mit Eifer für die Barrierefreiheit einsetzen,

(Zuruf von Frau Weiß, CDU)

dann wäre das natürlich ein Grund, darüber entsprechend zu diskutieren. Deshalb bitte ich noch einmal, alle Ausschüsse außer dem Petitionsausschuss in die Diskussion einzubeziehen. - Danke schön.

Ich lasse jetzt noch einmal die Gegenrede zu. Wer möchte gegen diesen Antrag sprechen? Sonst stimmen wir einfach ab. - Gut.

Der Antrag lautet: Überweisung zur Mitberatung in alle weiteren Ausschüsse mit Ausnahme des Petitionsausschusses. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Die Fraktion DIE LINKE und Teile der Fraktion der FDP. Wer stimmt dagegen? - Die CDU- und die SPD-Fraktion sowie Teile der Fraktion der FDP. Damit ist dieser Antrag abgelehnt worden und die Frage ist damit geklärt. Der Antrag ist an die entsprechenden Ausschüsse überwiesen worden. Der Tagesordnungspunkt 15 ist damit beendet.

Ich unterbreche die Sitzung bis 13.15 Uhr.

Unterbrechung: 12.31 Uhr.

Wiederbeginn: 13.18 Uhr.

Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass wir aus der geringen Beteiligung nicht schließen müssen, dass die Kinderarmut uns nicht allen am Herzen liegt. Aber was hilft es? Wir sind schon zwei Minuten über die vereinbarte Zeit.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung

Strategien und Interventionen gegen Kinderarmut

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/852

Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drs. 5/873

Ich bitte zunächst Frau von Angern, den Antrag für die Fraktion DIE LINKE einzubringen. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich werde mich jetzt mit der Kritik an der Anzahl der Abgeordneten im Saal zurückhalten, weil es meine Fraktion ebenso betrifft.

(Zustimmung von Herrn Kosmehl, FDP, und von Herrn Kurze, CDU)

Die im so genannten Sommerloch veröffentlichten Zahlen zur Kinderarmut trafen zumindest die Sozialpolitikerinnen in diesem Hause nicht völlig unerwartet. Mit Stand vom April 2007 lebten exakt 80 867 Kinder im Alter unter 15 Jahren in Bedarfsgemeinschaften. Das sind 33,1 % aller unter 15-Jährigen, die in Sachsen-Anhalt leben. Im Jahr 2005 waren es noch 26,7 %. Mittlerweile allseits bekannte Studien, zum Beispiel der AWO und des DPWV, bestätigen diese Entwicklung. Die aktuellsten, jedoch noch vorläufigen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen einen leichten Rückgang in SachsenAnhalt um ca. 3 000 Kinder.

Egal, wie man es aber dreht, Fakt ist: Jedes dritte Kind in Sachsen-Anhalt lebt in Armut. Das, sehr geehrte Damen und Herren, ist ein Problem, das man erkennen muss; denn hieran wird die strukturelle Krise unserer Gesellschaft deutlich: Trotz des Geburtendefizits und der Wanderungsverluste steigt die Zahl der Menschen in Armut in unserem Bundesland stetig an. Immer mehr Kinder und Jugendliche sind mangelhaft gesellschaftlich integriert.

Diese Wahrheit müssen wir zunächst erkennen und deutlich benennen. Ihr Alternativantrag tut das ausdrücklich nicht - doch dazu später mehr.

Schauen wir einmal zurück: Anfang 2005 erlebte dieses Land den ersten Volkentscheid überhaupt zu dem wichtigen Thema Kinderbetreuung. Es ging um die Rückkehr zu dem Ganztagsanspruch für alle Kinder, unabhängig vom Erwerbsstatus der Eltern. Die Befürworter argumentierten, dass Kindern keine Bildungschancen abgeschnitten werden dürften, die ihnen viele Elternhäuser in der Regel leider nicht geben könnten.

Die Gegner sagten, zuallererst stünden die Eltern in der Pflicht und überhaupt müsse man sparen, damit künftige Generationen nicht unseren Schuldenberg tilgen müssten, und Einsparungen in Höhe von 40 Millionen € waren eben für den Moment durchaus lohnenswert. - Das war jetzt stark überspitzt formuliert, trifft aber durchaus den Kern der damaligen Debatte. Der Volksentscheid scheiterte.

Was erleben wir in diesen Tagen? - Angesichts dramatisch steigender Kinderarmut und vor dem Hintergrund der Krippenausbaupläne des Bundes schlägt die SPD nun vor, zur Ganztagsbetreuung für alle Kinder zurückzukehren. Ich habe Sie dafür gelobt, wohl wissend, dass Sie, sehr geehrte Kolleginnen der SPD-Fraktion, das Kinderförderungsgesetz mit herbeigeführt haben, manche mehr, manche weniger.

Meine Hoffnung wuchs, als nicht nur der Sozialpolitiker der CDU Gesprächsbereitschaft anzeigte, sondern auch

der CDU-Landesvorsitzende. Die Reaktion des Ministerpräsidenten in der Folge war jedoch: Es besteht kein Handlungsbedarf und bezogen auf die Einwohnerzahl gibt das Land mehr Mittel für diesen Bereich aus als alle anderen Bundesländer. - Diesem Machtwort ordnete sich die CDU-Fraktion dann wohl unter. Schade.

Selbst die Kirchen, die zu der Zeit des Volksentscheides noch vehemente Gegner der Ganztagsbetreuung für Kinder von Erwerbslosen waren, haben sich inzwischen in Sachsen-Anhalt ausdrücklich für eine Umkehr ausgesprochen, die an dieser Stelle eben keinen Rückschritt sondern einen enormen Fortschritt bedeuten würde.

Auch die Kirchen haben verstanden, dass es hierbei nicht um die Durchbrechung eines tradierten Familienbildes geht, sondern um eine dringende Veränderung für die Zukunft der Kinder. Es wäre wünschenswert, wenn die CDU an dieser Einstellung partizipieren würde.

Mein Fraktionsvorsitzender sagte es gestern bereits in seinem Beitrag zur Haushaltsberatung: Die SPD-Fraktion kann den Rechtsanspruch auf eine ganztägige Betreuung für alle Kinder gemeinsam mit der LINKEN herbeiführen. - Das Angebot steht und wir stehen zu unserem Wort.

Nun machten mich natürlich die Aussagen des Finanzministers sehr nachdenklich, der gestern zusammengefasst sagte: Alles hat seine Zeit, jede Politik hat ihre Zeit und wir haben jetzt ein Jahr lang Zeit. - Nein! Genau das ist es eben nicht der Fall. Wir haben keine Zeit. Schon jetzt hat Sachsen-Anhalt ein existenzielles Problem. Ich habe noch immer die Hoffnung, dass Sie und die CDU zu dieser Einsicht kommen und die im Land überfälligen Schritte gemeinsam mit uns einleiten.

Nun ist Kinderarmut aber nicht allein durch Veränderungen in der Kinderbetreuung wirksam zu begegnen. Diese Erkenntnis ist nicht neu und wurde auch bestätigt durch die im Oktober 2006 auf Antrag der Linkspartei im Rahmen der Selbstbefassung durchgeführte Anhörung zum Thema Kinderarmut im Sozialausschuss.

Verschiedene Experten vom DPWV, dem Deutschen Roten Kreuz, der Stadt Halle und der AWO waren eingeladen worden und stellten innerhalb dieses Gespräches konkrete Forderungen auf. Kinderarmut zu bekämpfen erfordert nämlich mehr. Kinderarmut zu bekämpfen erfordert, Strukturen sozialer Ungleichheit zu beseitigen.

„Gerechter zu verteilen sind Erwerbsarbeit, Einkommen, Vermögen und Lebenschancen, um das gesellschaftliche Problem der Kinderarmut zu lösen.“

Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von dem Armutsforscher Professor Dr. Christoph Butterwegge. Dieser Satz verdeutlicht den Querschnittscharakter, den Maßnahmen zur Armutsbekämpfung haben müssen. Er macht damit gleichzeitig auf die Notwendigkeit aufmerksam, Politikfelder im Sinne einer integrierten Strategie zu verknüpfen.

Natürlich ist dabei zunächst der Bund gefragt. Es bedarf aus unserer Sicht dringender Veränderungen beim Kinderzuschlag und einer Schaffung eines eigenständigen, nicht abgeleiteten Regelsatzes für Kinder und Jugendliche.

Doch was bedeutet das konkret? - Ein eigenständiger Regelsatz für Kinder und Jugendliche nimmt deren Lebenslagen und Bedürfnisse ins Visier und bricht nicht

einfach den Erwachsenenwarenkorb prozentual herunter. Es ist nahezu ein Skandal, dass der Kinderregelsatz Ausgaben für Bildung nicht berücksichtigt. Ebenso sollte man sich ernsthaft fragen, ob für 2,58 € pro Tag eine gesunde Ernährung, für 68 Cent pro Tag kindgerechte Bekleidung und für 27 Cent pro Tag eine ausreichende Gesundheitspflege auch nur in Ansätzen machbar ist.

Armut bezeichnet im engeren Sinne eine materielle Mangelsituation. Im weiteren Sinne werden jedoch weitere Armutsdimensionen erkennbar: geringe Bildungschancen, mangelnde kulturelle und soziale Teilhabe, geringere gesellschaftliche Integration und allgemein sinkende Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben, unabhängig von staatlichen Transfers, und das mittlerweile über Generationen hinweg. Es ist kein Geheimnis mehr, dass Armutslebenslagen quasi vererbt und geerbt werden.

Wenn man Generationen in den Blick nimmt, sind wir schnell beim Thema der Familienpolitik. Problematisch ist hierbei nicht nur die momentane Höhe der familienpolitischen Transferleistungen, sondern vor allem deren Verteilungsstruktur. Diese berücksichtigt keine sozialen Unterschiede. Im Familienlastenausgleich sollten nicht Kinderlose im Sinne der Eltern belastet werden, sondern es sollte eine Umverteilung von oben nach unten stattfinden. Ebenso sollte das Kindergeld nicht auf das ALG II angerechnet werden. Die Anrechnung trifft nämlich die ohnehin Schwächsten der Gesellschaft. Insgesamt brauchen wir eine stärker kindorientierte Sozialpolitik.

Der Blick in Richtung Bundespolitik allein wird aber nicht zum Ziel führen. Wir müssen darüber hinaus prüfen, was im Land und was in der Kommune möglich ist. Veränderungen in der Kinderbetreuung habe ich bereits benannt. Sie sind wichtig, um einen chancengleichen Einstieg zu ermöglichen. Unsere Modelle eines kommunalen Familienpasses und einer kommunalen Sozialpauschale will ich daher auch erwähnen.

Weiter geht es im Schulsystem. Der Bildungskonvent in Sachsen-Anhalt darf bei seiner Arbeit auf keinen Fall das Problem der Kinderarmut außer Acht lassen. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass für uns die Überwindung des selektierenden Schulsystems dabei im Vordergrund steht. Eine Schule für alle Kinder hilft Benachteiligungen zu überwinden und hat nichts mit Gleichmacherei zu tun.

Im Bereich der Bildungspolitik bleibt schließlich noch der dringende Hinweis darauf, dass die Schließung von Bibliotheken in den Kommunen, die Beschneidung der Lernmittelfreiheit und vor allem auch die Einführung von Studiengebühren kontraproduktiv wirken.

Als äußerst problematisch ist natürlich auch der Gesundheitszustand vieler Kinder anzusehen. Auch dieser korreliert mit Armut. Auf der einen Seite treten vermehrt übergewichtige Kinder auf, was auf eine falsche, ungesunde Ernährung und auf Bewegungsmangel zurückzuführen ist. Gerade für sie benötigen wir unter anderem kostengünstigere oder kostenfreie Freizeitgestaltungsangebote, wie in Sportvereinen, um dem entgegenzuwirken.

Auf der anderen Seite steigt die Zahl der Kinder, bei denen bei der Schuleingangsuntersuchung festgestellt wird, dass sie unterernährt sind. Die Zahl der Kinder, die zu den so genannten Tafeln gehen, steigt ebenfalls. Außerdem steigt die Zahl der Schuldner, die für das

Essengeld in der Kita oder der Schule nichts zahlen können. Denken Sie dabei an die 2,58 € pro Tag gemäß Regelsatz. Nun werde ich an dieser Stelle keine kostenlose Kita- und Schulspeisung für alle Kinder fordern, weil das finanziell vom Land nicht in der Gänze zu leisten wäre und auch nicht erforderlich ist.