Protokoll der Sitzung vom 14.09.2007

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Eckert, das Thema, welches Sie heute zur Sprache gebracht haben, ist für uns alle nicht neu. Ihre Fraktion und selbstverständlich gerade Sie haben sich zu diesem Thema mehrfach eingebracht. Sie können insoweit ja auch aus dem Nähkästchen plaudern, als gerade im Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr nicht nur bei Kaffee und Kuchen mit den Verbänden über Barrierefreiheit,

behindertenfreundliches und entsprechendes Bauen gesprochen wird; denn das ist gerade das, wo man es greifbar und erlebbar gestaltet und zukunftsweisend in Barrierefreiheit investiert.

Das ist wichtig, da Menschen mit Behinderungen Hilfe brauchen, um selbstbestimmt leben, wohnen und arbeiten können, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Sie haben Anspruch auf die hierzu notwendige Solidarität und Unterstützung. Unser Minister sagte eben, dass jeden ein Schicksalsschlag von heute auf morgen in einen Fahrstuhl - gemeint ist nicht der Fahrstuhl in Nebra, das ist ein Aufzug - im Sinne eines Rollstuhls drängen kann. Auch wenn wir die Barrierefreiheit verwirklicht haben, bedeutet dies für jeden schlimme Einschnitte. Das ist klar.

Außerdem zur demografischen Situation. Sie sagten es, Herr Eckert. Unser Minister hat es wiederholt. Ein Viertel der Bevölkerung unseres Landes wird in absehbarer Zeit im Rentenalter sein. Nun, dank der Fitness-Programme und der Gesundheitsvorsorge heutzutage werden Gott sei Dank nicht mehr alle gleich multimorbide Patienten sein und Behinderten-WEs benötigen. Nur müssen wir heute selbstverständlich planen und barrierefrei bauen.

Deshalb hat die CDU die schulische, berufliche und soziale Integration von Menschen mit Behinderungen stets aktiv unterstützt und sich auf allen Politikebenen dafür eingesetzt, dass die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für ein selbstbestimmtes Leben geschaffen werden. In diesem Bereich haben wir in den letzten 17 Jahren, auch dank der Hilfe insbesondere durch die Betroffenen selbst, sehr viel erreicht. Beispielsweise haben die Mitglieder des Landesbehindertenrates oder die Gremien des runden Tisches für Menschen mit Behinderungen mitgewirkt, wo auch Sie, Herr Eckert, mitarbeiten.

Im Rahmen des Stadtumbaues Ost - der Minister erwähnte es eben schon - wird seit dem Jahr 2003 die barrierefreie Kommune ausgelobt. Bereits im Jahr 2005, sehr geehrter Herr Dr. Eckert, hat meine Heimatstadt - wir haben uns im Stadtrat damit aktiv beschäftigt - den dritten Platz erreicht. Übrigens hat die Stiftung LutherGedenkstätten, die zuletzt das Geburts- und Sterbehaus in Eisleben und davor das Luther-Haus in Wittenberg saniert hat, die Barrierefreiheit in denkmalgeschützten Bauten verwirklicht. Damit wurde Barrierefreiheit nicht nur in Neubauten mit musealem Charakter wie dem Gebäude in Nebra verwirklicht. Das beweist, dass natürlich auch das Kultusministerium die Barrierefreiheit mit umsetzt; denn die Stiftung Luther-Gedenkstätten ist eine landeseigene Stiftung.

Angefangen bei den barrierefreien Kommunen über den barrierefreien Wohnungsbau bis hin zum barrierefreien öffentlichen Personennahverkehr gibt es allein im Fachbereich Landesentwicklung und Verkehr viele Programme und Aktionen, die die Landesregierung erfolgreich initiiert hat und die von der CDU selbstverständlich unterstützt werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Gleichwohl ist das ehrgeizige Ziel, eine durchgängige Barrierefreiheit zu schaffen, noch nicht erreicht worden. Ein Aktionsprogramm „Barrierefreies Sachsen-Anhalt“ könnte uns diesem Ziel näher bringen, wobei ich Probleme mit dem Begriff „Aktionsprogramm“ habe. Das impliziert immer Aktionismus, und hinterher vergessen wir alles.

(Beifall bei der CDU)

Das ist uns aber eine Herzensangelegenheit. Wir wollen es durchgängig realisieren. Deshalb lassen Sie uns im Ausschuss nicht nur darüber debattieren, sondern handfeste Programme in Zusammenarbeit mit unserem bewährten Minister gerade auch zu dieser Frage aufstellen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Scheurell. - Nun erteile ich Frau Dr. Hüskens für die FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE hat mit dem Antrag einen außerordentlich komplexen Antrag eingebracht, auch wenn Herr Dr. Eckert das Ganze nur als Eckpunktepapier bezeichnet hat. Ich sage einmal, dass ich dem Thema nicht gerecht werden würde, wenn ich versuchen würde, das in einer Fünfminutendebatte ausführlich auszuloten. Da ich den Ausführungen von Herrn Daehre und Herrn Scheurell entnommen habe, dass wir eine Ausschussüberweisung bekommen und eine ausführliche Diskussion führen werden, brauche ich das auch nicht zu tun.

Deshalb weise ich nur auf zwei grundsätzliche Überlegungen hin. Ich glaube, dass wir uns alle einig sind, dass es ganz wesentlich ist, dass Menschen mit Behinderungen einen möglichst freien Zugang zu allen Lebensbereichen haben und dass nicht durch technische oder andere Hindernisse zusätzliche Handicaps entstehen. Ich glaube, jeder von uns kann es sich ganz gut vorstellen, dass es mit dem selbstbestimmten Leben nicht weit her ist, wenn für jede Straßenbahnfahrt oder jeden Weg außerhalb der eigenen vier Wände eine Assistenz nötig ist.

Gleichzeitig ist mir und Ihnen sicherlich auch klar, dass wir diese Handicaps nicht mit einem Beschluss des Landtages aus dem Weg räumen können. Das ist auch von Herrn Daehre schon betont worden. Als Finanzpolitiker weiß ich natürlich auch, dass die Landesfinanzen endlich sind und wir eine ganze Reihe von in Ihrem Antrag genannten Vorhaben sicherlich in eine zeitliche Schiene stellen müssen. Ich glaube, wir sollten diesbezüglich den Menschen im Lande nichts vormachen.

Deshalb unterstützen wir eine Ausschussüberweisung. Ich halte das für sinnvoll. Vielleicht sollten wir dort neben einer weiteren inhaltlichen Qualifizierung des noch Erforderlichen überlegen, welche zeitlichen Schienen wir angehen können. Denn ich glaube, dass den Landtag auch dieser Punkt interessieren sollte, damit man hinterher einmal sehen kann, was in den fünf oder zehn Jahren umgesetzt worden ist, ob das Aktionsprogramm oder das Eckpunktepapier Realität geworden ist, um den Bürgern in unserem Land sagen zu können, dass das einmal Beschlossene Stück für Stück umsetzt worden ist, sodass die Lebensqualität für die Bürger in unserem Land an jedem Tag ein Stück weit besser geworden ist. In diesem Sinne sollten wir das Ganze konstruktiv in den Ausschüssen begleiten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Dr. Hüskens. - Nun hören wir Frau Dr. Späthe für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Herr Dr. Eckert hat in seiner Antragsbegründung gesagt: Eigentlich dachte ich, ich könnte mir die Werbung dafür ersparen. - Ich kann dazu nur sagen: Recht hat er. Dieser Antrag ist dermaßen breit angelegt, dass man ihn wirklich nur als einen Anstoß zum Nachdenken und als eine Aufforderung zum Handeln betrachten kann, und zwar ressortübergreifend.

Das heißt, dieses Problem sollte ausnahmslos alle Ressorts beschäftigen. Diesbezüglich sehen wir noch deutliche Defizite. Herr Dr. Daehre hat für das Bauministerium und für das Sozialministerium in Vertretung gesprochen. Aber auch dabei haben wir gesehen, dass der Begriff „barrierefrei“ immer noch zu sehr mit baulichen Voraussetzungen besetzt ist. Wir sehen zum Beispiel Defizite beim barrierefreien Umsetzen von Bildungsprogrammen durch das Kultusministerium im Bereich der integrativen Beschulung. Dazu haben wir bereits angeregt, eine gemeinsame Sitzung des Sozialausschusses und des Bildungsausschusses durchzuführen. So müssen wir es nach und nach mit allen Ressorts tun.

Was wir brauchen, ist weniger ein barrierefreies Sachsen-Anhalt als vielmehr ein barrierefreies Denken. Wenn das einmal durch ist, dann ist die Durchsetzung von Bauvorschriften und Ähnlichem solch eine Selbstverständlichkeit, dass wir sie nicht immer wieder aufrufen müssen. Insofern befürworten wir die Überweisung des Antrags in alle Ausschüsse sehr, um eine breite Diskussion anzustoßen.

Lassen Sie mich zum Schluss Ihre Aufmerksamkeit bitte noch einmal auf den Beschlusstext werfen.

Der Antrag lautet wie folgt: Wir möchten ein Aktionsprogramm mit folgenden Eckpunkten erarbeiten. Unter Punkt 1 können wir lesen: Gegen die Barrieren in den Köpfen soll die Landesregierung gemeinsamen mit den Behindertenverbänden ein Jahrzehnt der Barrierefreiheit ausrufen. - Und weiter: Diese Dekade dient der Sensibilisierung der Menschen und der Verwaltungen, was für Wesen dort auch immer arbeiten. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Späthe. - Zum Abschluss noch einmal Sie, Herr Dr. Eckert, wenn Sie es wünschen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie einige Anmerkungen zum Abschluss. Zunächst will ich mich bei Herrn Scheurell entschuldigen, weil ich zwei Sekunden unaufmerksam war.

Dann möchte ich noch einmal deutlich sagen: Es geht um Barrierefreiheit und nicht um Behindertenfreundlichkeit. Behindertenfreundlichkeit ist sehr eingeschränkt. Wir wollen Barrierefreiheit und dabei geht es nicht nur um Bauliches, sondern es geht um das Denken, um die Bildung, um Zugänge, das heißt um sehr viel mehr und vor allen Dingen auch um Barrierefreiheit in der Kommunikation.

Ich kann alle Stadträte nur bitten: Gehen Sie einfach mal auf die Internetseite Ihrer Heimatstadt und versuchen Sie, dort Debattenbeiträge für die Barrierefreiheit, also für die Zugänglichkeit für Blinde herauszufinden. - Sie

werden ein großes Problem haben. Fast nirgendwo ist das umgesetzt, aber laut Bundesgleichstellungsgesetz soll es im Jahr 2009 verpflichtend sein. Schauen Sie einfach nach! Da haben wir noch Nachholbedarf.

Zweitens. Herr Dr. Daehre, zum Einfamilienhaus. Völlig klar, ich möchte niemandem etwas vorschreiben. Aber ich möchte schon, dass es auch dem Bauherrn eines Einfamilienhauses bewusst ist, dass er Eltern hat, die älter werden und möglicherweise mal zu ihm nach Hause kommen wollen. Leider Gottes - da haben Sie Recht - denken viele Menschen in jüngerem Alter nicht daran.

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Daehre)

Deshalb wäre es günstig, entsprechende Beratungsangebote zur Verfügung zu stellen, bestimmte Dinge einfach anzusprechen. Darin stimme ich Ihnen völlig zu: Festschreiben bzw. vorschreiben würde ich Derartiges für ein Einfamilienhaus überhaupt nicht; es sei denn - diesbezüglich sind wir meines Erachtens d’accord -, dass Fördermittel des Landes darin stecken. Ich habe ein Beispiel dafür, das will ich aber noch nachprüfen.

Zu den Wohnungsgesellschaften. Es gibt dort eine Reihe von sehr begrüßenswerten Initiativen. Ich kann nur unterstreichen, dass ich für diesen Bereich vor allem Beratungsbedarf sehe. Auf der anderen Seite möchte ich darauf hinweisen, dass beispielsweise im Land Brandenburg der dortige Bauminister vor Kurzem ein Programm angestoßen hat, in dessen Rahmen bestimmte Neu-Altbauten mit Fahrstühlen und ähnlichen Zugangsmöglichkeiten versehen worden sind. Es wäre zu überlegen, ob Derartiges in solch einem Umfang auch für uns eine Maßnahme wäre, die man prüfen sollte. Mir geht es darum, dass man tatsächlich darüber diskutiert.

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Daehre)

- Ja, das war im Land Brandenburg, in Potsdam ganz konkret. Es wurde im „Spiegel“ darüber berichtet.

Bezüglich des öffentlichen Personennahverkehrs, Herr Dr. Daehre, möchte ich vor allen Dingen, dass Ihr Ministerium bei den Planungen der neuen Landkreise zum ÖPNV prüft, ob die Behindertenverbände, ob Behindertenbeauftragte, ob Beiräte in der Realität beteiligt worden sind. Wenn das der Fall ist, dann haben sie mehr getan, als bisher gemacht worden ist.

Abschließend möchte ich noch einmal ganz deutlich Folgendes unterstützen: Es ist völlig richtig, dass das, was wir anregen, keine Aktivität für drei Jahre ist. Es ist ein umfassendes Programm, zunächst in Bezug auf das Denken, aber auch in Bezug auf die Realität. Ich kann überhaupt nicht behaupten, dass nichts passiert ist. Was man aber sagen muss, ist: Es ist leider noch nicht das passiert, was man hätte machen können. Schauen Sie sich einfach an, wie wir in der Vergangenheit das Thema schrittweise in das Bewusstsein gehoben haben.

Ein Letztes zum „Aktionsprogramm“. Ich muss Ihnen sagen: Es ist mir vollkommen egal, wie man das Kind nennt. Wichtig ist, dass etwas passiert. Wichtig ist, dass wir die Zukunftsfähigkeit des Landes sichern und dass die Menschen in jeder Situation an der Gesellschaft teilhaben können. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Eckert. - Es wird die Federführung durch den Sozialausschuss beantragt. Ist das auch die

allgemeine Meinung? Dann stimmen wir darüber ab. Zunächst also über die Überweisung zur federführenden Beratung in den Sozialausschuss. Wer stimmt zu?

(Zurufe von der CDU: Nein! - Verkehrsausschuss federführend!)

- Gut. Dann erst nachdenken und noch einmal.

Es gibt zwei Anträge. Der eine lautet: Überweisung zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Soziales. Der zweite lautet: Überweisung zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr.

Ich lasse über den ersten Antrag, Überweisung zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Soziales, zuerst abstimmen. Wer stimmt zu? - Fraktion DIE LINKE, FDP-Fraktion und geringe Teile der SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? - CDU-Fraktion. So schwierig es ist, jetzt müssen wir zählen. - Ich höre gerade, die Mehrheit war für den Ausschuss für Soziales. Also berät der Ausschuss für Soziales federführend.

Ein weiterer Antrag lautete: Mitberatung in allen Ausschüssen außer dem Petitionsausschuss. Gibt es dazu gegenteilige Meinungen? - Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir darüber ab. Wer stimmt diesem Antrag, Mitberatung in allen Ausschüssen mit Ausnahme des Petitionsausschusses, zu?

(Unruhe)

Beantragt jemand eine Auszeit?

(Heiterkeit und Zustimmung bei der FDP)

Herr Gürth, bitte.

Wir beantragen keine Auszeit. Es steht jetzt lediglich zur Abstimmung, ob der Antrag zur Mitberatung in alle Ausschüsse gehen soll oder nicht. Wenn das keine Mehrheit findet, würden wir als CDU-Fraktion die Überweisung mitberatend in den Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr beantragen.