Protokoll der Sitzung vom 14.09.2007

Vielen Dank, Frau von Angern. - Wir stimmen zunächst über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Ausschussüberweisung, den Frau von Angern gerade noch einmal gestellt hat, und damit automatisch auch über die Überweisung des Alternativantrags ab. Es ist eine Überweisung zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Soziales und zur Mitberatung an alle anderen Ausschüsse, ausgenommen den Petitionsausschuss, wenn ich das richtig verstanden habe, beantragt worden. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Die Antragsteller. Wer stimmt dagegen? - Alle anderen. Damit ist der Antrag auf Überweisung abgelehnt worden.

Nun stimmen wir über den Antrag der Fraktion DIE LINKE ab. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Die Antragsteller. Wer stimmt dagegen? - Alle anderen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt worden.

(Frau Budde, SPD: Geht doch! - Heiterkeit bei der CDU und bei der SPD)

Jetzt stimmen wir über den Alternativantrag der Fraktionen von CDU und SPD in der Drs. 5/873 ab. Wer stimmt

zu? - Die Antragsteller und die FDP. Wer stimmt dagegen? - Die Fraktion DIE LINKE. Damit ist dieser Alternativantrag mit großer Mehrheit angenommen worden und der Tagesordnungspunkt 16 ist damit beendet.

Meine Damen und Herren! Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung

Nachträgliche Sicherungsverwahrung für jugendliche Straftäter

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/854

Die Einbringerin ist die Abgeordnete Frau von Angern für die Fraktion DIE LINKE. Bitte schön, Sie haben das Wort.

(Herr Tullner, CDU: Schon wieder! - Herr Stahl- knecht, CDU: Das sind ja Festspiele!)

Ja, gewöhnen Sie sich dran.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Nachträgliche Sicherungsverwahrung soll nun künftig auch bei nach Jugendstrafrecht Verurteilten verhängt werden können

(Herr Stahlknecht, CDU: Gott sei Dank!)

- ein Novum, aber nicht unbedingt im positiven Sinne. Das Bundeskabinett hat im Sommer 2007 auf Vorschlag der Bundesjustizministerin Zypries den Entwurf eines entsprechenden Gesetzes beschlossen.

(Unruhe)

Ich bitte um Ruhe, meine Damen und Herren, damit wir die letzten beiden Tagesordnungspunkte noch ordentlich über die Bühne bekommen. - Herzlichen Dank.

Danke schön. - Das Bundeskabinett hat im Sommer 2007 auf Vorschlag der Bundesjustizministerin Zypries den Entwurf eines entsprechenden Gesetzes beschlossen. Er bedarf noch der Behandlung im Bundesrat und im Bundestag. Hiernach sollen zukünftig auch jugendliche Straftäter ab 14 Jahren nach Verbüßung einer mindestens siebenjährigen Haftstrafe in Sicherungsverwahrung genommen werden können.

Die Sicherungsverwahrung ist eine Maßregel. Sie ist eine der schärfsten Sanktionen, die das deutsche Strafrecht vorsieht. Sie verhindert, dass ein Straftäter aufgrund einer vermuteten erheblichen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sowie Unverbesserlichkeit in Freiheit kommt, obwohl er seine gerichtlich festgesetzte Strafe voll verbüßt hat. Das kann mitunter ein Leben lang sein. Daher wird die Sicherungsverwahrung zuweilen auch als das Damoklesschwert des Strafrechts bezeichnet. Dieses Schwert soll zukünftig nun auch bei jugendlichen Straftätern zum Einsatz kommen dürfen.

Die abschließend aufgezählten Delikte, die eine nachträgliche Sicherungsverwahrung begründen sollen, um

fassen schwerste Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung, außerdem Raub oder Erpressungsverbrechen mit Todesfolge. Dabei bedarf es ferner einer Würdigung und Prüfung der Persönlichkeit des Jugendlichen unter Einbeziehung seiner Entwicklung während des Vollzugs der Jugendstrafe mit der Feststellung, ob von dem Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit künftig Straftaten der vorgenannten Art zu erwarten sind oder nicht. Im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht bedarf es in der Folge einer jährlichen Prüfung dieser Voraussetzungen.

In der Begründung zu dem Gesetzentwurf heißt es unter anderem, Beispiele in der jüngeren Vergangenheit hätten gezeigt, dass auch junge Straftäter trotz Verbüßung einer mehrjährigen Jugendstrafe wegen schwerer Verbrechen weiterhin in hohem Maße für andere Menschen gefährlich sein könnten. Weiter heißt es, dass das bisherige Recht keine ausreichende rechtliche Grundlage biete, um ihnen zum Schutz der Allgemeinheit weiterhin die Freiheit zu entziehen. Und: Gleichwohl erfordere es der Schutz potenzieller Opfer, dass für solche Extremfälle eine angemessene Rechtsgrundlage zur Verfügung stehe, um entsprechend gefährliche Personen in staatlichem Gewahrsam zu belassen.

Damit wird der staatliche Schutzauftrag gegenüber potenziellen Opfern dem schwerwiegenden Grundrechtseingriff bei einem potenziellen Täter gegenübergestellt. Zugleich wird suggeriert, dass hierin die Lösung für ein zweifelsfrei sehr schwieriges Problem liegt. Doch gibt es die tatsächlich?

Kritiker nennen den im Bundesrat liegenden Gesetzentwurf eine Bankrotterklärung für den deutschen Strafvollzug bzw. sprechen, wie beispielsweise der Richterbund, offen von Populismus.

(Beifall bei der LINKEN und bei der FDP)

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass ich das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel, nämlich den Schutz potenzieller Opfer, als durchaus legitim erachte.

(Herr Stahlknecht, CDU: O je!)

Meine Fraktion nimmt die dabei existierenden Sorgen und Ängste, die erhobenen Forderungen nach konsequenter Bestrafung der Täter sowie nach einem wirksamen Schutz vor künftigen Verbrechen äußerst ernst.

(Herr Gürth, CDU: Das glaubt Ihnen aber keiner!)

Aber der eingeschlagene Weg wird unweigerlich in eine Sackgasse führen.

(Herr Tullner, CDU: Aber wo bleibt die Tat?)

Doch begeben wir uns nun in das Innere des Gesetzentwurfs, seine Begründung und vor allem auch in sein rechtliches Umfeld. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellte man fest, dass Jugendliche nicht nur im Allgemeinen anders sind als Erwachsene, sondern eben auch im Besonderen, in ihrem Wirken als Straftäter. Junge Straftäter befinden sich im Herauswachsen aus der Kindheit und im Hineinwachsen in die Erwachsenenwelt. Das ist eine für sie schwierige und konfliktreiche Situation, die jedoch nicht zwangsläufig in eine Straftat münden muss und auch nicht als Rechtfertigung herhalten kann.

Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Delinquenz bei jugendlichen Straftätern oft nur eine Episode

während ihrer Entwicklung hin zum Erwachsenen darstellt und sie später in der Regel ein gänzlich straffreies Leben führen. Auch schwere Verbrechen, welche die Ausnahme darstellen, werden nicht selten aus einer einmaligen Konfliktlage oder einer ganz spezifischen Situation heraus begangen.

(Herr Gürth, CDU: Macht das tote Opfer wieder lebendig? - Frau Dirlich, DIE LINKE: Natürlich nicht!)

Dem Rechnung tragend, sind Sanktionen im Jugendstrafrecht primär auf den Täter und seine Person ausgerichtet. Es handelt sich deshalb vordergründig um ein Erziehungsstrafrecht.

Zum Vergleich: Im Erwachsenenstrafrecht steht hingegen die schuldhafte Tat im Vordergrund, da Erziehungsmöglichkeiten als beschränkt erachtet werden. Im Mittelpunkt steht damit die Tat.

Diese gravierende Unterscheidung spiegelt sich in den Sanktionen wieder, die bei jungen Tätern eben der Erziehung und bei Erwachsenen vor allem dem Schuldausgleich dienen. Dabei gilt der Grundsatz eines tatbezogenen Strafrechts. Dieser Grundsatz wird sowohl im geltenden Erwachsenenstrafrecht als auch im Gesetzentwurf zur nachträglichen Sicherungsverwahrung für jugendliche Straftäter durchbrochen.

Vor dem Hintergrund des im Jugendstrafrecht berechtigterweise hoch gehaltenen Erziehungsgedankens halte ich die geplante Verschärfung im Jugendstrafrecht für noch weitaus zweifelhafter, weil der Erziehungsgedanke bei einer Gruppe von jugendlichen Straftätern für nichtig erklärt wird. Im Übrigen gebe ich zu bedenken, dass gerade wegen des Erziehungsgedankens hinsichtlich der Jugendstrafe seinerzeit bewusst eine Höchstgrenze von zehn Jahren eingeführt wurde.

(Herr Gürth, CDU: Was ist mit den Opfern und den potenziellen Opfern?)

Damit sollte eine lebenslängliche Strafe für Jugendliche ausgeschlossen sein, was jetzt durch lebenslanges Wegsperren ebenfalls durchbrochen wird.

Bei jungen Menschen, die über eine kürzere Lebensgeschichte verfügen und deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, ist eine ausreichend sichere Gefährlichkeitsprognose nur sehr schwierig zu treffen. Das Fehlerrisiko ist bei ihnen hoch. Dennoch heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf im Kapitel „Lösung“, dass der Gesetzgeber heute nicht mehr ausnahmslos davon ausgeben kann, dass sich bei jungen Menschen die erforderliche Gefährlichkeitsprognose niemals mit ausreichender Sicherheit treffen lässt.

Bei einer derart seriösen Feststellung ist die Frage erlaubt, was sich von gestern zu heute verändert hat. Diese Antwort bleibt die Begründung jedoch schuldig, vermutlich weil es sich um eine schwer nachweisbare These handelt.

Aber sie führt zumindest zu einem entscheidenden Problem bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung, nämlich dem des hohen Fehlerrisikos bei der Begutachtung von jungen Straftätern. Zu Recht wird in der Begründung zu dem Gesetzentwurf nämlich trotzdem festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Verurteilung eine ausreichend sichere Gefährlichkeitsprognose nicht möglich ist, weil die Entwicklung der Jugendlichen und Heranwachsenden noch nicht abgeschlossen ist.

Die Frage ist jedoch, ob eine solche Prognose für einen jungen Menschen dann nach sieben Jahren Haft tatsächlich zu einer Erhöhung der Prognosesicherheit führt. Zumindest diese Bedenken teilt die Bundesregierung. Sie zieht unserer Ansicht nach jedoch nicht ausreichend Schlüsse daraus. Das Argument, es würde nur wenige Fälle, also Menschen betreffen, kann dabei wahrlich nicht befriedigen.

Entscheidend aus der Sicht meiner Fraktion muss jedoch Folgendes sein. Die Verurteilung zu einer freiheitsentziehenden Maßnahme muss unbedingt Bestandteil eines Strafverfahrens aufgrund einer konkreten Anlasstat sein. Der Grundsatz eines tatbezogenen Strafrechts muss gewahrt werden. Eine Freiheitsstrafe ist an sich bereits einer der gravierendsten Eingriffe in eines der entscheidendsten Grundrechte überhaupt, das auf persönliche Freiheit. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung verschärft die Problematik entscheidend weiter und ist rechtlich äußerst bedenklich.

(Herr Tullner, CDU: Aber beim Täter doch!)

Eine umso fatalere Wirkung hat dies im Jugendstrafrecht, weil das Jugendstrafrecht zum einen aufgrund des Erziehungsziels kein Nebeneinander von Strafe und Maßregel vorsieht. Zum anderen kann bei der Prognose gerade wegen der Entwicklung von jungen Menschen nicht von einer Unverbesserlichkeit gesprochen werden. Von eingeschliffenen Verhaltensmustern kann gerade bei ihnen nicht die Rede sein.

Ein weiteres Problem sehe ich darin, dass die Prognose auf der Grundlage von Tatsachen erstellt werden muss, die sich im Rahmen des Vollzugs ergeben haben, also nicht unter natürlichen, alltäglichen und normalen Bedingungen. Der Alltag in der Anstalt unterscheidet sich grundsätzlich vom Leben außerhalb, sodass eine seriöse Prognose nur begrenzt möglich oder gar unmöglich ist.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der jugendliche Straftäter nach der Verbüßung einer siebenjährigen Jugendstrafe zwangsläufig 21 Jahre alt und damit erwachsen im Sinne des JGG ist, schon allein deshalb, weil man sich vor Augen halten muss, dass dieser junge Mensch den Großteil seiner jugendlichen Entwicklungsphase im Gefängnis verbracht hat.

Wenn wir zudem einmal in den Jugendstrafvollzug hineinschauen und die Bedingungen und Voraussetzungen betrachten, dann stellen wir fest, dass dort nach wie vor einiges im Argen liegt. Die Gesetze sind in den Ländern zwar auf den Weg gebracht worden und teilweise schon in Kraft getreten. Doch das, was in den Jugendanstalten passiert, ist noch lange nicht befriedigend.