Wenn wir zudem einmal in den Jugendstrafvollzug hineinschauen und die Bedingungen und Voraussetzungen betrachten, dann stellen wir fest, dass dort nach wie vor einiges im Argen liegt. Die Gesetze sind in den Ländern zwar auf den Weg gebracht worden und teilweise schon in Kraft getreten. Doch das, was in den Jugendanstalten passiert, ist noch lange nicht befriedigend.
Zeitweise herrscht eine romantisierende Vorstellung von der Vollzugswirklichkeit. Es handelt sich nicht etwa um eine Wohltat für junge Straftäter. Aber es ist eben auch noch nicht das, was der Gesetzgeber von ihm erwartet, sprich eine Anstalt, die jugendliche Straftäter durch Resozialisierungs- und andere therapeutische Maßnahmen in ein straffreies Leben führt. Die hohe Rückfallquote belegt diese traurige Wahrheit. Genau deshalb machen Experten darauf aufmerksam, dass gerade bei jugendlichen Straftätern mit einem alleinigen Wegschließen nichts erreicht wird.
Bei der gestrigen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verfassung zum Entwurf eines Jugendstrafvollzugs
gesetzes haben wir erfahren, dass Sachsen-Anhalt beim Personalschlüssel im Bundesvergleich äußerst schlecht dasteht. Nur ein Beispiel: Bundesweit kommen auf einen Psychologen im Jugendstrafvollzug ca. 67 Gefangene. In Sachsen-Anhalt sind es 123 Gefangene, die sich einen Psychologen „teilen“ müssen.
Das ist prekär. Lassen Sie uns daher gemeinsam an einem progressiven Jugendstrafvollzugsgesetz arbeiten, das den jugendlichen Straftätern und auch der Gesellschaft eher hilft als eine fadenscheinige Diskussion über ewiges Wegschließen.
Aber gestatten Sie mir einen Blick über den bundespolitischen Tellerrand hinaus in Richtung Europa, da wir gemeinsam zumindest eine Rechtsangleichung anstreben:
Ein tendenziell lebenslanger Freiheitsentzug ist dort nicht bekannt. In den Niederlanden gibt es die vorbehaltene Sicherheitsverwahrung, allerdings ausschließlich mit Blick auf die Entwicklungsförderung des Jugendlichen - meiner Ansicht nach auch bedenklich. In England bedarf es eines Richterspruchs, der dem Kind oder Jugendlichen schon im Urteil die Wiedereingliederungsfähigkeit abspricht - hanebüchen. In Frankreich und Österreich ist eine Freiheitsstrafe von bis zu 20 Jahren möglich, die Sicherungsverwahrung ist ausgeschlossen. Spanien hat die Sicherungsverwahrung sogar für verfassungswidrig erklärt, weil gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoßen wird - sehr interessant. Deutlich wird: In keinem Land ist eine nachträgliche Entscheidung möglich.
Diese Dinge im Hinterkopf behaltend, lohnt noch einmal ein Blick in die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für den Jugendstrafvollzug. Hierin wurden internationale Vorgaben zum Jugendstrafrecht äußerst hoch gehalten. Geplante Veränderungen dürfen nicht im Widerspruch der so genannten Standards Minimal Rules stehen oder zu deren Unterschreitung führen. Die dazu von der UN und dem Europarat festgehaltenen Regelwerke setzen allesamt auf ein Rückdrängen des Freiheitsentzugs bei jungen Menschen.
Nun ist mir auch klar, dass von einigen politischen Kräften gern in diesem Zusammenhang traurige Einzelfälle geschildert werden, welche die Problemlage und den Handlungsnotstand verdeutlichen sollen. Die aktuell auf Bundesebene geführte innenpolitische Diskussion ist ein trauriges Beispiel dafür.
Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie gaukeln der Bevölkerung auch mit dieser Symbolpolitik eine scheinbare Sicherheit vor, die es eben nicht gibt. Denn seien Sie doch ehrlich: Ein solches Gesetz verhindert Straftaten nicht, leider auch nicht die ganz schrecklichen unter ihnen. Die Interessen des potenziellen Opfers und der Gesellschaft und die Interessen des straffälligen jungen Menschen stehen sich zweifelsohne gegenüber und müssen natürlich Beachtung finden, aber nicht durch eine ohnmächtige Idee wie das ewige Wegschließen.
Eine entsprechende Empfehlung des Europarats fordert ganz deutlich, dass gerade bei schwerstkriminellen Jugendlichen mit Beginn der Freiheitsentziehung die Resozialisierung durch ein Wiedereingliederungsprogramm und eine Eingliederungsstrategie angestrebt werden soll, die auch eine Ausgangserlaubnis, den Aufenthalt im offenen Vollzug und die vorzeitige bedingte Entlassung
enthält. Die nunmehr auch für Jugendliche geplante nachträgliche Sicherheitsverwahrung ist jedoch das ganze Gegenteil dieser Vorgaben. Sie setzt an einer Unverbesserlichkeit an und beinhaltet vor allem die sichere Verwahrung und den Schutz der Gesellschaft. Das halten wir für den falschen Weg.
Zusammengefasst stelle ich fest, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung dem Erziehungsziel des Jugendstrafrechts widerspricht, dass eine absolute Sicherheit für potenzielle Opfer nicht damit einhergeht, dass die vom Bundesverfassungsgericht genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben, die Menschenwürde und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, verletzt werden. Daher lehnt die Fraktion DIE LINKE den Gesetzentwurf zur nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilung nach Jugendstrafrecht ab und fordert die Landesregierung auf, im Bundesrat gegen die geplante Verschärfung des Jugendstrafrechts zu stimmen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau von Angern. Es gibt eine Nachfrage von Herrn Stahlknecht. Möchten Sie diese beantworten? - Bitte schön.
Liebe Frau Kollegin, Sie haben Ihre Rede, denke ich, sehr stark an den wissenschaftlichen Aufsatz von Herrn Professor Dr. Ostendorf und an Bochmann angelehnt, der die ablehnenden Gründe, wie Sie sie vorgetragen haben, vertritt, und Sie haben auch ein Stück weit internationale Rechtsvergleiche herangezogen, was interessant war. Aber Sie haben natürlich den Teil weggelassen, der Ihren Intentionen entgegenlaufen würde. Ich frage Sie an dieser Stelle zunächst: Wie hoch ist die Höchststrafe im Jugendstrafrecht in Deutschland?
Zehn Jahre. Dann frage ich Sie, wenn Sie die internationalen Rechtsvergleiche gesehen haben - im Übrigen gibt es in England ein ähnliches Modell -:
Wie hoch ist die Höchststrafe in Österreich für Heranwachsende und Jugendliche? Dort beträgt sie 20 Jahre und 15 Jahre. Das heißt, es gibt in diesen Ländern, wo das nicht vorgesehen ist, eine wesentlich längere Phase, um auch die psychologische Entwicklung besser evaluieren zu können als bei uns. Das wollte ich an dieser Stelle durch die Nachfrage nur noch einmal herausstellen. - Vielen Dank.
Das ist auch das, was ich gesagt habe, Herr Kollege. Ich habe nicht Österreich herangezogen, sondern England.
Ich habe auch gesagt, dass ich das für sehr bedenklich halte. Ich habe auch gesagt, dass ich es nicht für sinnvoll erachte, Jugendliche 20 Jahre im Gefängnis zu behalten, weil die Therapiemöglichkeit dann mehr als begrenzt sein muss.
(Beifall bei der LINKEN - Herr Gallert, DIE LINKE: Aber er wollte noch einmal sagen, dass er es auch wusste!)
Vielen Dank, Frau von Angern, für die Einbringung. - Für die Landesregierung erteile ich jetzt der Justizministerin Frau Professor Dr. Kolb das Wort. Dann treten wir in die Debatte ein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn es Frau von Angern schon ausgeführt hat, möchte ich meiner Rede noch einmal ausdrücklich voranstellen, dass das Jugendstrafrecht den Erziehungsgedanken in den Mittelpunkt stellt. Das heißt, Jugendkriminalität wird als ein episodenhaftes Ereignis in einer bestimmten Entwicklungsphase angesehen.
Deshalb sind alle Maßnahmen sowohl des Jugendstrafrechts als auch die Maßnahmen im Jugendstrafvollzug darauf ausgerichtet, den Jugendlichen in die Lage zu versetzen, nach seiner Haftentlassung ein straffreies Leben zu führen. Das heißt, Jugendliche sollen eine realistische zweite Chance bekommen.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass wir gerade in dieser Woche im Rechtsausschuss eine sehr interessante Anhörung zu dem Entwurf eines Jugendstrafvollzugsgesetzes hatten, in deren Ergebnis man durchaus sagen kann, dass wir einen sehr modernen Entwurf vorgelegt haben, den wir in zwei Monaten in diesem Haus werden diskutieren können und der aus meiner Sicht eine sehr gute Grundlage für den Jugendstrafvollzug in Sachsen-Anhalt legt.
Im Hinblick auf die angeführten Rückfallzahlen möchte ich noch einmal betonen, dass die hohen Rückfallzahlen gerade im Jugendstrafvollzug keineswegs dahin gehend ausgelegt werden dürfen, dass wir einen schlechten Jugendstrafvollzug haben. Die Tatsache, dass Jugendliche wieder rückfällig werden, hat völlig andere Ursachen, die darin begründet liegen, dass die Jugendlichen häufig aus einem sozialen Milieu kommen, in dem sie selbst schon Gewalterfahrungen gemacht haben. Sie haben in der Regel einen sehr geringen Bildungsstand. Ich denke, durch die Möglichkeiten, die wir ihnen in unserer Jugendhaftanstalt in Raßnitz bieten, haben sie, nachdem sie die Berufsausbildung abgeschlossen haben, tatsächlich eine Chance, ein Leben frei von Straftaten zu führen.
Ungeachtet dieser Ausgangsposition darf man nicht verschweigen, dass es einige, wie gesagt: wenige Fälle gibt, die belegen, dass auch Jugendliche zu besonders abscheulichen Gewaltverbrechen fähig sind. Ich möchte hierfür als Beispiel nur kurz den Fall von Martin P. schildern, der in Bayern passiert ist. Martin P. hat mit 17 Jahren einen Jungen sexuell missbraucht und mit 70 Messerstichen getötet. Er ist zu einer Haftstrafe von neun Jahren verurteilt worden, ist im Jahr 2004 nach Vollverbüßung der Haftstrafe entlassen worden und hat trotz einer engmaschig gestrickten Führungsaufsicht im
Angesichts derartiger Straftaten, die, wie gesagt, auch von jugendlichen Straftätern begangen werden, stellt sich aus der Sicht der Allgemeinheit schon die Frage, ob das strafrechtliche Instrumentarium ausreichend und adäquat ist. Deshalb gab es in der Vergangenheit immer wieder Diskussionen, die mit zwei unterschiedlichen Ansätzen belastet waren: zum einen mit der Forderung nach höheren Strafen für Jugendliche Straftäter und zum anderen mit der Forderung nach Einführung der Maßregel der nachträglichen Sicherungsverwahrung.
Die Diskussionen über das geeignete Instrumentarium haben ihren vorläufigen Abschluss in einem Kompromiss in der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene gefunden, der eben keine Erhöhung des Strafrahmens, sondern die Einführung der Maßregel der nachträglichen Sicherungsverwahrung für eine bestimmte Gruppe - ich möchte es noch einmal ausdrücklich betonen - von hoch gefährlichen jugendlichen Straftätern vorsieht. Schon der Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfs zeigt, dass es sich hierbei um ein Instrument handelt, das als Ultima Ratio bei einer sehr kleinen Gruppe von Gewalttätern zur Anwendung kommen kann.
Wir haben daraufhin im Hinblick auf die Insassen unserer Jugendhaftanstalt einmal überprüft, inwieweit es jetzt einen möglichen Straftäter gäbe, und haben festgestellt, dass im Moment unter den Insassen in Raßnitz keiner wäre, der diese engen Voraussetzungen erfüllen würde.
Aber daraus sollte man jetzt nicht den Schluss ziehen, dass die geplante Regelung nicht erforderlich ist. Auch wir in Sachsen-Anhalt können für die Zukunft nicht ausschließen, dass es einen solchen Straftäter wie Martin P. hier gibt. Ich denke, für derartige Fälle muss es auch unter dem Gesichtspunkt des präventiven Opferschutzes ein geeignetes Instrumentarium geben.
Die die Bundesregierung tragenden Fraktionen haben in dem Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 als Zielvorgabe vereinbart, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung in besonders schweren Fällen auch bei Straftätern verhängt werden können soll, die nach dem Jugendstrafrecht wegen schwerer Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung eines Menschen verurteilt worden sind.
Dieser Zielvorgabe entspricht der nunmehr vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung, der, was die Voraussetzungen betrifft, zum Teil Länderinitiativen aus Bayern, Thüringen und Baden-Württemberg aufgreift, der aber hier auch insgesamt einen deutlich engeren Ansatz prägt. Dadurch wird erreicht, dass sich die gesetzliche Ausgestaltung der nachträglichen Sicherungsverwahrung von Jugendlichen stark von der nachträglichen Sicherungsverwahrung von erwachsenen Straftätern unterscheidet.
So kommt eine nachträgliche Sicherungsverwahrung überhaupt nur bei einer Verurteilung zu einer Haftstrafe von mindestens sieben Jahren in Betracht. Das ist im Jugendbereich wirklich schon ein sehr hohes Strafmaß und kommt wirklich nur in Ausnahmefällen vor. Sie kommt darüber hinaus nur bei einem engen, konkret formulierten Katalog von Anlassstraftaten in Betracht, die
mit erheblichen Eingriffen in das Leben, in die körperliche Unversehrtheit oder in die sexuelle Selbstbestimmung der jeweiligen Opfer verbunden sind.
Meine Damen und Herren! Wir nehmen natürlich die in dem Antrag der Fraktion DIE LINKE vorgetragene Kritik ernst; allerdings haben wir nicht die gleichen Befürchtungen, was die möglichen Konsequenzen betrifft.
Dem in § 7 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes verankerten Erziehungsziel wird auch weiterhin Rechnung getragen. Gerade für Jugendliche, die wegen Gewalttaten zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, sieht der Entwurf eines Landesjugendstrafvollzugsgesetzes für die Zukunft eine Sozialtherapie vor. Das heißt, unser Hauptaugenmerk wird auch in Zukunft auf der Resozialisierung liegen.
Das bedeutet: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung soll bei Jugendlichen vor allem dann Anwendung finden, wenn sich Gewalttäter einer Therapie verweigern, sodass sie zum Entlassungszeitpunkt nach wie vor eine Gefahr für die Mitbürgerinnen und Mitbürger darstellen.
Gegen die in Rede stehende Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung wird auch die Schwierigkeit von Gefährlichkeitsprognosen bei der in Betracht kommenden Tätergruppe vorgebracht. Diese Schwierigkeit besteht allerdings bei jeder in Betracht kommenden Tätergruppe. Es handelt sich hierbei in der Tat um eines der schwierigsten Betätigungsfelder von Gutachtern.
Vor diesem Hintergrund würde ich an dieser Stelle lieber eine Diskussion darüber führen, inwieweit wir die Qualität von derartigen Gutachten in Zukunft noch erhöhen können; denn jede Prognose ist auch immer mit einem gewissen Fehlerrisiko belastet. Dieses wird allerdings im Unterschied zum Erwachsenenstrafrecht in dem Entwurf der Bundesregierung dadurch relativiert, dass hier eine regelmäßige Frist von einem Jahr zur Überprüfung der Entwicklungsaussichten des jeweiligen jugendlichen Straftäters vorgesehen ist. Insoweit kann also von einem lebenslangen Wegsperren nicht die Rede sein.
Ich persönlich habe auch nicht das Gefühl, dass sich die Gerichte, etwa durch öffentlichen Druck, in die Richtung „wegsperren und vergessen“ drängen lassen. Aus meiner Sicht zeigt die gegenwärtig vorliegende Rechtsprechung sehr deutlich, dass sich das entscheidende Gericht immer - ich denke, gerade bei jugendlichen Straftätern werden die Gerichte dieser Verantwortung in besonderem Maße gerecht werden - seiner enormen Verantwortung bewusst ist und eine sorgfältig abgewogene Entscheidung trifft.
In diesem Zusammenhang ist auch von besonderer Bedeutung, dass der Gesetzentwurf ausdrücklich vorsieht, dass die Jugendkammer als zuständiges Gericht zur Entscheidung berufen sein soll.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend Folgendes feststellen: Wenn und soweit bei der Schaffung der erforderlichen Rechtsgrundlagen den Besonderheiten in der Entwicklung von Jugendlichen, Heranwachsenden und jungen Erwachsenen entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen wird, verdient die Ermöglichung der nachträglichen Sicherungsverwahrung insbesondere aus Gründen des Opferschutzes auch für die Tätergruppe der Jugendlichen unsere volle Unterstützung. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Wir kommen jetzt zur Fünfminutendebatte. Als erstem Debattenredner erteile ich Herrn Stahlknecht von der Fraktion der CDU das Wort. Bitte schön.