Protokoll der Sitzung vom 14.09.2007

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Wir kommen jetzt zur Fünfminutendebatte. Als erstem Debattenredner erteile ich Herrn Stahlknecht von der Fraktion der CDU das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir setzen uns für das Instrument der nachträglichen - Frau von Angern, ich betone: nachträglichen - Sicherungsverwahrung ein, und zwar so, wie das auch von der Frau Ministerin vorgetragen worden ist. Denn wir sind der Auffassung: Opferschutz geht am Ende vor Täterschutz.

(Beifall bei der CDU)

Zwei unabhängige Gutachter - das haben Sie so nicht erwähnt - stellen kurz vor der Haftentlassung fest, ob der zu entlassende Jugendliche, der dann mittlerweile ein Heranwachsender sein müsste, nach der Entlassung für die Allgemeinheit noch gefährlich sein und weitere eng bestimmte Straftaten begehen kann. Wir reden von Mord, wir reden von Vergewaltigung und von anderen schweren Straftaten.

Zu dem, was auch Ostendorf und teilweise auch Sie vorgetragen haben, dass es aufgrund der Entwicklung, die Jugendliche noch nehmen, schwierig sei, bei Jugendlichen und Heranwachsenden gutachterlich festzustellen, ob eine Gefährdung bzw. eine Reifeverzögerung vorliegt, muss man einmal eines ganz plastisch darstellen:

Frau Ministerin hat zu Recht gesagt: Eine Mindestjugendstrafe von sieben Jahren muss ausgeurteilt sein, damit am Ende überhaupt eine nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann. Das heißt, der Jugendliche, der im Alter von 14 Jahren - mit diesem Alter besteht nach dem geltenden Recht frühestens die Möglichkeit, eine Straftat zu begehen - eine solche Straftat begeht, wird im Alter zwischen 20 und 21 Jahren darauf untersucht, ob er nach seiner Entlassung für die Allgemeinheit möglicherweise noch gefährlich ist.

Meine Damen und Herren! Das Erwachsenenstrafrecht - das wissen Sie, liebe Frau Kollegin, auch - gilt für Menschen ab 22 Jahren. Bei einem Erwachsenen kann man diese Sicherungsverwahrung bereits bei der Feststellung des Ersturteils, wenn er 22 Jahre alt ist, anordnen.

Und nun muss mir einmal jemand aus diesem Hohen Haus erklären, worin der Unterschied zwischen einer Gefährlichkeitsprognose für einen jungen Menschen, der 21 Jahre alt ist, und der für einen 22-Jährigen besteht. Da gibt es nur marginale Reifeverzögerungen.

Im Übrigen haben Sie in Ihrem Vortrag am Ende - es ist fast verständlich, weil Sie bei der Sicherungsverwahrung im Erwachsenenbereich auch dagegen waren; dazu hat Ihre Kollegin Frau Tiedge gesprochen - Strafe und Maßregelvollzug ein Stück weit vermischt. Dann sind Sie sicherlich bei der niederländischen Entscheidung „ne bis in idem“, dem Verbot der Doppelbestrafung. Das ist auch richtig.

Hierbei handelt es sich aber um eine gesonderte Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit vor weiteren möglichen Straftaten. Das halten wir auch im Hinblick auf mögliche Opfer für angemessen, weil jedes Opfer einer

Vergewaltigung oder eines Mordes, das vermieden werden kann, ein richtiger Schritt ist. Allerdings sollte das mit intensiver ärztlicher Untersuchung geschehen.

Auch aufgrund der Zunahme von extremen Straftaten halten wir dieses Mittel als Ultima Ratio für gerechtfertigt, insbesondere deshalb, weil zwischen einem 21-Jährigen und einem 22-Jährigen mit Sicherheit - das werden dann die Psychologen und Ärzte feststellen müssen - kein erheblicher Unterschied hinsichtlich einer Reifeverzögerung mehr festzustellen ist.

Insofern sieht meine Fraktion auch überhaupt keinen Beratungsbedarf mehr in irgendwelchen Ausschüssen. Das ist eine Einstellung, die wir vertreten und zu der wir stehen. Um mit Müntefering zu sprechen: Das wollen wir nicht, das machen wir nicht, das lehnen wir ab. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. Es gibt jetzt zwei Nachfragen, zum einen von dem Abgeordneten Herrn Kosmehl, zum anderen von dem Abgeordneten Herrn Wolpert, sofern Herr Stahlknecht antworten möchte. - Bitte schön.

Sehr verehrter Herr Kollege Stahlknecht, Sie haben ja auch einmal in der Rechtspflege gearbeitet.

Das tue ich immer noch.

Ihnen ist sicherlich auch der Grundsatz „in dubio pro reo“ bekannt. Da Sie zumindest nicht gewährleisten können, dass es eine klare Gefährdungsprognose von den beiden Gutachtern geben kann, weil sie also nicht ausschließen können, dass es einen Fall gibt, in dem es schwierig ist, eine solche klare Prognose abzugeben, stelle ich Ihnen die Frage: Würden Sie den Grundsatz „in dubio pro reo“ dann so auslegen, dass Sie den jugendlichen Straftäter aus der Haft entlassen? Oder würden Sie dann sagen: Nein, das geht nicht, wir verwahren ihn erst einmal weiter?

Lieber Herr Kollege Kosmehl, das ist natürlich eine gute Frage. Diese werden die Gerichte im Rahmen ihrer richterlichen Unabhängigkeit zu beantworten haben. Ich kann am heutigen Tag keine Handlungsanleitung für Entscheidungen einer Jugendgerichtskammer geben.

Ich denke, dass sich eine Kammer in Abwägung dessen, auch der Verhältnismäßigkeit, im Zweifel möglicherweise dem Grundsatz „in dubio pro reo“ anschließen wird, weil sie sagt, die Zweifel daran, dass eine Gefährdung vorliegt, sind geringer zu bewerten als die Rechte des Jugendlichen, die in Rede stehen. Dann wird darauf ein Urteil aufgebaut werden. Ich habe hohes Vertrauen in unsere Rechtsprechung und hohes Vertrauen in unsere Jugendstrafkammern, dass sie genau diese Grundsätze abwägen. Vielen Dank für diesen Hinweis. Ich denke, der war richtig und gut.

Die zweite Frage stellt der Abgeordnete Herr Wolpert. Bitte schön, Herr Wolpert.

(Herr Tullner, CDU: Könnt ihr das nicht im Aus- schuss machen? - Herr Kosmehl, FDP: Er will ja keine Ausschussüberweisung!)

Ach, Herr Tullner, Sie reden doch selbst mit und Sie kommen nie in den Ausschuss. Das muss schon hier passieren. - Herr Kollege Stahlknecht, in der letzten Ausschusssitzung haben wir eine Anhörung zum Jugendstrafvollzugsgesetz gehabt. Es war einhellige Meinung aller Parteien, dass das vorrangige Ziel des Jugendstrafvollzuges die Erziehung ist und dass der Schutz der Allgemeinheit nachrangig ist.

Jetzt argumentieren Sie, dass dem Schutz der Allgemeinheit bei dieser Maßregel der Vorrang zu geben sei. Das ist meines Erachtens eine Durchbrechung des Gedankens. Ich frage: Ist die CDU noch auf dem gleichen Level wie damals in der Ausschusssitzung?

Bitte, Herr Stahlknecht.

Herr Kollege Wolpert, die CDU ist wie immer auf voller Höhe, dessen können Sie sicher sein; das ist kein Problem. Aber Sie verwischen da schon wieder etwas.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

- Ja, das ist so. Man kann doch einmal sagen, dass wir am Samstagnachmittag um 14.45 Uhr wie immer auf voller Höhe sind.

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Freitagnachmittag! - Starke Unruhe)

- Freitagnachmittag, ja, sehen Sie mal. Am Samstag sind wir aber auch immer auf voller Höhe. Am Sonntag auch. Aber egal, ich möchte die Frage noch beantworten.

(Herr Gürth, CDU: Und was ist mit Montag?)

- Montags sind wir auch auf voller Höhe, aber wir wollen jetzt nicht jeden Tag nehmen, sonst überschreite ich hier die Zeit. Wir wollen wahrscheinlich alle noch etwas anderes machen.

Um auf Ihre Frage einzugehen. Sie vermischen schon wieder etwas. Natürlich hat Erziehung Vorrang. Das soll gar nicht anders sein. Es geht auch nicht um eine Strafmaßnahme, um eine Sanktion, sondern wir wollen in erster Linie erziehen. Das müssen wir aufgrund der Reifeverzögerung und der Jugendlichkeit auch tun. Damit haben Sie völlig Recht.

Der Maßregelvollzug ist an dieser Stelle aber völlig losgelöst zu betrachten. Es geht um eine völlig isoliert zu betrachtende Prognose aufgrund der Gefährlichkeit. Sie können diese Prognose nicht wieder an die Erziehung ankoppeln. Die Konsequenz aus Ihrer Argumentation müsste dann sein zu sagen: Wir verlängern die Erziehung. Damit wären wir bei dem österreichischen Modell.

Danach, Herr Gallert, habe ich deshalb vorhin auch gefragt. Die haben sich ja nicht ganz ohne Grund für eine andere Richtung entschieden und sagen: Wir wollen keine Sicherungsverwahrung, sondern längere Jugendfreiheitsstrafen von 15 oder 20 Jahren. Ich sage Ihnen: Wenn wir dieses Instrument haben, dann sind wir mit den zehn Jahren im Jugendgerichtsgesetz richtig gut bedient. Dabei bleiben wir auch. Aber das andere machen wir so.

(Herr Kosmehl, FDP: Für alle Zeit!)

- Ich habe gelernt, in der Politik sollte man gelegentlich auf Sicht fahren, Herr Kollege. Das tut einem manchmal ganz gut. Insofern werden wir einmal schauen. Im Augenblick ist es aber, denke ich, die richtige Prognose.

(Zustimmung von Herrn Weigelt, CDU)

Herr Stahlknecht, es gibt noch eine dritte und letzte Frage. Der Abgeordnete Herr Rothe hat noch eine Frage. Möchten Sie diese auch noch beantworten?

Herr Rothe, bitte.

Herr Kollege Stahlknecht, es mag ja sein, dass es für die Gefährlichkeitsprognose keinen großen Unterschied macht, ob Sie einen 20-Jährigen oder einen 22-Jährigen beurteilen. Sind Sie - weil wir uns heute gegenseitig examinieren - aber bereit einzuräumen, dass die Tatbezogenheit auch unverzichtbar ist für die Feststellung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung und dass es einen Unterschied macht, ob die Tat, auf die ich mich beziehe, in einem Alter von 14 Jahren oder von 21 oder 22 Jahren begangen wurde?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Bitte, Herr Stallknecht.

Also, auf die Tatbezogenheit kommt es selbstverständlich an. Wenn Sie den Entwurf kennen und das, was vereinbart worden ist, dann ist es am Ende auch tatbezogen. Es bleibt sich aber zunächst einmal gleich - ich sage das noch einmal in aller Deutlichkeit -, ob jemand im Alter von 14 Jahren oder im Alter von 22 Jahren einen Mord begeht. Von den Sanktionen her wird es aber unterschiedlich gehandhabt, weil die höchste Erziehungsmaßnahme nach dem Jugendstrafgesetz zehn Jahre beträgt.

Wenn Sie aber nach zehn Jahren feststellen, dass der 14-Jährige aufgrund irgendwelcher, sagen wir einmal, krankhafter Störungen - ich bin nicht der Arzt, der das zu untersuchen hat; aber es sind ja krankhafte Störungen, die festgestellt werden - nach sieben Jahren im Alter von 21 Jahren immer noch das gleiche Gefährdungspotenzial aufweist, dann ist es dem Opfer egal, ob er die Tat

in einem Alter von 14 Jahren oder in einem Alter von 22 Jahren begangen hat, denn am Ende ist tot gleich tot.

Darauf muss man einfach abstellen und sagen, dass es auf das Gefährdungspotenzial ankommt, das dann andere als wir festzustellen haben, andere als die Juristen, Gott sei Dank, wo dann auch der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt.

Aber bei dem Grundsatz „in dubio pro reo“, das sage ich Ihnen am Ende, bin ich immer dafür, dass wir Leben möglichst auch lebenswert erhalten und den Menschen in diesem Land Sicherheit geben.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Stahlknecht. - Wir kommen dann zum zweiten Debattenredner. Ich erteile der FDP-Fraktion das Wort. Es spricht Herr Wolpert. Bitte schön.