Protokoll der Sitzung vom 09.06.2006

Guten Morgen, meine Damen und Herren!

(Zurufe: Guten Morgen!)

Ich begrüße Sie sehr herzlich. Ich hoffe, Sie sind gut in diesen Tag hineingekommen, den Sie ab heute Abend vermutlich zu einem großen Teil vor den Fernsehschirmen verbringen und an dem sie für Deutschlands berühmteste Sportler die Daumen drücken werden. Zunächst freuen wir uns aber, dass wir unsere Arbeit hier weiter tun können.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen die zweite Sitzungsperiode des Landtags fort. Ich rufe zu Beginn, wie vereinbart, den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Aktuelle Debatte

Klarheit bei den Feuerwehrstrukturen in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/49

Sie wissen, dass die Redezeit je Fraktion zehn Minuten beträgt und auch die Landesregierung zehn Minuten Redezeit zur Verfügung hat. Die Reihenfolge der Redebeiträge ist folgendermaßen vorgeschlagen worden: nach der FDP-Fraktion als Einbringerin die CDU-Fraktion, die Linkspartei.PDS-Fraktion und die SPD-Fraktion. Dazwischen wird noch die Landesregierung das Wort nehmen. Ich bitte zunächst Herrn Kosmehl, für die FDPFraktion die Aktuelle Debatte zu eröffnen.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Neben der Diskussion über flächendeckende Einheitsgemeinden bis zum Jahr 2011 hat ein weiteres Thema der neuen Regierungskoalition für einigen Wirbel gesorgt: die Ankündigung der Änderung der Feuerwehrstrukturen.

Änderungen von Strukturen an sich darf man sich nie verschließen. Änderungen sollten aber sachlich nachvollziehbar sein und von den Betroffenen mitgestaltet werden. Wenn man Änderungen ankündigt, sollte man seine Vorstellungen entweder - etwa in Form eines Leitbildes - klar auf den Tisch legen oder eine Diskussion beginnen, die dann aber ergebnisoffen geführt werden muss.

Die Art und Weise, wie Sie, Herr Innenminister, Änderungen angekündigt haben, hat nicht zu Klarheit geführt. Im Gegenteil: Sie haben verängstigte Bürgermeister und vor allem verunsicherte Feuerwehrkameradinnen und -kameraden hinterlassen. Dies ist hauptsächlich auf zwei Gründe zurückzuführen: erstens auf Unklarheiten im Koalitionsvertrag von CDU und SPD und zweitens auf Äußerungen des Innenministers in der Presse und bei diversen Veranstaltungen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die demografische Entwicklung in unserem Land und vor allem die strukturelle Entwicklung des Arbeitsmarktes führen dazu, dass immer mehr freiwillige Feuerwehren in unserem Land nicht mehr einsatzbereit sind. Im Jahr 2005 waren

es nur noch ca. ein Drittel, die ständig einsatzbereit waren.

Gerade tagsüber und in der Woche zeigt sich, dass es ein Hauptproblem dabei ist, der ehrenamtlichen Funktion als Feuerwehrmann oder als Feuerwehrfrau nachzugehen, wenn man nicht mehr vor Ort Arbeit hat. Das ist ein Problem im Hinblick darauf, dass wir alle gemeinsam die Sicherstellung des Brandschutzes über eine funktionsfähige Feuerwehr schaffen wollen.

Gerade weil es eine gemeinsame Aufgabe ist, sollten wir uns darüber verständigen, wie wir mit dieser Aufgabe und deren Lösung umgehen. Die Unterschiede liegen dabei ganz klar auf der Hand. Sie liegen in der Vorgehensweise und zum Teil auch in der Zielsetzung - darauf komme ich später noch einmal zurück -, wenn ich wieder an die Einheitsgemeinde denke.

Das Thema Erhalt bzw. Schaffung von einsatzbereiten Feuerwehren müssen wir angehen. Dazu gibt es keine Alternative. Die Frage ist, Herr Minister, verbreiten wir Angst und Schrecken oder versuchen wir, die Betroffenen vor Ort in den Prozess einzubinden und sie mitzunehmen.

(Beifall bei der FDP)

Wenn man eine Debatte über die künftigen Strukturen der Feuerwehr führt, dann darf man einen wichtigen Aspekt nicht vergessen: Die Wehren in unserem Land haben zur Aufgabe das Löschen, Bergen, Schützen und Retten. An dieser Stelle sage ich im Namen der FDPFraktion ausdrücklich Dank für den Einsatz, den die Kameradinnen und Kameraden jeden Tag unter Einsatz ihres Lebens für die Sicherung unser aller Leben und Eigentum erbringen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU, bei der Linkspartei.PDS und bei der SPD)

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, über diese Hauptaufgabe hinweg haben die Feuerwehren in unserem Land auch eine gesellschaftlich nicht zu unterschätzende Bindefunktion in ihren Orten übernommen. Gerade diese Bindefunktion sollte man in der Diskussion durchaus mit beachten.

Bisher hat sich die neue Regierungskoalition meines Erachtens zu diesem Thema nicht klar positioniert. Im Koalitionsvertrag ist die Veränderung der Struktur der Feuerwehren nur mittelbar genannt. Schwarz-Rot will die personelle Einsatzfähigkeit in den Mittelpunkt stellen und setzt deshalb bei der Heraufsetzung der Mindesteinwohnergrenze an, die derzeit bei 200 Einwohnern liegt. Diese Aussage hat zu Verunsicherung bei den Feuerwehren geführt, da sich dem Koalitionsvertrag nichts über die von der Landesregierung künftig geplante Mindesteinwohnergrenze entnehmen lässt. Es ist somit nur natürlich, dass sich gerade die kleinen Feuerwehren in ihrer Existenz bedroht fühlen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Auch Ihre Vorstöße, Herr Minister, über die Presse und bei Veranstaltungen tragen bisher nicht zur Klarstellung bei. In mehreren Pressemitteilungen wurde angekündigt, dass das Innenministerium mit Funktionsträgern der Feuerwehr und dem Landesfeuerwehrverband eine Arbeitsgruppe bilden will.

Das wirft viele Fragen auf: Was wird in der Arbeitsgruppe diskutiert? Wie detailliert wird in den Feuerwehren

diskutiert? Wird ergebnisoffen diskutiert? Wer diskutiert mit? Wird gemeinsam mit den Aktiven vor Ort, die die Probleme der Feuerwehren gerade im ländlichen Raum am besten kennen, das Leitbild erstellt, oder präsentiert das Innenministerium ein Leitbild und diskutiert das dann mit den Vertretern der Feuerwehr?

Außerdem konnte Presseberichten entnommen werden, dass plötzlich nicht mehr auf eine starre Einwohnermindestgrenze abgestellt werden soll. Die Gemeinden sollen vielmehr selbst beurteilen dürfen, ob sie in jedem ihrer Ortsteile eigene Feuerwehren vorhalten wollen. Maßgeblich soll dabei nur eine garantierte Hilfefrist von zwölf Minuten sein.

Anders - so hatte ich Sie zumindest verstanden, Herr Innenminister - hatten Sie sich auf der Landesdelegiertenversammlung des Landesfeuerwehrverbandes geäußert, als Sie noch sagten, dass Sie eine neue Einwohnermindestgrenze nicht nennen können, weil Sie erst noch ein Leitbild zu den Einheitsgemeinden erarbeiten wollen, an dem sich die Einwohnermindestgrenze bei den Feuerwehren orientieren soll. - Ja, was denn nun? Einwohnermindestgrenze oder flexible Lösungen, Herr Minister?

Ich will an dieser Stelle für die Freien Demokraten verdeutlichen: Flexiblen Lösungen steht die FDP grundsätzlich positiv gegenüber, weil diese eine ortsnahe Lösung ermöglichen. Dabei - das ist vielleicht ein zweiter Punkt - möchte ich erwähnen, dass man in dieser Diskussion auch die Mindestausstattungsverordnung auf den Prüfstand stellen könnte. Braucht jede Feuerwehr alles oder brauchen die Kräfte am Einsatzort das Richtige? Auch das, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollten wir in die Diskussion mit einbeziehen.

Dabei stellt sich nun die Frage, meine sehr geehrten Damen und Herren: Was motiviert den Innenminister vorzupreschen? - a) Unerfahrenheit? - Das kann ich mir nicht vorstellen. - b) Ungeduld, weil er bei der Feuerwehr schnell einen guten ersten Eindruck hinterlassen will? - Möglich. - Oder ist es c) Schlitzohrigkeit, weil er ohne die CDU den Koalitionsvertrag auslegen will?

(Beifall bei der FDP - Herr Hauser, FDP, lacht)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie können selbst entscheiden, was die richtige Antwort ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über eine Ankündigung des Innenministers musste ich schon schmunzeln, nämlich die angedachte Übertragung der Kompetenz der Entscheidung auf die nach Ihren Vorstellungen größeren Einheitsgemeinden, ob diese Gemeinden dann in einzelnen Ortsteilen noch eine Feuerwehr vorhalten wollen oder nicht.

Herr Minister, wenn es den Gemeinden überlassen wird, ob Feuerwehren als freiwillige Aufgabe in den weiteren Ortsteilen vorgehalten werden sollen, besteht die Gefahr, dass diese als zu kostspielig angesehen werden und auf den Brandschutz verzichtet wird. Aufgrund der derzeitigen Finanzlage der überwiegenden Zahl der Gemeinden in Sachsen-Anhalt ist ein solches Szenario nicht abwegig. Ich, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchte auf den Brandschutz nicht verzichten.

Der große Vorteil für den Innenminister besteht darin, dass dann die jeweilige Gemeinde den schwarzen Peter zugeschoben bekommt und sich gegenüber den Einwohnern rechtfertigen muss und nicht das Innenministerium. Herr Minister, aus Ihrer Sicht: gut gedacht. Aber

ich glaube, wenn man Verantwortung wegschiebt, hilft das nicht immer weiter.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten setzen auf Kooperationsverbünde vor Ort zwischen den Wehren einzelner Gemeinden in den Verwaltungsgemeinschaften, um die Einsatzbereitschaft herzustellen.

(Frau Weiß, CDU: Die haben wir schon längst!)

Effizienz und Bürgernähe bestimmen in allen Strukturdebatten unser Handeln. Ihnen, Herr Minister, geht es, wenn überhaupt, nur um Effizienz. Aber Effizienz und Bürgernähe sind zwei Seiten der gleichen Medaille; sie gehören zusammen.

Die FDP sieht den Weg über Kooperationsvereinbarungen als am besten geeignet an, das Ziel der ortsnahen, aber einsatzbereiten Feuerwehr zu erreichen, dabei aber das gesellschaftlich so wichtige, weil vielerorts letzte Verbindungsglied Freiwillige Feuerwehr vor Ort zu erhalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob die Kameraden, die sich jetzt in den verschiedenen freiwilligen Feuerwehren vor Ort engagieren, dann in der gleichen Anzahl und mit der gleichen Motivation in einer größeren Wehr an einem anderen Ort ihren Einsatz bringen werden. Oftmals liegt die Einsatzbereitschaft gerade daran, dass ich in dem Ort verwurzelt bin. Ich glaube, dass man nicht mit größeren Strukturen automatisch die Einsatzbereitschaft herstellt.

Wir sind der festen Überzeugung, dass man mit der Ankündigung von Zwang und, Herr Minister, von oben herab keine qualitativ starken Feuerwehren schafft. Vielmehr muss man mit klaren Vorstellungen eine Diskussion beginnen, damit die Bürger und die Aktiven vor Ort ihre Strukturen mitgestalten können.

Herr Minister, wer so mit den Feuerwehren umgeht wie Sie, der sichert nicht den Brandschutz, sondern er verunsichert die Brandschützer. Oder anders gesagt: Wer mit der Zukunft der Feuerwehr spielt, spielt mit dem Feuer. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kosmehl. Möchten Sie eine Frage von Herrn Rothe beantworten?

Immer gern.

Bitte sehr, Herr Rothe, fragen Sie.

Herr Kollege Kosmehl, ich finde es erfreulich, dass Sie die Initiative des Innenministers aufgegriffen haben, die mangelnde Einsatzfähigkeit vieler Feuerwehren zum Thema zu machen. Die Strukturverantwortung dafür trägt in der Tat das Land.

Nun frage ich mich: Wie ist es möglich, dass die FDP uns rät, beim Thema Feuerwehren mit mehreren 10 000 Kameradinnen und Kameraden ganz schnell Klarheit zu

schaffen, während die FDP in Gestalt ihres Sozialministers Kley daran gescheitert ist, zwei kleine Feuerwehrunfallkassen zusammenzuführen?

(Zustimmung bei der SPD - Lachen bei der CDU und bei der FDP)