Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Landtagsbeschluss zum Gesetz über die Errichtung der Stiftung Gedenkstätten im Land Sachsen-Anhalt vom 22. März 2006 ist nach meiner Auffassung in einzelnen Passagen weder gut gelungen, noch befriedigt das erzielte Ergebnis.
Seit dem Inkrafttreten des Gedenkstättenstiftungsgesetzes ist die Kritik, insbesondere an der unterschiedlichen Behandlung der Mitglieder im Stiftungsrat nach § 7 Abs. 2 des Gedenkstättenstiftungsgesetzes und der Mitglieder des Beirates, nicht verstummt. Während für die Stiftungsbeiräte nach § 11 Abs. 6 Voraussetzung für eine Mitgliedschaft die Zustimmung zur Überprüfung auf der Grundlage des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes ist, fehlt eine entsprechende Regelung für die Mitglieder des Stiftungsrates. Zwingende sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung sind hingegen nicht gegeben.
Die darüber öffentlich geführte Diskussion, die zum Teil auch bundesweit stattgefunden hat, verstellt derzeit aber den Blick auf das Wesentliche. Mit diesem Gesetz hat die CDU-FDP-Koalition am Ende der vergangenen Wahlperiode einen Schlusspunkt unter eine jahrlang geführte Diskussion gesetzt. Nicht zuletzt die auch von der PDSFraktion maßgeblich mitgeführten Diskussionen über die Nutzung und Weiterverwendung der Gedenkstätte Lichtenburg haben dazu geführt, dass sich Sachsen-Anhalt nach den Ländern Brandenburg, Sachsen, Thüringen, Bayern und Niedersachsen zur Errichtung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung entschlossen hat, um zum Gedenken an die NS-Opfer fünf Gedenkstätten und drei Gedenkstätten für die Opfer aus den Zeiten der sowjetischen Besatzung und der SED-Diktatur in die Trägerschaft einer Stiftung zu übertragen. Die Begründung zu dem damaligen Gesetz führt für diesen Schritt Folgendes an - ich zitiere -:
„Die öffentlich-rechtliche Stiftung ‚Sachsen-Anhaltische Gedenkstätten’ soll die gesamte Erinnerungs-, Bildungs- und Forschungsarbeit der Ge
denkstätten verantworten, die zahlreichen Kontakte zu den Opfern und ihren Organisationen pflegen und nicht zuletzt die historischen Orte der Menschenrechtsverletzungen betreiben und erhalten.“
Weiter heißt es: Jedes Opfer politischer Gewaltherrschaft hat in der Gedenkstättenarbeit den gleichen Stellenwert zu besitzen.
Meine Damen und Herren! Hieraus wird deutlich, dass die Opferperspektive maßgeblicher Blickwinkel des Gesetzes sein soll. Daher, meine Damen und Herren, ist der Zweck der Stiftung wieder stärker in den Blick zu nehmen. Der Zweck der Stiftung definiert sich über die Opfer der Nazi- und der SED-Diktatur. Die Perspektive der Opfer ist der maßgebliche Maßstab zur Beantwortung der Frage, ob die Stiftung ihren Stiftungszweck erfüllt oder erfüllen kann.
Es geht nicht darum, meine Damen und Herren, ob wir selber als Mitglieder des Landtages unsere Ziele und Perspektiven in der Arbeit der Stiftung richtig verwirklicht sehen. Nein, wir, meine Damen und Herren, müssen versuchen, uns in die Sicht der Opfer der Diktaturen hineinzuversetzen, wenn wir überlegen, wie und mit welchen Personen die Stiftung arbeiten soll.
Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion stellt sich ihrer Verantwortung für die Zusammensetzung des Stiftungsrates und die Wahl von Mitgliedern dieses Gremiums. Als Vorsitzender der CDU-Faktion und ganz persönlich stelle ich hier erneut fest, dass dieses Haus bei der Wahl von Landtagsmitgliedern in den Stiftungsrat am 19. Oktober 2006 die allein zählende Perspektive der Opfer nicht genügend gewürdigt hat.
Viele Zuschriften, Anrufe und persönliche Gespräche bestätigen diese Erkenntnis. Die Achtung und der Respekt gegenüber den Opfern des DDR-Regimes, die sich durch die Wahlentscheidung des Landtages verletzt fühlen, gebieten es, dieses zu korrigieren.
Meine Damen und Herren! Mir persönlich war es ein wichtiges Anliegen, Schaden vom Stiftungsrat abzuwenden. Daher habe ich im Sommer und im Herbst Gespräche mit dem Ziel geführt, dass die Fraktion DIE LINKE einen unbelasteten Umgang mit der Stiftung und dem Stiftungsrat ermöglicht. Die nunmehr wegen der beharrlichen Verweigerung eingetretene wechselseitige Blockade gefährdet die Gedenkstättenstiftung in ihrem Bestand, so befürchte ich. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Fraktion DIE LINKE bereit ist, die früher selbst von ihr gewollte Errichtung einer landesweiten Gedenkstättenstiftung zu gefährden. Dieses, meine Damen und Herren, kann die CDU-Fraktion nicht zulassen.
Meine Damen und Herren! Die intern und öffentlich geführten Diskussionen der letzten Monate haben gezeigt, dass die handwerklichen Fehler im Gesetz durch eine Gesetzesänderung beseitigt werden müssen. Dies geschieht, wie es bei einem Gesetz notwendig ist, in öffentlicher Sitzung in zwei Lesungen des Landtages von Sachsen-Anhalt. Es ist somit ein demokratisch legitimierter Vorgang in unserer repräsentativen Demokratie.
Meine Damen und Herren! Wer meint, dass wir einen juristischen Fehler begehen, kann auch dieses wiederum juristisch überprüfen lassen. Das, meine Damen und
Herren, unterscheidet uns grundsätzlich von den Diktaturen, deren geschichtliche Aufarbeitung unter anderem die Aufgabe dieser Stiftung ist.
Meine Damen und Herren! Sofern öffentlich geäußert wurde, dass wir mit dem nunmehr vorgelegten Gesetzentwurf eine Bananenrepublik wären, so muss dem entschieden widersprochen werden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist kein Einzellfallgesetz und unterliegt damit nicht dem Verbot nach Artikel 20 Abs. 1 der Landesverfassung.
Um ein Einzelfallgesetz handelt es sich, wenn eine Rechtsfolge an einen konkret bezeichneten Tatbestand geknüpft ist und sich das Gesetz in dem einmaligen Eintritt der Rechtsfolge erschöpft. Unzulässig sind Einzelfallgesetze jedoch nur dann, wenn damit Grundrechte eingeschränkt werden. Die gesetzliche Regelung eines Einzelfalls ist nicht ausgeschlossen, wenn der Sachverhalt so beschaffen ist, dass es nur einen Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhaltes von sachlichen Gründen getragen wird - so die Kommentierung zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Bei genauerer Betrachtung ist dem allgemein-abstraktgenerellen Gesetz das Einzelpersonengesetz und das Einzelfallgesetz gegenüberzustellen. Ausweislich der Kommentierung zu Artikel 19 des Grundgesetzes ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bislang kein Verstoß eines Gesetzes gegen Artikel 19 des Grundgesetzes festgestellt worden.
Das Bundesverfassungsgericht ist vielmehr der Auffassung, dass durch abstrakt-generelle Regelungen auch dann, wenn sie zur Lösung bestimmter historischer Problemlagen ergehen oder sogar aus Anlass konkreter Einzelfälle erlassen werden, eine Verfassungswidrigkeit nicht gegeben ist.
Schon die abstrakt-generelle Formulierung des Gesetzes stellt auch in solchen Fällen regelmäßig sicher, dass das Gesetz nicht nur für einen abschließend bestimmten Kreis von Adressaten gilt, sondern auf unbestimmt viele weitere Fälle anwendbar ist, auch wenn diese erst für die Zukunft zu erwarten sind oder sich nur einer der möglichen Anwendungsfälle realisiert hat.
Es bleibt daher, meine Damen und Herren, festzustellen, dass das Einzelfallgesetzverbot bislang keine praktische Bedeutung erlangt hat. Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf ist eine generelle Regelung getroffen worden, sodass ein Verstoß nicht anzunehmen ist.
Aber, meine Damen und Herren, ich will auf einen weiteren Aspekt hinweisen, der unsere jetzige Diskussion in einem größeren Zusammenhang zeigt. Mitte Juni 2001 hat der stellvertretende Parteivorsitzende Porsch erklärt, dass sich die PDS für den Mauerbau nicht entschuldigen müsse. Der stellvertretende Parteivorsitzende Dehm äußerte sich zur künftigen Enteignung von Großkonzernen.
Unmittelbar im Nachgang gab die seinerzeitige PDSChefin Frau Hein der Zeitung „Die Welt“ am 22. Juni 2001 ein Interview, in dem sie ausführte, dass der Begriff „Unrechtsstaat der DDR“ völlig falsch und fehl am Platze sei. Ministerpräsident a. D. Höppner attestierte der PDS, dass sie dringend eine ideologische Entrümpelung brauche.
Mit einem Gastbeitrag replizierte der damalige rechtspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Walter Remmers in der „Mitteldeutschen Zeitung“ am 5. Juli 2001: Mit der heute ausgetragenen Diskussion müssen wir uns erneut Fragen stellen über Möglichkeit und Grenzen der Aufarbeitung zwischen Opfern und Personen, die in einen Unrechtsstaat, zum Beispiel im Justizbereich, eingebunden gewesen sind.
Meine Damen und Herren! Anstatt der Gedenkstättenstiftung die Möglichkeit zu geben, inhaltliche Fragen zu bearbeiten, die Geschichte aufzuarbeiten und für eine stärkere Verankerung des Demokratieverständnisses in der Gesellschaft zu arbeiten, strengt DIE LINKE eine abseitige Debatte an.
Demgegenüber sollte von uns angeknüpft werden an die Arbeit des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität in Dresden, das sich mit theoretischen und konzeptionellen Grundlagen der Diktatur- und Freiheitsforschung befasst. Ebenso arbeitet das Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt als Scharnierstelle zwischen wissenschaftlicher Theoriebildung und gegenwartsbezogener kultureller Praxis.
Aber auch in unserem Land gibt es Vorarbeiten, an die angeknüpft werden sollte. Erinnert sei an die inzwischen leider vergriffenen Arbeiten über die JVA Roter Ochse in der Zeit zwischen 1933 und 1945 und an die Arbeit über die MfS-Untersuchungsanstalt „Roter Ochse“ in der Zeit von 1950 bis 1989, die vom damaligen Innenministerium unter der Leitung von Manfred Püchel herausgegeben wurden.
Meine Damen und Herren! Es gibt möglicherweise noch einen anderen Einwand, der im Laufe der Debatte von der Fraktion DIE LINKE vorgetragen werden wird. Es ist der Vorwurf, dass wir mit einer erzwungenen Änderung der Zusammensetzung des Stiftungsrates Hunderttausende von DDR-Biographien diskriminieren und entwerten würden. Das ist natürlich nicht der Fall. Eine ungerechtfertigte Solidarisierung von Opfern und Tätern wird es nicht geben. Wir werden es auch nicht zulassen, dass sich ehemalige Täter heute als neue Opfer stilisieren.
Jeder, meine Damen und Herren, der in der ehemaligen DDR gelebt und in Beruf, Familie und öffentlichem Engagement Verantwortung getragen hat, muss sich seiner eigenen Verantwortung bewusst sein. Ein verklärter Blick zurück hilft wirklich nicht.
Meine Damen und Herren! Maßgeblich ist die Perspektive der Opfer der Gewaltherrschaft, gegebenenfalls auch als Korrektiv eigener Erinnerung oder des eigenen Wegsehens.
Meine Damen und Herren! Die Linksfraktion sollte sich einmal fragen, ob für sie ein Repräsentant des NS-Regimes, auch wenn dieser mit seiner Vergangenheit gebrochen zu haben glaubt, als Repräsentant einer Stiftung zur Aufarbeitung der NS-Diktatur geeignet wäre. Insbesondere für den Justizbereich, meine Damen und Herren, kann ich mir eine entsprechende Akzeptanz wirklich nur schwer vorstellen.
Ich will es deutlich sagen: Auch wenn die betreffende Person einsieht, dass sie damals Unrecht begangen hat, wäre für die Akzeptanz die Perspektive der Opfer und
Meine Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion waren eingeladen, den geänderten Gesetzentwurf mit einzubringen. Sie müssen heute erklären, warum sie nicht bereit sind, den von uns vorgeschlagenen Weg mitzugehen. Juristische Bedenken lassen sich, soweit ich sie bisher erkennen kann, nach meiner Auffassung ausräumen. Ich möchte daran erinnern, dass der Landtag nicht wie im letzten halben Jahr nur zur verbalen Auseinandersetzung aufgerufen ist, sondern er ist auch zum Handeln aufgerufen. - Vielen Dank.
Vielen Dank für die Einbringung des Gesetzentwurfs, Herr Scharf. - Wir beginnen gleich mit der Debatte. Zunächst haben wir die Freude, Seniorinnen und Senioren sowie Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr SchmölauHolzhausen begrüßen zu können.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist der Versuch, eine Reihe von politischen Fehlern zu korrigieren, die wir alle in diesem Hohen Hause begangen haben. „Wir alle“ heißt: die Koalitionsfraktionen CDU und SPD genauso wie die Oppositionsfraktionen DIE LINKE und FDP. Wir müssen diese Fehler korrigieren. Aber wir sollten die Fehler durch politische Entscheidungen korrigieren und nicht durch ein neues Gesetz. - Das ist die Position der FDP-Fraktion in dieser Sache.
Ich werde diese Position im Folgenden begründen. Ich werde dabei auch begründen, warum wir Liberale im Unterschied zur Fraktion DIE LINKE die Gedenkstättenstiftung weiterhin für einen unverzichtbaren Rahmen halten, um das Gedenken der Opfer zweier deutscher Diktaturen des 20. Jahrhunderts zu sichern und zu gestalten.
Zunächst zum Ablauf der Ereignisse. Der Landtag hat am 22. März 2006 das Gedenkstättenstiftungsgesetz beschlossen. Am 12. Oktober 2006 folgte die Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates.
In der Folge, vor allem nach der Konstituierung des Stiftungsrates am 12. April 2007, erklärte der Verband der Opfer des Stalinismus, dass er wegen der Mitgliedschaft von Frau Gudrun Tiedge seine Mitarbeit im Stiftungsrat aussetzen werde. Die Begründung dafür lautete, es sei für die Opfer unzumutbar, über ihre Verbandsvertreter mit einer ehemaligen Mitarbeiterin der Staatssicherheit und Jugendstaatsanwältin der DDR an einem Tisch vertrauensvoll zusammenzuarbeiten.
Wenige Monate später, am 3. Oktober 2007, äußerte sich Frau Tiedge in einem deutschlandweit ausgestrahlten Interview von „Report München“. Befragt nach ihrer früheren Tätigkeit als Staatsanwältin in der DDR stellte sie fest, dass sie nichts bereue und ein Staatsanwalt in