Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Wochen gab es neben der Fußballweltmeisterschaft für Interessierte auch eine spannende politische Diskussion über die Verwendung der Mittel aus dem Solidarpakt II.
Angemahnt wurde von der Bundesregierung, aber auch von Sachsens Ministerpräsident Milbradt eine korrekte Verwendung dieser Gelder. Was aber ist nun eine korrekte Verwendung?
Kriterien gibt es für die Verwendung der Mittel aus dem Solidarpakt II im eigentlichen Sinne nicht. Nach den Aussagen von Herrn Tiefensee sollten die Gelder für den Aufbau eingesetzt werden und nicht für die Sanierung der Haushalte. Die Gelder seien dazu da, bis zum Jahr 2019 eine sich selbst tragende Wirtschaft in den neuen Ländern aufzubauen.
Diesem Anspruch ist nichts entgegenzusetzen. Es gibt keine Fraktion in diesem Landtag, die das nicht will.
Die Frage, an der sich der Streit entzündet hat, ist die nach dem Weg. Wie soll eine sich selbst tragende wirtschaftliche Entwicklung erreicht werden? Wir sagen, Investitionen in die Bildung sind Investitionen in die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft. Sachsen-Anhalt wird nicht mehr zum Manufakturbetrieb und zu den Jägern und Sammlern zurückgehen können, um Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Zukunft Sachsen-Anhalts hängt vielmehr von Investitionen in Bildung und Forschung ab. - Na ja, man könnte es ja einmal mit Zeitmaschinen oder so etwas probieren.
Insofern wäre es nur gut und richtig gewesen, wenn dem Vorschlag von Thüringens Ministerpräsidenten Althaus, auch die Ausgaben für Forschung und Bildung, also auch Personalkosten, beim Solidarpakt abzurechnen,
Wenn der Aufbau-Ost-Experte Seitz von der Universität Dresden meint - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident -,
„Humankapitalbildung, Bildungsausgaben haben mit dem Aufbau Ost absolut nichts zu tun; das sind Märchen aus Tausendundeiner Nacht“, so ist er nicht auf der Höhe der Zeit.
Spätestens seit der Tagung des Europäischen Rates von Lissabon im Jahr 2000 ist der klassische Investitionsbegriff überholt. Die Zielstellung, die Europäische Union bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu entwickeln, setzt ein Umdenken hinsichtlich des Investitionsbegriffes voraus.
Mit den bisher als Investitionen gekennzeichneten Ausgaben werden nur noch bedingt positive Effekte für die öffentlichen Haushalte erzielt. Das liegt zum Teil an der verheerenden Steuerpolitik der vergangenen Jahre, die auch künftig nicht besser wird, aber nicht nur. Die zentrale Frage ist und bleibt gerade auch für SachsenAnhalt: Warum sind Investitionen der öffentlichen Haushalte nicht mehr in der Lage, nachhaltige Wirkungen zu erzeugen? Es ist eben zu kurz gegriffen, wenn man meint, die Wachstumsschwäche der ostdeutschen Länder beruht vor allem auf einer unzureichenden Infrastrukturausstattung.
Die Ursachen dafür sind weitaus vielfältiger. Eine davon ist zum Beispiel, dass nach dem Jahr 1990 fast die gesamte Industrieforschung wegbrach und die Mehrheit der kleinen und mittleren Unternehmen in unserem Land weder das Kapital noch die Menschen hat, um eigenständige Forschung zu betreiben. Eine andere ist, dass junge, gut ausgebildete Menschen das Land verlassen und andere wiederum so schlecht ausgebildet sind, dass sie den Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht genügen. Nur mit Straßenbau werden diese Probleme nicht zu beheben sein.
Die Europäische Kommission hat durch eine Mitteilung vom Januar 2003 ihre Sicht zur Verwirklichung der Zielsetzung der bestmöglichen Nutzung der Ressourcen ausführlich dargelegt und vor allem die Neudefinition der Bildungsausgaben von Konsum in Investitionen betont. Ausgaben für das Bildungswesen müssen als reale Investitionen statt als wiederkehrende Verbrauchsausgaben gewertet werden.
Auch im jüngst vorgelegten Bericht „Bildung in Deutschland“ wird dem Bildungswesen eine Schlüsselposition als Wachstumstreiber beigemessen. Wenn also die Industriegesellschaft sich wandelt hin zur wissensbasierten Gesellschaft, muss sich auch der Blick auf die öffentlichen Haushalte wandeln.
Dabei muss auch weiterhin davon ausgegangen werden, dass es im Rahmen des Landeshaushaltes eine geson
derte Betrachtung der Mittel geben muss, die in der Zukunft Wertschöpfungsprozesse ermöglichen bzw. erweitert reproduzieren. Diese Wertschöpfung sieht aber heute schon völlig anders als noch vor 20 oder 40 Jahren aus. Investitionen in Produktionsstätten werden immer teurer und es wird nur eine geringe Anzahl von Arbeitsplätzen geschaffen.
So hat der Wirtschaftsminister im vergangenen Monat der Bio-Ölwerk Magdeburg GmbH einen Fördermittelbescheid überreicht. Im Werk sollen Investitionen in Höhe von rund 29,5 Millionen € getätigt werden. Dabei werden 33 Arbeitsplätze, darunter sechs Ausbildungsplätze, geschaffen.
Das ist kein Einzelbeispiel. Wenn wir aber bei der traditionellen Sicht auf Investitionen bleiben, wird es uns in Sachsen-Anhalt kaum gelingen, Arbeitsplätze in erheblichen Größenordnungen zu schaffen; denn dann müssen wir Milliarden investieren.
(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Herr Gürth, CDU: Wenn ihr eure Politik weitermacht, gibt es überhaupt keine neuen Arbeitsplätze! - Minister Herr Dr. Daehre: Ja! - Zuruf von Herrn Tullner, CDU)
Im Unterschied zur traditionellen Investitionsquote, die davon ausgeht, dass Wertschöpfung in erster Linie durch Ausgaben in materielle Dinge geschieht, müssen die entscheidenden Investitionen eben dort erfolgen, wo Wertschöpfungsprozesse nachhaltig stimuliert werden, nämlich in der Bildung im weitesten Sinne.
So gibt es zum Beispiel eine positive Entwicklung bei der Ausgründung von Firmen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Von 2003 bis 2005 hat sich die Zahl der Ausgründungen mit insgesamt 475 mehr als verdoppelt und die Anzahl der durch Ausgründungen geschaffenen Arbeitsplätze in den Hochschulen des EgoNetzwerkes mit insgesamt 1 279 mehr als vervierfacht.
Mangelnde Effekte der Investitionen für die öffentliche Haushalte ergeben sich heute auch, weil sie an die bisherige Begriffsbestimmung von 1969 gebunden sind. Natürlich hat man in der Statistik die traditionelle Investition unmittelbar vorliegen. Investitionen in Bildung werden erst über einen längeren Zeitraum sichtbar. Damit werden wir dem eigentlichen Ziel des Solidarpakts II nicht gerecht, eine selbst tragende wirtschaftliche Entwicklung zu erreichen.
Die von den neuen Ländern jährlich vorzulegenden Fortschrittsberichte dokumentieren zwar, wie viel Geld aus dem Solidarpakt für Investitionen in die Infrastruktur verwendet worden ist; eine Aussage darüber, ob diese Investitionen sinnvoll waren oder nicht, taucht darin jedoch nicht auf.
Wenn Straßen nach nirgendwo gebaut werden oder eine Brücke, die keinen Anschluss hat, dann handelt es sich dabei um Gelder, die zwar wirklich verschwendet wor
Leider steht eine notwendige Neudefinition des Investitionsbegriffs nicht auf der Tagesordnung. Die Mehrheit der Landesregierungen hat eine solche im Zusammenhang mit der Diskussion über den Solidarpakt II abgelehnt, und das, so scheint mir, wider besseres Wissen. Insofern ist die Entscheidung der ostdeutschen Fraktionschefs bzw. -chefin am vergangenen Freitag, den Investitionsbegriff doch nachhaltig überarbeiten zu wollen, wider den Mainstream; unsere Unterstützung, auch wenn sie darauf vielleicht nicht angewiesen sind, haben sie jedoch auf jeden Fall.
Joachim Ragnitz vom IWH spricht von wachstumswirksamen Ausgaben, die beim Verwendungsnachweis für die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen unbedingt berücksichtigt werden müssten, und bietet eine ganze Palette solcher an. Sie reichen von beruflichen Schulen über Fördermaßnahmen für Studierende, wissenschaftliche Bibliotheken bis hin zu Wissenschaft und Forschung an Hochschulen und außerhalb von ihnen.
Bis es aber so weit ist, dass ein neuer Investitionsbegriff haushaltsrechtlich zu Buche schlägt, fordern wir die Landesregierung auf, in der mittelfristigen Finanzplanung eine Bildungsquote auszuweisen, in die sämtliche Ausgaben des Landes für Bildung, Forschung und Entwicklung einfließen. Darin eingeschlossen müssten auch EU- und Bundesmittel sein, und zwar als Bruttoausgaben ohne den Abzug eventuell vorhandener Einnahmen, also ähnlich der Investitionsquote.
Eine solche Bildungsquote ist in ihrer Aussagefähigkeit ein haushaltspolitisches Qualitätskriterium. Sie sagt noch nichts über die Effizienz des Bildungs- und Wissenschaftssystems aus und auch nichts darüber, ob die Mittel optimal verteilt sind. Aber das ist bei der herkömmlichen Investitionsquote nicht anders. Das Ausweisen einer Bildungsquote als solches bringt auch nicht automatisch mehr Geld für Bildung. Das ist uns bewusst. Sie macht aber transparent, wie viel Geld in welche Bereiche der Bildung, Forschung und Entwicklung fließt. Sie verdeutlicht Problemfelder und veranschaulicht darüber hinaus mit Blick auf diverse Fortschrittsberichte, wo Geld wie genutzt wird.
Ein weiteres Problem, dessen wir uns bewusst sind, ist, dass es nur einen mittelbaren Zusammenhang zwischen Bildungsinvestitionen und Wertschöpfungsprozessen aus der Sicht des Landes gibt. Die jüngsten demografischen Studien zeigen sehr deutlich die hohe Mobilität von gut ausgebildeten Menschen. Das bedeutet in unserem Fall, dass Sachsen-Anhalt zwar in Bildung investiert, aber nicht unbedingt in den Genuss der daraus resultierenden Wertschöpfung kommen muss.
Außerdem wirken Bildungsinvestitionen nur langfristig - wenn ich bei der frühkindlichen Bildung einsetze. Eine Kosten-Nutzen-Rechnung nach Legislaturperioden ist deshalb kaum möglich bzw. es wird immer nur die Last gesehen und nicht der Nutzen, da dieser nicht gleich zu haben ist.
Die Diskussion über die Verwendung der Mittel aus dem Solidarpakt II setzt natürlich genau dort an. Wenn Bildung Konsum ist und nur zu den weichen Infrastrukturfaktoren gehört, dann kann bzw. muss angesichts der katastrophalen Lage der öffentlichen Kassen auch dort gespart werden. Mit der nun beschlossenen Föderalis
Angesichts der aus sehr unterschiedlichen Gründen sinkenden Einnahmen des Landes und dem geringer werdenden Haushaltsumfang mag einigen Kolleginnen und Kollegen die Forderung in unserem Antrag, die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Entwicklung auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten und nach Möglichkeit zu steigern, verwegen, aber mehr, glaube ich, populistisch vorkommen.
Gegenwärtig liegt die Bildungsquote in Sachsen-Anhalt nach unseren Berechnungen bei knapp 23 % der Gesamtausgaben. Um den Zeichen der Zeit aber gerecht zu werden, müsste sie mittelfristig auf 25 % des Gesamthaushaltes ansteigen. Damit ist aber kein absoluter Aufwuchs verbunden. Im Gegenteil: Mit einem schrumpfenden Haushaltsvolumen schrumpft auch die Höhe der Ausgaben für den gesamten Bildungsbereich.